Kategorie: Roman

35/2023: Leslie Feinberg, 1. September 1949

Schwarzweiß-Fotografie von Leslie Feinberg, eine Person mit rasiertem Kopf, in schwarzer Kleidung, die Hände vor der Brust mit den gespreizten Finger aneinandergedrückt
Published on the phenomenelle.de, Fair use

Leslie Feinberg kam als Kind einer jüdischen Arbeiterfamilie in Kansas City, Missouri, zur Welt, wuchs dann in Buffalo, New York, auf, wo zie sich wohl als Kind bereits Borreliose von einem Zeckenbiss zuzog, die nicht behandelt wurde.

Zie hörte mit 14 Jahren auf, die Schule zu besuchen (erhielt jedoch später nichtsdestotrotz ein Highschool-Abschlusszeugnis); zur gleichen Zeit begann zie, Homosexuellen-Clubs in Buffalo zu besuchen. Zis Familie war nicht offen für zis Auseinandersetzung mit sexueller Orientierung und Genderidentität, weshalb zie früh auszog und sich mit Gelegenheitsarbeiten durchschlug. Obwohl zie in zahlreichen Bereichen Erfahrungen sammelte, konnte zie keine langfristige Tätigkeit finden; als offen lebende homosexuelle/trans Person wurde zie regelmäßig in der Arbeitswelt diskriminiert.

Anfang der 1970er traf zie bei einer Demonstration für Landrechte und die Autonomie Palästinas Mitglieder der Workers World Party (Link Englisch), einer US-amerikanischen marxistisch-leninistischen Partei, der zie sich zunächst in der Abteilung Buffalo anschloss. Bald zog zie jedoch nach New York City, wo zie bei der Workers World Party an der Organisation zahlreicher Aktionen und Kampagnen beteiligt war. So führte zie 1974 beim March Against Racism in Boston eine Gruppe von zehn Lesben an, die in einem ‚paste-up‚ rassistische Beinamen aus dem öffentlichen Raum entfernten.(1; das ist die beste Übersetzung, die mir zu dieser Beschreibung gelungen ist) In den Jahren 1983 und 1984 reiste sie durch die USA mit einem Vortrag zu AIDS als verleugnete Epidemie, 1988 war sie an der Organisation des Widerstands gegen den Ku Klux Klan in Atlanta, Georgia beteiligt, der am Martin Luther King Day die Martin-Luther-King-Avenue heruntermarschieren wollte. 1998 kehrte sie noch einmal in den Einsatz für die Partei zurück und unterstützte Homosexuellenbars und Frauenkliniken in Buffalo dabei, sich für die Selbstverteidigung aufzustellen, nachdem Dr. Barnett Slepian von einem Gegner von Schwangerschaftsabbrüchen erschossen worden war und sich daraufhin die Anti-Choice-Bewegung zu Demonstrationen formierte.

1974 wurde Feinberg auch RedakteurIn der Seite über politische Gefangene in der Parteizeitung, später übernahm zie die Position des Chef vom Dienst, die zie bis 1995 innehatte. 1993 erschien ihr erster Roman, ‚Stone Butch Blues‚ (deutscher Titel war beim ersten Erscheinen ‚Träume in den erwachenden Morgen‘, inzwischen ist dies nur noch der Untertitel zum Originaltitel), der mehrere Preise queerer Literaturauszeichnungen gewann. Ab 1995 arbeitete zie als AutorIn und KünstlerIn; zie wirkte in Rosa von Praunheims Film ‚Vor Transsexuellen wird gewarnt‚ mit, veröffentlichte 1996 und 1999 Sachbücher – ‚Transgender Warriors: Making History from Joan of Arc to Dennis Rodman‚ und ‚Trans Liberation: Beyond the Pink and Blue‚ – sowie 2006 einen weiteren Roman. Zwischen 2004 und 2008 veröffentlichte das Workers World Magazin ihre Texte zu den Zusammenhängen zwischen Sozialismus und queerer Geschichte als 120-teilige Reihe unter dem Titel ‚Lavender and Red‚. In ihren Arbeiten setzte sich Feinberg generell unter den Gesichtspunkten und Anwendung der marxistischen Theorie mit der Thematik der Diskriminierung aufgrund von Genderidentität und sexueller Orientierung auseinander; nämlich indem das kapitalistische System die binären Genderausdrücke benötigt, um Profit zu generieren.(2)

1992 hatte zie bei einer Vortragsreihe die Lyrikerin Minnie Bruce Platt kennengelernt, mit der zie bis zum Ende ihres Lebens in einer Beziehung lebte. 2004 ließen sie sich in New Jersey, ihrem damaligen Heimatstaat, als ‚domestic partnership‚ (etwa: partnerschaftliche Haushaltsgemeinschaft) eintragen, 2006 als eingetragene Partnerschaft. 2011 heiratete das Paar standesamtlich in Massachusetts und New York.

