Lilli Vincenz kam in Hamburg zur Welt, ihr Vater starb zwei Jahre später. Als sie zwölf war, heiratete ihre Mutter einen US-Amerikaner und emigrierte mit ihm in die USA.
Mit 22 Jahren machte sie ihren Bachelor in Französisch und Deutsch, ein Jahr später den Master in Englisch an der Columbia University. Danach schrieb sie sich im Women’s Army Corps ein, der damaligen Frauenabteilung der United States Army (inzwischen in den Corps integriert) und arbeitete am Walter-Reed Militärkrankenhaus. Sie wurde jedoch für ihre Homosexualität denunziert und nach nur neun Monaten Dienst entlassen.(1,2)
1963 wurde sie das erste weibliche, lesbische Mitglied der Mattachine Society. Sie war die einzige offen lebende lesbische Frau, die an der zweiten Demonstration der Homosexuellen-Bewegung vor dem Weißen Haus 1965 teilnahm, als eine von zehn Demonstrant*innen. Diese picket lines wiederholte die Mattachine Society bis 1969 jährlich am 4. Juli vor der Independence Hall und der Liberty Bell in Philadelphia – diese öffentlichen Auftritte gelten als der Beginn der modernen LGBTQIA+-Bewegung. Die Annual Reminders (Link Englisch) endeten nach den Stonewall riots oder wurden vielmehr im Folgejahr durch die Demonstrationen in deren Gedenken, später Pride Parade oder Christopher Street Day, ersetzt. Vincenz erschien 1966 mit ihrem Namen auf dem Titelbild des lesbischen Magazins The Ladder und war damit die erste Frau, die sich so outete; sie arbeitete auch als Redakteurin des Rundbriefs der Society. 1969 gründete sie gemeinsam mit Nancy Tucker eine unabhängige Zeitschrift der Homosexuellen-Bewegung, die Gay Blade, die noch immer als Washington Blade erscheint.
In den 1970ern trat Lilli Vincenz immer wieder als politisch aktive, lesbische Frau öffentlich in Erscheinung; so sprach 1970 sie gemeinsam mit Barbara Gittings über die Forderungen der Homosexuellen-Bewegung in derPhil Donahue Show, 1971 diskutierte sie Stereotype und Vorurteile gegenüber Lesben mit sechs anderen Frauen, darunter wiederum Barbara Gittings, in der David Susskind Show. Sie unterstützte Frank Kamenys Kampagne, als dieser 1971 als erster offen schwuler Mann für den District of Columbia für den Kongress der Vereinigten Staaten kandidierte und engagierte sich mit ihm im Folgejahr in der Spendensammlung für die Kampagne Gay Citizens for McGovern.
Ebenfalls in den gesamten 1970ern führte Lilli Vincenz bei sich zuhause ein Open House für lesbische Frauen, womit sie einen sicheren Raum bot, in dem sich die Frauen austauschen, vernetzen und unterstützen konnten. Aus dieser Institution wurde die Gay Women’s Alternative (Link Englisch), die als kulturelle und soziale Einrichtung noch bis 1993 Bestand hatte.
1990, mit 63 Jahren, machte sie noch ihren Doktortitel in Human Development (vermutlich: Bildungsforschung?). Sie starb erst in diesem Jahr am 27. Juli mit 86 Jahren.
Neben all diesen Errungenschaften als Aktivistin der Lesbenbewegung war sie auch, laut Kay Tobin-Lahusen, die erste lesbische Videofilmerin(2). Wir verdanken ihr die Eindrücke, die heute noch in der Library of Congress von den Annual Reminders und der ersten Pride Parade, ein Jahr nach Stonewall, erzählen.
Wie so viele, und doch mehr als andere, ist Annie Sprinkles Biografie zwar interessant, doch viel spannender, auch komplexer und wichtiger ist mir das, was sie (in meinem Jahr der intersektionalen Aktivistys) repräsentiert. Sie ist die einzige Vertreterin in meinem Jahresplan – soweit ich das bis jetzt absehen kann – des Aktivismus für sexworkers, also meine einzige ‚Chance‘, in diesem Rahmen darüber zu sprechen und meine Position dazu festzuhalten (in Kürze: Betroffenen zuhören und im Diskurs Priorität einräumen, sexwork is work).
