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36/2020: Isabella Preston, 4. September 1881

(Aktualisiert am 15. September 2020)
Isabella Preston (Link Englisch) kam im englischen Lancashire als Tochter eines Silberschmieds zur Welt. Mit acht Jahren besuchte sie eine Schule in Liverpool, später wohl die Universität London, jedenfalls absolvierte sie zehn Jahre an Lehrinstituten. Ihre Eltern waren beide leidenschaftliche Gärtner:innen, Isabella wuchs mit dieser Leidenschaft auf und war nach eigener Aussage ‚mit einem grünen Daumen geboren‘.

Als ihr Vater 1902 starb, übernahm Isabella 21-jährig die Haushaltsführung der Familie und den Garten. Zum Anfang des 20. Jahrhunderts waren Pflanzen aus China und Südamerika der neueste Trend im Gartenbau, der auch Preston beeinflusste. Mit 25 Jahren besuchte sie für ein Jahr das Horticultural College in Swanley, doch eine weitere Ausbildung im Gartenbau verfolgte sie zunächst nicht.

Als sie 31 Jahre alt war, starb auch ihre Mutter. Ihre Schwester Margaret nahm daraufhin eine Stelle als Musiklehrerin in Kanada an und überzeugte Isabella, mit ihr zu kommen. So gingen die beiden 1912 gemeinsam nach Guelph, Ontario; Isabella arbeitete dort zunächst als Obstpflückerin für Pflaumen, Pfirsiche und Himbeeren. Sie fasste den Entschluss, den Gartenbau als professionelle Karriere zu verfolgen, obwohl ihr im privaten Umkreis davon abgeraten wurde, unter anderem aufgrund ihres Geschlechts. Doch bereits im Jahr ihrer Immigration begann sie als eine von wenigen Frauen das Gartenbaustudium am Ontario Agricultural College (Link Englisch). Im Studium lernte sie den Leiter des Fachbereichs Gartenbau, James W. Crow kennen, der sie bei Zuchtexperimenten mit Himbeeren hinzuzog. Sie erlernte bei ihm die Hybridisierung, die er an Zwergbirnen vornahme: Er entfernte aus den Blüten das Staubblatt, was eine erfolgreiche Selbstbestäubung der Blüte verhindert, und befruchtete sie mit Pollen anderer Arten. Zusätzlich zu diesen praktischen Erfahrungen las Isabella Preston ‚jedes Buch in der Bibliothek‘, das sie zur Pflanzenzucht finden konnte. Bereits im folgenden Jahr verschaffte Crow ihr eine Vollzeitstelle im Gewächshaus des College, für die sie ihr Studium aufgab. Sie machte niemals einen formellen Universitätsabschluss.

Als der Erste Weltkrieg ausbrach, an dem Kanada als Teil der Triple-Entente fast von Beginn an beteiligt war, wurde das wichtigste Ziel im Gartenbau, Obst- und Gemüsepflanzen daraufhin zu züchten, besonders oft und viel Ertrag zu erbringen, um die Versorgung der Armee zu gewährleisten. Auch Isabella Preston trug mit Züchtungen von Früchten, die schneller reiften und gegen Insekten und Krankheitserreger resistenter waren, zu den Bemühungen bei. Sie wurde so zur ersten weiblichen professionellen Pflanzenzüchterin Kanadas.

Zur gleichen Zeit verfolgte Preston jedoch auch ihre Leidenschaft für Zierpflanzen, insbesondere der Lilien. 1916 schuf sie zum ersten Mal aus zwei Lilienarten – der Königslilie Lilium regale und Lilium sargentiae – eine Zuchtkreation, die sie ‚George C. Creelman‘ nannte nach dem derzeitigen Präsidenten des Ontario Agricultural College.

Im sehr kalten Winter 1917/18 in Kanada erfroren Preston fast alle Setzlinge, doch sie perfektionierte die Creelman-Lilie bis zum Jahr 1919 und brachte eine bemerkenswerte Züchtung hervor, die bis zu 180cm hoch werden konnte, viele große und duftende Blüten trug, die später als die ihrer Elternsorten blühten, die vor allem aber winterhart für das kanadische Klima war, also in Gärten als Zierpflanze ausgebracht werden konnte. Nach den kargen und auf Effizienz ausgerichteten Zeiten des Ersten Weltkriegs stieg im Frieden die Nachfrage nach Zierpflanzen und Prestons Lilien-Kultivar kam somit genau zur richtigen Zeit auf den Markt. Sie wurde als Zuchtexpertin weltweit anerkannt, Lilienzüchter rund um die Welt kannten sie, die Creelman-Lilie erfreute sich noch bis in die 1950er Jahre großer Beliebtheit als Gartenpflanze. Aus Prestons Züchtung wurden wiederum weitere Hybride gezüchtet, die noch heute beliebt sind.

