Das US-amerikanische Militär hatte in der Gegend um Tucson, Arizona seit Mitte des 20. Jahrhunderts toxischen Müll seiner Flugzeugherstellung abgelassen, darunter Trichlorethen. Sunaura Taylor kam dort 1982 mit Arthrogryposis multiplex congenita auf die Welt, einer Gelenkversteifung meist der Extremitäten, die eine lebenslange körperliche Beeinträchtigung nach sich zieht. In Taylors Fall wird die Ursache in der Grundwasservergiftung mit Trichlorethen vermutet; ihre Eltern schlossen sich einer Sammelklage mehrerer betroffener Familien an, denen 1995 Recht und monetäre Entschädigung zugesprochen wurde.
Sunaura Taylor wuchs in einer Familie von Künstlern und Friedensaktivist*innen auf und begann mit zwölf Jahren zu malen(1). Sie wurde zu Hause beschult und war auch künstlerisch eine Autodidaktin, studierte jedoch später am Goddard College und an der University of California, Berkeley, wo sie ihren Bachelor of Arts machte.
Im März 2004 veröffentlichte die Monthly Review ein Essay von Taylor: The Right Not To Work: Power And Disability (Link Englisch). Sie spricht darin über das gesellschaftliche Phänomen, den ‚Wert‘ eines Menschen in seiner Produktivität zu bemessen, und welche Folgen dies für alle Menschen hat, insbesondere aber die, deren Körper nicht – ohne weiteres – für industrielle Produktivität eingesetzt werden können. Sie erläutert den Unterschied von impairment, am ehesten übersetzt mit ‚Beeinträchtigung‘, als die körperlichen Eigenschaften, die nicht der statistischen Norm entsprechen, und disability, Behinderung, als die soziale, kulturelle Folge einer Beeinträchtigung in unserer Welt; kurz, das soziale Modell von Behinderung, in der der Mensch beeinträchtigt ist, aber von der Umwelt behindert wird. Das Magazin druckte auch ihr Selfportrait with Trichlorethene (TCE) ab, auf dem sie sich selbst als Akt portraitiert. Das Bild und einige andere sind auf ihrer Galerieseite der Wynn Newhouse Awards (Link Englisch) zu sehen; sie war 2011 Empfängerin des Preises.
Ihre Schwester, Astra Taylor (Link Englisch), drehte 2008 den Dokumentarfilm Examined Life (Link Englisch), mit einem Segment, in dem sie ihre Schwester Sunaura bei einem Spaziergang mit Judith Butler begleitet. Die Künstlerin und die Philosophin sprechen auch hier über die gesellschftliche Wahrnehmung von Körpern, die normativen Erwartungen an Körper und die Bedrohung von Ausgrenzung und Gewalt, wenn Körper diesen gesellschaftlichen Erwartungen nicht entsprechen.
Segment aus Examined Life: Sunarua Taylor und Judith Butler im Gespräch (Englisch)
Taylor denkt darin auch laut über die Grenzen nach, wann Körper – gesellschaftlich betrachtet – als ‚menschlich‘ betrachtet werden, und wo die Grenze zwischen Mensch und Tier gezogen wird bzw. werden kann. Sie entwickelte diesen Gedanken weiter und formulierte 2009 ihre Begründung, warum sie als abolitionistische Veganerin lebt: Is it possible to be a conscientious meat eater? (Link Englisch) Sie argumentiert darin unter anderem, dass unsere Unterscheidung von Mensch und Tier auch auf den Fähigkeiten beruht, die wir Menschen, aber nicht Tieren zusprechen, dass aber etwa die Fähigkeit, sich eine Zukunft vorzustellen, oder ein Verständnis des eigenen Ichs zu haben, auch Säuglinge nicht aufweisen, wir diese aber dennoch nicht schlachten und essen. Sie weist auf die Überschneidungen zwischen dem Kampf für die Rechte behinderter Menschen und dem Kampf für Tierrechte hin, und darauf, dass Speziesismus Gemeinsamkeit hat mit der Diskriminierung aufgrund körperlicher Beeinträchtigung – wo Körper nicht einer normativer Erwartung an ‚Mensch‘ entspricht.
