Kategorie: Film

Emily

UK/USA 2022, Regie: Frances O'Connor, mit Emma Mackey, Oliver Jackson-Cohen, Fionn Whitehead

Ich will pädagogisch vorgehen und erst sagen, was ich an EMILY alles mag.

Ästhetisch steht der Film von Frances O’Connor in der Tradition von The Piano (AUS/FR 1993, Regie: Jane Campion) und Mary Shelley (UK/LUX/USA/IR/AUS 2017, Regie: Haifaa Al-Mansour). Die Protagonistin steht im Zentrum der Erzählung, die Landschaft – in diesem Fall tatsächlich die Landschaft um Haworth, West Yorkshire, in der die Brontës lebten – nimmt narrativen Raum ein, das natürliche Licht spiegelt das wechselnde Gefühlsleben der Figur wider, dazu flüstert, treibt, jauchzt moderne Klassik mit Streichinstrumenten und Frauenchören wie der Wind, der über die nordenglischen Hügel weht. All das mag ich.

Ich mag auch die Protagonistin, Emily (Emma Mackey), die mit der Kargheit der Landschaft und ihrer persönlichen Beziehungen recht glücklich ist. Ich mag, wie der Film ihre Individualität, ihren Widerspruchsgeist bis zur Häresie und Rebellion erzählt, wie ihre Persönlichkeit – ein wenig animalisch, voller Fantasie, getrübt nur von der scheinbaren Unmöglichkeit, die Liebe ihres Vaters erringen zu können – vom sprichwörtlichen Korsett der christlichen Zivilisation am Atmen und Sich-Entfalten gehindert wird. Ich mag die Beziehungen der Geschwister zueinander, denn sie sind authentisch, nicht einseitig voller Liebe oder Ablehnung, sondern vielseitig, manchmal näher, manchmal und gerade deshalb schärfer und schmerzhafter in ihren Konflikten als als jede andere Liebe. Ich mag auch die Liebesbeziehung zwischen der ’sonderlichen‘, freigeistigen Emily und dem Vikar William (Oliver Jackson-Cohen), der aufgerieben ist zwischen romantischem Streben, körperlichen Trieben und seinem Bedürfnis nach der Sicherheit des institutionalisierten Glaubens; wie sie sich anziehen und abstoßen, und sogar die Tragik des unvermeidlichen Endes mag ich.

All that said.

Wenn ich aber doch eine so spannende Persönlichkeit wie Emily Brontë als Protagonistin ins Zentrum eines Films setze, der so vieles gut mache, warum dichte ich ihr in das Vakuum, das ihre wirkliche Biografie darstellt, nun wieder etwas so Banales wie die Liebesbeziehung zu einem Mann an? Wir wissen nicht viel über diese Brontë, aber es könnte ja alles mögliche in ihrem Leben gewesen sein, das erzählenswert wäre. Und wenn es nur ihre Beziehung zum Vater wäre, oder zu ihren Geschwistern, ihrem Bruder unter anderem? Ja, das sind dann auch wieder Männer, und ja, ihr einziger Roman ‚Sturmhöhe‘ beinhaltet auch eine tragische Liebesgeschichte. Er ist aber viel mehr als das und lässt auf eine viel spannendere Genese schließen als dass Emily Brontë sich unglücklich in einen Vikar verliebt hatte. Und gerade, weil ‚Sturmhöhe‘ so viel mehr ist als ein Liebesroman, kommt die Darstellung ihrer Zeit, die Verhältnisse der Brontë-Geschwister zueinander und zum Vater im Film über sie viel zu kurz. Stattdessen wird eine feministische Ikone der Literatur auf ihre verletzten romantischen Gefühle reduziert, weil die tragische Beziehung zu einem Mann das einzige sein kann, was Frauen zur Kunst antreibt.

Davon, dass der Film wieder einmal nur den Vornamen der Persönlichkeit trägt, von der er erzählt, fange ich erst gar nicht an, das Phänomen ist schon auf FILMLÖWIN mehrfach angesprochen worden, ebenso wie anlässlich genau dieses Films bei Seitenverkehrt auf Instagram. Ärgerlich ist daran, dass einerseits Emily mehrere Personen sein können – Emily Blackwell, Emily Carr oder Emily Lovira Gregory wären ebenfalls interessante Trägerinnen dieses Namens – und es andererseits der Persönlichkeit hinter dem Namen wenig Respekt zollt. Bei Filmen über Männer kommt diese despektierliche Fraternisierung, die auch als Herablassung verstanden werden kann, nicht vor – sogar der ganz gute THE CURRENT WAR, der den Wettlauf um die Elektrifizierung der USA zwischen Thomas Edison, George Westinghouse und Nicola Tesla zeigt, heißt unnötigerweise im Deutschen „Edison – Ein Leben voller Licht“. Warum dann nicht „Thomas, George und Nicola – Drei Typen geben Stoff“? Filme über bewundernswerte Frauen nur mit dem Vornamen zu betiteln, klingt wie die hessische Art, über Mädchen zu sprechen: „Ach, ’s Emily, die had’s fausddick hinner de Oohr’n!“

