Monat: April 2023

17/2023: April Ashley, 29. April 1935

Content Note: körperliche, sexuelle und emotionale Gewalt, Erwähnung von Suizid

„Lieber Gott, segne meinen Vater, segne meine Mutter, segne meine Geschwister und lass mich morgen als Mädchen aufwachen.“ So beschreibt April Ashley ihr allabendliches Gebet schon als Kind. Sie war eines von sechs überlebenden Kinder eines katholischen Vaters und einer protestantischen Mutter, sie hatte drei leibliche Brüder, zwei Schwestern und einen aus Bombay adoptierten Bruder. Nur ihr Vater liebte sie, doch war als Seeman wenig zugegen; ihre Geschwister lehnten sie ab und ihre Mutter ‚verabscheute‘ sie geradezu, weil sie so anders war.(Quelle: YouTube unten) Sie wurde auch von anderen Kindern in ihrer Heimatstadt Liverpool gehänselt und verprügelt.

Mit 16 Jahren konnte sie mit Hilfe einer Kundin, der sie Einkäufe auslieferte, bei der Handelsmarine anheuern. Doch dort wurde sie von ihrem Zimmergenossen schwer misshandelt und vergewaltigt; sie unternahm einen Suizidversuch und wurde daraufhin unehrenhaft entlassen, ein weiterer Versuch brachte sie in ein Psychiatrisches Krankenhaus, in dem sie Elektroschocktherapie erhielt und ihr Testosteron verabreicht wurde.

1955, mit zwanzig Jahren, konnte sie nach London ziehen und begann dort, als ‚cross dresser‚ zu leben. Einige Zeit später ging sie weiter nach Paris, wo sie unter dem Namen Toni April lebte und im Drag Cabarat ‚Le Carousel‚ auftrat, neben anderen trans*gender Künstlerinnen wie Coccinelle und Bambi. Sie bekam dort Östrogene und sah auch die Ergebnisse von Coccinelles geschlechtsangleichender Operation (CN: Fotos), woraufhin sie ihr Geld für eine eigene Operation ansparte. 1960 hatte sie die nötigen £3.000 zusammen und reiste nach Casablanca in Marokko zu Dr. Georges Burou. Dieser führte dort die von ihm entwickelte Vaginoplastik (Kolpopoese) bereits seit 1956 durch – Ashley sei seine neunte Patientin gewesen, schrieb sie später.

Die Operation war in Marokko verboten, Dr. Burou lebte und arbeitete dort diskret, seine Patientinnen kamen durch persönliche Kontakte mit anderen Patientinnen zu ihm. Zur Einschätzung der Lage (von Wikipedia): Im Jahr 1969 musste eine deutsche Patientin 10.000,-DM im Voraus zahlen, durfte dann zehn Tage später anreisen und erhielt bei der Aufklärung auch die Erklärung, wenn es tödliche Komplikationen gäbe, würe ihr Leichnam im Meer versenkt und ihr Ausweis verbrannt. (Laut DM-Euro-Rechner entspricht der Preis heutigen etwa 21.400,- €)

Ashley beschreibt die Operation als schmerzhaft, sie habe auch alle Haare verloren, doch habe sie niemals Reue gespürt, denn ‚wenn die Operation nicht gelungen wäre, hätte ich nicht weiterleben wollen‘.(Quelle: YouTube unten)

Nach der erfolgreichen Operation kehrte Ashley nach England zurück und lebte von nun an unter dem Namen April Ashley. Sie arbeitete als Mannequin und Model, unter anderem wurde sie von David Bailey für die British Vogue fotografiert. In dieser Zeit lernte sie auch ihren späteren ersten Ehemann, den ‚Honourable‚ Arthur Corbett, später 3. Baron Rowallan, kennen. Sie machte wie viele Fotomodelle auch erste Schritte in die Filmindustrie, mit einer kleinen Rolle in der Komödie ‚Der Weg nach Hong Kong‚, in der Bing Corsby, Bob Hope und Joan Collins die Hauptrollen spielten. Die Dreharbeiten wurden 1961 abgeschlossen, 1962 sollte der Film in die Kinos kommen. Kurz nach dem Dreh verkaufte jedoch ein*e ‚Freund*in‘ Ashleys Geschichte an die Presse und das Klatschmagazin ‚The Sunday People‚ outete sie noch 1961 als trans*gender. Daraufhin verlor Ashley ihre Angebote als Model und wurde aus dem Film herausgeschnitten. Zwei Jahre später heiratete sie Arthur Corbett, doch die Ehe hielt nicht lang. Getrennt und als Protagonistin eines ‚Skandals‘ konnte sie anschließend längere Zeit nicht seßhaft werden – immer, wenn ihre Geschichte in ihrem Umfeld bekannt wurde, verlor sie ihre Anstellung – unter anderem als Kellnerin und im Kunsthandel – und sie musste umziehen. Ihr Anwalt schrieb 1967 eine Unterhaltsforderung an Arthur Corbett, woraufhin dieser eine Klage einreichte, die Ehe annullieren zu lassen; dieser Fall wurde als Corbett v. Corbett zum traurigen Präzendenzfall. Dem Annullierungsantrag wurde 1970 stattgegeben, aufgrund der Tatsache, dass Ashley legal, nach ihren eingetragenen Angaben, noch als Mann galt – eine Tatsache, die Arthur Corbett bei der Eheschließung durchaus bewusst war.