Sunaura Taylor unterrichtet inzwischen als Assistenzprofessorin an der University of California, Berkeley. Sie ist aktiv in der Society for Disability Studies, 2017 brachte sie das Buch Beasts Of Burden heraus, eine ausführliche philosophische Auseinandersetzung mit den Gedanken, die sie im obigen Artikel begonnen hatte.
Personas transexuales en la sociedad /15 de enero del 2014 Guayaquil – Ecuador / Lissette Quezada / EXPRESO By Casitti – Own work, Public Domain
Diane Rodríguez floh mit 16 Jahren aus ihrem Elternhaus und arbeitete zunächst als Prostituierte in Guayaquil. Schon früh begann sie jedoch auch, sich in verschiedenen ecuadorianischen Organisationen für die Rechte Homosexueller einzusetzen. Eine Initiative namens „Future Community„, die sich besonders mit Geschlechtsidentität in Abgrenzung zur sexuellen Orientierung befasste, scheiterte leider 2006 nach sechs Monaten an ‚gaytriarchy‚, wie Rodríguez es später nennen sollte.
Rodríguez studierte schließlich Psychologie und arbeitete zur Finanzierung ihres Studiums in Hotels. Nachdem sie zum wiederholten Mal aus einer Stelle entlassen wurde – sie war am Tag zuvor als Frau auf einer öffentlichen Veranstaltung für die Rechte Homosexueller aufgetreten, während sie im Hotel als Mann beschäftigt wurde – klagte sie gegen ihren Arbeitgeber wegen Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. In Ecuador war schon 1998 ein Gesetz gegen die Diskriminierung von Homosexuellen erlassen worden (das jedoch noch nicht unterschiedliche Geschlechtsidentitäten berücksichtigte), doch Rodríguez‘ Fall stellte einen Präzendenzfall dar als darauf basierende Klage einer Privatperson gegen ein Unternehmen. Ihr Ziel war die Wiedereinstellung – als Frau. Dem stand entgegen, dass es ihr nicht möglich war, ihren Namen und Personenstand zu ändern, obwohl sie inzwischen als Frau lebte. Aufgrund dieses Missstandes startete Rodríguez die Kampagne „Frauennamen für Frauen“ und stritt juristisch um die Möglichkeit, ihre persönlichen Daten der Realität anpassen zu dürfen. In dieser Zeit gründete sie auch ihre Organisation für die Rechte von trans*gender Personen Silueta X (Link Spanisch). Ihr wurde in der zweiten Instanz Recht gegeben, und so erhielt Ecuador 2009 eine Gesetzesänderung, die es trans* und inter* Personen ermöglichte, ihren Namen und den Geschlechtseintrag in ihren Daten ändern zu lassen.
Da es sich abzeichnete, wie erfolgreich sie politisch arbeitete, stellte sie sich 2013 als erste trans* Person zur Wahl in die ecuadorianische Nationalversammlung. In diesem Jahr wurde sie noch nicht gewählt, doch der damalige ecuadorianische Präsident Rafael Correa zeigte sich auf Twitter offen bewundernd für ihre Tätigkeit; später folgte daraus sogar ein öffentliches Treffen von Rodríguez mit dem Präsidenten, das einen großen Schritt für die Sichtbarkeit von trans* Personen in Ecuador bedeutete.
International wurde auch die Elternschaft ihres ersten Kindes beachtet, das ihr Ehemann, Fernando Machado, 2015 austrug; 2017 schließlich wurde sie als erste trans* Person in die Nationalversammlung gewählt.