So gelungen EMILY also formal ist, als Film von einer Drehbuchautorin und Regisseurin fällt er mit diesen Kritikpunkten hinter die Erwartungen an ein feministisches Werk zurück.


EMILY deutscher Trailer

Mona Lisa and the Blood Moon

USA 2022, Regie: Ana Lily Amirpour, mit Jeon Jong-seo, Kate Hudson, Ed Skrein, Craig Robinson

Da steht sie, an die Theke gelehnt, mit allem, was echt ist. Kate Hudson agiert in MONA LISA AND THE BLOOD MOON mit einem grandiosen Vergnügen am playing against type: Das hübsche, zierliche Mädchen von nebenan ist zur Frau über 40 gewachsen, die sichtlich keine F*cks mehr zu geben hat. Das weiße Häkel-Croptop mit dem glitzernden Bikinioberteil darunter und die rosane Frottee-Shorts legen ihren mom bod frei und mein Herz hüpft vor Freude.

Ja, Bonnie Bell ist vielleicht ein Klischee, die Stripperin mit dem schrillen Make-Up, hinter dem wir ein Herz aus Gold vermuten, der wir sofort vertrauen sollen, weil sie eine Frau ist, arm und vulgär. Und sie ist nicht die Hauptfigur, nein, aber sie ist die weiße Frau über 40, mit einem Körper, der schon Leben hinter, aber auch noch in sich hat, und diese Frau ist eine, in der ich mich sehen kann, und deshalb muss ich mir diese Schwärmerei zuerst vom Herzen schreiben. Representation matters, auch für Frauen Ü40.


Die ehemals zuckersüße und noch heute sehr adrette Hudson als ‚white trash‘ zu besetzen, ist nur einer der Kniffe, derer sich Ana Lily Amirpour bedient, um das Spiel mit enttäuschten Erwartungen über den Plot hinaus zu erweitern, das sie mit MLATBM geschaffen hat. Jeon Jong-seo ist die koreanische Heldin, die die Figuren um sie herum, aber vielleicht auch wir im Publikum für zart und zerbrechlich halten, für fügsam und freundlich. Stattdessen ist sie wortkarg und barsch wie Clint Eastwood, wütend wie der Hulk und mit einem Willen ausgestattet, so eisern wie Tetsuo. Nachdem wir das wissen, machen wir uns vielleicht auch weniger Sorgen um sie als um Fuzz (Ed Skrein), den glattzüngigen Dealer/DJ, zu dem sie ins Auto steigt. Vielleicht will er ihr nichts Böses, vielleicht ist er tatsächlich ein zarter, weicher Mensch, der sich ad hoc in die mysteriöse Frau verliebt. Und vielleicht ist die Stripperin mit dem ‚goldenen Herzen‘ einfach eine, die eine gute Gelegenheit erkennt und jede davon ergreifen wird, um ihrem american dream näherzukommen.


Amirpour philosophiert in MLATBM über Manipulation – die aufrichtige, die Mona Lisa vornimmt, wenn sie Menschen mit ihrem Willen kontrolliert, und die gefährlichere, weil subtilere, die die anderen vornehmen, wenn sie mit freundlichen Worten ihr Vertrauen erwecken wollen und doch nicht ihr Bestes dabei im Sinn haben – und vor allem über Macht und Machtlosigkeit. Dabei blickt Amirpour mit unleugbar weiblichem Blick vor allem darauf, wie sich Ohnmacht in Gewalt verwandelt, wenn sich die Lage wendet.