April Ashley arbeitete in den 1970er Jahren als Empfangsdame in einem Londoner Restaurant, das sich von ihrer Geschichte mehr Zulauf von Gästen erhoffte. Die Situation führte dazu, dass Ashley vermehrt Alkohol trank, was auf lange Sicht zu gesundheitlichen Problemen bis hin zum Herzinfarkt führte. Sie heiratete ein weiteres Mal, doch auch diese Ehe endete in Scheidung, wenn auch freundschaftlich. 1982 schrieb sie gemeinsam mit einem britischen Journalisten ihre Autobiografie.

In den 1990er und 2000er Jahren versuchte Ashley mehrfach vergeblich, eine Änderung ihres Geschlechtseintrages zu erreichen und somit auch legal als Frau anerkannt zu werden, doch dies gelang ihr erst 2005 – mit 70 Jahren, 45 Jahre nach ihrer geschlechtsangleichenden Operation – nachdem das Vereinigte Königreich den Gender Recognition Act (Link Englisch) umgesetzt hatte. Sie erhielt daraufhin eine geänderte Geburtsurkunde und einen korrigierten Geschlechtseintrag in ihren persönlichen Daten. Im Folgejahr veröffentlichte Ashley eine Neuauflage ihrer Autobiografie mit einigen neuen Anekdoten, doch diese wurde wegen zu großer Übereinstimmung mit ihrer ersten Biografie – an der ein anderer Autor mitgewirkt hatte – aufgrund von Plagiarismus zurückgezogen.

Ashley verlebte den Rest ihres Lebens in Fulham als trans*gender Ikone der britischen LGBTQIA+-Community, sie verstarb im Dezember 2021 mit 86 Jahren.


Interview mit April Ashley in ‚Good Afternoon‘ (CN: Biologismus, Diskussion der ‚Toilettenfrage‘, Gefahren der Inhaftierung, körperliche und sexualisierte Gewalt u.a. gegen Kinder, Suizid – in leichtem Konversationston)
Sequenz über April Ashley in ‚What Am I?‘ (CN: verbale Transphobie)
Ausschnitt aus April Ashleys Auftritt bei ‚Loose Women‘ (CN: Deannaming, Fotografie von Ashley als Jugendliche/misgendert, emotionale Gewalt gegen Kinder, Suizidalität)

Quelle: Wiki deutsch | Wiki englisch

16/2023: Ernestine Eckstein, 23. April 1941

Bis sie 1963, mit 22 Jahren, nach New York zog, wusste Ernestine Eckstein selbst nicht, dass sie lesbisch ist. Sie hatte sich zwar zu Frauen hingezogen gefühlt, doch da ihr nicht klar war, dass es diese sexuelle Orientierung gab, betrachtete sie es als rein menschliche Zuneigung. (2, 3)

Vorher hatte sie an der Indiana University in Bloomington, Indiana, Magazin-Journalismus im Hauptfach sowie Psychologie und Russisch in den Nebenfächern studiert; dort war sie Mitglied der NAACP. In New York angekommen, suchte sie als erstes einen alten Freund auf, mit dem sie sich immer gut verstanden hatte, ohne dass es zu einer romantischen oder sexuellen Beziehung gekommen war. Auf seine Aussage ‚I’m gay‚ reagierte sie zunächst mit Unverständnis (‚gay‚ wurde damals noch vor allem als ‚lustig, vergnügt‘ verstanden). Als er ihr die Bedeutung des Wortes erklärte, wurde ihr zum ersten Mal bewusst, dass es Homosexualität gab, und sie hinterfragte ihre eigene Orientierung. Aus einer emotionalen Beziehung zu ihrer Mitbewohnerin wurde so auch eine Liebesbeziehung.(2, 3) Sich einer Organisation für und von Homosexuellen anzuschließen, war für Eckstein als überzeugte Bürgerrechtlerin ein logischer Schritt; sie besuchte als erstes die Mattachine Society, die auf eine Liberalisierung der Gesellschaft hinsichtlich Homosexualität hinarbeitete und Beratung für Homosexuelle anbot. Von dort aus schloss sich Eckstein den Daughters of Bilitis an und wurde 1965 Vizepräsidentin der Vereinigung.