Ihre Motiviation, sich für die Rechte ihrer trans* Mitmenschen einzusetzen, erklärt sie mit ihrer eigenen Erfahrung: Sie habe sich früher selbst für einen schwulen Mann gehalten, weil sie nicht wusste, dass es trans*gender Personen gibt – doch in der Gemeinschaft der schwulen Männer fühlte sie sich auch nicht ‚richtig‘, da ihr Erleben der eigenen Identität und der sexuellen Anziehung zu Männern anders war als das schwuler Männer. Ihr Ziel war und ist es, die Existenz von trans* Personen sichtbar zu machen und soziale Akzeptanz zu erreichen – und zwar soweit, dass diese ein völlig normales Leben führen können, ohne in der Gesellschaft etwas Außergewöhnliches zu sein(3). Sie setzt sich jedoch auch allgemein gegen Diskriminierung und für Menschenrechte ein, so auch für Frauenrechte wie für die Rechte ecuadorianischer Indigener und Afro-Ecuadorianer.
Ihre Klage auf Wiedereinstellung im Hotel wurde nie abgeschlossen. Ihr Studium der Psychologie hat sie erfolgreich abgeschlossen.
Ich entschuldige mich für alle Unklarheiten in der Chronologie oder der Sprache. Der deutsche Beitrag auf Wikipedia ist sehr kurz und der englische leider eine enthusiastische, aber sprachlich schwache Übersetzung des spanischen Beitrags. Mein Spanisch ist schlecht und eingerostet.
Front Line Defenders: Diane Rodríguez Vorstellung als Finalistin für den FLD Award 2015
By Bettye Lane – Original publication: Schlesinger Library Immediate source: Making Gay History, Fair use
Jean O’Leary wuchs in Cleveland auf, sie war als Kind das, was als „tomboy“ bezeichnet wird und verliebte sich schon in der dritten Klasse in Mädchen (1). Kaum hatte sie die Highschool abgeschlossen, begann sie ein Noviziat bei den Sisters of the Humility of Mary – sie hatte in ihrer Jugend auch Verabredungen mit Jungen und floh vor einem Heiratsantrag in die Schwesternschaft(1). Nach etwa sechs Monaten dort hatte sie ihr eigenes Coming Out und äußerte dies auch im Gespräch mit dem ansässigen Priester und Psychologen, der es jedoch nicht weiter ernstnahm (2).
Mit 23 Jahren machte sie einen Abschluss in Psychologie an der Cleveland State University und verließ das Konvent, um nach New York City zu gehen. Dort studierte sie auf einen Doktorgrad hin Organisationsentwicklung an der Yeshiva University und begann, sich in der Gay Activists Alliance (Link Englisch) für die Rechte von Homosexuellen einzusetzen. Im Folgejahr 1972 verließ sie die GAA wieder, weil sie die Organisation als zu sehr von Männern dominiert empfand; als Gegenentwurf dazu gründete sie mit anderen die Lesbian Feminist Liberation (Link Englisch).
Die GAA selbst war von Dissidenten der Gay Liberation Front gegründet worden, die sich von den anderweitigen politischen Haltungen absetzen wollten: GLF war eine alliierte Organisation der Black Panther Party und vertrat eine hart linke, anti-kapitalistische Position, GAA wollte sich hingegen auf die Rechte Homosexueller konzentrieren, um den Widerstand gegen ihre Ziele zu minimieren. Jean O’Learys Lesbian Feminist Liberation war eine der ersten lesbischen Aktivistinnengruppen der Frauenbewegung.
