Schlagwort: schauspielerin

alte frauen in schlechten filmen


mein lieber freund mark hat mir einen buchtipp weitergeleitet, der thematisch zu mir und diesem blog passt, deshalb teile ich ihn gerne – weder er noch ich haben das buch jedoch bisher gelesen, es sei dies also nicht als empfehlung, sondern als hinweis zu verstehen.
christoph dompke hat das buch alte frauen in schlechten filmen verfasst: eine textsammlung über die auftritte gealterter diven in ihren herbst-rollen. die kritiken, die auf der seite des verlages zitiert werden, sind verständlicherweise durchweg positiv, wenn in ihnen auch das anklingt, was ich ehrlicherweise befürchte vorzufinden (nichts für ungut, mark!): über nichts lachen männer, alt wie jung, so gerne wie über verblühte schönheit und frauen, die den zweck ihrer tätigkeit überlebt haben. ich selbst sehe in gealterten diven vor allem tragik: wenn das, was sie zum star machte, geschwunden ist, ringen die vieilles dames um würde und existenzberechtigung. ob man darüber wirklich komische texte schreiben kann, ohne überheblich zu klingen, weiß ich nicht. ich setze mir dieses buch mal auf die liste und werde eventuell – versprechen kann ich nichts – noch einmal mit einem „gelesen“-beitrag darauf zurückkommen.
bei Hard Sensations wurde übrigens auch, meinen erwartungen gemäß zurückhaltend, auf die neuveröffentlichung dieses buches hingewiesen.

KW 8/2012: Mademoiselle Rachel, 21. Februar 1821

Wiki deutsch Wiki englisch

Mademoiselle Rachel Die dunkle, kleine Person mit der merkwürdigen Stimme und den schwarzen Augen, die aus der Gosse kam, begann mit der Verkörperung der Camille in Pierre Corneilles Horace 1838 ihren steilen Aufstieg an den französischen Theaterhimmel. Die großen Geister ihrer Zeit überschlugen sich mit Lobhudeleien, sie bereiste Europa, Russland und Amerika und war alles im allem die Ikone ihrer Tage.
Mit ihrer eher realistischen, reduzierten Darstellungstechnik veränderte sie damals das Selbstverständnis der Theaterwelt. In einer Zeit des Aufruhrs war sie eine aus der niedrigsten Schicht in die gehobene Gesellschaft Aufgestiegene; auch deshalb wahrscheinlich höchst beliebt beim Volk. Das Zusammentreffen der politischen Umstände mit der Annäherung der darstellenden Kunst an die Wirklichkeit weckt Assoziationen zum italienischen Neorealismus im Film der 1940er-Jahre.

Kleine Abschweifung
Solche wiederkehrenden Muster in der Geschichte finde ich faszinierend. In der französischen Februarrevolution ging es um die Erhaltung der Republik, basierend auf einer starken Arbeiter- und Bürgerschicht, versus die Rückkehr zur Monarchie. Im Italien der 1940er-Jahre ging es um Marxismus, also auch die Interessen der Arbeiter, versus Faschismus, also die Interessen einer herrschenden Elite.  Sicher beeinflussten die politischen Umstände nicht unmittelbar Mademoiselle Rachels Darstellungsweise – aber führten doch dazu, dass diese im Gegensatz zum vorherrschenden Pathos und der Neigung zum Goutrieren (?) erfolgreich war und vom Publikum bevorzugt und gefeiert wurde. Auch veränderte sich in der französischen Februarrevolution das Material möglicherweise nicht so deutlich, das im Theater dargeboten wurde*, während sich im italienischen Film der 1940er auch in den Topoi die Hinwendung zum Realismus manifestierte. Mademoiselle Rachel und dem italienischen Neorealismus ist jedenfalls im Gesamtbild gemein: eine Abkehr von Blenderei mit großartigen Gesten und Effekten, Pathos und Monumental-Willen, eine Hinwendung zum Klaren, Schlichten, Reduzierten, auch: Echteren, mit der Lebenswelt des Massenpublikums Vereinbaren.
* Hier fehlt es mir an Information, wie stark Klassiker dominierten und wie sehr auch die Themen der neuen Stücke sich mit den politischen Umwälzungen veränderten.  Allerdings sagt mein gefährliches Halbwissen, dass die französische Revolution von 1789 auch mit der Kunst-Epoche der Aufklärung einherging. Eine ähnliche kulturelle Entwicklung im Zusammenhang mit dieser Revolution zu vermuten, liegt also nah.
Ende der Abschweifung