Die Homophilenbewegung (zu dieser Zeit so bezeichnet) war von verschiedenen Strömungen geprägt – insgesamt starkt beeinflusst von linkem, im Sinne von kommunistischem Denken, auf dem viele Strukturen und Methoden von Menschen- und Bürger*innenrechtsbewegungen beruhen. Ein Teil der Bewegung legte Wert auf eine wenig Aufsehen erregende Arbeit für die Toleranz, um etwa die Meinung der Medizin und Psychologie zu verändern, dass Homosexualität eine psychische Krankheit sei. Ein anderer Teil, hauptsächlich jüngerer Homosexueller, wollte eine öffentlichere, politischere Menschenrechtsbewegung, die stärker am Aktivismus der Schwarzen Bürger*innenrechtsbewegung orientiert war. Ernestine Eckstein als Vizepräsidentin der Daughters of Bilitis stand für einen solchen politischen Aktivismus.

Für die Publikation der Daughters, The Ladder, interviewten Barbara Gittings und Kay Lahusen Ernestine Eckstein 1965. Die Ausgabe 1966 von The Ladder ist hier vollständig zu sehen. Im dem Gespräch macht sie einige ausgesprochen interessante Aussagen, insbesondere im Rückblick auf die Entwicklung der LGBTQIA+-Bewegung ab den späten 1960er Jahre.

Sie stellt fest, dass ihre Ideen ‚weiter links‘ seien als die anderer Homosexueller. Diese befürworteten zwar theoretisch die Protestmärsche für die Rechte Homosexueller, gingen aber selbst nicht hin; sie selbst nehme an Protestmärschen teil, wenn auch in anderen Städten. Der Grund für beides war natürlich, dass offen homosexuell lebende Menschen in Gefahr waren, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, und andere soziale Konsequenzen fürchten mussten. Doch eigentlich gingen Eckstein schon diese Protestmärsche nicht weit genug, sie nennt sie eine konservative Art des Aktivismus. Statt der ruhigen, gestitteten Runden mit ‚pickets‚ seien etwa Sit-Ins die politische Aktion der Zeit. Eckstein räumt ein, dass die Homophilen-Bewegung nicht so radikal sein könne wie die der Schwarzen US-Amerikaner, weil deren Anliegen in Sachen Menschen- und Bürger*innenrechten allgemein akzeptiert sei, während die Homophilen-Bewegung erst an den Punkt kommen müsse, dass ihr Anliegen – ungehindert einem selbstgestalteten, ’normalen‘ Leben nachgehen zu können, ohne die sexuelle Orientierung verdrängen oder verstecken zu müssen – von allen akzeptiert würde. Ein Weg jedoch, die Vorurteile gegenüber Homosexuellen auszuräumen, sei es eben, das Leben offen homosexuell zu leben: Eckstein verwendet hier die Worte ‚to come out‚ und meint sie sicher noch wörtlich, dass Homosexuelle als solche sichtbar ‚auf die Straße‘ gehen sollten. Doch möglicherweise liegt hier ja der Ursprung des heute gängigen Ausdrucks dafür, seine Orientierung oder Identität bekannt zu machen.

Eckstein sagt weiter, dass gleichzeitig für ihr Dafürhalten die Homophilen-Bewegung zu wenig juristisch aktiv ist, im Sinne von Klagen gegen Diskriminierung, die als Präzedenzfälle für das US-amerikanische Rechtssystem dienen können. Außerdem sei die Bewegung derzeit zu sehr auf sexuelle Freiheit fokussiert, sicher, weil diese eben nicht so vorhanden sei, Liebes- und sexuelle Beziehungen für Homosexuelle nicht so leicht und offen auslebbar waren wie für Heterosexuelle. Doch für die Gemeinschaft und die gesellschaftliche Akzeptanz von Homosexuellen als ganz ’normale‘ Bürger*innen sei es auch wichtig, sich für alle möglichen anderen sozialen Aktivitäten zusammenzutun. Auf die Anmerkung, dies könne von Heterosexuellen als reine Anbahnungsmaßnahme für sexuelle Kontakte betrachtet werden, kontert sie ausgesprochen modern: ‚I think we have to decide how far we can go for caring about what heterosexuals think. […] We want acceptance and we want our rights as citizens and as people, but this doesn’t mean that all of our activity and all of our goals are defined by other people’s filthy minds.‚ – „Ich glaube, wir müssen uns entscheiden, wie weit wir gehen können darin, uns um das zu kümmern, was Heterosexuelle denken. Wir wollen Akzeptanz und wir wollen unsere Rechte als Bürger und Bürgerinnen und als Menschen, aber das heißt nicht, dass alle unsere Aktivitäten und alle unseren Ziele von den schmutzigen Gedanken anderer Leute definiert sind.“ (Im gedruckten Interview – im PDF zu lesen – sagt sie allerdings auch, dass die Schwarzen weiße und die Homosexuellen heterosexuelle Unterstützer*innen brauchen, um die Bewegung in der Gesellschaft zu integrieren; wenn die Kooperation über diese Label hinweg gefördert würde, würden die Menschenrechtsbewegungen in die Allgemeinheit überführt und blieben nicht nur Bewegungen ‚da drüben‘.)