MLATBM ist ein lakonischer Beitrag zum Superhelden-Genre, in dem das nächtliche New Orleans neben den Darstellern eine tragende Rolle spielt. Die Kamera ist nah an den Protagonist*innen – bei Kindern würde mensch das ‚distanzlos‘ nennen – und fährt unruhig durch die Sets, zwischen die Figuren und an sie heran; die von Neonlichtern durchschnittene Dunkelheit und die meist minimalistisch clickenden Dubstep-Beats (dazwischen nur einmal die wunderbar direkte Metal-Gewalt von HIGH ON FIRE) unter diesem intimen, organischen Framing machen die schweiß-klebrige Hitze spürbar. Amirpour schafft eine hyperreale Atmosphäre, in der die Frage nach dem Woher der Heldin und ihrer Kräfte überflüssig wird. Sie ist einfach.


alle Bilder/Video: ©Institution of Production, LLC

0% fair maiden, 100% heroine

Ich weiß, ich bin spät, aber Leben und suspendierte Blog-Tätigkeit. Da aber in den vergangenen Tagen so viele Abschiedsposts für Nichelle Nichols in meinen Streams erschienen, möchte ich nun doch auch einen kleinen, sicher nicht herausragenden Post über die Darstellerin der Lt. Uhura schreiben. Als Kind der TNG-Generation habe ich die Pandemie zum Anlass genommen, die (klassischen) Star Trek Serien vollständig zu verköstigen. Meine absolute Lieblingsszene mit Uhura ist die folgende, in der ihre Replik auf Sulus Bemerkung ihren Angaben nach improvisiert war:

https://youtu.be/KOjVqAcC2FM

Die Anwesenheit einer Schwarzen Frau, in einer prominenten arbeitenden Position, für die damaligen Verhältnisse „gleichwertig“ mit den weißen Männern in ihrer Umgebung, übte einen entscheidenden Einfluss auf Whoopi Goldberg aus:

Der YT-Kanal des Smithsonian Institute widmete ihr schon 2016 einen Clip, selbstverständlich auch mit dem Ausschnitt des damals skandalträchtigen Kusses zwischen ihr und Cpt. James T. Kirk (insgesamt eine sehr unangenehme und verstörende Episode, im Übrigen):

Die NASA betont in ihrem Nachruf ihre Bedeutung für den Ausbau der Diversität in ihren Reihen: Zehn Jahre nach dem Ende der Serie trat Nichols in einem Werbefilm für die NASA auf, um Frauen und Schwarze insbesondere einzuladen, sich bei der NASA zu bewerben. In der Ausbildungsklasse des Folgejahres waren Guion Bluford als erster Afroamerikaner und Sally Ride, die erste Frau im All, vertreten.

Go boldly, Lt. Uhura.

die eiskönigin 2

die eiskönigin 2, den ich gerade für die FILMLÖWIN sehen durfte, ist nicht der beste aller disney-filme, doch er ist auch keine enttäuschung. in dem ausnahmezustand, in dem wir uns mit der corona-krise derzeit befinden, bietet er auf immer noch hohem erzählerischen niveau eine ausflucht in eine märchenwelt, in der sich gesellschaftliche probleme mit den heroischen taten einzelner lösen lassen. für die kinder, die jetzt zu hause sind, die ihre freund:innen und großeltern für noch unbestimmte zeit nicht sehen dürfen und vielleicht ängste ausstehen aufgrund der unsicheren näheren zukunft, haben Jennifer Lee und Chris Buck einen moment der klarheit und verlässlichkeit geschaffen. kinder – und eltern – werden in dieser zeit vielleicht gerade vermehrt in diesen fantasien trost suchen und das ist in ordnung. wie olaf dieses menschliche verhalten im film beschreibt: “wir kontrollieren, was wir können, obwohl alles außer kontrolle ist.” 

aniara

für die FILMLÖWIN durfte ich aniara sehen und besprechen, der jetzt auf dvd/bd erschienen ist. ein philosophisches filmerlebnis, das mich zum teil mitgenommen und erschüttert hat.

(…) Schließlich treiben auch wir auf unserem Planeten ohne Kontrolle über die Reise durch ein unendliches Universum, einzig mit der Möglichkeit, unser Leben in dieser Zeit und in diesem Raum, mit den Menschen um uns, so zu gestalten, dass es für uns einen Sinn ergibt, der gleichzeitig mit uns selbst erlischt.

heaven‘s gate

Lieblingsszene

„Don’t you think a woman can love two men?”

“Sure you can! Or three. But it sure as hell isn‘t convenient!“

“I can manage.”

invisible sue

am donnerstag startet ein deutscher kinderfilm in den kinos, den ich allen kindern, jugendlichen und auch erwachsenen superheld:innen-fans ans herz legen möchte. invisible sue von markus dietrich bezieht sich optisch deutlich auf die comic-genese des superheld:innen-prinzips, hat sichtbaren spaß an dynamik und popkulturellen referenzen und macht ganz einfach mal das geschlecht seiner protagonist:innen (fast komplett) zu einem unwesentlichen charaktermerkmal. bei FILMLÖWIN habe ich mir drei gedanken zu dem film gemacht.

WEG MIT
§218!