Zis Borreliose und die begleitenden, von Zecken übertragenen Erkrankungen wie Babesiose wurde erst 2008 diagnostiziert; dies führte zie auf die Diskriminierung von trans Personen im Gesundheitssystem zurück.(1) Zie nahm Medikamente und erhielt Behandlungen, doch zis Zustand hatte sich inzwischen so verschlechtert, dass die Krankheiten zie von künstlerischer Arbeit zumeist abhielt. Zis Auseinandersetzung mit „Lyme +„, wie zie es nannte, dokumentierte zie auf zis Webseite Transgender Warriors. Zis letzte Worte lauteten nach Platts Eintrag auf ihrer Seite: „Hasten the revolution! Remember me as a revolutionary communist.“ – „Beschleunigt die Revolution! Erinnert mich als revolutionäreN KommunistIn.“ Zie war 2014 dabei, ‚Stone Butch Blues‚ für eine Neuerscheinung zu überarbeiten, als zie ihrer Erkrankung erlag. Die Rechte hatte zie vom Verlag zurückerstanden, heute ist die Neuauflage auf der Webseite zum Download zugänglich, mit einer Widmung für CeCe McDonald (Link Englisch), einer US-afrikanischen, Schwarzen trans Frau, die zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, nachdem sie sich gegen einen transfeindlichen Angriff zur Wehr gesetzt hatte.

Zeitweilig in zis Leben unterzog Feinberg sich einer Hormonersatztherapie und präsentierte als Mann, vor allem aus Sicherheitsgründen; zie bezeichnete sich selbst als ‚female bodied, butch lesbian, transgender lesbian‚ – eine Butch transgender Lesbe mit einem weiblichen Körper: „[…] referring to me as „she/her“ is appropriate, particularly in a non-trans setting in which referring to me as „he“ would appear to resolve the social contradiction between my birth sex and gender expression and render my transgender expression invisible. I like the gender neutral pronoun „ze/hir“ because it makes it impossible to hold on to gender/sex/sexuality assumptions about a person you’re about to meet or you’ve just met. And in an all trans setting, referring to me as „he/him“ honors my gender expression in the same way that referring to my sister drag queens as „she/her“ does.(Wiki englisch) – „Mich mit ’sie/ihr‘ zu bezeichnen ist angemessen, insbesondere in einer nicht-trans Umgebung, in dem mich mit ‚er‘ zu bezeichnen den Eindruck machen würde, den sozialen Widerspruch zwischen meinem bei der Geburt zugeordneten Geschlecht und meinem Gender-Ausdruck aufzulösen, und meinen transgender Ausdruck unsichtbar machen würde. Ich mag die genderneutralen Pronomenze/hir‚, weil sie es unmöglich machen, an Annahmen über Gender/Geschlecht/Sexualität festzuhalten bei einer Person, die du bald treffen wirst oder die du gerade getroffen hast. Und in einer reinen trans Umgebung bedeutet, mich mit ‚er/ihm‘ zu bezeichnen, dass mein Genderausdruck anerkannt wird, auf die gleiche Art, wie es bei meinen Drag Queen Schwestern bedeutet, sie mit ’sie/ihr‘ anzusprechen.“

Weiter sagte zie über die Nutzung von Pronomen: “I care which pronoun is used, but people have been respectful to me with the wrong pronoun and disrespectful with the right one. It matters whether someone is using the pronoun as a bigot, or if they are trying to demonstrate respect.”(2) – „Es ist mir wichtig, welche Pronomen benutzt werden, aber Leute waren respektvoll mir gegenüber mit den falschen Pronomen und respektlos mit den richtigen. Es spielt eine Rolle, ob jemensch die Pronomen mit Vorurteilen verwendet, oder ob sie versuchen, Respekt zu zeigen.“