Als Vertreterin der LFL war sie an einem Vorfall am Christopher Street Liberation Day 1973 beteiligt, bei dem sie eine Haltung vertrat, die sie später revidierte. An der Bühnenshow dieser frühen Pride Parade waren auch mehrere Drag Queens beteiligt; dies wurde von einigen Radikalfeministinnen kritisch gesehen. Sie verteilten Flugblätter, die diese Kritik beinhalteten, als Reaktion darauf ergriff eine der Drag Queens, Sylvia Rivera, das Mikrofon und wies darauf hin, dass es sie und ihre Gruppe waren, die bei den Stonewall-Unruhen gekämpft hatten, verprügelt und verhaftet worden waren und weitere soziale Konsequenzen erlitten hatten – und somit die Veranstaltung und die gesellschaftliche Akzeptanz von Homosexuellen, auch Lesben, ermöglicht hatten. Sie wies klar auf die anderen Diskriminationsebenen hin, die darin deutlich wurden: „[…] Die Menschen, die versuchen, etwas für uns alle zu tun und nicht nur für Männer und Frauen, die zu einem weißen Klub der Mittelklasse gehören. Und das ist, wo ihr alle hingehört.“ (2; Übersetzung meine)
Als Antwort darauf verlas O’Leary eine Erklärung, an der sie mit anderen nach eigener Aussage(2) die ganze Nacht gesessen hatte, in der sie erklärte, sie (die LFL) unterstützten jede Person, sich zu kleiden, wie sie oder er wolle; sie seien jedoch gegen die Ausbeutung von Frauen für Unterhaltung oder Profit. Sie unterstellte, Männer, die sich wie Frauen anziehen, seien eine Beleidigung von Frauen. „Männer haben uns unser ganzes Leben lang gesagt, wer wir sind. […] Wogegen wir heute Einspruch erheben, ist ein weiterer Fall, bei dem Männer untereinander lachen über etwas, was sie als Frauen darstellen, womit sie uns sagen, was sie denken, wer wir sind. Wir wollen es nicht wissen.“ (2; Übersetzung meine)
O’Leary verließ die Bühne direkt nach ihrer Erklärung, Sylvia Rivera und eine andere Drag Queen, Lee Brewster (Link Englisch), eroberten sich erneut das Mikrofon und riefen: „Ihr könnt alle in Bars gehen wegen etwas, das Drag Queens für euch getan haben, und diese bitches sagen uns, wir sollen aufhören, wir selbst zu sein?!“ (Wiki; Übersetzung meine) Es gab verbale und körperliche Auseinandersetzungen in der Menge der Anwesenden und die Situation drohte zu eskalieren, bis Bette Midler die Bühne betrat und begann, ihren Song „Friends“ zu singen.
Dazu, wie Jean O’Leary diesen Austausch fast zwanzig Jahre später in Kontext setzt und ihre Meinung änderte, später mehr.
Zunächst einmal trat sie 1974 der National Gay Task Force (heute National LGBTQ Task Force, Link Englisch) bei und wurde, nachdem sie Gender- bzw. Geschlechterausgleich in der Führung ausgehandelt hatte, stellvertretende Leiterin, 1976 bis 1979 leitete sie die Task Force. In dieser Funktion gelang es ihr, 1977 das erste Meeting von Aktivist*innen für Homosexuellenrechte mit einer Regierungsvertreterin im Weißen Haus zu veranlassen: Midge Constanza (Link Englisch) war als Verantwortliche für Public Relations mit Jimmy Carter in den Regierungspalast gezogen, außerdem war sie – als nicht geoutete Homosexuelle(3) – zu der Zeit O’Learys Freundin. Dieses Meeting war nicht nur eine Mediensensation – die homosexuellenfeindliche Kampagne Save Our Children (Link Englisch) der Popmusikerin Anita Bryant befand sich zeitgleich auf ihrem Höhepunkt –, sie war aus O’Learys Sicht auch ein voller Erfolg, weil es den Aktivist*innen Gehör verschaffte, Homosexualität in der Öffentlichkeit normalisierte und auch politische Konsequenzen zur Folge hatte(3).
In den frühen 1980er Jahren war O’Leary besonders aktiv im Aufbau der National Gay Rights Advocates, die sich juristisch aggressiv für die menschenwürdige Versorgung von HIV/AIDS-Patienten einsetzte.
1988 begründete Jean O’Leary gemeinsam mit Rob Eichberg den (National) Coming Out Day, der inzwischen in mehreren Ländern rund um die Welt – und international in den Sozialen Medien – begangen wird.