Die herausragendste Äußerung von Eckstein betreffen allerdings das, was wir heute als Intersektionalität verstehen. Sie spricht darüber, auch die ‚transvestites‚ – damals umfassender Begriff auch für transgender Personen – in die Homophilen-Bewegung und ihren Aktivismus einbezogen werden sollte. Gittings und Lahusen sind darüber überrascht (die Lesben-Bewegung stand transgender und transvestitischen männlich gelesenen Personen kritisch gegenüber) und Eckstein erläutert, dass sie die Homophilen-Bewegung als Teil einer größeren Bewegung versteht, die eigentlich zu einer Beseitigung aller Label führe. Die Veränderungen der Gesellschaft zugunsten von Homosexuellen müsse notwendig auch das Recht für alle mit sich bringen, sich anzuziehen, wie sie wollen. Sie bezeichnet die spezielle Diskriminierungsproblematik der ‚transvestites‚ nicht als ein ‚Homosexuellen-Problem‘, sondern als eines der ’sexuellen Identität‘ – welches jedoch von der Gesellschaft zu einem Komplex zusammengeworfen würde, weshalb sie der Meinung ist, dass die Homophilen-Bewegung sich dessen annehmen sollte, wenn sie erst ihre eigenen Ziele erreicht hätte. Sie glaubt nicht, dass diese intersektionale Zusammenarbeit noch in ihrer Lebenszeit stattfinden würde, doch es sei das Ziel, auf das sie hinarbeite. Ernestine Eckstein nennt sich selbst eine ‚Sozialprophetin‘ und sie hat nach heutigem Kenntnisstand Recht: Der Kampf für die Rechte von trans*gender Personen ist mithin ein feministischer Kampf, doch noch heute lehnen viele den Gedanken ab, dass es im Prinzip um die Auflösung von Labels – beginnend mit ‚männlich‘ und ‚weiblich‘ – gehen sollte, um die Gesellschaft von überkommenen, schädlichen Vorstellungen von ‚Normalität‘ zu befreien.

Ernestine Eckstein ließ sich sogar für das Titelbild der Ausgabe fotografieren, wenn auch nur im Profil – sie ging schließlich das Risiko ein, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, wenn sie erkannt würde. Sie verließ die Daughters of Bilitis bald darauf, wahrscheinlich war sie von persönlichen und politischen Grabenkämpfen erschöpft. So stand sie 1965 in Korrespondenz mit Frank Kameny, den sie für einen Vortrag nach New York zu den Daughters einladen wollte, um ihre Position hinsichtlich öffentlicher Proteste und politischem Aktivismus zu stärken. Im Februar 1966 musste sie ihre Einladung dann aufgrund des Widerstands bei den Daughters jedoch zurückziehen. In den frühen 1970er Jahren zog Eckstein von New York nach San Francisco, wo sie sie sich bei Black Women Organized for Action (BWOA) engagierte – eine Organisation, die mehr ihren politischen Vorstellungen entsprach. So rotierte die Führung der Organisation zwischen jeweils drei Personen, die nach drei Monaten wieder ausgewechselt wurden, was nicht nur den Aufbau einer Hierarchie unter den Mitgliedern verhinderte, sondern auch dafür sorgte, dass zahlreiche unterschiedliche Schwarze Frauen als Anführerinnen gefördert wurden.

Die Absichtserklärung der BWOA lautete(1, Übersetzung meine):

Black: Wir sind Schwarz und sind wir uns unserer Verpflichtung bewusst, uns im Kampf der Schwarzen einzusetzen für ihre Identität und für die Einbindung in Entscheidungen, die ihr Leben und das Leben der folgenden Generationen Schwarzer betreffen.
Women: Wir sind Frauen und uns deshalb bewusst, wie eklatant zum Teil die Talente und Energien Schwarzer Frauen verschwendet werden, weil uns die Gesellschaft einen bestimmten Platz zugewiesen hat.
Organized: Wir sind organisiert, weil wir erkennen, dass wir nur zusammen, mit unseren gemeinsamen Talenten und Ressourcen, eine entscheidende Veränderung erreichen können in den Institutionen, die unsere Möglichkeiten eingeschränkt und unser Wachstum als Menschen behindert haben.
Action: Wir sind für Aktivismus, weil wir glauben, dass die Zeit der Rhetorik vorüber ist; dass die Fähigkeiten Schwarzer Frauen am besten auf vielseitige Weise eingesetzt werden können, um die Gesellschaft zu verändern; dass, in der politischen Arbeit, die wir vorleben, das Engagement Schwarzer Frauen über die traditionelle Mittelbeschaffung hinausgehen und in die ganze Palette von Aktivitäten führen muss, die den politischen Prozess ausmachen, welcher unser Leben auf so viele Arten bestimmt.

