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37/2023: Barbara Macdonald, 11. September 1913

Als Barbara Macdonald vor 110 Jahren in Pomona, Kalifornien, zur Welt kam, war die Homosexuellenbewegung noch in den Kinderschuhen. Mit 15 Jahren verließ Macdonald ihr Elternhaus und arbeitete als Hausangestellte; sie heiratete 1930 mit 17 ein erstes Mal und besuchte 1931 ein Jahr lang das Long Beach Junior College, im Anschluss daran studierte sie bis 1937 am Santa Ana Junior College. Ihre Ehe endete 1935; vom Santa Ana wurde sie beinahe ausgeschlossen wegen Lesbianismus. Nach dem College setzte sie ihr Studium an der University of California, Berkeley fort und verdiente ihren Lebensunterhalt und die Studiengebühren als fallschirmspringende Stuntfrau. Nach ihrem Abschluss in Berkeley 1940 arbeitete sie als Sozialarbeiterin in einem Wohnungsamt, 1941 machte sie noch einen sehr kurzen Versuch in der Ehe mit einem Mann, von der sie den Nachnamen Macdonald behielt. Zehn Jahre später besuchte sie noch einmal die University of Washington und machte dort sowohl ihren Bachelor wie ihren Master in Sozialarbeit. Sie zog nach Wenatchee, Washington, und arbeitete dort bis zu ihrer Pensionierung 1974 als Leiterin und Supervisorin beim Jugendamt.

In dem Jahr, in dem sie sich zur Ruhe setzte, lernte sie in einem feministischen Workshop Cynthia Rich kennen – ihre Partnerin für den Rest ihres Lebens. Sie setzte sich – als Frau über 50 bzw. 60 – bereits seit einigen Jahren mit Ageism auseinander. Als 1978 mit 65 Jahren bei einem Marsch für Homosexuellenrechte nicht mehr so schnell mitkam, wurde ihr angetragen, sich an anderer Stelle einzureihen, weil sie nicht mithalten konnte. In diesem Moment beschloss sie, sich gegen Alterdiskriminierung insbesondere in der lesbischen Gemeinschaft einzusetzen.

Macdonald betrachtete Ageism als ein zentrales Thema im Feminismus(1). Die Ablehnung, die alte Frauen durch junge Frauen erfahren, erkannte sie, findet ihre Ursachen in der sexistischen bzw. misogynen Konsumkultur, die die Jugend glorifiziert und das Alter mit Machtverlust gleichsetzt. Dabei halten junge Frauen umso mehr Macht, je weiter sie sich vom Alter und alten Frauen distanzieren können; gleichzeitig wird die Schwelle, was ‚alt‘ ist, beständig nach unten gesenkt. Ageism treibt somit einen Keil in die feministische Bewegung, dabei sind Altersarmut von Frauen, Gewalterfahrung und patriarchale Medizin Themen, die alle Frauen betreffen. Außerdem liegt der Altersdiskriminierung die Definition der Frau über ihre Rolle in der Familie zugrunde: Eine alte Frau erfüllt – nach patriarchalem Bild – keine Funktion mehr; noch mehr als junge Frauen, die über ihre Rolle als Partnerin und Mutter definiert werden, werden alte Frauen allein als Mutterfigur wahrgenommen, die keine eigenen Bedürfnisse haben oder diese hinter die ihrer Schützlinge stellen.

Über die Angst vor dem Alter kann Macht über junge Frauen ausgeübt werden, weshalb es Macdonalds Ziel war, das Alter zu entstigmatisieren und alte Frauen als Personen und Protagonistinnen sichtbar zu machen. Sie fürchtete dabei nicht, sich in ihrer Gemeinschaft unbeliebt zu machen, wenn sie als alte Frau die Rolle der Fürsorgenden ablehnte, die notgedrungen nur eine Nebenrolle spielt: „What’s more, Barbara saw exactly where this exploitation came from. Her analysis of family as the source of ageism is one of her most important contributions to feminist thought. In the patriarchal family, mother is defined as the servant to youth. By extension, old women are mothers to us all, there to serve everyone. (The fact that so many old women cling to this role as a shelter from the disgust and hatred that would otherwise be directed towards them makes it no less oppressive.) „Let me say it clearly,“ Barbara declared, „we are not your grandmothers, your mothers, your aunts.“ It’s only by shedding these family roles, she insisted, that old and young can begin to build relationships of integrity and equality.“(1) – „Mehr noch, Barbara sah genau, wo diese Ausnutzung herrührte. Ihre Analyse der Familie als die Ursache für Altersdiskriminierung ist einer ihrer wichtigsten Beiträge zum feministischen Gedankengut. In der partriarchalen Familie ist die Mutter definiert als die Dienerin der Jugend. In der Verlängerung sind alte Frauen Mütter für uns alle, da, um uns allen zu dienen. (Die Tatsache, dass so viele alte Frauen an dieser Rolle festhalten, als Schutz für die Abscheu und den Hass, der sich sonst gegen sie richten würde, macht dies nicht weniger bedrückend.) ‚Lasst es mich klar sagen‘, verkündete Barbara, „wir sind nicht eure Großmütter, Mütter, Tanten.‘ Nur, indem wir diese familiären Rollen ablegten, beharrte sie, könnten die Alten und die Jungen integere und gleichberechtigte Beziehungen aufbauen.“