Trotz dieses kommerziellen Erfolges musste sie sich 1920, als sie zur Central Experimental Farm (CEF) in Ottawa wechselte, zunächst als Tagelöhnerin verdingen, weil die kanadische Regierung Frauen im Staatsdienst diskriminierte. 1922 beriet sie den kanadischen Premierminister William Lyon Mackenzie King bei der Gartengestaltung seiner Ländereien; in diesem Jahr wurde sie in ihrem Forschungsinstitut schließlich als Spezialistin für Ziergartenbau fest eingestellt, später wurde sie dort auch die Leitende Spezialistin. In ihrer beruflichen Karriere als Zierpflanzen-Züchterin schrieb sie zahlreiche Artikel für Fachzeitschriften, 1929 brachte sie das Buch ‚Garden Lilies‘ heraus (das übrigens immer noch zu haben ist). In den 1940er Jahren war sie als ‚Dekanin der Pflanzenzüchter‘ bekannt, während des Zweiten Weltkrieges beriet sie das kanadische Militär hinsichtlich der Tarnbepflanzung von Flugplätzen.

Sie wählte für Kultivare der gleichen Pflanzenart gerne Namen der gleichen Herkunft. So benannte sie eine Reihe von Lilienzüchtungen nach den Stenograf:innen der CEF, eine andere nach Flugzeugen der Alliierten, eine Reihe von Fliederzüchtungen nach Shakespeare-Charakteren und Apfelbaumsorten nach kanadischen Seen. Ihre mindestens 20 Rosenarten, die den kanadischen Winter überstehen können, benannte sie nach den Stämmen der kanadischen First Nations. Sie gewann im Laufe ihres Lebens mehrere Medaillen hortikultureller Vereinigungen.

1946 setzte sie sich zur Ruhe, nach einem kurzen Versuch, nach England zurückzukehren, ließ sie sich schließlich in Georgetown, Ontario, nieder und blieb bis zu ihrem Tod in beratender Funktion für die CEF. Sie starb am 31. Januar 1965 mit 84 Jahren.

2005 schuf ihre alte Wirkungsstätte CEF eine Preston Heritage Collection‚ (Link Englisch), 2007 führte die kanadische Post zwei Briefmarken, auf denen Fliederblüten von Prestons Züchtungen zu sehen waren. Dies war auch das Jahr, in dem die Suche nach einem Exemplar ihrer Creelman-Lilie begann.

Wie oben beschrieben, war ihre berühmte Züchtung gute 30 Jahre erfolgreich als Ziergartenpflanze, doch bis zu den 1960er Jahren wandelte sich die Gartenmode und die Creelman-Lilie verschwand aus dem kommerziellen Angebot und den Gärten. 2007 erhielt einer der Kuratoren des Royal Botanical Gardens (Link Englisch) in Burlington, Ontario, Alex Henderson, die Anfrage nach dieser Lilien-Art und musste feststellen, dass kein einziges Exemplar oder auch nur eine Spur davon in den Beständen des botanischen Gartens existierte. In diesem Eintrag zu Isabella Preston in der Canadian Ecyclopedia, erstellt im Mai 2008 und überarbeitet Ende Juni 2018, heißt es, seit 2007 sei Henderson auf der Suche nach Exemplaren der Creelman-Lilie.

Dieser Artikel der Guelph Mercury Tribune (Link Englisch)Kurzfassung dieses Blogbeitrags aus Prestons erster kanadischer Heimat Guelph – vom August 2018 (Blog: 20. Juli 2018) erzählt nun, dass im Juli 2017 eine Frau bei der Radiosendung ‚Ontario Today‚ des CBC/Radio-Canada anrief, um zu erfragen, wie selten diese ‚Creelman-Lilien‘ seien, die sie von ihrer Großmutter geerbt hatte. Ihre Großmutter habe sie von einer Nachbarin erhalten, die die Blumenzwiebeln wiederum bei einer Verkaufsaktion ihres Arbeitgebers, der University of Guelph (Link Englisch), erstanden hatte. Beim CBC wurde der Dame gesagt, jemand beim Royal Botanical Garden würde sich freuen, von ihr zu hören. Sie nahm Kontakt zu Henderson auf und Pflanzen wurden übergeben, die im botanischen Garten zum Zeitpunkt des Verfassens – Sommer 2018 – in Töpfen herangezogen wurden. Es schien möglich, dass die verschollene Creelman-Lilie wiedergefunden sei, es stand nur noch abzuwarten, wie sich diese Hoffnungsträger in der freien Natur verhielten, wie sie der Witterung standhalten und welche Wachstumsmuster sie zeigen würden.