Wie kann ich mir aber dem Ausmaß und der Komplexität des Themas anders annähern als häppchenweise, vor dem Hintergrund meiner persönlichen beruflichen und familiären Lage (die Sommerferien stehen zum Zeitpunkt, zu dem ich dies schreibe, ins Haus und was an Lohnarbeit da ist, muss um den Urlaub herum erledigt werden). Kleiner Hinweis noch mal darauf, dass ich dieses Blog seit nunmehr elf Jahren alleine zum ‚Privatvergnügen‘ betreibe und doch vor dem Tribunal der Öffentlichkeit bestehen können möchte.
CN: Pornografie, Sexarbeit
Geboren wurde Annie Sprinkle in Philadelphia, Pennsylvania, als Ellen F. Steinberg, als Tochter eines russisch-polnisch-jüdischen Elternpaares. Als sie fünf Jahre alt war, zog die Familie nach Los Angeles, Kalifornien, und zwischen ihrem 13. und 17. Lebensjahr lebten sie in Panama. Als Ellen/Annie 18 war, arbeitete sie in Tucson, Arizona, als Kartenverkäuferin in einem Kino. Es war 1972 und der Film Deep Throat lief über die US-amerikanischen Leinwände. Der Film selbst wäre einen ausführlichen Text wert – auf der einen Seite gilt er als der Startschuss für den porno chic der 1970er Jahre, als erstes Beispiel für narrative Pornografie – und nebenbei als profitabelster Film aller Zeiten. Auf der anderen Seite steht er in der Kritik, dass Hauptdarstellerin Linda Lovelace die gezeigten sexuellen Handlungen nicht aus freien Stücken vollzog, sondern von ihrem Ehemann mit Gewalt bedroht und gezwungen wurde – und nebenbei die Produktion von der Mafia finanziert wurde, sein Erfolg auf dem mafioösen Netzwerk in den USA aufbaute und ein Großteil seiner Einnahmen auch zurück in die Taschen der Mafia floss.
Wie dem auch sei, ‚Deep Throat‚ lief in dem Kino, in dem Steinberg/Sprinkle als Kartenverkäuferin arbeitete, und wurde dort von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Sie wurde als Zeugin beim Prozess gegen den Regisseur Gerard Damiano geladen und verliebte sich während des Prozesses in ihn. Nach dem Prozess ging sie als seine Geliebte mit ihm nach New York und begann kurz darauf selbst als Pornodarstellerin zu arbeiten. Annie Sprinkle war zunächst ein Pseudonym – eine ‚Eingebung der Göttin‘, wie sie es nennt – heute ist es ihr eingetragener Name. Bis zur Mitte der 1970er Jahre spielte sie in über hundert Pornofilmen mit und war auch als Prostituierte tätig. Ihre Arbeit als Sexarbeiterin veränderte sich 1978 grundlegend, als sie den Fluxus-Künstler Willem de Ridder (Link Englisch) kennenlernte(1); er forderte sie auf, alles, was sie tat, als Kunst aufzufassen. Diesen Wandel der eigenen Auffassung vom Objekt (der Begierde und der Blicke des Zuschauers) zum Subjekt (der sexuellen und künstlerischen Handlungen) wird der Beginn des ‚post-porn movements‚ betrachtet.*
Sie lebte einige Zeit mit de Ridder in Italien. Als sie in die USA zurückkehrte, begann sie, als Burlesque-Künstlerin zu arbeiten(2), dabei nahmen ihre Auftritte bald Züge der Performancekunst an, indem sie Anekdoten erzählte und mit dem (meist männlichen, oft masturbierenden) Publikum interagierte.