Die BWOA hatte eine offene Auffassung, wer als ‚Schwarz‘ galt (möglicherweise näher an dem, was heute ‚of Color‚ heißt), und ging zurückhaltend mit dem Begriff ‚feministisch‘ um. Damit verhinderten sie Abgrenzungen und Dispute innerhalb der Organisation über die Vorstellungen, was diese Begriffe beinhalteten.

Nach ihrem Weggang aus New York nach San Francisco verliert sich Ernestine Ecksteins Spur. Es ist nur mehr bekannt, dass sie 1992, wahrscheinlich nach langer Krankheit, in San Pablo, Kalifornien, starb.


Faszinierendes Dokument aus der Zeit, in der Ernestine Eckstein als Schwarze, lesbische Frau ihren Aktivismus entwickelte, ist einmal diese CBS Dokumentation, „The Homosexuals“ (CN: voller 1950/60er Vorurteile, Pathologisierung, verinnerlichter Homophobie etc. – nur ansehen, wenn frohes Bewusstsein darüber besteht, dass diese Zeiten immerhin mehr als 50 Jahre zurückliegen), in der bei Minute 28:50 Ernestine Eckstein kurz zu sehen ist(2); außerdem lässt sich an den zwei kurzen Filmen von Lilli Vincenz hier großartig die Entwicklung der LGBTQIA+-Bewegung erkennen: Der erste zeigt die recht braven picket lines 1968, wie sie auch Ernestine Eckstein besuchte, der zweite zeigt die erste Christopher Street Liberation Day Parade 1970 – den ersten Jahrestag der Stonewall Riots. Das Coming Out der Homosexuellen auf die Straße, das Eckstein sehen wollte, ist hier wesentlich deutlicher und wird mit Stolz gefeiert. Der Einfluss, den die eben nicht friedlichen, sondern wehrhaften Unruhen in der Christopher Street auf die Gesellschaft hatten – ausgetragen von trans*gender und homosexuellen, Schwarzen und weißen Männern und Frauen –, ist hier nicht zu verleugnen.


Quellen: Wiki englisch
außerdem:
(2) Making Gay History
(3) LGBTQ Nation

15/2023: Whitney Way Thore, 14. April 1984

Schon in ihrer Kindheit und Jugend tanzte Whitney Way Thore und spielte Theater. Nachdem sie schon als schlanke Zehnjährige einen fettfeindlichen Witz über sich hörte, begann sie Probleme mit ihrer Selbstwahrnehmung und ihrem Selbstbewusstsein hinsichtlich ihres Gewichts zu haben. Sie tanzte weiterhin und besuchte mit 16, nach dem Highschoolabschluss 2002, die Appalachian State University mit Hauptfach Theater.

In ihren Teenagerjahren hatte sie massiv zugenommen, ohne bis dahin eine Erklärung dafür zu haben. In ihren frühen 20ern schwankte ihr Gewicht und ihre psychische Gesundheit litt. Sie hörte auf mit allem, was sie liebte und entwickelte eine ausgeprägte bulimische und anorektische Essstörung(2). Eine PCOS-Diagnose erklärte ihr zwar die Gewichtszunahme, verbesserte jedoch nicht ihre psychische Situation; sie strebte noch immer danach, abzunehmen, weil sie damit vermeintlich glücklicher sein würde, und der Prozess des Abnehmens wurde durch die Diagnose nicht erleichtert. Ihr Äußeres verleitete ihre Umgebung schließlich auch weiterhin, sie für faul, dumm, unordentlich, wertlos und talentlos zu halten(2).

Nach ihrem Collegeabschluss bereiste sie Asien, unterrichtete Englisch für Schulkinder in Korea und machte horrende Erfahrungen mit der gesellschaftlichen Ablehnung fetter Menschen. Sie kehrte in die USA zurück und wurde On-Air-Producer einer Morgensendung beim heimischen Radiosender 107.5KZL. Sie erreichte ihr höchstes Gewicht, begann wieder Sport zu treiben und nahm in diesem Zuge auch das Tanzen wieder auf. Als ihr nach einem Besuch im Sportstudio eine Gruppe junger Männer eine fettfeindliche Beleidigung zurief, wurde ihr klar, dass sie niemals die Erwartungen Fremder oder Gesellschaft an ihren Körper würde erfüllen können und das Streben danach, diese bewegliche Ziellinie zu erreichen, sie unglücklich machte. Sie beschloss, alle Dinge zu tun, die sie allein aufgrund ihres Gewichtes eigentlich nicht machen würde(3), wie etwa eine Session bei einer Boudoir-Fotografin (Link Englisch). Die Bilder, die dabei entstanden gaben ihr eine neue Perspektive auf ihren Körper, wie er war. Sie ließ sich außerdem darauf ein, mit ihrem Kollegen vom Radio ein Video aufzunehmen, das am 27. Februar 2914 unter dem Titel „A Fat Girl Dancing“ bei YouTube veröffentlicht wurde.