Quellen Biografie: Wiki deutsch | englisch
außerdem:
(1) lesliefeinberg: self (Link Englisch)
(2) Teen Vogue (Link Englisch)

27/2023: Vibeke Vasbo, 9. Juli 1944

Vibeke Vasbo kam als zweites von vier Kindern zweier Ärztys auf der dänischen Insel Als zur Welt. Sie wuchs in Tandslet auf, verbrachte aber auch viel Zeit in Aabenraa auf dem dänischen Festland, bei ihrer Großmutter mütterlicherseits, der Politikerin Ingeborg Reflsund Thomsen. Diese prägte wohl auch ihr späteres politisches Bewusstsein.

Als Jugendliche wollte Vasbo Journalistin werden, sie schrieb Kurzgeschichten und Gedichte; nach dem Abschluss der weiterführenden Schule ging sie für ein halbes Jahr als Au Pair nach Cambridge, anschließend studierte sie Deutsch und Englisch an der Universität Kopenhagen. Im Studium lernte sie Karen Syberg kennen; die beiden Frauen gründeten bald nach dem Vorbild der US-amerikanischen Redstockings (Link Englisch) die dänische Frauenrechtsbewegung Rødstrumperne. Die ‚Rotstrümpfe‘ demonstrierten und setzten sich für Frauenrechte – eine Demonstration 1970 endete (laut Wikipedia) mit dem Verbrennen von Büstenhaltern, einer angeblich beliebten Geste unter Feministinnen der Zeit, die möglicherweise ins Reich der Legenden verbannt gehört (außer, wenn die Däninnen es nun doch tatsächlich gemacht haben). Die ‚Rotstrümpfe‘ gründeten auch ein Frauencamp auf der Insel Femø und setzten sich für das Recht auf Abtreibung ein. Vasbo brach ihr Studium 1973 mit 29 Jahren ab und begann, im Kopenhagener Bispebjerg Hospital zu arbeiten.

Nach einer kurzen Ehe mit einem Seemanns-Pastor in Hull(2) lebte Vasbo inzwischen in einer Beziehung mit der norwegischen Schriftstellerin Gerd Brantenberg (deren ‚Die Töchter Egalias‘ mir damals in den 1990ern doch eine Epiphanie verschafft – heute sicher nicht mehr 100% zeitgemäß, da vollkommen binär, wies es doch schon auf die Absurdität der Geschlechterrollen hin, indem es die Vorzeichen umgekehrt setzte; lange, bevor es Social Media und seitenverkehrt gab). Wie auch in anderen Ländern entwickelte sich in der Frauenbewegung eine bedauerliche Ablehnung der lesbischen Mitstreiterinnen, sodass Vibeke mit 200 anderen Mitgliedern die eigene lesbische Bewegung (‚lesbisk bevægelse‚) gründete. Vasbo und Brantenberg zogen nach Oslo, wo Vasbo als Kranführerin arbeite. Aus ihren Tagebüchern entstand ihre erste Veröffentlichung im Jahr 1976 – auf deutsch ‚Tagebuch‘, trägt das Buch im Original den wunderbaren Titel ‚Al den løgn on kvinders svaghed‚ – ‚All die Lügen über die Schwäche der Frauen‘. Es stellt die erste Erzählung aus Sicht einer offen lesbischen Frau in der dänischen Literatur dar.

1981 traf sie den Priester Leo Thomsen. Sie beendete den Kontakt zur Lesbenbewegung, doch die Beziehung zu Thomsen war schwierig – Vasbos Roman ‚Miraklet i Amalfi‚ (‚Das Wunder von Amalfi‘) erzählt davon – und endete einen Monat vor seinem Tod 1998.

Vasbo schrieb seitdem noch weitere Bücher, etwa ‚The Song of Hild‚ über die Klostergründerin Hilda von Whitby.(3)


Quelle Biografie: Wiki englisch
außerdem:
(2) Sacristy Press
(3) Blogbeitrag zum Buch Song of Hild

Emily

UK/USA 2022, Regie: Frances O'Connor, mit Emma Mackey, Oliver Jackson-Cohen, Fionn Whitehead

Ich will pädagogisch vorgehen und erst sagen, was ich an EMILY alles mag.