Dort endete bisher die Spur. Während ich Ende August 2020 dies schreibe, warte ich auf eine Rückmeldung des Royal Botanical Garden auf Facebook, ob sich die Fundstücke nun als Creelman-Lilien herausgestellt haben. Ich vermute, nein, denn vermutlich hätte ich sonst einen Folgebeitrag dazu finden können; aber wer weiß, so viele andere Dinge haben uns im vergangenen Jahr beschäftigt. Ich werde das Ergebnis meiner ‚Nachforschung‘ beizeiten hier teilen.

*

Update

Auf Facebook erhielt ich leider keine Antwort. Ich kommentierte aber auch unter dem Beitrag zu Isabella Preston auf dem Blog guelphpostcards.blogspot.com, ob der Autor, Cameron Shelley, inzwischen Neuigkeiten von der Lilie habe? Shelley kommentierte sehr freundlich und hilfsbereit, dass ich mich an seinen Kontakt beim RBG wenden könne, und sendete mir eine Emailadresse. Nachdem ich mehrere Tage dem Facebook-Team Zeit gegeben hate, schrieb ich also Dr. Galbraith beim Royal Botanical Garden an, einen Abend, bevor dieser Beitrag veröffentlicht wurde.

Es entspann sich daraus eine wundervoller Email-Korrespondenz mit Dr. Galbraith und dem oben genannten Alex Henderson, der mich mehrfach zu spontanen Liebesbekundungen für Kanadier auf Twitter bewegte. Die gute Nachricht vorweg: Die Creelman-Lilie ist wohl tatsächlich wiedergefunden!

Ich darf nicht nur Teile der Emails hier wiedergeben, in der Dr. Galbraith und Henderson Details zur Geschichte erzählten, unten darf ich auch – quasi als erste Veröffentlichung überhaupt – ein Bild der wiedergefundenen Zierpflanze veröffentlichen!

Am 4. September schrieb mir Alex Henderson:

 I can confirm that RBG has been able to source Creelman lilies from three different sources in Ontario over the last four years. The thing that makes this find compelling is that the lilies from these donations all originated with a single person who then donated these plants to various family members and friends across Ontario. Even better, all of these lilies were originally sourced from Ontario Agricultural College (now the University of Guelph) at an open day when the lilies would have been grown there. We have each of the three donations verified by RBG’s taxonomist Dr. Jim Pringle as being true to type. I also know of a fourth source for these lilies which likewise came from the same original source so it looks like Lilium ‘George C. Creelman’ has been brought back into cultivation and protected for future generations of Canadians, plant heritage and lily enthusiasts globally.

In addition to the Creelman lily, RBG also has several other lilies and lilacs in the collections that were hybridized by Isabella Preston. In particular her lilac breeding was pionering in creating lilacs resilient for surviving the challenging conditions of Canadian winters. […]. In 2006 and before RBG donated lilac cultivars so that the Central Experimental Farm could acquire her back history in lilac breeding. This must be a definitive collection of her lilac hybridization.

In addition to this I should also let you know that RBG retains Isabella Preston’s archives in its non living collections which is a literal treasure trove of her notes, thoughts and hybridizing choices. It is without doubt one of the richest and most meaningful archive acquisitions I have ever been lucky enough to have access to. […]

[…] To my mind she was a strong, independent woman who was a leader in her field when horticulture and plant hybridizing was a male dominated sphere to work in. As a result, she is what I would describe as a hero of mine. I would also like to point out that two of my colleagues who are copied in on this email, Erin Aults and Nadia Cavallin are equally inspiring women for the incredible work that they do with archives and botany . Both were critical team members in the discovery of Creelman lily as was Dr. David Galbraith which goes to show that the rediscovery of the Creelman Lily crossed many disciplines and fields of expertise.

