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35/2020: Flossie Wong-Staal, 27. August 1946

Flossie Wong-Staal kam als Wong Yee-ching in Guangzhou, China, zur Welt. Nachdem 1949 die Kommunistische Partei Chinas den Bürgerkrieg gewonnen hatte, flohen viele Chinesen nach Hongkong, so auch Wongs Familie im Jahr 1952. Dort besuchte Yee-ching eine römisch-katholische Eliteschule, an der sie besonderes Interesse an und hervorragende Leistungen in den Naturwissenschaften zeigte. Ihre Lehrer empfahlen ihr, nach dem Abschluss für ein Studium in die USA zu gehen und sich dafür einen englischen Namen zuzulegen. Sie wollte keinen gewöhnlichen Namen, also wählte ihr Vater den Namen Flossie für sie nach einem Typhoon (oder mehreren), der China getroffen hatte.

Als Flossie Wong begann die 18-jährige 1964 ihr Studium an der University of California, Los Angeles, in dem sie vier Jahre später ihren Bachelor of Science in Bakteriologie machte, weitere vier Jahre arbeitete sie anschließend auf ihren Doktortitel in Molekularbiologie hin. Sie heiratete in dieser Zeit ihren Kommilitonen Stephen P. Staal und promovierte als Flossie Wong-Staal 1972 mit einer Dissertation über die Unterschiede im Ergbut von mutierten und wildlebenden Tabakpflanzen.

Im folgenden Jahr schloss sie sich in Bethesda, Maryland, dem Virologen Robert Gallo am National Cancer Institute an, um an Retroviren zu forschen, die zu diesem Zeitpunkt noch eine Theorie waren. Insbesondere die Vorstellung, dass Krebs von Viren ausgelöst werden könnte, wurde von der Wissenschaft größtenteils abgelehnt. Das Team um Gallo entdeckte jedoch 1980 die Viren HTLV-1 und HTLV-2 (Humanes T-lymphotropes Virus 1 und 2) als Auslöser von Krebsformen; Wong-Staal war nach der Isolation des Virus für die Sequenzierung seines genetischen Aufbaus verantwortlich. Diese Viren hatten Eigenschaften mit einem neuen Virus gemein, das sich zu dieser Zeit in den USA ausbreitete, nämlich die sexuelle Übertragbarkeit und den Befall der T-Lymphozyten, dem sich das Team folgerichtig als mögliches HTLV-3 widmete. Wong-Staal übernahm 1982 die Leitung der Abteilung für Molekulargenetik der Hämatopoetischen Stammzellen am NCI, ein Jahr später gelang es ihr und Gallo, das HTLV-3 als HI-Virus und Auslöser von AIDS zu identifizieren. Zur gleichen Zeit wurde in Frankreich das Virus als LAV identifiziert, von Luc Montagnier und Françoise Barré-Sinoussi (die ich in der KW 31/2020 kurz erwähnte). Die genauen Abläufe, wer welche Erkenntnisse zu welchem Zeitpunkt eigenständig hatte oder eventuell Ergebnisse gestohlen oder sich angeeignet hatte, wurden zum langwierigen Rechtsstreit zwischen den Wissenschaftlern.

Einen weiteren entscheidenden Schritt in der Erforschung des HI-Virus machte Wong-Staal bereits im nächsten Jahr, 1984, als sie die Molekularstruktur des Virus analysierte und es klonte. Sie trug damit bei zu einem besseren Verständnis seiner langen Latenzzeit, warum also nach einer HIV-Infektion so lange Zeit vergeht, bis die Erkrankung AIDS ausbricht. Ebenso war die Kenntnis seiner Struktur eine wichtige Grundlage für die Entwicklung eines ersten Tests, der eine Infektion im Blut nachweisen konnte.

