Kategorie: Film

the lords of salem

rob zombie, USA 2012
the lords of salem ist der erste film von rob zombie, den ich richtig richtig mag. house of 1000 corpses und devil’s rejects haben mich hauptsächlich abgestoßen, halloween war zwar stark, wenn ich mich richtig erinnere, hatte aber wenig mit mir zu tun. ein bisschen abgestoßensein gab’s auch, glaube ich.
the lords of salem ist dagegen geradezu ein frauenfilm. möglicherweise als ergebnis der dritten welle des feminismus, die rollt und rollt, tauchen verstärkt filme auf, in denen die mächtige frau, die hexe, eine umkehrung ihrer geschichte erfährt – die mächtige frau noch immer als bedrohung, aber im wesentlichen mit einem gerechtfertigten rachefeldzug und am ende obsiegend statt zur rettung der welt in ihre grenzen gewiesen. ein ähnliches beispiel dazu wäre für mich das remake von the wickerman.
ursprünglich wollte ich schreiben, dass die hexen von salem in diesem lichte gar nicht als die bösen erscheinen, aber nach einem kurzen realitäts-check muss ich revidieren: mir geht einfach die angst vor einer weltordnung ab, in der alte und  pummelige nackte frauen die herrschaft innehaben. lucifer hin oder her – auch wenn die alten hexen bedrohlich und zerstörerisch daherkommen, finde ich ihre schamlose selbstsicherheit im makelbehafteten körper ansprechend.
noch mehr gilt das für die drei ausführenden hexen der gegenwart. es ist fast sexy zu nennen, wie diese drei die machtverhältnisse in der verbalen und non-verbalen kommunikation umdrehen (und ich muss rob zombie ein lob für seine beobachtungsgabe aussprechen). zwei szenen, an denen ich das besonders fest mache:
als francis matthias (bruce davison) bei den drei schwestern lacey (judy gesson), megan (patricia „magenta“ quinn) und sonny (dee wallace) sitzt und in seiner freundlich-naiven art noch gar nicht versteht, wem er gegenüber sitzt. da sagt lacy etwas zu ihm und er lacht – unsicher, höflich, im glauben, ein gleichberechtigtes gespräch zu führen. lacey bringt ihn schnell und eiskalt auf den boden der tatsachen: „why are you laughing? i’m not laughing!“ sie bestimmt das gespräch, sie dominiert ihn und seine äußerungen. mehr noch, sie wird ihn mit den nächsten sätzen in eine unangenehme unterlegenheit zwingen, die sein geschlecht zum anlass von abscheu und ablehnung macht.
später will whitey (jeff daniel phillips) heidi (sheri moon zombie) abholen, und die drei hexen sitzen auf der treppe, die zu ihrem appartement führt. die bedrohlichkeit dieser situation mit umgekehrten vorzeichen ist festgeschrieben in die wahrnehmung jeder frau: an drei männer auf der treppe vorbeizugehen – die nicht platz machen, die taxieren und kommentieren – wird jede frau als unangenehm und bedrohlich wahrnehmen. die dominanz dieser frauen ist so deutlich, so unausweichlich, dass whitey so verletzlich wirkt wie ein teenager-mädchen, das an den alpha-männern eines sozialen wohnungsbaus vorbeigehen muss.
diese beobachtung und der schleichende, atmosphärische grusel, der nicht zuletzt durch das set design und das licht generiert werden, machen den film zu einem neuen lieblingsfilm.

KW 42/2013: Mira Nair, 15. Oktober 1957

Mira Nair

Wiki deutsch Wiki englisch
Mira Nair ist seit ihrem international gerühmten Film Salaam Bombay! eine erfolgreiche Regisseuren, Produzentin und Dozentin an der Columbia University.

Salaam Bombay! wurde fast ausschließlich mit tatsächlichen Straßenkindern gedreht, zu deren reintergration in die indische Gesellschaft die Einnahmen des Films verwendet wurden. Die damals gegründete Stiftung hilft noch heute indischen Straßenkindern, im Leben Fuß zu fassen.

Mira Nair selbst lebt in New York, betreibt jedoch auch ein Filmlabor in Kampala, Uganda, in dem junge afrikanische und indische Filmemacher lernen und sich ausprobieren können.

Sie lehnte das Regieangebot für den fünften Harry-Potter-Film ab, da sie sich eher als eine Regisseurin der Emotionen als eine der Tricktechnik sieht. Wenn ihr Erfolg im Leben an irgendetwas messbar ist, dann an dieser Integretität.

