Schlagwort: two-spirit

38/2023: Jamie Lee Hamilton, 20. September 1955

Die Eltern von Jamie Lee Hamilton waren beide politisch aktiv: Ihre Mutter Alice, eine Metis-Cree aus der Rocky Boy Reservation in Montana, hatte 1954 das Vancouver Aboriginal Friendship Centre mitgegründet. Ihr Vater, ein irischer Immigrant aus Washington, sprach sich für die Einheit von Irland und Nord-Irland aus und war Gewerkschafter. Gemeinsam waren sie 1967 an der Gründung des Unemployed Welfare Improvement Councils beteiligt.

Hamilton kam in Vancouver zur Welt und besuchte dort die Grundschule und eine weiterführende Schule. Allerdings begann sie ihre Transition zur Frau mit 14 Jahren und wurde dafür gemobbt; sie verließ die Schule und begann als Sexarbeiterin im Vancouver West End zu arbeiten.(1) Später studierte sie an der Capilano University.

Sie war 1970 mit 15 Jahren eine der ersten Jugendlichen in Kanada, die für die damals so bezeichnete gender identity disorder behandelt wurde; mit 28 Jahren unterzog sie sich 1983 geschlechtsangleichenden Operationen. Sie setzte sich von ihrer Jugend an für die Rechte von Homosexuellen, trans* Personen, Sexarbeitenden und Indigenen ein und war in diesen Gemeinschaften sichtbar: 1973 war sie am ersten Pride March in Vancouver beteiligt(1), später war sie Vorstandsmitglied der Greater Vancouver Native Cultural Society, die two-spirit Indigene unterstützt.

1996 kandidierte sie – als erste trans* Person in Kanada – für ein Amt im Stadtrat von Vancouver, jedoch erfolglos. Im Folgejahr öffnete sie Grandma’s House, einen Ort, an dem Sexarbeitende in sicherer Umgebung arbeiten konnten und sie Essen und medizinische Versorgung erhielten; sie berechnete einen kleinen Betrag pro Besuch für Unkosten. Das Haus wurde im Jahr 2000 als ‚Bordell‘ geschlossen und sie für Zuhälterei angeklagt, das Verfahren wurde jedoch ausgesetzt. Im gleichen Jahr erhielt sie mit anderen Aktivistys in Montreal und Toronto ein Stipendium, um eine Erhebung (oder Untersuchung) zu den Zahlen und Folgen von HIV/AIDS unter trans*gender Sexarbeitenden durchzuführen.(1)

Im Jahr nach ihrer ersten Kandidatur machte sie mit einer Aktion vor dem Rathaus auf die große Zahl unklärter Fälle vermisster indigener Frauen aus der Downtown Eastside (Link Englisch) aufmerksam, indem sie 67 Paar hochhackiger Schuhe auf der Treppe zum Eingang niederlegte. Fünf Jahre später wurde ein Serienmörder verhaftet, der zahlreiche Sexarbeitende und Drogensüchtige aus der Downtown Eastside entführt und umgebracht hatte(1,2) (der Fall inspirierte mindestens eine Folge von Criminal Minds)*. Die Tatsache, dass indigene Frauen aufgrund der historischen und soziologischen Umstände noch immer besonders gefährdet sind, entführt und ermordet zu werden – aufgrund sozialer und faktischer Heimatlosigkeit, hohen Drogenabhängigkeitsraten unter Indigenen und ihrer generellen Marginalisierung in der Gesellschaft – und diese unverhältnismäßig vielen Fälle unverhältnismäßig schlecht aufgeklärt werden, hat sich in den vergangenen 30 Jahren leider kaum geändert, wie hier zum Beispiel nachzulesen ist.