Ästhetisch steht der Film von Frances O’Connor in der Tradition von The Piano (AUS/FR 1993, Regie: Jane Campion) und Mary Shelley (UK/LUX/USA/IR/AUS 2017, Regie: Haifaa Al-Mansour). Die Protagonistin steht im Zentrum der Erzählung, die Landschaft – in diesem Fall tatsächlich die Landschaft um Haworth, West Yorkshire, in der die Brontës lebten – nimmt narrativen Raum ein, das natürliche Licht spiegelt das wechselnde Gefühlsleben der Figur wider, dazu flüstert, treibt, jauchzt moderne Klassik mit Streichinstrumenten und Frauenchören wie der Wind, der über die nordenglischen Hügel weht. All das mag ich.

Ich mag auch die Protagonistin, Emily (Emma Mackey), die mit der Kargheit der Landschaft und ihrer persönlichen Beziehungen recht glücklich ist. Ich mag, wie der Film ihre Individualität, ihren Widerspruchsgeist bis zur Häresie und Rebellion erzählt, wie ihre Persönlichkeit – ein wenig animalisch, voller Fantasie, getrübt nur von der scheinbaren Unmöglichkeit, die Liebe ihres Vaters erringen zu können – vom sprichwörtlichen Korsett der christlichen Zivilisation am Atmen und Sich-Entfalten gehindert wird. Ich mag die Beziehungen der Geschwister zueinander, denn sie sind authentisch, nicht einseitig voller Liebe oder Ablehnung, sondern vielseitig, manchmal näher, manchmal und gerade deshalb schärfer und schmerzhafter in ihren Konflikten als als jede andere Liebe. Ich mag auch die Liebesbeziehung zwischen der ’sonderlichen‘, freigeistigen Emily und dem Vikar William (Oliver Jackson-Cohen), der aufgerieben ist zwischen romantischem Streben, körperlichen Trieben und seinem Bedürfnis nach der Sicherheit des institutionalisierten Glaubens; wie sie sich anziehen und abstoßen, und sogar die Tragik des unvermeidlichen Endes mag ich.

All that said.

Wenn ich aber doch eine so spannende Persönlichkeit wie Emily Brontë als Protagonistin ins Zentrum eines Films setze, der so vieles gut mache, warum dichte ich ihr in das Vakuum, das ihre wirkliche Biografie darstellt, nun wieder etwas so Banales wie die Liebesbeziehung zu einem Mann an? Wir wissen nicht viel über diese Brontë, aber es könnte ja alles mögliche in ihrem Leben gewesen sein, das erzählenswert wäre. Und wenn es nur ihre Beziehung zum Vater wäre, oder zu ihren Geschwistern, ihrem Bruder unter anderem? Ja, das sind dann auch wieder Männer, und ja, ihr einziger Roman ‚Sturmhöhe‘ beinhaltet auch eine tragische Liebesgeschichte. Er ist aber viel mehr als das und lässt auf eine viel spannendere Genese schließen als dass Emily Brontë sich unglücklich in einen Vikar verliebt hatte. Und gerade, weil ‚Sturmhöhe‘ so viel mehr ist als ein Liebesroman, kommt die Darstellung ihrer Zeit, die Verhältnisse der Brontë-Geschwister zueinander und zum Vater im Film über sie viel zu kurz. Stattdessen wird eine feministische Ikone der Literatur auf ihre verletzten romantischen Gefühle reduziert, weil die tragische Beziehung zu einem Mann das einzige sein kann, was Frauen zur Kunst antreibt.

Davon, dass der Film wieder einmal nur den Vornamen der Persönlichkeit trägt, von der er erzählt, fange ich erst gar nicht an, das Phänomen ist schon auf FILMLÖWIN mehrfach angesprochen worden, ebenso wie anlässlich genau dieses Films bei Seitenverkehrt auf Instagram. Ärgerlich ist daran, dass einerseits Emily mehrere Personen sein können – Emily Blackwell, Emily Carr oder Emily Lovira Gregory wären ebenfalls interessante Trägerinnen dieses Namens – und es andererseits der Persönlichkeit hinter dem Namen wenig Respekt zollt. Bei Filmen über Männer kommt diese despektierliche Fraternisierung, die auch als Herablassung verstanden werden kann, nicht vor – sogar der ganz gute THE CURRENT WAR, der den Wettlauf um die Elektrifizierung der USA zwischen Thomas Edison, George Westinghouse und Nicola Tesla zeigt, heißt unnötigerweise im Deutschen „Edison – Ein Leben voller Licht“. Warum dann nicht „Thomas, George und Nicola – Drei Typen geben Stoff“? Filme über bewundernswerte Frauen nur mit dem Vornamen zu betiteln, klingt wie die hessische Art, über Mädchen zu sprechen: „Ach, ’s Emily, die had’s fausddick hinner de Oohr’n!“

So gelungen EMILY also formal ist, als Film von einer Drehbuchautorin und Regisseurin fällt er mit diesen Kritikpunkten hinter die Erwartungen an ein feministisches Werk zurück.


