Kategorie: Literatur

50/2023: Lucia Sánchez Saornil, 13. Dezember 1895

Geboren in eine Madrider Arbeiterfamilie mit einem älteren Bruder und einer jüngeren Schwester, verlor Lucia Sánchez Saornil früh die Mutter und den Bruder und wurde vom verwitweten Vater großgezogen.(1) Sie war lyrische Autodidaktin, deren Gedichte – unter dem männlichem Pseudonym Luciano de San-Saor – in Magazinen des Futurismus veröffentlicht wurden; das Pseudonym war nicht nur ein für Frauen der Zeit übliches Instrument, um überhaupt ernst genommen zu werden, es ermöglichte Sánchez Saornil auch eine erotische Explizität, insbesondere, da sie über sexuelle Begegnungen mit Frauen schrieb.

Mit 21 Jahren begann sie beim Arbeitgeber ihres Vater, der Telefónica, als Telefonistin zu arbeiten; parallel besuchte sie die Real Academia de Bellas Artes de San Fernando zu einem Studium der Malerei. In den kommenden Jahren trat sie jedoch mehr und mehr mit ihren Texten in die Öffentlichkeit, als Lyrikerin aus dem Umkreis des Ultarismus, doch auch mit politischen Texten, in denen sie die Positionen des Anarchosyndikalismus vertrat. Kurz, nachdem die Zweite Spanische Republik 1931 ausgerufen worden war, beteiligte sich Sánchez Saornil, schon nicht mehr bei Telefónica beschäftigt, an einer Streikaktion gegen ihren ehemaligen Arbeitgeber teil. Auf diesem Weg kam sie in Kontakt mit der Confederación Nacional de Trabajo (CNT), einem Zusammenschluss anarchosyndikalistischer Gewerkschaften Spaniens, für die sie in den kommenden Jahren als Redaktionssekretärin(1) arbeitete. Innerhalb der politischen Arbeit für die CNT begann sie sich immer mehr dafür einzusetzen, dass die gesellschaftlichen Umwälzungen zugunsten der Arbeiterklasse gleichzeitig die Gleichberechtigung der Frauen mit sich bringen müssten; den wichtigsten Weg dahin sah sie in der Bildung der Frau, aber auch in der Bewusstmachung der Thematik innerhalb der – männlich dominierten – politischen Arbeit. In Barcelona versuchte sie, bei einigen Gewerkschaften Ressourcen für eine Organisation für die Frauenbildung zu gewinnen, ohne Erfolg, woraufhin si enach Madrid zurückkehrte.

In ihrer Heimatstadt lernte sie die Jurastudentin Mercedes Comaposada kennen. Die beiden Frauen wurden 1933 als ‚Lehrerinnen‘ zu einer Versammlung des CNT eingeladen, um die Genossen für die Probleme der Frauen innerhalb des Arbeiterkampfes zu sensibilisieren und ihre Forderung nach Gleichberechtigung zu erläutern. Sie stießen hier auf taube Ohren – die meisten Männer hatten, bei aller politische Progressivität, eine sehr traditionelle Vorstellung von der Rolle der Frau oder empfanden die gesonderte Aufmerksamkeit für die weibliche Unterdrückung als energiezehrende ‚Aufspaltung‘. Sánchez Saornil und Comaposada begannen daraufhin, über die Gründung einer eigenen Organisation nachzudenken; Sánchez Saornil, die zu dieser Zeit für eine Bahngewerkschaft arbeitete, trug dafür eine Liste der anarchosyndikalistischen Frauengruppen ganz Spaniens zusammen und nahm Korrespondenz zu ihnen auf. Sie erhielten Rückmeldungen von überallher – mit ähnlichen Frustrationen – und so entwickelte sich bis 1935 aus ihren Briefwechseln die Basis für eine landesweite Frauenbewegung. Gleichzeitig veröffentlichte Sánchez Saornil vermehrt Artikel, in denen sie die Gleichberechtigungsforderung thematisierte; dabei schreckte sie auch vor einem öffentlcihen Schlagabtausch mit dem Generalsekretär des CNT zurück, der der Meinung war, zunächst müsse der Klassenkampf gewonnen werden, bevor man sich der geschlechtsspezifischen Problematik zuwenden könnte. Gemeinsam mit der Medizinerin Amparo Poch y Gascón schließlich riefen Sánchez Saornil und Comaposada 1936, wenige Monate vor dem Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges die Mujeres Libres (Freie Frauen) ins Leben. Die Organisation verschrieb sich der Forderung nach Frauenbildung in der Arbeiterklasse, der Ermöglichung von Ausbildung in der Industrie für Frauen, sowie der Bewußtseinsförderung der Unterdrückung der Frau im besonderen. Frauen seien innerhalb des politischen Kampfes von ihrer dreifachen Versklavung zu befreien: Durch Unwissenheit, Sexismus und Ausbeutung.