Gemeinsam mit der Soziologin Becki Ross rief Hamilton 2008 ein Komittee ins Leben, das die Einrichtung einer Erinnerungsstätte erreichen wollte für die Sexarbeitenden, die in den 1980er Jahren im Zuge der Gentrifizierung aus dem West End von Vancouver vertrieben wurden (Link Englisch) – Hamilton selbst war eine davon gewesen. Diese Vertreibung hatte schlussendlich dazu geführt, dass die Szene in der Downtown Eastside landete. Acht Jahre später konnte schließlich tatsächlich eine Stele enthüllt werden. In einer Fachvorlage des Komittees beschrieb Hamilton die Szene im West End als eine Kultur, in der Sexarbeit nicht zum reinen Überleben ausgeübt wurde; außerdem sei die Gegend eine ‚zuhälterfreie Zone‘ gewesen. „Wenn ein Lude zu uns kam, sagten wir ihm, er solle sich Lippenstift auftragen und Schw*nze lutschen wie wir anderen.“(2, freie Übersetzung von mir) Für ihre Arbeit wurden Hamilton und Ross 2019 mit einem Preis der Canadian Sociological Association ausgezeichnet.

Mitte des Jahres 2019 gelang es Hamilton schließlich, wieder im West End zu leben. Leider starb sie im Dezember desselben Jahres an Krebs.

Jamie Lee Hamilton: Moving Trans History Forward 2016 – Founders Panel (englisch)

Quelle Biografie: Wiki englisch
außerdem:
(1) The Canadian Encyclopedia
(2) Straight

21/2023: Barbara May Cameron, 22. Mai 1954

CN: In Titeln und Namen von Organisationen wird das alte englische Wort für amerikanische Ureinwohner verwendet, insbesondere jedoch als Selbstbezeichnung. In dieser Form und Funktion schreibe ich es aus.

In ihrem Essay Gee, You Don’t Seem Like An Indian From the Reservation schreibt Barbara May Cameron, dass sie bis zu ihrem fünften Lebensjahr bereits erlebt hatte, wie ein alter Mann von der Polizei tödlich in den Rücken geschossen wurde, und sie stumme Zeugin war, wie eine Gruppe Jugendlicher einen älteren Herrn zusammenschlugen. Cameron kam als Kind einer Hunkpapa Lakota Familie im Standing Rock Reservat in North Dakota zur Welt und wuchs dort bei ihren Großeltern auf. Schon als Kind, erzählte sie später, habe sie von der Stadt San Francisco gelesen und gesagt, eines Tages werde sie auch dort leben und die Welt retten.(2) In der neunten Klasse gewann sie einen Schreibwettbewerb (von Pepsi), der Preis war $1000 und eine Fahrt nach Washington, D.C.(3,4)

Sie besuchte die Highschool im Reservat, im Anschluss studierte sie Fotografie und Film am Institute of American Indian Arts (Link Englisch) in New Mexico, 1973 ging sie mit 19 Jahren nach San Francisco und studierte dort am San Francisco Art Institute. Sie war als Fotografin und Filmemacherin erfolgreich, als Aktivistin für homosexuelle Indigene schrieb sie auch zahlreiche Essays und Artikel.

1975 gründete sie mit Randy Burns (Link Englisch), einem Zuñi, die Gay American Indians, die erste Organisation, die sich für die gesellschaftliche Befreiung und Sichtbarkeit homosexueller Indigener einsetzte. Die Funktion der Organisation war nicht nur, als Homosexuelle of Color einen sicheren Raum zu finden, denn der Rassismus war auch in der hauptsächlich weißen Homosexuellen-Szene massiv – Schwarze und Indigene wurden nicht oder nicht ohne Weiteres in die Clubs gelassen. GAI diente auch als anthropologische Sammelstätte, in der die homosexuellen Indigenen ihr Wissen und ihre Erinnerungen an ihre Stammeskulturen zusammentrugen. Die Terminationspolitik (CN: I*-Wort) der 1950er-Jahre hatte diese so gut wie vernichtet, bei dem Versuch, sämtliche US-amerikanischen Indigenen zu ‚assimilieren‘: An Schule war es bei Strafe verboten, die eigenen Sprachen zu sprechen oder religiöse Rituale durchzuführen, Reservate – schon extrem begrenzte Lebensräume – sollten aufgelöst werden, dabei verloren viele die staatliche Unterstützung und jeden gesellschaftlichen Halt. Die Generation, die dies durchlebte, war schwer traumatisiert. Die Mitglieder von GAI waren zumeist die Kinder dieser Generation und erzählten sich nun gegenseitig, was sie noch von ihren Großeltern erfahren und gelernt hatten; sie sammelten auch die Namen für two spirits in ihren jeweiligen Stammessprachen. So wurde GAI auch zu einem historisch relevanten Projekt.

