Kategorie: Märchen

46/2023: Ursula Eggli, 16. November 1944

Ursula Egglis Eltern waren einfache Leute im kleinen Schweizer Ort Dachsen, der Vater Arbeiter, die Mutter Kinderschneiderin und Näherin. Ursula kam als ältestes von drei Geschwistern auf die Welt; nachdem sie sich mit dem Laufenlernen schwer tat, benötigte es verschiedene Ärzte, bis die Diagnose Spinale Muskelatrophie (‚Muskelschwund‘) erfolgte. Ihr Leben auf dem Dorf blieb zunächst jedoch relativ idyllisch: Sie wurde von Nachbarskindern und ihrem Bruder Daniel im Kinderwagen geschoben, wenn sie allein war, las sie und dachte sich Geschichten aus. Sie ging auch – als einziges Mädchen unter 24 Jungen – für drei Jahre in die Dorfschule.

Mit neun Jahren jedoch kam sie in ein Heim für behinderte Kinder; ihr zweiter Bruder, Christoph, war ebenfalls mit Muskelatrophie zur Welt gekommen, was die diabeteskranke Mutter belastete; die Dorfschule sah sich ebenfalls von den Anforderungen überlastet. Im Heim beendete Eggli die Schule, danach kehrte sie zunächst nach Dachsen zurück.(1)

Anfang der 1970er Jahre gründete sie mit behinderten und nicht-behinderten Freund*innen eine WG. 1977 veröffentlichte Eggli ihr erstes Buch, ‚Herz im Korsett‘, in dem sie im Tagebuchstil aus dem WG-Leben erzählt. Darin brach sie das Tabu, über sexuelle Bedürfnisse und sexuelles Erleben behinderter Menschen, insbesondere Frauen, zu sprechen.

Zwei Jahre nach der Veröffentlichung trat Ursula Eggli mit ihren Freund*innen im Dokumentarfilm ‚Behinderte Liebe‘ auf, der ebenfalls die Schwierigkeit schildert, ein ’normales‘ Beziehungs- und Liebesleben zu führen, denen Menschen mit Behinderung gegenüberstehen.

In den 1980er Jahren schrieb Eggli weitere Texte, etwa in der von ihr gegründeten Zeitschrift ‚Puls‘, und Bücher, die jedoch nicht an den Erfolg ihres ersten Buches anschließen. Sie war als Aktivistin für Behindertenrechte und Frauenrechte politisch tätig, hielt Vorträge und leistete soziale Arbeit, etwa Begleitung und Betreuung von Feriencamps für Kinder mit Behinderung.

Sie verliebte sich zum ersten Mal in eine Frau und lebte mehrere Jahre mit dieser Partnerin zusammen; so griff sie in den 1990er Jahren in ihrem politischen Aktivismus auch Homosexuellenrechte auf, auch hier insbesondere Rechte behinderter Homosexueller. Mehrfach nahm sie an den Gesprächen der Homosexuellenbewegung an der Akademie Waldschlösschen in Göttingen teil.(1)

2005 war sie Vizepräsidentin des Schweizer Netzwerk behinderter Frauen ‚Avanti donne‚.

Sie starb am 2. Mai 2008 mit 64 Jahren.

Im Archiv der Behindertenbewegung ist ihr Märchenbuch Freakgeschichten für Kinder und Erwachsene als PDF zum Download zu finden.


Quelle Biografie: Wiki deutsch
außerdem:
(1) Archiv Behindertenbewegung




KW 45/2012: Dorothea Viehmann, 8. November 1755

Dorothea Viehmann

Wiki deutsch Wiki englisch
Als Märchenliebhaberin komme ich an Dorothea Viehmann, der Quelle eines Großteils der Grimm’schen Märchen, einfach nicht vorbei. Schon gar nicht dieser Tage, habe ich doch gerade meine Testlesung der Grimm’schen Märchen beendet, um zu prüfen, welches Märchen ich meiner Tochter dann schon bald vorlesen kann und welche zunächst zensiert werden (dass der Vater seine eigenen Kinder verspeist, von der Mutter gekocht, dass muss ja nicht unbedingt mit 3 oder 4 Jahren sein…).

Dabei sind sogar die Grimm’schen Märchen, wie wir sie zu lesen bekommen, schon zensiert: Bei den beiden Literaten ist nämlich meist die Stiefmutter die Böse – was wir heute als „nicht leibliche, nach Verwitwung angeheiratete“ Mutter verstehen. In der ursprünglichen Form der Märchen ist es aber durchaus schon häufiger die eigene, leibliche Mutter der Kinder, die da mordend und neidend die Kinder – besonders die Töchter – verfolgt. Nach einer Theorie, die ich aus dem Buch „Märchen von Müttern und Töchtern“ habe, ist das „Stief-“ der Mutter angewachsen, weil es aus einem etymologischen Irrtum stammt, dass nämlich das „Stief“ die Mutter als „schlecht“ bezeichnet – und nicht notgedrungen als „nicht leiblich“. (So habe ich die Argumentation jedenfalls im Kopf, bitte nicht drauf festnageln. Da ich über das Buch sowieso eigentlich schon seit der ersten Lektüre was schreiben will, werde ich ggf. korrigieren.)

Also, die hessische Mutter der Märchen hat diese Woche Geburtstag. Vielleicht zur Feier des Tages mal zur Knallhütte fahren und ein gutes hessiches Gericht bestellen.

Bild: Von Ludwig Emil Grimm – German Wikipedia; Image contributor: Marietta; 10:15, 16. Jan 2006 Marietta 1433 x 1410 (470.635 Byte) (Radierung entstand zu Lebzeiten Dorothea Viehmanns und dürfte inzwischen gemeinfrei sein. Sie stammt übrigens von Ludwig Emil Grimm, weiterer Bruder der „Brüder Grimm“.), Gemeinfrei

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