(2) Sie begann auch, die Rollen hinter der Kamera von Porno-Produktionen einzunehmen, dabei entwickelte sie einen satirischen, selbstreflexiven Stil, mit dem ihre Werke großen Erfolg hatte. Der selbst-betitelte ‚Deep Inside Annie Sprinkle‚ etwa, den sie gemeinsam mit Joseph W. Sarno drehte, spielte das zweitbeste Ergebnis des Porno-Genres im Jahr 1981 ein. Aus der Idee zu diesem Film – und einer Gruppierung namens ‚Club 90‚, in der sich Pornodarstellerinnen regelmäßig zum Austausch trafen – entstand 1984 das Bühnenstück ‚Deep Inside Porn Stars‚. Darin kommen Sprinkle und andere Pornodarstellerinnen in einem Nachbau von Sprinkles Wohnzimmer zusammen und unterhalten sich; dabei werden Bilder aus ihrem Leben erzählt. Jede auftretende Frau wechselte zuerst aus ihrem ‚Darstellerinnen‘-Outfit in ihre ’normale‘ Kleidung, Sprinkle bietet jeder Tee und Kekse an, und das Baby einer der Darstellerinnen ist auf der Bühne anwesend. Die Grenzen zwischen der Porno-Persona und der realen Person dahinter verschwimmen, wodurch sich notgedrungen auch die Dichotomie vom ‚guten‘, ‚anständigen‘ Mädchen und dem ’schlechten‘, ‚gefallenen‘ Mädchen auflöst. Sprinkles eigenes Stück ‚Post Porn Modernist‚ war eine Weiterentwicklung dieser Performance, vor allem aber brachte es ihr eine Einladung des Theaterregisseurs Richard Schechner zu seinem ‚Prometheus Project‚ ein und damit die Anerkennung als Theater- und Performancekünstlerin außerhalb des Porno-Genres.(2, hier auch Einzelheiten zu Sprinkles Beitrag zum Projekt)
Von da an vereinte Sprinkle ihre pornografische Arbeit mit künstlerischem, aufklärerischem und ausdrücklich feministischem Ausdruck; dazu gehörte auch ihr Auftritt in Monika Treuts Film ‚My Father Is Coming‚ 1991. Im gleichen Jahr rief sie den ‚Sluts and Goddesses Workshop‚ ins Leben, auf dem aufbauend sie im Folgejahr das Video ‚The Sluts and Goddesses Video Workshop – Or How To Be A Sex Goddess in 101 Easy Steps‚ produzierte, das Frauen neue Möglichkeiten zur Erschließung der eigenen Sexualität und Erregung aufzeigen sollte. Sie erlangte (irgendwann im Laufe der Zeit) einen Doktorgrad in Sexualwissenschaft am Institute for Advances Study of Human Sexuality (Link Englisch), und brachte mehrere Performance-Stücke auf die Bühne, etwa ihr ‚Public Cervix Announcement‚ von 1997, bei dem sie die Zuschauer ihren Muttermund durch ein Spekulum betrachten ließ.
Sprinkle bezeichnet sich selbst als ‚die Prostituierte und Pornodarstellerin, die zur Sexualpädagogin und Künstlerin wurde‘. Ihre Stücke werden akademisch bearbeitet; sie hat diverse Medien produziert und Workshops geschaffen, die Frauen helfen sollen, ihre Sexualität zu entdecken und frei zu erleben. Gemeinsam mit dem Sexualtherapeuten Joseph Kramer hat sie eine tantrische Massagetechnik für die Yoni (die Vulva, Vagina und der Uterus) entwickelt. Als Pornoproduzentin hat sie viele heutige Porno-Genres entwickelt oder ins Leben gerufen, als Künstlerin war sie 2014 auf der documenta 14 vertreten. Seit 2007 ist sie mit ihrer künstlerischen Kollaborateurin, Elizabeth Stephens, verheiratet; die beiden bezeichnen sich als ‚ökosexuell‘ und haben als künstlerische Performance verschiedene Naturerscheinungen geheiratet. Ihre sexualpädagogische Arbeit greift dabei ineinander mit einem umweltpädagogischen Ansatz; die sexuelle Aufklärung ist mit klimapolitischer Aufklärung vereint.
Das ‚post-porn movement‚ betrachtet die großangelegte Porno-Filmindustrie kritisch und bevorzugt individuelle, alternative Pornoschaffende. Diversität und die Darstellung queerer Lebens-(und Sexualitäts-)realitäten werden wertgeschätzt.