Im Jahr 1990 war Flossie Wong-Staal die am vierthäufigsten zitierte Wissenschaftlerin unter 45 Jahren. Sie kehrte nach Kalifornien zurück, um an der University of California San Diego den ‚Florence-Seeley-Riford-Lehrstuhl für AIDS-Forschung zu übernehmen. Hier konzentrierte sie sich auf die Erforschung der Gene des HI-Virus, die für die Reproduktion und Aktivität verantwortlich sind; diese Erkenntnisse sollen zur Entwicklung eines Impfstoffes beitragen. Im Zusammenhang mit dieser Arbeit war sie 1992 Mitbegründerin des Pharmazeutikunternehmens Immusol.

Als 1994 das Center for AIDS Research (CFAR, Link Englisch) der Universität in San Diego gegründet wurde, übernahm Wong-Staal die Leitung der Institution. Auch hier war die endgültige Heilung einer HIV-Infektion das Ziel der Forschung; am CFAR zielte Wong-Staal auf eine mögliche Gentherapie ab, bei der Ribozyme (RNA-Moleküle, die sich wie Enzyme verhalten, also andere Moleküle spalten) als ‚molekulares Messer‘ auf die genetische Strutur des HI-Virus angesetzt werden, um das Virus in Stammzellen zu unterdrücken.

Erklärung der Funktionsweise von Gentherapie (Swiss Academy of Sciences SCNAT)

Außerdem war sie mit ihrem Team beteiligt an der Erforschung des Tat-Proteins (Link Englisch), einem Protein spezifisch für HIV-1, und welche Wirkung es auf das Wachstum in Zellen des Kaposi-Sarkoms (CN Bilder) hat, einer Form des Hautkrebs, die besonders AIDS-Patienten befällt. Ihre Erkenntnisse führten zur Entwicklung von Behandlungen gegen dieses Symptom.

Mit 56 Jahren setzte sich Flossie Wong-Staal 2002 von ihrer Lehrtätigkeit an der Universität zur Ruhe, sie behielt jedoch ihre Position als Forschungsprofessorin bis zu ihrem Tod inne. In diesem Jahr wurde sie vom Discover Magazin als eine der ’50 Most Important Women in Science‘ (Link Englisch)*) gelistet. Sie wurde Chief Scientific Officer in ihrem Unternehmen Immusol, als sich der Schwerpunkt des Unternehmens auf Medikamente und Impfstoffe gegen Hepatitis C verlagerte, veranlasste sie eine Umfirmierung als iTHerX Pharmaceuticals.

2007 nannte der Daily Telegraph sie als 32. der ‚Top 100 of Living Geniuses‘, 2019 wurde sie in die National Women’s Hall of Fame aufgenommen. Sie verstarb erst vor kurzem, am 8. Juli 2020, im Alter von 73 Jahren – an einer Lungenentzündung, die nicht im Zusammenhang mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 stand. Die New York Times schrieb einen Nachruf, in dem ihr Kollege (und zeitweise auch privater Partner) Robert Gallo einige Einblicke in ihre Persönlichkeit gewährt.

In diesem sehr ausführlichen Interview von 1997 für das Oral History Archiv der National Institutes of Health (NIH) geht es zwar teilweise in sehr anspruchsvollem Fachenglisch um wissenschaftliche Aspekte ihrer Forschung und einige innerbehördliche Faktoren, Wong-Staal erzählt jedoch auch von ihrer Perspektive auf den Konflikt um die Erstentdeckung des HI-Virus, außerdem erwähnt sie Anthony Fauci und seine wichtigen Erkenntnisse bezüglich der Behandlung von AIDS und betont, wie wichtig der wissenschaftliche Austausch zwischen allgemeiner Medizinforschung und der spezifischen Erforschung einzelner Erreger ist. So dienen auch gerade jetzt viele der Erkenntnisse der Virologin zum HI-Virus als Grundlage der Erforschung von SARS-CoV-2 und der Entwicklung eines möglichen Impfstoffes.