Mehr als für ihre Bedeutung in der Kunst ist sie für mich aber als Frau interessant. Nicht nur, dass sie nach gängigen Maßstäben nicht wirklich schön war, aber durch ihre Haltung, ihre Stimme und ihren Ausdruck faszinierte. Sie war ein Mädchen aus der Unterschicht und blieb selbst in ihren erfolgreichsten Zeiten frei von der Moralbeflissenheit des Adels und der Oberschicht. Sie blieb unverheiratet, hatte viele Affären – unter anderem mit sage und schreibe drei (!) Männern aus der Napoleon-Familie – und brachte zwei uneheliche Söhne zur Welt. Vom Vater ihres ersten Sohnes gerügt ob ihrer Untreue, äußerte sie die Worte, die nicht nur mein Lieblingszitat sein dürften: „Ich bin was ich bin; ich schätze die Mieter mehr als die Besitzer.“ („I am what I am; I prefer renters to owners.“)
Es gibt nicht viel zu finden über diese vielseitige Frau; dieser eine Text auf authorama.com über sie macht jedoch einiges wett – abgesehen von einer liebevollen Unsachlichkeit (im Vergleich zu den Wikipedia-Texten) füllt er das Bild der Mademoiselle Rachel auf mit charmanten Anekdoten und der mitfühlenden Analyse ihres Charakters und ihrer einzigen wirklichen Liebesgeschichte zum unehelichen Sohn Napoleon Bonapartes.
PS.: Von ganz persönlichem Interesse ist die Tatsache, dass es eine Strickmaschine gibt, die nach ihr benannt sein soll. Die Raschelmaschine.Raschelmaschine

Bild Mademoiselle Rachel: Von Josef Kriehuber – Eigenes Foto einer Originallithographie aus eigenem Besitz., Gemeinfrei
Bild Raschelmaschine: By Josef Worm – Die Wirkerei und Strickerei (Max Jänecke Verlag, Leipzig, 1920), CC0

KW 1/2012: Florence Lawrence, 2. Januar 1886

By Unknown - http://www.probertencyclopaedia.com/browse/CZF.HTM, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10542597

Wiki deutsch Wiki englisch
Mit der Hauptrolle in dem Film Resurrection von 1909 erlangte Florence Lawrence mit 23 Jahren als erste Filmschauspielerin und als erste:r Darsteller:in im damals jungen Medium überhaupt eine Fangemeinde. Nach 107 Filmen in den Jahren zwischen 1906 und 1909 – in denen ihr Name wie damals üblich stets unerwähnt blieb – hatte sie in der Rolle des zum Verbrechen verführten Mädchens einen so hohen Wiedererkennungswert, dass begeisterte Zuschauer das Studio Biograph anschrieben, um ihren Namen zu erfahren. Auf diesen ungewöhnlichen Vorgang reagierte das Studio mit wohldurchdachter Vorsicht und betitelte sie schlicht mit The Biograph Girl. Das genügte dann auch für eine ganze Weile – bis der IMP– (später Universal-)Studiogründer Carl Laemmle sie für seinen neuesten Film The Broken Oath damit unter Vertrag lockte, dass er ihren Namen auf den Aushängeschildern der Filmtheater nennen würde.