107.5KZL’S „A Fat Girl Dancing: Talk Dirty To ME (Jason Derulo) Original

Die Reaktionen auf das Video waren – für Thore unerwartet – größtenteils positiv und sie schöpfte daraus neuen Mut. Schon einige Zeit zuvor hatte sie ihren Selbstakzeptanzprozess auf einem Blog festgehalten, nun startete sie auf der Welle des viralen Videos die Kampagne No Body Shame. Sie wurde in verschiedene Fernsehformate eingeladen, bis ihr schließlich ein eigenes Reality-TV-Format angeboten wurde: 2015 drehte Thore zwei Staffeln ‚My Big Fat Fabulous Life‘. Auch auf YouTube und in anderen Sozialen Medien setzte sie sich weiterhin für eine Veränderung der Gesellschaft zur body positivity ein, so diskutierte sie öffentlich Kommentare Trumps(4) oder reagierte auf ein bekanntes, fettenfeindliches Video einer kanadischen YouTuberin.

Reaktion auf das fettenfeindliche Video einer kanadischen YouTuberin

2016 – mit 32 Jahren – veröffentlichte sie ihre vorläufigen Memoiren unter dem Titel I Do It With The Lights On: And 10 More Discoveries on the Road to a Blissfully Shame-Free Life‘. Darin spricht sie nicht nur über die eigenen Erfahrungen mit dem krankmachenden Körperbild und der nie zu erfüllenden Erwartung der Gesellschaft an (weibliche) Körper, sondern auch über ihren Weg zur Akzeptanz und Liebe ihres Körpers.

I Do It With The Lights On: Body Positivity Video auf Thores YouTube Kanal

Whitney Way Thore erzählt in diesem TEDxTalk in ihrer Heimatstadt ihre eigene Geschichte:

Living without shame: How we can empower ourselves | Whitney Thore | TEDxGreensboro (CN: Essstörungen, Methoden)

Quellen Biografie: Wiki englisch
außerdem:
(2) Huffington Post
(3) The Star
(4) AL.com

14/2023: Curtis „Kitty“ Cone, 7. April 1944

Als sie sechs Jahre alt war, erhielt Curtis „Kitty“ Cone eine erste Fehldiagnose. Die Lehrerin hatte bemerkt, dass sie immer auf den Zehenspitzen lief, die Ärzte hielten ihre Erkrankung für Zerebralparese und verordneten zunächst keinerlei Maßnahmen. Da ihr Vater beim Militär war, wechselte die Familie Cone häufig den Wohnsitz, und somit auch die Ärzte, also folgten später dann doch Schienen und Operationen, um ihre Sehnen zu verlängern. Während einer Zeit in Japan wurde sie – ebenfalls fehlerhaft – mit Kinderlähmung diagnostiziert und an beiden Hüften operiert; die langen postoperativen Wochen, in denen sie liegen musste, trugen zur Verschlechterung ihrer Symptome bei. Erst als sie fünfzehn war, erfolgte die richtige Diagnose: Cone lebte mit progressiver Muskeldystrophie, eine genetisch bedingte Behinderung, bei der Betroffene im Verlauf ihre Muskelkräfte verlieren.

Bis zu ihrer späten Jugend besuchte Cone insgesamt dreizehn Schulen, darunter auch im US-amerikanischen Süden. Dort machte sie schon früh und nachhaltige Erfahrungen mit der Segregation (CN Begriff für Segregation), der Diskriminierung ihrer afroamerikanischen Mitmenschen; diese Erlebnisse prägten auch ihren politischen Aktivismus. Sie selbst traf immer wieder auf Einschränkungen an Schulen; zeitweise trugen ihre Cousins und Cousinen sie in die Klassenräume, weil sie die Treppen nicht mehr nehmen konnte – Rampen oder Aufzüge gab es selbstverständlich keine. In einem Internat erlegte ihr die Schulleiterin so uneinhaltbare Regeln auf, dass sie bald wieder ins Elternhaus zurückkehrte. Ihre schulischen Leistungen waren trotz dieser Umstände immer gut und auch, wenn sie in ihrer späteren Jugend mit Stützen gehen musste, machte sie ihren Highschool-Abschluss und ging auf ein College der University of Illinois at Urbana-Champaign. Die Schule hatte ein Programm für körperlich behinderte Studierende, hielt diese jedoch dazu an, nicht um Hilfe zu bitten und sogar angebotene Hilfe auszuschlagen, damit diese nicht schwach und hilfsbedürftig wirkten und damit für potentielle Arbeitgeber unattraktiv.