Übersetzung von mir:
Ich kann bestätigen, dass es dem RBG möglich war, in den vergangenen vier Jahren Creelman-Lilien aus drei unterschiedlichen Quellen in Ontario zu beziehen. Was diesen Fund so spannend macht, ist, dass die Lilien aus diesen Spenden alle auf eine einzige Person zurückzuführen sind, die diese Pflanzen an verschiedene Familienmitglieder und Freund:innen in ganz Ontario weitergab. Und es kommt noch besser: Alle diese Lilien kamen ursprünglich vom Ontario Agricultural College (heute die University of Guelph), von einem Tag der offenen Tür während der Zeit, als die Lilien dort gezüchtet wurden. Wir konnten alle diese drei gespendeten Pflanzen vom Taxonom des RBG, Dr. Jim Pringle, in ihrer Echtheit bestätigen lassen. Ich weiß auch noch von einer vierten Quelle für diese Lilien, die ebenfalls aus dem gleichen ursprünglichen Erwerb stammen, also sieht es so aus, als sei Lilium ‚George C. Creelman‘ wieder in die Blumenzucht zurückgekehrt und für zukünftige Generationen Kanadas, das Naturerbe und Lilienenthusiasten weltweit bewahrt.

Zusätzlich zur Creelman-Lilie führt der RBG auch noch andere Lilien- und Fliederarten in seiner Sammlung, die von Isabella Preston gezüchtet wurden. Insbesondere ihre Fliederzüchtungen waren Pionierarbeit darin, Fliedersorten zu schaffen, die winterhart für die anspruchsvollen Bedingungen kanadischer Winter waren. […] 2006 und auch davor spendete der RBG Liliencultivare, sodass die Central Experimental Farm ihre Historie der Fliederzucht erarbeiten konnte. Dies muss eine vollständige Sammlung ihrer Fliederzüchtungen sein.

Zusätzlich sollte ich dir mitteilen, dass der RBG Isabella Prestons Archiv in seiner ‚unbelebten‘ Sammlung hat, das eine wahre Fundgrube ihrer Notizen, Gedanken und Zucht-Entscheidungen ist. Es ist ohne Zweifel eine der reichhaltigsten und bedeutungsvollsten Archivanschaffungen, zu denen ich das Glück hatte, Zugang zu haben.

In meiner Vorstellung war sie eine starke, unabhängige Frau, die eine Führungsposition in ihrem Feld einnahm, zu einer Zeit, als Gartenbau und Pflanzenzucht ein männlich dominierter Arbeitsbereich war. Infolgedessen würde ich sie als eine meiner Heldinnen beschreiben. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass zwei meiner Kolleginnen, die auch im Cc dieser Email stehen, Erin Aults und Nadia CAvallin, ebenso inspirierende Frauen sind, aufgrund der unglaublichen Arbeit, die sie im Archiv und im Bereich der Botanik leisten. Beide waren unerlässliche Teammitglieder bei der Entdeckung der Creelman-Lilie, so wie es auch Dr. David Galbraith war, was aufzeigt, dass die Wiederentdeckung der Creelman-Lilie viele Disziplinen und Fachgebiete durchquerte.

Nach einer enthusiastischen Email von mir (er hatte mich nach dem Blog und interessanten Frauen gefragt…) und wenigen Tagen Wartezeit erhielt ich schleißlich eine weitere Email mit einem Bild von der Lilie. Um es noch ein wenig spannender zu machen: Er sandte mir auch eine Reihe von Links zu, mit dem Hinweis, dass auch der RBG mit dem Thema der Inklusion und Diversität in der Arbeit von Botanischen Gärten beschäftigt ist. Insbesondere das Thema der Kolonialisierung auch im Bereich der Botanik kommt natürlich in Kanada zum Tragen.

Doch jetzt ohne weitere Umstände, das erste öffentliche Bild der Welt der verloren geglaubten und wiedergefundenen Züchtung Lilium ‚Geroge C. Creelman‘:

frauenfiguren isabella preston mutmaßliche creelman-lilie
© Royal Botanical Gardens, 15. Mai 2018
Bild mit Erlaubnis des Fotografen, © Royal Botanical Gardens, 15. Mai 2018