Bild: By Mirabaifilms – Own work, CC BY-SA 4.0

unter monstern

in ihrem 13. Beitrag zu Forced Entry auf Hard Sensations haben sich Maria und Silvia den französischen Irreversible, der möglicherweise einer der bekanntesten vergewaltigungsfilme – vielleicht gar mainstream? – ist, der jedenfalls für seine unerträglich lange statische aufnahme des gewaltaktes und vor allem die umgekehrte erzählweise bekannt ist. ein film, den ich mir – trotz der beinahe positiv zu nennenden erfahrung mit I Spit On Your Grave – wohl niemals ansehen werde.
Maria und Silvia kommen in ihrer besprechung jedenfalls zu dem schluss, dass die vergewaltigung „nur“ die echte, forcierte vollendung der besetzung der frau durch die sie umgebenden männer ist, während die „harmloseren“ männer, wie in einer frustration über ihre eigenen grenzen, ihre vergewaltigung zum anlass für allerlei entgrenzte gewalt und vermeintlich gerechtfertigte racheakte nehmen. eine traurige welt, die der film zeichnet, wie mir scheint.

drive

worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schreiben.
zwischen februar 2012 und august 2013 habe ich refns Drive viermal gesehen. dass ich so lange für eine rezension brauchen würde und was ich darin würde schreiben müssen, habe ich bis zur dritten sichtung nicht geahnt. jetzt durfte ich bei Hard Sensations meine schriftliche trauerbewältigung veröffentlichen. nirgends täte ich es lieber.

be natural

über upworthy komme ich gerade auf ein kickstarter-projekt, das genau meine kragenweite hat: ein dokumentarfilm über Alice Guy-Blaché, die frau, die die damals brandneue technologie des kinos zum ersten mal narrativ nutzte. durch viele verschiedene umstände ist sie in der geschichte vergessen gegangen. dieser dokumentarfilm will das ändern, deshalb unterstütze ich ihn.
tut es mir gleich!!!

KW 34/2013: Christine Chubbuck, 24. August 1944

Wiki deutsch Wiki englisch
Während für Nachrichtenmedien – im Fernsehen besonders – gilt „bad news are good news“, sich also Tragödien, Dramen und spektakuläres Scheitern als Inhalte besonders gut verkaufen lassen, gehört zu der Faszination des Zuschauers auch ein gewisses Gefühl der Sicherheit; zumindest beim Betrachten von Kriegsbildern oder Verbrechensszenarien ist dem Zuschauer der TV-Nachrichten hierzulande seine physische Unversehrtheit gewiss. (Die beständige und geschürte Unsicherheit einer wirtschaftlichen Sicherheit will ich bei dieser These mal außen vor lassen.)

Das heißt: Nachrichten lassen sich betrachten wie Unterhaltungsmedien, mit dem Thrill, dass es sich um „wahre Begebenheiten“ handelt. Und selbst in den geschmacklosesten Fällen bleibt ein Unterschied zum snuff, zur ungekürzten und auf die niedersten emotionalen Reaktionen des Publikums abzielenden Darstellung real ausgeübter Gewalt. Man sieht Lebende, Verletzte und Tote – doch der Moment des Sterbens gehört (dankenswerterweise) in der westlichen Welt konsequent in die innerste Privatsphäre der Menschen.

Christine Chubbuck übertrat willentlich und überlegt diese Grenze. Ihre Gründe dafür sind zu suchen in einer unergründlichen Mischung aus Depression und Frustration mit der Medienwelt, in der sie arbeitete. Persönliche Schwierigkeiten, einen Partner zu finden – gar einen Vater für zukünftige Kinder, denn nach einer Eierstockoperation war ihr die zeitliche Dringlichkeit vor Augen geführt worden – sowie berufliche Stagnation führten in Kombination mit ihrer exponierten Tätigkeit als Talkshow-Moderatorin zu einem einzigartigen Moment amerikanischer Fernsehgeschichte, als Christine Chubbuck sich vor laufender Kamera in den Hinterkopf schoss.

Mit ihrer Tat überschritt sie nicht nur die Grenze vom Privaten ins die Öffentlichkeit. Die Methode ihres Freitodes ist auch ungewöhnlich für eine Frau, die statistisch gesehen eher zu „milden“ Mitteln wie Selbstvergiftung tendieren. Ein ausführlicher zeitgenössischer Artikel der Washington Post (vom 4. August 1974) gibt tiefere Einblicke in die möglichen Gründe für ihre Tat.