Cone war für ein Semester nach Hause zurückgekehrt, da ihre Mutter plötzlich an Krebs verstorben war – ebenfalls aufgrund einer Fehldiagnose, ihr Leiden wurde auf die Nerven geschoben. Als sie ans College zurückkehrte, begann sie, sich stark in der Bürgerrechtsbewegung, der NAACP und der Friedensbewegung zu engagieren und verbrachte viel ihrer freien Zeit bei Protesten. Zu dieser Zeit nutzte sie bereits einen Rollstuhl. Als sie spürte, dass ihre Muskulatur schwächer wurde und sie möglicherweise bald auf noch mehr Hilfe angewiesen sein würde, wollte sie sich eine Wohnung außerhalb des Universitätscampus suchen. Zum Einen ging es ihr darum, unabhängig zu leben, bevor dies nicht mehr möglich sein sollte, zum Anderen fiel es ihr meist schwer, die Schließzeiten der Schlafräume einzuhalten, da sie viel und mit dem Rollstuhl unterwegs war. Sie benötigte dafür eine Erlaubnis vom Leiter des Programms, der jedoch vermutete, sie werde nicht aufgrund ihrer Erkrankung schwächer, sondern weil sie so viel bei Protesten aktiv war. Außerdem unterstellte er ihr, dass es ihr darum ging, sexuelle Kontakte zu pflegen. Cone war schließlich so unzufrieden mit ihrem Leben im Rahmen der Universität und dem Programm, das sie im Studium dort unterstützen sollte, dass sie keinen Abschluss dort machte. Stattdessen zog sie nach New York und fokussierte sich auf die politische Arbeit.

1974 wurde sie in Oakland, Kalifornien, bei dem dortigen Center of Independent Living eingestellt, um Lobbyarbeit für die Rechte behinderter Menschen zu betreiben, politische Aktionen auf lokaler und nationaler Ebene zu planen und dazu beitragen, Barrieren für Menschen mit Behinderung zu senken. In dieser Rolle war sie maßgeblich an der Planung und Durchführung des 504 Sit-In (Link Englisch) beiteiligt.

‚504‘ bezieht sich auf Abschnitt 504 des Rehabilitation Act von 1973, ein nationales Gesetz gegen die Diskriminierung behinderter Menschen. Der Abschnitt weitete die Menschenrechte bei Bildung, Arbeit und ‚anderen Teilen des gesellschaftlichen Lebens‘ aus und schrieb vor, dass jede Einrichtung, jedes Unternehmen, die oder das Staatsgelder bezog, verpflichtet sei, Menschen mit Behinderung zugänglich zu sein und mit den nötigen Hilfsmitteln aufzurüsten, bzw. Barrieren abzuschaffen. Mit der Absegnung dieses Abschnittes sollte es auch möglich werden, diese Zugänglichkeit zur Not gerichtlich einklagen zu können. Der Gesetzesentwurf war zuvor schon mehrfach von US-Präsident Richard Nixon abgelehnt worden, die Sit-Ins sollten den damaligen US-Gesundheitsminister Joseph Califano dazu bewegen, die Änderungen im Sinne behinderter Menschen zu unterzeichnen. In zehn US-Städten kam es zu konzertierten Protesten; angeführt von Kitty Cone und Judith Heumann bezogen am 5. April 1977 mehrere Demonstrierende, davon zahlreiche im Rollstuhl und anderweitig körperlich behindert, Stellung im Sitz des Gesundheitsministeriums in San Francisco. Zwischen diesem Tag und dem 4. Mai, insgesamt 28 volle Tage, waren mehr als 150 Menschen für dieses Sit-In anwesend. Califano unterzeichnete die Änderungen am 28. April und setzte damit das Gesetz in Kraft. Aus dem Rehabilitation Act wurde später das US-Bundesgesetz Americans with Disabilities Act (ADA).

Nachdem sie dieses große Ziel erreicht hatte, führte sie ihren EInsatz auf anderen Ebenen fort, so war sie an der Organisation des Disabeled People’s Civil Rights Day 1979 in San Francisco beteiligt.

Aufgrund der restriktiven Ehegesetze der damaligen Zeit in den USA konnte sie ihre langjährige Lebensgefährtin nicht heiraten und kein Kind adoptieren. Daher verlegte sie ihren Wohnsitz 1981 nach Mexiko, wo es ihr möglich war, ihren Sohn zu adoptieren. Ab 1990 arbeitete sie für den Disability Rights Education and Defense Fund (Link Englisch). 2015 starb sie kurz vor ihrem 71. Geburtstag an Bauchspeicheldrüsenkrebs.