Im Gespräch mit Eric Marcus von Making Gay History 1989(2) blickt Jean O’Leary mit Unbehagen auf ihre Position gegenüber Drag Queens auf dem Christopher Street Liberation Day zurück. Sie erklärt, dass sie eine Reaktion auf den auch in der Homosexuellenszene stark ausgeprägten Sexismus gegenüber Frauen war – dass Frauen wie Mütter, Liebhaberinnen und Schwestern behandelt wurden, aber ihnen verantwortungsvolle Positionen in Organisationen bewusst verweigert wurden. Dabei sollte es deutlicher werden, dass gay, homosexuell, nicht nur schwul meinte – dass Lesben ebenso und mehr um Sichtbarkeit in der Gesellschaft, aber auch in der eigenen Gruppe kämpften. Außerdem beinhaltete die Darstellung von Frauen, die Drag Queens abgaben, genau die Elemente, insbesondere der Kleidung, gegen die die Feministinnen sich auflehnten als Instrumente der körperlichen Restriktion: Strapsgürtel, Korsette, Strumpfhosen, Büstenhalter.
Schon wenige Jahre nach dem Zwischenfall, als sie wegen einer Konterkampagne gegen Save Our Children auch häufiger in Miami-Dade County, Florida, weilte, habe sie meist in einem Hotel gewohnt, in dem viele Transvestiten und transgender Menschen lebten, und im Austausch mit ihnen habe sie einiges besser verstanden. (Sie erwähnt auch, dass sie mit dem Alter milder geworden wäre, was politische Korrektheit angehe, dass sie es sogar schwerer fände, exakte politische Korrektheit zu tolerieren. Aber dass sie auch wisse, dass sie Geduld mit den nachkommenden Aktivist*innen haben müsse, weil sie selbst durch diese strenge Phase hindurchgegangen sei – und sie wisse, dass es ein Prozess ist.)(2)
„Wie konnte ich daran arbeiten, Transvestiten auszuschließen und gleichzeitig Feministinnen kritisieren, die damals ihr Bestes gaben, um Lesben auszuschließen?“, fragt sie(2) und nimmt darauf Bezug, dass es in der National Organization for Women Bestrebungen gab, die lesbischen Mitglieder und die Homosexuellenbewegung innerhalb des Feminismus zu verheimlichen oder auszuklammern. Betty Friedan, 1969 Präsidentin der NOW und Befürworterin davon, Männer am Emanzipationsprozess zu beteiligen, bezeichnete die lesbischen Feministinnen als Lavender Menace: Eine Bedrohung für die Sache des Feminismus, wenn er als Anliegen von ’stereotypen Mann-Weibern und Männerhasserinnen‘ wahrgenommen würde. Die Verleugnung lesbischer Aktivistinnen in der NOW ging soweit, dass die Daughters of Bilitis aus der Sponsorenliste eines erste Kongresses 1969 gestrichen wurden – daraufhin verließen mehrere Mitglieder geschlossen die NOW und protestierten auf dem zweiten Kongress, wofür sie vom Publikum vor allem Zustimmung ernteten.
Von diesem Ausschluss von Lesben aus der Frauenrechtsbewegung war schließlich auch O’Leary betroffen; rückblickend sah sie es wohl als kontraproduktiv, sich im Aktivismus für Frauen- und LGBTQ+Rechte gegenseitig abzulehnen. Dreißig Jahre nach ihren Gesprächen mit Eric Marcus versucht nun der Intersektionale Feminismus, diese Unterschiede zu umschließen und die gemeinsame Arbeit gegen ein unterdrückendes, patriarchales System zu konzentrieren. Vielleicht konnte Jean O’Leary die Anfänge dieser umfassenden Bewegung noch miterleben: Sie starb 2005 57-jährig an Lungenkrebs.
Als Malvika Iyer dreizehn Jahre alt war, fand sie vor ihrem Haus in Bikaner, Rajastan, eine vermeintlich entschärfte Handgranate. Bei der Explosion verlor sie beide Hände und erlitt schwere Verletzungen an den Beinen. Sie verbrachte achtzehn Monate in einem Krankenhaus in Chennai, Tamil Nadu, nahe ihrer Geburtstadt Kumbakonam. Nach zahlreichen Operationen erhielt sie ihre Handprothesen und begann auch wieder, mit der Hilfe von Krücken, zu laufen.