Der Marketingfuchs Laemmle wusste dann auch daraus Kapital zu schlagen, dass sich seine Zuschauer für seine Hauptdarstellerin interessierten: er inszenierte den ersten publicity stunt der Filmgeschichte. Er ließ durch Kanäle, die nicht leicht zu ihm zurückzuverfolgen waren, verlautbaren, Florence Lawrence sei in New York City von einer Straßenbahn überfahren worden. Nachdem diese Fehlmeldung genug buzz generierte hatte (wie man das heute sagen würde), schaltete er empörte Anzeigen: We nail a lie! Darin ließ er auch gleich vermelden, Florence gehe es nicht nur gut, sondern sie drehe auch gerade einen neuen Film für ihn. Ihr Erfolg als Darstellerin führte zu den Anfängen des Starrummels, der Marketingstrategie und PR in der Filmbranche. Vor allem aber haben es heutige Filmschauspieler ihr zu verdanken, dass sie solche zum Teil unglaublichen Summen an Gage verdienen:

Als das Kino in den Kinderschuhen steckte, verdienten die Darsteller zwar verhältnismäßig gut, aber auch gerade nur so viel, dass sie davon ein Auskommen haben konnten, kein Vergleich zu heutigen Verhältnissen. Ihre Position in der Produktionsbranche war einerseits im eigenen, doch auch im Interesse der Produzenten die eines heimlichen Helfers. Die Darsteller fürchteten um ihre Theaterengagements, sollte es öffentlich werden, dass sie mit dem Schmuddelkind der Thalia spielten; die Produzenten fürchteten – berechtigt, wie man sieht – ein Ansteigen der Gagen, sollten die Darsteller die Unabdingbarkeit ihrer Anwesenheit erkennen und demzufolge Forderungen stellen.

Florence Lawrence tat genau dies, als klar wurde, dass ihr Gesicht und später ihr Name Eintrittsgelder einbrachten. Leider konnte sie ihre Karriere nicht so vielversprechend fortführen, wie sie begonnen hatte, doch auch damit war sie Pionierin: Sie wurde die erste has-been und das erste Opfer des Syndroms des Vergangenen Ruhms. Nach einem Unfall am Set, der zu einem schweren Rückenleiden führte, mehreren gescheiterten Ehen und dem Versuch, an alte Erfolge anzuknüpfen, eröffnete sie einen Schönheitssalon, litt inzwischen jedoch an Osteomyelofibrose und nahm sich 52jährig das Leben mit Ameisengift.

Ihre Geschichte ist nicht nur in dieser Hinsicht eng verknüpft mit dem Phänomen Hollywood. Es war Carl Laemmle, der als einer der ersten mit seiner Filmproduktion an die Westküste, nach Hollywood, zog. An der Ostküste nämlich beherrschte Thomas Edison mit seinem Oligopol Motion Picture Patents Company (Edison Trust) die Filmbranche und erschwerte unabhängigen Filmemachern die Arbeit. Diese hatten durch Edison Lizensierungssystem keine Möglichkeit, mit den von ihm entwickelten Kameras zu arbeiten, und Edison übte gewaltigen Druck auf die Studios, die Verleiher und Filmtheater an der Ostküste aus, seine Gesellschaft als alleinige Macht in der Filmbranche zu akzeptieren – juristisch und, wenn nötig, auch mit Schlägertrupps. Währenddessen genoss D.W. Griffith, der 1908 an die 60 Filme mit Florence Lawrence bei Biograph Studios gedreht hatte, die Freiheit und Weitläufigkeit der Fläche, die Hollywood damals darstellte. Die Existenz des künstlerischen und klimatischen Paradieses sprach sich herum, und so wurden in Hollywood immer mehr Studios gegründet, ihre Angestellten und Darsteller mit sich ziehend. In Hollywood war nicht nur beständig schönes Wetter: Man war auch so weit wie innerhalb der Landesgrenzen möglich entfernt von Edison und seinen Schergen (außerdem war das Exil Mexiko nicht weit, sollte tatsächlich ein Gerichtsprozess angestrengt werden und zum negativen Ende kommen).

Alles, was Hollywood jetzt ist, hängt in irgendeiner Form mit Florence Lawrence zusammen. Allein das macht sie interessant; sie bringt so viele filmgeschichtliche Assoziationen auf, dass ich sie gar nicht alle aufführen kann.

Um wenigstens ein bisschen weiterzulinken: Florence auf der Seite der Biograph Company, bei Queens of Vintage, ein einminütiger Film über sie bei histori.ca und eine Kurzbiographie sowie ein Foto ihres Grabsteins (gespendet von Roddy MacDowall) bei cemeteryguide.

Bild: By Unknown – http://www.probertencyclopaedia.com/browse/CZF.HTM, Public Domain

WEG MIT
§218!