EMILY deutscher Trailer

43/2019: Doris Lessing, 22. Oktober 1919

Von Doris Lessing habe ich bisher nur Das fünfte Kind gelesen – und das lange vor der Zeit, zu der ich selbst Mutterschaft in Erwägung gezogen habe.

Meiner Ansicht nach setzt sich dieser Roman mit dem Folgenden auseinander: Mit den Ängsten der schwangeren Person, welche Persönlichkeit im eigenen Leib heranwächst, und auch den Schuldgefühlen, welchen Einfluss gerade diese Ängste und Befindlichkeiten auf diese doch ursprünglich unschuldige Persönlichkeit haben. Mit der Frage danach, ob Menschen tatsächlich als tabula rasa auf die Welt kommen oder „das Böse“ in ihnen, das Ausmaß eines möglichen antisozialen Wesens, vielleicht doch schon von der Biologie angelegt ist. Auch mit der Frage, wie sich Eltern gegenüber „schwierigen“ Kindern verhalten können, müssen oder sollten. Und: Mit dem gesellschaftlichen Tabu fehlender „instinktiver“ Mutterliebe.

Das sind allerdings alles nur kurze, notizenhafte Gedanken, da die Lektüre einerseits wie gesagt schon eine Weile zurückliegt und ich immer noch wenig Zeit habe (siehe Beitrag letzte Woche).

09/2018

2. September 1838: Lili’uokalani

Die erste, einzige und letzte Königin Hawai’is wurde unter dem Namen Lili’u Loloku Walania Kamaka’eha geboren. Ihr Name bezieht sich wie alle hawaiianischen Namen auf ein Ereignis, das bei ihrer Geburt stattfand: Da die damalige Königin von Hawai’i, Kīna’u, zur Zeit der Geburt eine Augeninfektion hatte, wurde das Kind von ihr Brennen (Lili’u) Tränend (Loloku) brennender Schmerz (Walania) wunde Augen (Kamaka’eha) genannt. Wie ebenfalls in der hawaiianischen Kultur üblich, wurde die Tochter des Chief und Patriarchen des Hauses Kalākaua und seiner Frau direkt nach der Geburt von Freunden ihrer Eltern adoptiert, nämlich dem Chief Abner Pākī und Laura Kōnia, einer Verwandten des regierenden Königs Kamehameha III. ‚Ohana, das hawaiianische Wort für Familie, umschließt nicht nur die leiblichen Verwandten, sondern auch Wahlverwandtschaft und Adoptivfamilie; durch ausgeprägte Austauschen von Kindern, hana’i, schon im Säuglingsalter entstanden so enge Bindungen auch zwischen genetisch nicht verwandten Familien.

Während ihrer Schulzeit lebte sie im Haus des hawaiianischen Königs Kamehameha IV und dessen Frau. Sie war mit 19 Jahren für einige Zeit verlobt mit dem späteren, vom hawaiianischen Adel gewählten König Lunalilo, löste diese Verlobung jedoch wieder und heiratete mit 24 Jahren einen kroatischstämmigen Amerikaner. Ihr ehemaliger Verlobter Lunalilo starb bereits ein Jahr nach seiner Thronbesteigung und Lili’us Bruder Kalākaua wurde als sein Nachfolger bestimmt. Als dieser 19 Jahre später starb, wurde Lili’u mit 53 Jahren wiederum durch Erbrecht Königin von Hawai’i. Zu diesem Zeitpunk wählte sie den offiziellen Namen Lli’uokalani, „brennender Schmerz der königlichen Familie“.