Annie Sprinkle – das benötigt eigentlich keinen Hinweis – ist sex-positive Feministin. Der sex-positive Feminismus betrachtet die freie weibliche Sexualität als Bestandteil der Befreiung der Frau – im Gegensatz zu einer Betrachtungsweise, die Sexualität als Frau grundsätzlich als eine Form der männlichen Unterdrückung postuliert. Dazu gehört notwendigerweise und unter allen Umständen jede Form von Pornografie. Annie Sprinkle unter anderem vertritt die Position, dass feministische Pornografie nicht nur möglich, sondern nötig ist und dass das Entdecken und Ausleben der weiblichen Sexualtität ein Akt des feministischen Widerstands gegen die prohibitive Körperpolitik des Patriarchats ist.
Im Essay Feminism, Moralism and Pornography, eines der frühesten Dokumente gegen eine US-amerikanische Anti-Porn-Bewegung, erläutert Ellen Willis die Haltung des sex-positiven Feminismus. Ich zitiere hier nur die für mich besonders markanten Stellen:
• ‚If feminists define pornography, per se, as the enemy, the result will be to make a lot of women ashamed of their sexual feelings and afraid to be honest about them. And the last thing women need is more sexual shame, guilt, and hypocrisy – this time served up as feminism.‚ – Wenn Feminist*innen Pornografie per se als den Feind definieren, wird das Ergebnis sein, dass sie viele Frauen dazu bringen, sich für ihre sexuellen Gefühle zu schämen und Angst zu haben, ehrlich damit umzugehen. Und das Letzte, was Frauen brauchen, ist noch mehr sexuelle Scham, Schuld oder Scheinheiligkeit – dieses Mal als Feminismus serviert.
• ‚In practice, attempts to sort out good erotica from bad porn inevitably come down to „What turns me on is erotic; what turns you on is pornographic.“‚ – In der Praxis werden Versuche, gute Erotica von schlechter Pornografie zu unterscheiden, unausweichlich damit enden: ‚Was mich anmacht, ist erotisch, was dich anmacht, ist pornografisch.‘
•‘It is precisely sex as an aggressive, unladylike activity, an expression of violent and unpretty emotion, an exercise of erotic power, and a specifically genital experience that has been taboo for women. Nor are we supposed to admit that we, too, have sadistic impulses, that our sexual fantasies may reflect forbidden urges to turn the tables and get revenge on men.‚ – Es ist genau Sex als eine aggressive, undamenhafte Aktivität, ein Ausdruck von gewaltvoller und unschöner Gefühle, eine Ausübung erotischer Macht und eine ausdrücklich genitale Erfahrung, die für Frauen tabu war. Noch sollen wir zugeben, dass auch wir sadistische Impulse haben, dass unsere sexuellen Fantasien möglicherweise verbotene Bedürfnisse spiegeln, den Spieß umzudrehen und Rache an den Männern zu nehmen.
• ‚In any case, sanitized feminine sexuality, whether straight or gay, is as limited as the predatory masculine kind and as central to women’s oppression; a major function of misogynist pornography is to scare us into embracing it.‚ – In jedem Fall ist die bereinigte weibliche Sexualität, ob hetero- oder homosexuell, ebenso eingeschränkt wie die ausbeuterische männliche, und ebenso zentral in der Unterdrückung der Frauen; eine Hauptfunktion von misgyner Pornografie ist es, uns durch Angst dazu zu bringen, sie anzunehmen.
• ‚The basic purpose of obscenity laws is and always has been to reinforce cultural taboos on sexuality and suppress feminism, homosexuality, and other forms of sexual dissidence. No pornographer has ever been punished for being a woman-hater, but not too long ago information about female sexuality, contraception, and abortion was assumed to be obscene. In a male supremacist society the only obscenity law that will not be used against women is no law at all.‚ – Das schlichte Ziel von Gesetzen gegen ‚Unzucht‘ ist und war es schon immer, kulturelle Tabus zur Sexualität zu bekräftigen und Feminismus, Homosexualität und andere Formen der sexuellen Gegenbewegung zu unterdrücken. Kein Pornograf ist jemals dafür bestraft worden, ein Frauenhasser zu sein, aber vor noch nicht allzu langer Zeit wurden Informationen zu weiblicher Sexualität, Verhütung und ABtreibung als ‚unzüchtig‘ angesehen. In einer männlich beherrschten Gesellschaft ist das einzige Unzuchts-Gesetz, das nicht gegen Frauen angewendet wird, *kein Gesetz*.