Da sie die Schule regulär nicht besuchen konnte, schrieb sie sich in Chennai privat für die Abschlussprüfung nach der 10. Klasse, das Secondary School Leaving Certificate, ein. Sie legte die Prüfung mit Hilfe eines Schreibassistenten ab und bestand als eine der Besten ihres Bundesstaates. Ihre Geschichte erregte Aufmerksamkeit, so sehr, dass sie vom damaligen Präsidenten Indiens, APJ Abdul Kalam, in den Regierungspalast Rashtrapati Bhavan eingeladen wurde.
Mit dem Schulabschluss in der Tasche, zog Iyer nach Neu-Delhi und studierte zunächst Wirtschaftskunde, danach Sozialarbeit. Sie machte ihren Master of Social Work und anschließend ihren M.Phil im selben Fach. Sie erhielt den Rolling Cup für die beste Masterabschlussarbeit 2012.
Im Folgejahr wurde die 24-jährige eingeladen, in Chennai einen Vortrag für TEDxYouth in Chennai zu halten, bei dem das Video unten entstand. Sie erzählt von ihrem Werdegang und betont, wie wichtig es sei, bei ihrer schulischen Karriere unterstützt worden zu sein.
Malvika Iyer für TEDxYouth „Inclusion starts from within“
Nach diesem TED-Talk beschloss Iyer, eine Karriere als öffentliche Rednerin zu beginnen. Es folgten Reden unter anderem vor den Vereinten Nationen in New York und dem IIM Khozikode (Link englisch), Iyers Hauptthema dabei blieb die Inklusion von Menschen mit Behinderung. Sie führt außerdem Sensibilisierungskurse an Schulen, Universitäten, Nichtregierungsorganisationen und Jugendeinrichtungen durch; sie moderierte auch den India Inclusion Summit. Neben der Inklusion setzt sie sich für Body Positivity und ‚accessible fashion‘ ein, also Mode, die auf die Bedürfnisse von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen eingeht. So trat sie auch schon als Modell bei Modenschauen indischer Hochschulen und Organisationen auf. 2016 erhielt sie für ihren Beitrag zur Ermächtigung von Frauen den Women in the World (Link englisch) Emerging Leaders Award, 2018 erhielt sie den höchsten Bürgerorden Indiens, den Nari Shakti Puraskar des Ministeriums für Frauen und Kinder.
Dr. Malvika Iyer hat eine eigene Webseite und ist in den Sozialen Medien aktiv; sie arbeitet weiterhin in ihrer Tätigkeit als öffentliche Sprecherin für Inklusion.
Ich hätte gerne länger über Jean Bartik geschrieben, aber abgesehen von den Feiertagen hat es nun einige Umstände gegeben, die mir sowohl Zeit wie Motivation genommen haben. Deshalb werden die letzten beiden Beiträge dieses Jahres nur so kurz wie möglich ausfallen.
1946, bei der Eheschließung mit dem Ingenieu William Bartik, legte sie sowohl ihren vorherigen Rufnamen `Betty´ab wie ihren Nachnamen und trat danach stets als Jean Bartik in Erscheinung. Sie war eine der Programmiererinnen, die auch nach dem Umzug des ENIAC auf den Aberdeen Proving Ground bei dem Projekt verblieb.
Sie machte später einen Abschluss in Englisch und ließ sich von ihrem Mann scheiden, arbeitete jedoch zeitlebens in der Computerbranche. Erst in den 1990er Jahren erfuhren die Programmiererinnen des ENIAC öffentliche Anerkennung für ihre Leistungen.
Jean Bartik starb am 23. März 2011 mit 86 Jahren. Im Jahr vor ihrem Tod hatte sie noch an einem Dokumentarfilm mitgewirkt und ihre Biografie vollendet.
26. Dezember 1780: Mary Somerville Aufgrund einer mangelhaften Schulbildung musste sich diese Autodidaktin ihre Kenntnisse der Astronomie und Mathematik selbst erarbeiten; dies gelang ihr jedoch so gut, dass sie bald die Anerkennung der Wissenschaft und der Allgemeinheit erlangte.