Schon lange Zeit vor ihrer Regentschaft hatten sich die auf Hawai’i lebenden amerikanischen Besitzer von Bananenplantagen in die Politik des Inselstaates eingemischt, im wirtschaftlichen Interesse ihres Heimatlandes. Unter anderem Sanford Dole*, ein Jurist und Politiker ohne hawaiianische Wurzeln (er stammte von amerikanischen Missionaren ab), hatte 1887 mit der Unterstützung einer rein kaukasischen Militäreinheit auf Hawai’i, den Honolulu Rifles, einen Umsturz der hawaiianischen Monarchie herbeigeführt. Dieser Putsch endete damit, dass Kalākaua unter dem Druck angedeuteter Bedrohungen auf sein Leben eine Konstitution unterzeichnete, die die indigene Bevölkerung massiv benachteiligte: Die politische Macht des hawaiianischen Königshauses wurde zugunsten des Kabinetts eingeschränkt, Wahlrecht hatten nur noch Männer, die des Lesens mächtig waren – also auch dies hauptsächlich die Nachfahren der kaukasischen Einwanderer – oder war an ein Mindestmaß an Wohlhaben und Einkommen geknüpft, was die Ureinwohner zum größten Teil von politischer Teilhabe ausschloss. Diese kolonialistisch wirkende Verfassung wird die Bayonet Constitution genannt, da sie unter Waffengewalt eingerichtet wurde.

Lili’uokalani versuchte in ihrer zweijährigen Amstzeit, der ursprünglichen hawaiianischen Monarchie – und der  indigenen Bevölkerung – wieder mehr Macht und Mitbestimmung zu verschaffen. Als sie schließlich 1893 mit einer neuen Verfassung die Politik des Landes wieder in die Hände der Ureinwohner bringen wollte, gründeten die amerikanischen Plantagenbesitzer, unter ihnen Dole, das „Komitee für öffentliche Sicherheit“, auf dessen Betreiben hin US-Marines auf Hawai’i landeten und die Königin unter Hausarrest stellten. Im Folgejahr riefen die US-Besatzer die Republik Hawai’i aus, mit Dole als Präsident; nachdem 1895 einige indigene Royalisten eine Rebellion versucht hatten und inhaftiert worden waren, dankte Lili’uokalani zugunsten deren Freilassung offiziell ab. Es war ihr erlaubt, für die Sache ihres Landes und ihres Volkes vor dem US-Senat zu sprechen, jedoch ohne Erfolg. Im Zuge des Spanisch-Amerikanischen Krieges wurde Hawai’i wegen seiner strategischen Lage von den USA als „Hawai’i-Territorium“ annektiert.

Für die verbleibenden 19 Jahre ihres Lebens erhielt Lili’uokalani eine Rente und lebte im Haus ihres Schwiegervaters auf Honolulu, wo sie 79jährig an einem Schlaganfall verstarb.

Lili’uokalanai komponierte über 100 Lieder, das bekannteste davon: Aloah `Oe

*Die Dole Food Company verkauft heute noch immer Bananen.

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10. September 1922: Yma Sumac

Als Zolia Augusta Emperatriz Chavarri del Castillo geboren, gab sich die peruanische Folkloresängerin den Quechua-Künstlernamen Yma Sumac (ima sumaq: wie schön). Ihre Stimme umfasste an die fünf Oktaven (normales Register professioneller Sänger*innen: drei Oktaven), vom Bariton bis ins hohe Pfeifenregister. Sie begann ihre Karriere mit 20 Jahren im peruanischen Radio. Im gleichen Jahr, 1942, heiratete sie Moisés Vivanco, mit welchem sie und ihr Cousin die Folkloregruppe Imma Sumack and the Conjunto Folklorico Peruano gründeten. Vier Jahre später ging das Trio nach New York, konnte dort jedoch zunächst keine nennenswerten Erfolge verbuchen. 1949 gebar sie einen Sohn und ein Jahr später erhielt sie schließlich, unter dem letztgültigen Künstlernamen Yma Sumac, einen Plattenvertrag bei Capitol Records. Dort nahm mit dem Album Voice of the Xtabay ihre Karriere Fahrt auf, sie gab zahlreiche Konzerte in London und Paris und absolvierte weltweite Tourneen.

1955 wurde sie amerikanische Staatsbürgerin. Sie betätigte sich auch als Schauspielern, unter anderem 1957 im Film Das Geheimnis der Inkas neben Charlton Heston, nachdem sie sich als Star in der Musikszene etabliert hatte. Ihre Ehe zu Vivanco wurde geschieden, neu geschlossen und wieder geschieden, zwischendurch gingen die beiden mit einer gemeinsamen Band auf fünfjährige Welttournee.