• ‚In contrast to the abortion-rights movement, which is struggling against a tidal wave of energy from the other direction, the anti-porn campaign is respectable. It gets approving press and cooperation from the New York City government, which has its own stake (promoting tourism, making certain neighborhoods safe for gentrification) in cleaning up Times Square. It has begun to attract women whose perspective on other matters is in no way feminist („‚I’m anti-abortion,'“ a participant in WAP’s march on Times Square told a reporter, „‚but this is something I can get into'“). Despite the insistence of WAP organizers that they support sexual freedom, their line appeals to the anti-sexual emotions that feed the backlash.‚ – Im Kontrast zur Bewegung für das Recht auf Abtreibung, die gegen eine Flutwelle der Energie aus der Gegenrichtung zu kämpfen hat, ist die Anti-Porn-Kampagne wohlanständig. Sie erhält zustimmende Presse und Mitarbeit der Regierung der Stadt New York, die ihre eigenen Interessen (vermehrter Tourismus, gewisse Bezirke für die Gentrifizierung sicher zu machen) daran hat, den Time Square zu säubern. Sie hat angefangen, Frauen anzuziehen, deren Perspektive in anderen Belangen in keiner Weise feministisch ist (‚Ich bin gegen Abtreibung‘, erzählte eine Teilnehmerin des WAP-Marsches auf dem Time Square einem Journalisten, ‚aber diese Bewegung ist eine, bei der ich mich wiederfinde.‘). Entgegen dem Beharren der WAP (Women Against Pornography) Organisatorinnen, dass sie sexuelle Freiheit unterstützen, klingt ihre politische Linie an bei den anti-sexuellen Gefühlen, die die Gegenreaktion verstärken.
Ich erinnere mich an den Nachhall der deutsche PorNO-Kampagne, die wohl in einer Linie steht mit dem heutigen Dogmatismus, den Alice Schwarzer für Feminismus hält; meines eigenen geringen Interesses am Porno-Konsum ungeachtet halte ich die freie, selbstbestimmte Ausübung von (selbstverständlich konsensueller) Sexualität auch als Arbeit für einen notwendigen Bestandteil der Geschlechtergerechtigkeit.
Die New Yorker Künstlerin Carolee Schneemann setzte sich schon im College mit der unterschiedlichen wechselseitigen Wahrnehmung des männlichen und weiblichen Körpers auseinander. Vor allem die unterschiedliche Wertung der weiblichen Eigenwahrnehmung und -betrachtung durchzieht als Thema ihre Werke: Wie der weibliche Körper als Objekt (männlicher) künstlerischer Betrachtung geschätzt, aber als Subjekt der (weiblichen) künstlerischen Wahrnehmung verpönt ist – diese Diskrepanz begegnete ihr in ihrer Ausbildung und wurde zu einem Thema ihres Schaffens. (In diesem Artikel vom Observer wird dieser Sexismus der Kunst anhand eines Memes sehr schön dargestellt; die darin erwähnte Analyse von John Berger – Ways of Seeing, Episode 2 – habe ich auch gefunden und empfehle die Sichtung!)
„Eine Malerin, die Leinwand verlassen habe, um den Raum der Gegenwart und gelebte Zeit zu aktivieren“ (Quelle: Wikipedia) nannte Schneemann sich selbst. Der Wikipedia-Eintrag ist ausführlich und lädt zu einer weiteren Beschäftigung mit ihrer Kunst (und der ihrer Kollaborateure und Beeinflusser) ein. Ich möchte mich auf nur vier Werke beschränken, die mich persönlich besonders interessieren oder berühren.
Fuses (explizit) ist eine filmische Collage, in der Schneemann Bilder ihrer selbst und ihres damaligen Partners James Tenney nackt und bei sexuellen Handlungen, in nicht-chronologischem Schnitt und mit künstlerischer, analoger Bildbearbeitung – immer wieder erscheint auch ihre Katze wie ein neutraler Beobachter des Gezeigten. Angestoßen zur filmischen Auseinandersetzung mit dem weiblichen Körper in der Kunst und beim Sex wurde Schneemann von Stan Brakhage und dessen Window Water Baby Moving (explizit), welcher künstlerisch bearbeitet eine Geburt zeigt. Mit Fuses setzte sich Schneemann mit der Frage auseinander, ob die Darstellung des eigenen sexuellen Aktes sich von Prongraphie und klassischer Kunst unterscheidet. Obwohl das Video nicht ausgesprochen „pornographisch“ ist, wurden ihr Zügellosigkeit und narzisstischer Exhibitionismus vorgeworfen. Schneemann selbst merkte an, dass die künstlerische Bearbeitung für viele Betrachter hinter dem expliziten sexuellen Inhalt zurücktritt.