Einen Überblick über die Geschichte und Hintergründe des 504 Sit-In schrieb Cone selbst zum 20. Geburtstag des Ereignisses. Der DREDF, ihr letzter Arbeitgeber, veröffentlichte einen Nachruf zu ihrem Tod, viel später, 2021 brachte die New York Time ebenfalls einen Nachruf (Link Englisch) unter der Reihe ‚Overlooked no more‘. Das Smithsonian stellt sie im Rahmen der Women’s History vor.

Lange Version (2’22“) auf diva.sfsu.edu

Quelle Biografie: Wiki englisch
außerdem:
(2) Online Archive of California (Link Englisch, 324 Seiten Interview-Transkript)

13/2023: Mykki Blanco, 2. April 1986

Mykki Blanko kam als ein Kind der Quattelbaum-Familie zur Welt, ihr Vater, ein afroamerikanischer Jude, beendete seine Tätigkeit als IT-Spezialist, um als Medium zu arbeiten, ihre Mutter war eine Rechtsanwaltsfachangestellte; die Eltern trennten sich, als Mykki zwei Jahre alt war, und sie lebte anschließend bei ihren Großeltern väterlicherseits in Kalifornien. Nach einem Umzug nach North Carolina floh sie mit 16 Jahren aus dem Familienheim nach New York City. Es folgte eine Zeit wechselnder Wohnsitze und zweier begonnener Ausbildungen. Für ein Studium an der School of the Art Institute Chicago erhielt Blanko ein Stipendium, beendete es jedoch nach zwei Semestern, auch ein Studium an der Parsons School of Design beendete sie nicht.

Ihre heutige Karriere begann mit der Veröffentlichung ihres Gedichtbandes From the Silence of Duchamp to the Noise of the Boy 2011, im Folgejahr erschien ihr erstes musikalisches Werk, die EP Mykki Blanko and the Mutant Angels. Bis zu ihrem ersten ausgewachsenen Album im Jahr 2016 – Mykki – war sie auf diversen Mixtapes und anderen Kooperationen vertreten, unter anderem mit Kanye West auf dessen unveröffentlichten Album Yandhi.

Den Namen Mykki Blanko wählte die geborene Quattelbaum zum ersten Mal 2010 für eine Persona, die sie für YouTube-Clips annahm. Der Name ist inspiriert von Lil‘ Kims Alter Ego Kimmy Blanko, die Blanko auch als künstlerischen Einfluss nennt; weiter nennt sie so unterschiedliche andere Einflüsse wie GG Allin, Jean Cocteau, Kathleen Hanna, Lauryn Hill, Rihanna, Marilyn Manson und Anaïs Nin. Auch wenn sie als Mykki Blanko anfangs vor allem in Hiphop-Videos auftrat, in denen sie auch in ihrer männlichen Persona zu sehen war, wollte sie nie als ‚Drag artist‘ oder ‚transvestite rapper‚ wahrgenommen werden. Auch auf ‚gay/queer rap‚ wollte sie sich nicht festlegen, da sie ihren künstlerischen Hintergrund vielmehr im Dadismus und dem Riot Grrrl Punk verortet. In einer Titelstory der Village Voice über sie mit der Überschrift ‚GenderNinja‚ von 2013 positioniert sie sich als Feministin, jedoch noch nicht als trans* Frau – sie spricht stattdessen über die Fluidität von Gender und über die Möglichkeit, mittels Accessoirs und Kleidung Gender zu performen.

Nach ihren frühen Erfolgen als Musikerin ging sie 2015 bewusst das Risiko ein, ihren HIV-positiven Status auf FaceBook zu veröffentlichen. Für den Fall, dass dies ihre Musikkarriere beenden würde, hatte sie bereits einen Wechsel in den Journalismus ins Auge gefasst, doch die Reaktion ihrer Fans war so unterstützend, dass sie doch ihre künstlerische Arbeit fortsetzte.

Seit 2019 identifiziert Mykki Blanko sich als trans* Frau mit den Pronomen sie/ihr und they/them; wie sie in ihrem Corona-Lockdown-Tagebuch schreibt, hat sie auch eine geschlechtsangleichende Hormontherapie begonnen. In den vergangenen zwei Jahren war sie künstlerisch sehr aktiv und brachte zwei ALben heraus: 2021 Broken Hearts and Beauty Sleep, 2022 folgte bereits Stay Close to Music, das hier im Rolling Stone besprochen wurde. Auf dem Album sind diverse Gastkünstler*innen vertreten, wie Michael Stipe von R.E.M. und Jónsi von Sigur Rós.

Mykki Blanko: Family Ties ft. Michael Stipe
Mykki Blanko: Carry On ft. Jónsi

Quelle Biografie: Wiki englisch

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