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Ebenfalls diese Woche

24. August 1862: Zonia Baber (Link Englisch)
Die US-amerikanische Geowissenschaftlerin entwickelte moderne Lehrmethoden für Geografie und Geologie.

24. August 1890: Margaret Levyns (Link Englisch)
Vegetationsgeografie, Botanik und Taxonomie waren die Gebiete dieser Südafrikanerin, die als erste Frau einen Doktortitel an der Universität Kapstadt verliehen bekam.

24. August 1942: Karen Uhlenbeck
Im vergangenen Jahr (2019) wurde dieser US-amerikanischen Mathematikerin als erster Frau der Abelpreis verliehen.

26. August 1862: Marion Bidder (Link Englisch)
Als erste Frau hielt diese britische Physiologin 1895 einen Vortrag vor einer Royal Society.

26. August 1881: Alice Wilson
Sie arbeitete als erste Frau in Kanada auf dem Gebiet der Geologie; zeit ihres Lebens hatte sie mit sexistischer Benachteiligung zu kämpfen.

26. August 1918: Katherine Johnson
Auf ihrer Geschichte – neben der ihrer Kolleginnen Dorothy Vaughan und Mary Jackson – beruht der Film Hidden Figures (auch bei Filmlöwin rezensiert). Die Mathematikerin trug mit ihren Berechnungen zum erfolgreichen Ablauf des Mercury-Programms und der Apollo-11-Mission bei.

29. August 1863: Margaret Clay Ferguson (Link Englisch)
Die US-amerikanische Botanikerin war 1929 die erste weibliche Präsidentin der Botanical Society of America (Link Englisch).

*) 6 von den Frauen (mit Flossie Wong-Staal: 7) habe ich hier auf frauenfiguren auch bereits besprochen:
Shirley Ann Jackson
Barbara Liskov
Shannon Lucid
Vera Rubin
Emmy Noether
Cecilia Payne-Gaposchkin

die eiskönigin 2

die eiskönigin 2, den ich gerade für die FILMLÖWIN sehen durfte, ist nicht der beste aller disney-filme, doch er ist auch keine enttäuschung. in dem ausnahmezustand, in dem wir uns mit der corona-krise derzeit befinden, bietet er auf immer noch hohem erzählerischen niveau eine ausflucht in eine märchenwelt, in der sich gesellschaftliche probleme mit den heroischen taten einzelner lösen lassen. für die kinder, die jetzt zu hause sind, die ihre freund:innen und großeltern für noch unbestimmte zeit nicht sehen dürfen und vielleicht ängste ausstehen aufgrund der unsicheren näheren zukunft, haben Jennifer Lee und Chris Buck einen moment der klarheit und verlässlichkeit geschaffen. kinder – und eltern – werden in dieser zeit vielleicht gerade vermehrt in diesen fantasien trost suchen und das ist in ordnung. wie olaf dieses menschliche verhalten im film beschreibt: “wir kontrollieren, was wir können, obwohl alles außer kontrolle ist.” 

aniara

für die FILMLÖWIN durfte ich aniara sehen und besprechen, der jetzt auf dvd/bd erschienen ist. ein philosophisches filmerlebnis, das mich zum teil mitgenommen und erschüttert hat.

(…) Schließlich treiben auch wir auf unserem Planeten ohne Kontrolle über die Reise durch ein unendliches Universum, einzig mit der Möglichkeit, unser Leben in dieser Zeit und in diesem Raum, mit den Menschen um uns, so zu gestalten, dass es für uns einen Sinn ergibt, der gleichzeitig mit uns selbst erlischt.

invisible sue

am donnerstag startet ein deutscher kinderfilm in den kinos, den ich allen kindern, jugendlichen und auch erwachsenen superheld:innen-fans ans herz legen möchte. invisible sue von markus dietrich bezieht sich optisch deutlich auf die comic-genese des superheld:innen-prinzips, hat sichtbaren spaß an dynamik und popkulturellen referenzen und macht ganz einfach mal das geschlecht seiner protagonist:innen (fast komplett) zu einem unwesentlichen charaktermerkmal. bei FILMLÖWIN habe ich mir drei gedanken zu dem film gemacht.