Ein Malerei-Happening, bei dem sich Schneemann in ein Geschirr hängte, um sie umgebende Wände mit Wachsmalstiften zu bemalen, ist Up to and Including Her Limits. Auch hier die Beschäftigung mit den Begrenzungen und Beschränkungen des weiblichen Körpers in der Kunst.
Von Interior Scroll gab es zwei Ausgaben. Eine erste fand auf einer Kunstausstellung namens Women Here and Now statt, zu Ehren des Jahres der Frau der Vereinten Nationen 1975. Schneemann stand unbekleidet bis auf ein Tuch und eine Schürze auf einem Tisch und las aus ihrem Buch Cézanne, she was a great painter, während sie wechselnde Posen einnahm, wie sie in Übungsklassen zum Aktzeichnen üblich sind. Nachdem sie die Schürze ausgezogen hatte, zog sie eine fortlaufende Papierrolle aus ihrer Vagina, von der sie einen Text vorlas, der aus einem ihrer Experimentalfilme stammte. Sie wiederholte diese Performance zwei Jahre später auf einem Filmfestival, zu dem Brakhage sie eingeladen hatte, namens The Erotic Woman. Aus Protest gegen diesen eingrenzenden Titel verlas dieses Mal von der Papierrolle eine Unterhaltung mit einem ungenannt bleibenden Filmkritiker (welchen sie später als die Filmkritikerin Annette Michelson enttarnte), in welcher sie für ihre „weibliche“ Kunst kritisiert wird. Sie wollte mit dieser Performance „die unsichtbare, marginalisierte und zutiefst unterdrückte Geschichte der Vulva [physikalisieren], diese mächtige Quelle des orgasmischen Vergnügens, der Geburten, der Transformation, der Mesntruation, der Mutterschaft, um zu zeigen, dass sie kein toter, unsichtbarer Ort ist“. (Quelle: Hyperallergic.com, Forty Years of Carolee Schneemann’s „Interior Scroll“)
Mit einem jüngeren Werk stieß Schneemann wiederum auf Sensibilität: Die Bilder von Terminal Velocity entstanden wenige Monate nach dem 11. September 2001. Schneemann scannte Zeitungsfotos von neun Menschen, die aus dem World Trade Center in den Tod sprangen, und zoomte mit digitaler Technik soweit in die Bilder, dass diese als Individuen in einer verzweifelten Situation begreifbar wurden. Kritik erntete sie dafür aufgrund der Möglichkeit, dass diese Personen auf den Bildern von ihren Angehörigen erkannt werden könnten und damit Leid verursacht würde.
Ich weiß von Yoko Ono viel weniger als ich sollte, um meine Sympathie für sie zu rechtfertigen. Als junge Beatles-Hörerin wurde sie mir selbstverständlich bekannt als „die Frau, die die Beatles kaputtgemacht hat“. Wobei ich nicht einmal in meiner schwärmerischsten, pubertärsten Phase daran geglaubt habe, dass eine Person, wie bösartig sie auch sei, erstens in der Lage noch zweitens willens sein könnte, die Beatles absichtlich zu ruinieren.
Als ich alt genug war, um der Frage „Wer ist Yoko Ono eigentlich?“ nachzugehen, war das Internet noch nicht so weit, mir dies zu beantworten.
Jetzt sind endlich das Internet und ich so gute Freunde, dass ich die Frage gründlich beantworten konnte und mich ab jetzt als Yoko-Fan bezeichnen werde.