2012 wurde Peiris gemeinsam mit dem WMAP-Team mit dem Gruber-Preis für Kosmologie ausgezeichnet. Stephen Hawking nannte die Erkenntnisse, zu denen Peiris unter anderem beitrug, „die aufregendste Entwicklung in der Physik seiner gesamten Karriere“.
Hiranya Peiris zeigte sich 2014 skeptisch, was die mögliche Entdeckung von Gravitationswellen des Urknalls angeht, und sollte Recht behalten: Innerhalb des folgenden Jahres stellte sich heraus, dass die Daten, die als solche gedeutet wurden, sämtlich auf Staub in unserer eigenen Galaxie zurückzuführen waren.
Mary Kenneth Keller kam in Cleveland, Ohio (USA) zur Welt. Mit 19 Jahren trat sie dem katholischen Orden der Sisters of Charity of the Blessed Virgin Mary (B.V.M., Link Englisch) bei, acht Jahre später legte sie dort ihr Gelübde als Ordensschwester nieder. Anders als Nonnen leben Ordensschwestern nicht unbedingt in `päpstlicher Klausur´, und so nahm Sister Mary Kenneth Keller, B.V.M., anschließend das Studium der Mathematik an der DePaul University auf, einer katholischen Universität, an der die Ordensschwestern der B.V.M. schon seit dem Anfang des Jahrhunderts auch unterrichteten.
Sister Mary machte dort 1943 mit 30 Jahren ihren BSc in Mathematik und zehn Jahre später ihren MSc in Mathematik und Physik. Anschließend arbeitete sie als Doktorandin an verschiedenen Universitäten, und als solche war sie 1958 auch am Dartmouth College tätig. Sie war dort die erste Frau, die im Informatikzentrum der National Science Foundation angestellt wurde. Mary Kenneth Keller war hier eine der Informatiker:innen, die die neue ProgrammierspracheBASIC schrieben, gemeinsam mit John G. Kemeny und Thomas E. Kurtz. Typischerweise kommt ihr Name nicht in allen Text diesbezüglich vor. BASIC – Beginner’s All-purpose Symbolic Instruction Code (Allseitig verwendbarer symbolischer Befehlscode für Anfänger) – sollte den Elektrotechnikstudenten am College den Einstieg in die Programmierung erleichtern, bevor sie sich mit komplexeren Sprachen wie FORTRAN befassen mussten.
Ihren Doktortitel errang Sister Mary schließlich an der University of Wisconsin-Madison, mit einer Dissertation über computergenerierte Muster, die sie von FORTRAN per `induktiver Schlussfolgerung´wiederum auslesen ließ. „Zum ersten Mal können wir das menschliche Denken mechanisch nachahmen“, schrieb Keller dazu.
Nachdem sie ihre Promotion abgeschlossen hatte, ging sie als Professorin an das College des B.V.M., heute Clarke University (Link Englisch) und gründete dort den Fachbereich Informatik. Ihr ehemaliger Arbeitgeber, die National Sceince Foundation, stiftete über den Zeitraum von zwei Jahren insgesamt $25.000, um den Fachbereich mit Technik auszustatten. Keller stand der Fakultät für die folgenden zwanzig Jahre vor und ermutigte insbesondere Studentinnen, sich mit Computern und Informatik vertraut zu machen. Außerdem schrieb sie vier Bücher über Themen der Informatik und unterstützte die Gründung derAssociation Supporting Computer Users in Education (ASCUE, Link Englisch) als Vorstandsmitglied.
Sister Mary Kenneth Keller starb am 10. Januar 1985 mit 71 Jahren.
Der Podcast Nevertheless widmet ihr eine eigene Folge.
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Ebenfalls diese Woche
16. Dezember 1817: Elizabeth Carne (Link Englisch) Zunächst Geologin, Conchologin (Muschelforscherin) und Naturphilosophin, wurde die Britin nach dem Tode ihres Vaters auch noch Bankerin. Ihre Erkenntnisse sind heute am ehesten dem Bereich der Humanökologie zuzuordnen, die das Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt untersucht.