Zwei Jahre später gewann Sidney Lumets Network 4 Oscars, in welchem sich Peter Finchs Rolle angekündigt und live vor der Kamera das Leben nimmt. Die Aussagen damaliger Kollegen von Christine Chubbuck in einem 10-minütigen „Boulevard of Broken Dreams“-Beitrag lassen einen dann auch noch mal ganz ernsthaft an Will Ferrells grandiosen Anchorman denken.

antichrist

lars von trier, deutschland 2009
es ist schon interessant (und meiner meinung nach das merkmal eines wertvollen films), wie unterschiedlich die geschehnisse seiner handlung von unterschiedlichen zuschauern interpretiert werden. antichrist eine abrechnung von triers mit der (katholischen) religion? eine expression freudscher analysemethoden? es gibt schon einige verschiedene ansätze in den IMDb-Reviews.
ich bemühe mich während der sichtung egal welchen films zunächst mal, einfach nur aufzunehmen. schließlich kann alles, was ich im moment sehe, durch spätere noch nicht gesehene ereignisse umgekehrt, beeinflusst, verbessert werden. besonders mit analytischen deutungen halte ich mich gerne bis zum abspann zurück.
so saß ich nach Antichrist erstmal geplättet von sex&gewalt im sessel und musste überlegen, was ich da jetzt eben gesehen hatte. aber relativ schnell klackerten die murmeln an ihre plätze und war für mich glasklar: Antichrist ist ein film über das dilemma von mutter und frau in der menschlichen natur. sie veräußert zunächst ihren kampf und fürchtet die natur, aber tatsächlich ringt sie mit der unvereinbarkeit der mütterlichen fürsorge mit der mächtigen sexualität in der person, die sie vorher war und noch immer ist: eine frau, vollständig auch ohne kind. dabei jedoch erschüttert von der verlustangst, das kind wegen der sexualität und den mann wegen der mütterlichkeit zu verlieren. denn im kern braucht sie für jede ihrer zwei naturen eine bezugsperson.
so gesehen, konnte ich dem film im nachhinein einiges abgewinnen. wie immer, ist diese meine sichtweise hauptsächlich meinem eigenen empfinden und meiner eigenen biografie geschuldet. aber das schöne am film ist: er ist offen für diese interpretation und nicht mal lars von trier kann verhindern, dass ich seinen film so sehe.
übrigens: der titelgebende Antichrist ist auch nicht sie – von wegen der teufel im weibe und so. der Antichrist ist ihr sohn, nämlich von einer frau geboren, die ganz gar nicht unbefleckt ist. es geht nicht um den teufel als gegensatz zu jesus, sondern um die natürliche frau als gegensatz zu der idealen heiligen mutter, die keinerlei dilemma solcher art in sich spürt.

support your local horror-regisseur

Buttgereit, Marschall, Kosakowski wollen den neuen deutschen horrorfilm German Angst drehen. sie brauchen weniger als 2.000,-, haben aber nur noch 2 tage zeit, die zusammen zu bringen. das muss zu schaffen sein. go to kickstarter and support.
nachtrag 30.07.2013: es ist vollbracht! der film wird gemacht, und wenn er es auch nicht in die kinos schaffen sollte – was ich nicht hoffe!!! – werden die supporter jedenfalls ihre kopien erhalten und damit ordentlich die werbetrommel rühren. show ‚em, boys!

fern-östliche sensationen

wie das leben spielt, überschlugen sich just nach dem Forced Entry Beitrag zu The Day of the Woman, den ich mit meinem mann für Hard Sensations verfasst hatte, im RL etwas die ereignisse. doch da das leben weitergehen muss – und im internet tut es das ohne unterlass – möchte ich lieber verspätet als gar nicht auf die nachfolgenden beiden texte von Silvia und Maria hinweisen.
im 10. Beitrag befassen sie sich mit dem japanischen Rape! 13th Hour, der mit struwweliger plüschigkeit und vermischung von erzwungenem und freiwilligem hetero- und homosexuellem verkehr die xenophilie reizt.
im 11.? Beitrag wenden sie ihren blick ebenfalls östlich, zum russischen The Day of Love, welcher wiederum satirisch die resignation der zerbrochenen sowjetunion und die hoffnungslose perspektive auch nach der perestroika ins rape&revenge-genre übersetzt.
wenn aus diesen texten – unvorstellbarerweise – nur eines hängenbleiben sollte, so muss es die unwiderlegbare wahrheit sein, dass die einzig adäquate weise, einen stallone-film zu betrachten, oben ohne ist. dies gilt für männer wie für frauen.

WEG MIT
§218!