Im Folgenden noch die Links, die mir Alex Henderson weiterleitete (leider fehlt mir die Zeit, sie alle zu lesen):
Der wissenschaftliche Leiter der Royal Botanic Gardens über die nötige De-Kolonialisierung der botanischen Sammlungen (Link Englisch)
Ein Artikel im Smithsonian Magazine weist daraufhin, dass die Wissenschaft noch heute von den Interessen des Kolonialismus geprägt ist (Link Englisch)
Ein Text über das koloniale Erbe in der Taxonomie afrikanischer Pflanzen (PDF zum Download, Englisch)
Ein Artikel der Nature Sciences Collections Association: ‚Natur in Schwarz und Weiß gelesen: Dekoloniale Annäherung an die Interpretation naturgeschichtlicher Sammlungen

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Ebenfalls diese Woche

31. August 1903: Helen Battle (Link Englisch)
Noch eine Kanadierin, diese Ichthyologin, also Fischkundlerin. Sie war die erste Frau Kanadas mit einem Universitätsabschluss in Meeresbiologie (1928). Sie blieb als Lehrende an der University of Western Ontario (Link Englisch), sie unterrichtete in mehr als 50 Jahren über 4.500 Student:innen. Sie war die erste, die die Verschmutzung der Meere und des Trinkwasser anhand von Fischeiern untersuchte.

22/2019: Anne Shymer, 30. Mai 1879

Der Vater war Anwalt in Logansport, Indiana, die Schwester wurde Romanautorin und Drehbuchautorin in Hollywood; Anne Shymers Interesse an Chemie förderte die Mutter. Nach einem Studium heiratete die geborene Justice einen wohlhabenden Mann, mit dem sie in Großbritannien lebte. Als dieser 1910 starb, kehrte die junge Witwe nach Amerika zurück. In New York City stieg sie wieder in ihren Beruf als Chemikerin ein und konnte bei den Forschungen ihrem Privatlabor bald große Erfolge verbuchen. Sie heiratete 1911 erneut, einen Briten namens Shimer, doch die Ehe hatte keinen Bestand – vier Wochen später ließ sich Anne wieder scheiden, sie behielt den Namen, änderte ihn jedoch in die amerikanische Schreibweise Shymer. Unter diesem Namen gründete sie die United States Chemical Company, für die sie unter anderem ein Textilbleichmittel und ein Desinfektionsmittel entwickelte, das in Krankenhäusern zum Einsatz kommen sollte.

Sie wurde mit diesen Errungenschaften weltberühmt; der Hof-Physiker Georges V. äußerte sich beeindruckt von ihrer Person und der britische Premierminister Herbert Asquith lud sie nach London ein. Den Aufenthalt in London wollte sie auch dazu nutzen, geschäftliche Kontakte zu gewinnen, und so schiffte sie am 1. Mai 1915 von New York nach Liverpool ein – auf der RMS Lusitania.

Diese fuhr weiterhin ihre transatlantische Strecke, trotz der Warnungen durch Kaiser Wilhelm II., dass sich das Deutsche Reich unter anderem mit Großbritannien im Krieg befand und dass sich Schiffe, die in die Kriegsgebiete fuhren, in Gefahr befanden, von U-Booten torpediert zu werden. Und so wurde die RMS Lusitania dann auch am 7. Mai 1915 vor der Küste Südirlands von U-Boot-Torpedos abgeschossen und sank. Bei dem Unglück starben 1.198 Menschen, darunter Anna Shymer. Es gelang ihr noch, in ihre Kabine zurückzukehren und ihren gesamten Schmuck anzulegen; als ihre Leiche als Nr. 66 geborgen und später identifiziert wurde, trug sie Geschmeide im Wert von 4.000 Dollar an sich. Während Shymers Leichnam sicher in die USA überstellt wurde, verschwand ihr Schmuck irgendwo auf dem Weg zwischen Irland und der amerikanischen Botschaft in London und ist bis heute nicht mehr aufgetaucht.

Der Untergang der Lusitania und die Proteste der amerikanischen Regierung gegen die Torpedierung sorgte für die Einstellung des „uneingeschränkten U-Boot-Krieges“ durch das Deutsche Reich, bis zum Februar 1917; dann traten auch die USA, als langfristige Folge unter anderem der Torperdierung der Lusitania, in den Weltkrieg ein.

Shymers Mutter und Schwester klagten auf Schadensersatz bei der Schiffahrtslinie, ebenso ihr geschiedener Mann. Da er allerdings zum Zeitpunkt ihres Todes bereits vier Jahre von ihr getrennt war, wurde seiner Klage nicht entsprochen. Ihrer Familie wurden zehn Jahre nach ihrem Tod gemeinsam 7.527 Dollar zugesprochen; ihre Mutter war zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben.

WEG MIT
§218!