18. Dezember 1922: Esther Lederberg Die Mikrobiologin entdeckte 1950 den Lambda-Phagen, ein Virus, das das Bakterium Escherichia coli als Wirt nutzt. Diese Entdeckung sollte später in der Gentechnik von bedeutender Wichtigkeit sein. Als Ehefrau eines Kollegen wurde jedoch auch Lederberg zum Opfer des Matilda-Effekt.
Auf Sri Lanka geboren, ging Asha de Vos zur Schule in Colombo, der Hauptstadt des Landes. Ihre Eltern brachten ihr oft ausgelesene National Geographic Magazine mit, die sie mit Begeisterung las; sie entwickelte dabei ihren Traum von einer Abenteuer-Wissenschaftskarriere.
Sie machte ihren Schulabschluss am Ladies‘ College in Colombo und ging anschließend nach Schottland, wo sie an der University of St. AndrewsMeeres– und Umweltbiologie studierte. Ihren MSc in Biowissenschaften schloss sie jedoch an der University of Oxford ab, danach setzt sie ihr Studium bis zum Doktortitel an der University of Western Australia fort. Sie war die erste Person aus Sri Lanka mit einem Doktortitel in der Erforschung von Meeressäugern.
Bei der Weltnaturschutzunion (International Union for Conversation of Nature, IUCN) war de Vos Programmleiterin in der Meeres- und Küsteneinheit. Mit dem Blauwalprojekt, das sie 2008 auf Sri Lanka gründete, führte sie die erste Langzeitstudie über Blauwale im nördlichen Indischen Ozean durch; dabei entdeckte sie eine Population von Blauwalen, die nicht wie erwartet wanderte, sondern dauerhaft in den Küstengewässern Sri Lankas verblieb. De Vos‘ Forschungseinsatz ist es zu verdanken, dass die Internationale Walfangskommission die Blauwale vor Sri Lanka als besonders schützenswert anerkannt hat.
De Vos ist eine Kritikerin der `Fallschirm-Wissenschaft´, bei der ihre Kollegen aus dem globalen Norden in den Ländern des globalen Südens forschen und anschließend in ihre Heimat zurückkehren, ohne die im Forschungsgebiet lebende Bevölkerung einzubinden, sie zu bilden oder anderweitig in Schutzeinrichtungen zu investieren. Diese Praxis sei unhaltbar und behindere die Maßnahmen für den Erhalt der Umwelt.
Sie ist TED Senior Fellow und hat für ihre Arbeit zahlreiche Auszeichnungen erhalten. 2018 wurde sie in die BBC 100 Women aufgenommen. Ihre Position zu Frauen in der Wissenschaft: Sie sollten sich über ihre Fähigkeiten mehr denn über ihr Geschlecht definieren. (Quelle: National Geographic)
Die Kenianerin machte 1998 an der University of Nairobiihren BSc in Zoologie, gefolgt vom MSc in Hydrobiologie an der selben Hochschule. An der Universität Montpellier II setzte sie 2004 einen MSc und 2007 den Doktortitel in Ökologischer und Evolutionärer Biologie (Link Englisch) nach, einem Fach, das sich mit den Beziehungen von Organismen untereinander sowie ihren Reaktionen auf Veränderungen in der Umwelt befasst. Ihr Studium in Montpellier absolvierte sie dank eines Stipendiums der französischen Regierung.
2013 veröffentlichte sie das erste Bestimmungsbuch für Süßwasserfische in Kenia. Ihr Forschungsgebiet während des Studiums war die morphologische (das Aussehen betreffend) und genetische Diversität der Nil-Buntbarsche.
Über beide Frauen von der timeline of women in science, die diese Woche Geburtstag haben, habe ich bereits geschrieben. Es ist eine Woche der Informatikerinnen.
9. Dezember 1906: Grace Hopper Über die Programmiererin des ersten Compilers schrieb ich im ersten Jahr dieses Blogs, 2012.