Sumac blieb für den Rest ihres Lebens musikalisch aktiv, ihre umfangreiche Stimme und die markant folkloristischen Stücke finden sich auch heute noch regelmäßig in der Popkultur. 83jährig erhielt sie den Orden del Sol vom peruanischen Staat. 2008 starb sie 85jährig in Los Angeles.

 

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15. September 1977: Chimamanda Ngozi Adichie

Adichie wurde als fünftes von sechs Kindern eines nigerianischen Mathematikprofessors und der ersten weiblichen Registratorin an der Universität von Nigeria geboren. Sie begann ein Medizin- und Pharmaziestudium in Nsukka, an der Universität ihrer Eltern, arbeitete zu dieser Zeit aber bereits als Redakteurin eines Magazins. Mit 19 Jahren ging sie für das Studium der Kommunikations- und Politikwissenschaften in die USA, zunächst in Philadelphia, später in Willimantic, Connecticut, wo sie ihrer Schwester näher war, die in Coventry als Ärztin arbeitete.

Als Afrikanerin in Afrika aufgewachsen, war es ihr fremd, aufgrund ihrer Hautfarbe anders behandelt und beurteilt zu werden. Diese Erfahrung machte sie nun in den USA, wo z. B. ihre Zimmergenossin im Wohnheim sich wunderte, wie gut Adichie Englisch sprach und dass sie keine afrikanische Volksmusik hörte. Nachdem Adichie einen Master-Abschluss in Kreativem Schreiben gemacht hatte, begann sie zu schreiben und unter anderem diese Erfahrungen darin zu verarbeiten.

Seit 2002 hat Adichie mehrere Romane, Kurzgeschichten und Essays geschrieben und unzählige Nominierungen und Preise erhalten. Bekannt wurde sie einerseits mit ihrem TEDTalk „The danger of a single story (englischer YouTube-Clip), worin sie über die Gefahr spricht, andere Menschen und Kulturen nur über den einen Aspekt ihrer Geschichte zu verstehen, sich nur aufgrund dieses Aspekts sich ein Bild vom ganzen Menschen oder der ganzen Kultur zu machen. Sie parallelisiert ihre eigene Erfahrung mit der Wahrnehmung des afrikanischen Kontinents in der restlichen Welt: Ihre Familie hatte einen Pagen, von dem sie in ihrer Kindheit nur wusste, dass er und seine Familie arm waren. Das war das Bild, das sie sich von ihnen machte; als ihre Familie einmal den Pagen und seine Familie in dessen Heimat besuchten, war sie daher überrascht festzustellen, dass die Familie Körbe flocht – also etwas herstellte, nicht „nur“ arm, also passiv und arm war. Ebenso ergeht es dem afrikanischen Kontinent und Afrikanern in der Wahrnehmung der restlichen Welt: Der Gedanke an Afrika ist so eng verbunden mit den Bildern von hungernden Menschen, dass es oftmals für Überraschung sorgt, wenn sich herausstellt, dass Menschen in Afrika nicht alle arm sind – und die, die es sind, nicht nur arm sind –, sondern auch eine moderne Kultur pflegen und auch den Kulturen anderer Länder folgen können.

Ein anderer TEDTalk von ihr ist „Why we should all be feminists“ (englischer YouTube-Clip), in dem sie über ihre Erfahrung speziell als afrikanische Feministin spricht.

Adichie lebt in Nigeria und den Vereinigten Staaten, wo sie Kreatives Schreiben unterrichtet. Sie ist verheiratet und hat eine Tochter, und hält Ehrendoktortitel an zwei Universitäten.

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21. September 1902: Toyen

Die tschechische surrealistische Künstlerin studierte zunächst bis 1920 in Prag und ging dann nach Paris, wo sie mit Jindrich Štyrsky einen Vorläufer der Informel-Stilrichtung schuf, den Artifizialismus. Sie zeichnete und malte oft erotische Motive; nachdem sie André Breton und den Surrealismus kennenlernte, gründete sie mit anderen tschechischen Künstlern die Tschechische Surrealisten Gruppe.