Zwischen 1980 und 1985 war sie an der Organisation der jährlichen Lesbian Gay Freedom Day Parade beteiligt – im ersten Jahr ihrer Beteiligung war sie nicht zufrieden mit der Repräsentation marginalisierter Gruppen als Sprecher. Diesem Gefühl gab sie in einer Rede Ausdruck, in der sie den Rassismus und Klassismus der Gemeinschaft ansprach und auf die Anfänge der Pride-Bewegung hinwies(3, Transkript und Übersetzung von mir):

Ihren Text ‚Gee, You Don’t Seem Like An Indian From the Reservation‚ schrieb sie 1981; darin beschreibt sie die Schwierigkeiten zur weißen Gesellschaft ebenso wie zu ihrer eigenen Kultur; sie nennt u.a. die Ermordung von Anna Mae Aquash als Anlass für ihren politischen Aktivismus. In den frühen 1980er begann auch die Beziehung zu ihrer Lebenspartnerin, mit der sie einen Sohn großzog. 1986 lebte sie mit einer Gruppe anderer Frauen unter dem Namen ‚Sonos Hermanas‚ (Wir sind Schwestern) eine Zeit in Nicaragua, um dort Frauen zu helfen.

Ende der 1980er Jahre war sie Vizepräsidentin des Alice B. Toklas LGBT Democratic Club, 1988 trat sie als Delegierte für Jesse Jacksons Rainbow Coalition (Link Englisch) beim Parteitag der Demokratischen Partei an. Sie leitete 1989 bis 1992 die Organisation Community United Against Violence, die Opfer von häuslicher Gewalt unterstützte. Ab Anfang der 1990er begann sich Cameron auch für die Aufklärung über HIV/AIDS und die Unterstützung Betroffener in der indigenen Gemeinschaft einzusetzen; sie besuchte 1993 die International Conference on AIDS als Delegierte des International Indigenous AIDS Network. Über ihren Besuch in Berlin schrieb sie das Essay ‚Frybread in Berlin‚ (Link Englisch, ganzer Text zum Download verfügbar). Sie war im Vorstand der San Francisco AIDS Foundation und des American Indian AIDS Institute, außerdem gründete sie das Institute on Native American Health and Wellness.

Werke von ihr erschienen in diversen Anthologien und Sammlungen:
Our right to love: a lesbian resource book (1978)
This Bridge Called My Back: Writings by Radical Women of Color (Link Englisch) (1981)
A Gathering Of Spirit: A Collection of Writing and Art by North American Indian Women (Link Englisch) (1983)
New Our Right To Love: A Lesbian Resource Book (1996)

Sie starb am 12. Februar 2002 mit nur 47 Jahren und wurde auf eigenen Wunsch, nach einem Leben vor allem in San Francisco, im Standing Rock Reservat beigesetzt. Ihr Drehbuch ‚Long Time, No See‚ blieb unvollendet.

Nicht viel mehr als dies, aber sehr charmant und lebendig erzählt Dr. Leah Leach im Gal’s Guide Podcast über Barbara May Cameron.


Quelle: Wiki englisch
außerdem:
(2) KQED
(3) Pride is a Protest
(4) Indigenous Goddess Gang

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