Tag: 25. Februar 2023

08/2023: Heather MacAllister, 25. Februar 1968

Heather MacAllister wurde in Michigan geboren, lebte in verscheidenen Städten in dem Bundesstaat, aber auch in Tuscon, Arizona und schließlich in San Francisco. Mit dreißig Jahren machte sie einen Bachelor Degree in Anthropologie und African-American Studies. Sie war aktiv in verschiedenen Netzwerken und Organisationen gegen Gewichtsdiskriminierung und für fat acceptance (Link Englisch), sowie gegen die Verfolgung und Diskriminierung von trans Menschen; nach dem 11. September 2001 setzte sie sich auch für die Bürgerrechte von muslimischen und Arab-US-Amerikanern ein. Sie arbeitete unter anderem für NoLose, in der sich dicke queere Menschen organisieren, und leistete Lobbyarbeit für eine Gesetzgebung gegen Gewichtsdiskriminierung, die 2000 in San Francisco umgesetzt wurde.

Hauptsächlich bekannt ist sie für ihre Burlesque*-Truppe ‚Big Burlesque and the Fat Bottom Revue‚, in der ausschließlich dicke Künstlerinnen tanzten. Für ihre Auftritte verwendete MacAllister die Bühnennamen Ms Demeanor (a misdemeanour = ein Vergehen) und Reva Lucian (ein Wortspiel mit Revolution, falls es nicht aufgefallen sein sollte), ihre Truppe trat bei unterschiedlichsten Gelegenheiten wie etwa dem Burning Man und Konferenzen politischer Organisationen, aber auch privaten Veranstaltungen auf. Neben dem Entertainment setzte MacAllister mit ihrer Truppe auch Körper-Akzeptanz-Workshops um.

Die Anthropologin und Künstlerin war überzeugt, dass Burlesque eine wirksame Form des Aktivismus sei: „Jedes Mal, wenn eine dicke Person auf der Bühne etwas anderes als eine Witzfigur darstellt, ist es politisch. Füge dem noch Bewegung hinzu, dann Tanz, dann Sexualität, und du hast einen revolutionären Akt.“ (Zitatquelle: Wikipedia, Übersetzung von mir)

Ebenso ein Akt körperpolitischer Revolution war es, als MacAllister und Big Burlesque 2005 für eine Kunstgalerie von Leonard Nimoy fotografiert wurden – das Kunstprojekt hieß The Full Body. In seiner Erläuterung dazu erklärt Nimoy, dass Frauenkörper in seinen bisherigen Fotografien dem gesellschaftlichen Standard von Schönheit entsprachen und sie auch von Betrachtenden als ’schön‘ bezeichnet wurden. Die Fotografien der Burlesquetänzerinnen seien eine Abweichung davon, diese Frauen zeigten sich selbst, im Gegensatz zu den Modellen, die er sonst fotografiert und die seinen Anweisungen folgten. In den Bildern ginge es daher auch mehr um die Frauen als um ihn als Künstler. Er stellt mit den Frauen ansatzweise die Bilder anderer Künstler nach, wie Herb Ritts, Helmut Newton oder auch Matisse, zum Teil bekleidet, zu großem Teil nackt. Seiner Aufforderung, sich stolz zu zeigen, kamen die Burlesquetänzerin mit Leichtigkeit nach, auch ihre spürbare Entspanntheit miteinander und sich selbst beschreibt Nimoy. Die Reaktionen auf diese Bilder, schließt er, sei eine andere, die Betrachtenden sprächen anders von den Bildern. Kommentare führten zu Fragen, Fragen zu Diskussionen, über Schönheitsideale, soziale Akzeptanz, kosmetische Eingriffe und anderes. „In diesen Bildern tragen die Frauen ihre eigene Haut. Sie respektieren sich selbst und ich hoffe, meine Bilder vermitteln dies an andere.“ (Quelle: web.archive.org, Übersetzung meine)

2006 erhielt MacAllister vom Harvey Milk LGBTQ Democratic Club (Link Englisch) den Queer Cultural Activist Award. Im Folgejahr starb Heather MacAllister 38jährig durch Sterbehilfe, nachdem sie vorher an Eierstockkrebs erkrankt war. Ein Bildband von The Full Body Project erschien 2008, es ist ihr gewidmet.


Quelle Biografie: Wiki englisch


*Mit Burlesque ist hier New Burlesque gemeint. Für eine interessante, zeitgeschichtliche Einordnung von (New/Neo) Burlesque in Abgrenzung zum Striptease ist der englische Wikipedia-Artikel zu Neo-Burlesque lesenswert. Meine Paraphrasierung für die kurze Lesezeit:

Das ursprüngliche Burlesque-Theater, in dem bekannte Stücke parodiert wurden und Frauen in Männerrollen auftraten, kam in den 1860er Jahren aus Großbritannien in die USA und zwar mit den British Blondes unter der Leitung von Lydia Thompson. Bis in die 1930er Jahre veränderte sich die US-amerikanische Burlesque hin zu einer Form des Striptease, was wiederum dazu führte, dass es in dieser moralisch strengen Dekade** stark reguliert wurde. Damit verschoben sich die Inhalte weg vom strip hin zum tease, doch durch politische Reglementierung und Unterdrückung verschwand das Burlesque-Theater fast vollständig von der Entertainment-Bildfläche. Mit sich lockerndem moralischen Zeitgeist konnten direkter auf sexuelle Erregung abzielende Striptease-Lokale Fuß fassen – und da ab den 1960ern auch Nacktheit in Filmen und anderen Entertainments gängiger wurde, schien das Spiel mit neckischem Entblößen der Burlesque überkommen. Seit 1994 feiert Neo-Burlesque ein Revival als eine ‚vintage‚ Form der Unterhaltung. Das moderne Burlesque-Theater spielt wieder mit Andeutung statt full frontal nudity, hat eher sinnliche als sexuelle Erregung zum Ziel und setzt schlüpfrigen Humor ebenso wie Gesangs- und Tanzeinlagen für ein breiteres Kulturerlebnis ein. Während in seiner Frühzeit die Burlesque gemeinsam mit den rassistischen Minstrel Shows und den ableistischen Freak Shows zu den anspruchslosen Formen der Unterhaltung zählte, hat die moderne Form diese diskriminierenden Zurschaustellungen in ihr Gegenteil verkehrt. Statt als passive, stereotype und abstoßende Objekte erscheinen im Neo-Burlesque diverse Menschen mit unterschiedlichen Körpern als aktive, individuelle und sinnliche Subjekte. Ein normatives Schönheitsideal wird verweigert, weshalb es für Aktivistys der body positivity wie Heather MacAllister ein fruchtbares politisches Instrument ist – Aktivitainment, sozusagen. Mit der Boylesque erwuchs dem Burlesque auch eine verwandte Kunstform, in der statt der weiblichen Darstellung – Frauen und Drag Queens – männliche Darstellende Burlesque-Akte aufführen.

**Auch der Hays-Code wirkte von 1934 an „reinigend“ auf Filme und führte hier ebenfalls zu kreativen Ideen, Anzüglichkeiten und sexuelle Inhalte zu verbrämen.

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