1983 brachte Macdonald gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin den Essaysband Look Me In The Eye heraus, indem sie sich mit ihren Diskriminierungserfahrungen und Forderungen an die homosexuelle und feministische gemeinsachaft auseinandersetzte. Ihre Erfahrung, als alte Frau wiederum nicht ‚dazuzugehören‘, verglich sie mit ihrer Erfahrung als Lesbe in einer heteronormativen Welt: „…these essays are about growing old…but they are about difference – about otherness – and all my life I have had to deal with difference, so old age does not come to me now as a stranger…It happened that I felt my difference because I was a lesbian. […] But difference is something we have all dealt with in our lives – that struggle to follow our impulse, our own uniqueness, to know aloneness; and that desire to be like everyone else – not to stand out, to belong.“(2) – „…diese Essays handeln vom Altwerden… aber sie handeln von den Unterschieden – vom Anderssein – und mein ganzes Leben habe ich mit dem Unterschied umgehen müssen, also nähert sich das Alter jetzt nicht wie ein Fremder… Es kam vor, dass ich mein Anderssein fühlte, weil ich eine Lesbe war. […] Aber dieses Anderssein ist etwas, mit dem wir alle in unserem Leben umgehen mussten – dieser Kampf, unseren Impulsen zu folgen, unserer eigenen Einzigartigkeit, Allensein zu kennen; und dieses Verlangen, wie alle anderen zu sein – sich nicht abzuheben, sondern dazuzugehören.“

Nach vier Jahren der Bemühungen, das Thema Ageism in einer Konferenz zur Frauenforschung einzubringen, konnte Macdonald 1985 auf einer nationalen Konferenz eine entscheidende, weitgehörte Rede zu ihrer Position halten. Vier Jahre nach Erscheinen führte ihr Buch zur Gründung der Vereinigung Old Lesbians Organizing For Change.

Macdonald selbst alterte gerne und in vollem Bewusstsein; sie lehnte es ab, sich für ihr Altern zu schämen. In den letzten vier Jahren ihres Lebens litt sie an starkem Gedächtnisverlust aufgrund einer Alzheimererkrankung, an deren Folgen sie am 15. Juni 2000 im Alter von 86 Jahren starb.

Look Me In The Eye ist im Bestand des FrauenMediaTurm.


Quelle Biografie: Wiki englisch
außerdem:
(1) Triviavoices
(2) Time goes by

31/2020: Sossina M. Haile, 28. Juli 1966

Sossina M. Haile (Link Englisch) kam in Äthiopiens Haupstadt Addis Abeba zur Welt. Sie war acht Jahre alt, als das ‚Koordinationskomitee der Streitkräfte, Polizei und Territorialarmee‘ gegründet wurde und 1974 die Macht ergriff. In der anschließenden Zeit der politischen Verfolgung wurde ihr Vater, ein Historiker, verhaftet und beinahe getötet, weshalb die Familie in die USA floh. Im ländlichen Minnesota besuchte Haile die Schule, mit 20 Jahren machte sie ihren Bachelor of Science am Massachusetts Institute of Technology (MIT), in Materialwissenschaft und Ingenieurwissenschaft (an den amerikanischen Instituten fallen diese Fächer zusammen zu Materials Science and Engineering, im Folgenden fasse ich dies für die leichtere Lesbarkeit als MSaE zusammen). Einen Master of Science im gleichen Fach erreichte sie an der University of California, Berkeley, bevor sie für einen Doktortitel in MSaE wieder an das MIT zurückkehrte, den sie 1992 erlangte.