Zu dem ganzen Beatles-Thema ist nur folgendes zu sagen:
1. Yoko Ono hatte die Beziehung zu John Lennon nicht nötig, sie war bereits eine vielversprechende Künstlerin und hatte in ihrer Welt – von der die zahlreichen Beatles-Fans bei ihrem Auftauchen höchstwahrsheinlich unbeleckt waren – nicht nur Erfolg, sondern bekannte und geschätzte Kollaboranten. John Lennon konnte sich, so muss man es eigentlich sehen, glücklich schätzen, dass er Yoko begegnete, als er gerade dabei war, sich selbst neu zu (er)finden; tatsächlich bin ich überzeugt, dass ihre Beziehung auf der Ebenbürtigkeit der beiden als Künstler beruhte.
Und 2. Leute, die behaupten, Yoko Ono sei schuld am Zerbrechen der Beatles, sagt etwas sehr sehr Übles über John Lennon, nämlich dass er selbst nicht Rückgrat genug hatte, um seine Beziehung zu seinen Bandkollegen entgegen den Intrigen seiner Geliebten zu retten. Es mag sein, dass John seine Beziehung mit Yoko zum Anlass genommen hat, sich weiter von den Beatles fortzuentwickeln – das ist aber noch immer seine und nicht ihre Verantwortung. Und inzwischen wissen wir ja nun alle, dass es schon vor Yoko Ono bei den Beatles gekriselt hat.
Yoko Ono ist eine Frau mit einer sehr eigenen, faszinierenden Geschichte und einem vielseitigen Portfolio an Werken. Zu manchen davon mag der Zugang schwierig sein, zu anderen leichter – sie ist jedoch in keiner Hinsicht eine selbstpostulierte Künstlerin. Fluxus-Künstler, Jazz-Musiker und Filmemacher haben mit ihr gearbeitet, schon bevor sie mit dem Beatle liiert war. Und dass sie ihre Schaffenskraft auch darauf verwendet, ihre eigenen Erinnerungen und die der Welt an John Lennon zu zelebrieren und seinen Tod zu verarbeiten, kann man ihr meines Erachtens nicht vorwerfen.
Ein paar Beispiele ihrer Kunst mal vorgestellt: Ihr Cut Piece ist Performance Art der ersten Stunde. Mit ihrem Wishtree vereint sie omnikulturelle Vorstellungen von der Kraft, die Wünschen innewohnt, mit einem globalen Happening. Sie kämpft für die Gleichberechtigung von Mann und Frau, hat Humor und setzt sich generell für die richtigen Dinge ein (Akzeptanz von Homosexualität, den Kampf gegen HIV/AIDS). Dass so viele sie unerträglich finden, liegt vielleicht nur daran, dass es uns schwerfällt, eine Frau zu akzeptieren, die so ohne Zögern und Scheu ihr Ding durchzieht. More power to you, Yoko.
PS: Zu ihrem Geburtstag lädt Yoko Ono ihre Fans (auf Facebook und Instagramm) ein, an ihrem weltumgreifenden Projekt smilesfilm mitzuwirken und ihr ein Foto zum Geburtstag zu schicken.
an experimentalkunst scheiden sich ja die geister. das erörtert tairthea in diesem beitrag sehr schön. ich selbst entscheide da ganz aus dem bauch, was mir gefällt – ob etwas kunst sei oder nicht, würde ich mir nicht anmaßen wollen zu entscheiden. zu dieser performance jedoch kann ich nur sagen, dass sie mich schlicht gefesselt hat – der ausdruck des erschreckens in ihrem gesicht, wenn sie aus dem gleichgewicht gerät, und der der absoluten entschlossenheit gegen ende, wenn sie immer noch mal wieder aufsteht… mich trifft das einfach weniger im kopf als im bauch. irgendwie erkenne ich mich darin wieder – oder vielleicht auch nur ein wunschbild von mir selbst.
Wiki deutsch
In Betrachtung der Werke der finnischen Künstlerin würde ich sagen, sie stellt die Möglichkeit von Perfektion in Frage, und ganz sicher die Erwartungshaltung an das Weibliche.
Sie zeigt gnadenlos die Verzerrung des Fleisches in der Fliehkraft und vereint das Opfer Rotkäppchen mit dem Täter Wolf, lässt weibliches und männliches Prinzip miteinander ringen und bringt das Dämonische ins Unschuldige. Völlig offene Videokunst, umso faszinierender.
Ein nicht ganz einzusehendes Archiv ihrer Werke ist auf der Seite AV-arkki zu finden und sie hat eine eigene Website mit beeindruckendem CV.