Während des Zweiten Weltkrieges galt ihre Kunst als „entartet“ und sie lebte im Untergrund, wobei sie ihrem jüdischen Partner auch Unterschlupf gewährte. Die beiden gingen 1947 gemeinsam nach Paris. Dort lebte sie bis 1980.

Toyen wurde als Frau geboren, würde sich heute jedoch wahrscheinlich als non-binär (enby) identifizieren, da sie sich nicht in binäre Genderrollen einfügte und sich auch mit männlichen Pronomen ansprechen ließ.

Toyen Google-Ergebnisse

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25. September 1799: Luisa Cáceres de Arismendi

Die venezolanische Volksheldin wurde als Tochter eines kanarisch-stämmigen Intellektuellen in Caracas geboren. Während ihrer Kindheit usurpierte Napoleon Spanien und setzte seinen Bruder als König ein. Das spanische Volk im Land und in den Kolonien rebellierte; in Venezuela sahen die Kolonisten die Schwächung des Heimatstaats als Chance, ihre Unabhängigkeit zu erringen.

In den folgenden Kämpfen um die Herrschaft in Venezuela geriet die Familie Cáceres in die Kriegswirren. Ihr Vater wurde von Royalisten ermordet, ihr Bruderschloss sich einer Befreiungsaktion inhafterter Freiheitskämpfer an, wurde festgenommen und exekutiert. General Juan Arismendi, einer der Führer der republikanischen Revolution, verliebte sich (39jährig) in die 15jährige und bot ihrer verbleibenden Familie Unterkunft und Verpflegung auf der Isla Margarita. Dort heirateten die beiden schließlich. Juan Arismendi wurde als vorläufiger Gouverneur der Isla Margarita eingesetzt, musste jedoch vor den spanischen Truppen in die Berge fliehen. Daraufhin wurde Luisa mit 16 Jahren inhaftiert, um ihren Mann aus seinem Versteck zu locken oder die zur Preisgabe seines Aufenthaltsortes zu zwingen.

Die junge Schwangere wurde unter übelsten Bedingungen gefangengehalten und misshandelt. Sie lag in einer dunklen Zelle bei schlechter Ernährung und bewegte sich möglichst wenig, um ihre Kerkerwärter nicht auf sich aufmerksam zu machen. Ein Priester erbarmte sich ihrer schließlich und brachte ihr Licht und bessere Nahrung. Mit 17 Jahren brachte sie in der Gefangenschaft ein Kind zur Welt, dass aufgrund ihrer schlechten Lage während der Schwangerschaft kurz nach der Geburt verstarb. Nichtsdestotrotz blieb Luisa standhafte venezolanische Freiheitskämpferin und verriet nicht, wo sich ihr Mann aufhielt.

Sie wurde nacheinander in zwei andere Gefängnisse verlegt, blieb jedoch über diese ganze Zeit abgeschnitten von ihrer Familie. Als die republikanische Armee schließlich die Oberhand in Venezuela gewann, ließen ihre spanischen Geiselnehmer sie nach Cadiz in Spanien senden. Auf der Seereise dorthin erlitt sie Schiffbruch und strandete auf den Azoren; Anfang des Jahres 1817 erreichte sie endlich Cadiz und wurde dem dortigen andalusischen General vorgeführt. Dieser stimmte den Bestimmungen seiner südamerikanischen Kollegen nicht zu und setzte Luisa nur unter Hausarrest, mit einer Pension und unter der Obhut eines Arztes und dessen Frau. Sie blieb dort etwas mehr als ein Jahr, während dessen sie sich weigerte, ein Dokument zu unterzeichnen, in dem sie ihre Loyalität gegenüber dem spanischen König erklären sollte.

1818 gelang ihr mit Hilfe zweier Freunde die Flucht über den Atlantik. So kam sie schließlich 1819 über Philadelphia wieder auf die Isla Margarita und wurde mit ihrem Mann wiedervereint. Sie lebte den Rest ihres Lebens in Caracas und bekam noch elf Kinder. Als Nationalheldin gefeiert, findet sich ihr Abbild seit 2008 auf dem 20-Bs-F-Schein.

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30. September 1890: Higashiyama Chieko

Die japanische Schauspielerin möchte ich erwähnen, weil sie eine Hauptrolle im bekanntesten Film des japanischen Regisseurs Yasujirō Ozu spielt: Die Reise nach Tokyo. Die japanische Filmkultur ist noch voller Wunder und Juwelen.

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