Im Gebiet der Material- und Ingenieurwissenschaft ist Sossina M. Haile Expertin für Ionenleitung in Festkörpern: Wie elektrische Ladung in festen Stoffen durch Ionen – statt durch Elektronen – transportiert wird. Die Ionenleitfähigkeit eines Stoffes hängt unter anderem mit seiner Kristallstruktur und deren Zustandsveränderung zusammen, weshalb auch die Kristallstrukturanalyse, die Erforschung der Neutronenstreuung sowie die Thermische Analyse zu Hailes Arbeitsbereich gehören. Das Ziel ihrer Forschungen ist es, die Mechanismen zu verstehen, die den Ionentransport in Festkörpern bestimmen; die Erkenntnisse, zu denen Sossina M. Haile dabei kommt, dienen der Entwicklung von festen (im Gegensatz zu flüssigen) Elektrolyten und ’neuartigen festkörperlichen elektrochemischen Vorrichtungen‘ (‚novel solid-state electrochemical devices‚), wie Batterien, Sensoren, Ionenpumpen und Brennstoffzellen.

Für ihr Doktorandenstudium erhielt Sossina M. Haile ein Stipendium, die AT&T Cooperative Research Fellowship. In der Zeit um ihre Promotion, in der sie am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart forschte, erhielt sie eine Förderung aus dem Fulbright-Programm, im Jahr Postdoc den Humboldt-Forschungspreis. Nach ihrer Promotion war sie zunächst an der University of Washington als Assistenzprofessorin tätig, bis sie 1996 an das California Institute of Technology (CalTech) wechselte. Während der 1990er Jahre gelang es ihr mit ihrem Team, die erste Brennstoffzelle aus Säure-Festkörpern zu entwickeln (Link Englisch), indem sie eine ‚superprotonische‚ chemische Verbindung schuf. Diese setzte sich trotz Effizienz wohl nicht am Markt durch, auch wenn zwei Studenten, die mit Haile gearbeitet hatten, 2003 das Unternehmen Superprotonic gründeten – mit der Professorin als wissenschaftliche Beraterin –, das diese Brennstoffzellen herstellte.

Seit 2015 ist Sossina M. Haile Professorin für Angewandte Physik an der Northwestern University. Hier erforscht sie im Team protonenleitende Säure-Festkörper-Verbindungen, protonenleitende sowie Sauerstoff und Elektronen leitende Perowskit-Verbindungen, Sauerstoff leitende Oxide und Alkalien leitende Silikate. Sie arbeitet dabei mit der bestimmt spannenden, aber mir völlig unverständlichen dielektrischen Spektroskopie.

Auf der Seite der HistoryMakers findet sich ein Videoausschnitt aus einem Interview mit, in dem sie von ihrem Verhältnis zur Religion ihrer Eltern erzählt, deren Messen in der Sakralsprache Altäthiopisch oder Ge’ez gehalten werden.

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Ebenfalls diese Woche

27. Juli 1876: Edith Marion Patch (Link Englisch)
Die amerikanische Insektenkundlerin wurde 1904 die Leiterin des Fachbereichs Entomologie an der University of Maine; sie gilt als die erste professionell erfolgreiche Frau auf diesem Gebiet.

30. Juli 1746: Louise du Pierry
Nachdem sie ihren zulünftigen Lebensgefährten Jérôme Lalande kennengelernt hatte, begann sich die junge Französin mit der Astronomie zu beschäftigen. Sie wurde die erste (weibliche) Hochschullehrerin für Astronomie an der Sorbonne und Nachfolgerin von Nicole-Reine Lépaute an der Akademie von Béziers.

30. Juli 1947: Françoise Barré-Sinoussi
Für ihre Beteiligung an der Entdeckung von 1983, dass das HI-Virus die Immunkrankheit AIDS auslöst, erhielt die französische Virologin 2008 eine Hälfte des Nobelpreises für Physiologie oder Medizin.

31. Juli 1877: Harriet Margaret Louisa Bolus
Die südafrikanische Botanikerin arbeitete im Bolus-Herbarium, das an die Universität Kapstadt überging, nachdem der Gründer verstorben war. Ihre Spezialität bei der Erforschung der Kapflora waren Orchideen und Heidekrautgewächse.

1. August 1818: Maria Mitchell
Als Tochter in einer Quäker-Familie wurde sie in ihrem wissenschaftlichen Interesse gefördert und hatte früh mit astronomischen Geräten Kontakt. Sie wurde 1848 als erste Frau in die American Academy of Arts and Sciences aufgenommen und war auch die erste weibliche Professorin für Astronomie am Vassar College – der Grund, warum Vera Rubin dort studierte.

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§218!