40/2019: Brie Larson, 1. Oktober 1989

Brie Larson spielte in den frühen 2000er Jahren diverse kleinere Rollen in Filmen und Fernsehserien. Von 2009 bis 2011 spielte sie Toni Colettes Teenager-Tochter in der Serie Taras Welten (die ich bei der Recherche für diesen Beitrag gerade für mich bei unserem Streaming-Anbieter gefunden und sehr empfehlen möchte; Toni Colette gehört sowieso seit Muriels Hochzeit zu den Frauen*, die ich sehr verehre), 2010 in Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt (auch eine Empfehlung von mir), für ihre Rolle in Raum gewann sie 2016 mit 27 Jahren den Golden Globe und einen Oscar als beste Schauspielerin.

Im gleichen Jahr wurde bereits bekannt gegeben, dass sie die Rolle der Captain Marvel im gleichnamigen Film im Marvel Cineamatic Universe (MCU) spielen sollte. Als der 21. Film – und drittletzten der „dritten Phase“ der Infinity Saga um die Avengers, Thanos und die Infinity Stones – war dies der erste Film im Marvel-Universum, der sich allein um eine weibliche Superheldin dreht – und auch der erste, bei dem eine Frau an der Regie beteiligt war. Überhaupt soll es den Verantwortlichen (und Profitierenden) darum gegangen sein, möglichst viele prominente Positionen mit Frauen zu besetzen. Besser spät als nie, auch wenn dies durchaus den Unkern Recht zu geben scheint, dass Feminismus gerade eine Modeerscheinung sei.

Ich habe Captain Marvel noch nicht gesehen, habe es aber unbedingt vor. Der Nerd in mir interessiert sich auch für die Geschichte der Comicfigur – insbesondere für den Sandkasten-Streit zwischen DC und Marvel, der sich um Captain Marvell und Shazam dreht. Die von Larson dargestellte menschliche Erscheinungsfrom Captain Marvels, Carol Danvers, war bereits zu dem Zeitpunkt, als sie die Heldin der Comics wurde, nämlich in den 1970er Jahren, eindeutig eine Feministin, was sich einmal am Titel Ms. Marvel erkennen ließ wie auch daran, dass Carol Danvers in ihrer menschlichen Form für gleichen Lohn bei gleicher Arbeit eintrat.

Dennoch unterlag selbstverständlich auch Captain Marvel, wie alle Filme, in denen in jüngerer Zeit Frauen* als Action-Held:innen auftreten durften, den apoplektischen Attacken diverser vermeintlicher „wahren Fans“ und MRAs (sowie deren Anhänger). Damit hat es den meiner Meinung besten und wichtigsten Test aller feminstischen Film-Tests bestanden, nämlich den Furiosa-Test: Regen sich Männer im Internet darüber auf, dass der Film feministisch sei? Brie Larson reagierte selbst souverän auf diverse Beschwerden über sie und ihre Darstellung der mächtigsten Avenger-Figur. Eine eingehende Analyse des Films als feministische Anfeuerung liefert dieser Artikel in der Independent. Und auch meiner Kollegin im Filmlöwin-Rudel, Sophie Brakemeier, gefiel Captain Marvel. Von Brie Larsons erster Regie-Arbeit Unicorn Store war sie allerdings eher enttäuscht.

unzertrennlich

für die FILMLÖWIN durfte ich Frauke Lodders Unzertrennlich besprechen – ein Film über die Geschwister von behinderten oder lebensverkürzt erkrankten kindern. ein sehr schöner film, der mein mutterherz gar nicht so sehr zu tränen gerührt als über die ähnlichkeit von geschwisterbeziehungen hat lächeln lassen.

WEG MIT
§218!