Schon in der CNT wie auch bei den Mujeres Libres galt Sánchez Saornil als scharfsinnige, gut organisierte ‚politische Brandstifterin‘ und ausgezeichnete Rednerin. Als der Spanische Bürgerkrieg ausbrach, war Sánchez Saornil an der Verteidigung beteiligt und verlegte ihre Tätigkeit auf die Kriegsberichterstattung. Sie setzte ihre Lyrik als Instrument der Agitprop ein und erregte damit international Aufmerksamkeit; so wurde die US-amerikanische Friedensaktivistin Emma Goldman durch Sánchez Saornil dazu bewegt, die internationale Unterstützung der Spanischen Republik gegen die Franquisten zu organisieren.

Nachdem Madrid gefallen war, folgte sie der republikanischen Regierung nach Valencia und arbeitete dort in den folgenden Jahren als Redakteurin der anarchistischen Presse sowie als Generalsekretärin der Solidaridad Internacional Antifascista (SIA, ‚Internationale Antifaschistische Solidarität‘), für die sie regelmäßig die Front besuchte. Zu dieser Zeit lernte sie auch ihre Lebensgefährtin América Barroso kennen. Die Mujeres Libres bestanden inzwischen aus etwa 20.000 Frauen, die auf der Seite der Republik im Bürgerkrieg kämpften; von ihren politischen Genossen erhielt die Organisation jedoch wenig Unterstützung, selbst, als sie sich offiziell als nationaler Verbund formierten. Zur gleichen Zeit lehnte jedoch Sánchez Saornil selbst auch den Zusammenschluss zum Beispiel mit anderen, kommunistischen Frauenorganisationen ab, mit der Begründung, dass nur in politischer Einigkeit – nicht durch ‚weibliche‘ Einigkeit – die menschliche Diversität abgebildet werden könne.

Als die Franquisten 1939 den Bürgerkrieg gewonnen hatten, floh Sánchez Saornil mit Barroso zunächst nach Frankreich, wo sie noch immer im Auftrag des SIA spanische Kriegsflüchtlinge unterstützte. Als Anarchistin war sie nach dem Fall der französischen Regierung in Paris im Westfeldzug der Verfolgung durch die Nationalsozialisten ausgesetzt und entging nur knapp dem Konzentrationslager. Anfang der 1940er Jahre kehrte sie mit ihrer Lebensgefährtin heimlich nach Spanien zurück – da sie nie fotografiert worden war und zumeist unter Pseudonym veröffentlicht hatte, konnte sie unerkannt bleiben. Die Mujeres Libres hatten sich unter dem faschistischen Franco-Regime aufgelöst, ihre Genossinnen verschwiegen bis dessen Ende nach Möglichkeit ihre Zugehörigkeit. Sánchez Saornil konnte sich einen geringen Lebensunterhalt mit Bildbearbeitung verdienen, später jedoch, nachdem sie in Madrid erkannt worden war und fliehen musste(1), war sie in Valencia vom Wohlwollen der Familie ihrer Lebensgefährtin abhängig – auch diese lesbische Beziehung musste selbstverständlich geheim bleiben.

Am Ende ihres Lebens pflegte sie ihre Schwester, die an einer chronischen Erkrankung litt; drei Monate nach deren Tod verstarb auch Lucía Sánchez Saornil, am 2. Juni 1970 mit 75 Jahren an Lungenkrebs. América Barroso ließ eine Zeile aus einem ihrer Gedichte auf ihren Grabstein meißeln: „Aber…ist es wahr? Ist alle Hoffnung tot?”(1)

Dass wir noch heute im Feminismus nicht weiter sind als vor 90 Jahren – dass noch immer der Kampf um Gleichberechtigung der Frau, insbesondere der Mutter, daran krankt, dass vor der politischen Arbeit noch stets die Care-Arbeit kommt, die ihr niemand abnimmt und die ihre Energie auffrisst, beweist dieser Artikel von 1935 aus Lucía Sánchez Saornils Feder: The Woman Question in Our Ranks.


Quelle Biografie: Wiki deutsch | englisch
außerdem:
(1) Anarchismus.at

46/2023: Ursula Eggli, 16. November 1944

Ursula Egglis Eltern waren einfache Leute im kleinen Schweizer Ort Dachsen, der Vater Arbeiter, die Mutter Kinderschneiderin und Näherin. Ursula kam als ältestes von drei Geschwistern auf die Welt; nachdem sie sich mit dem Laufenlernen schwer tat, benötigte es verschiedene Ärzte, bis die Diagnose Spinale Muskelatrophie (‚Muskelschwund‘) erfolgte. Ihr Leben auf dem Dorf blieb zunächst jedoch relativ idyllisch: Sie wurde von Nachbarskindern und ihrem Bruder Daniel im Kinderwagen geschoben, wenn sie allein war, las sie und dachte sich Geschichten aus. Sie ging auch – als einziges Mädchen unter 24 Jungen – für drei Jahre in die Dorfschule.

Mit neun Jahren jedoch kam sie in ein Heim für behinderte Kinder; ihr zweiter Bruder, Christoph, war ebenfalls mit Muskelatrophie zur Welt gekommen, was die diabeteskranke Mutter belastete; die Dorfschule sah sich ebenfalls von den Anforderungen überlastet. Im Heim beendete Eggli die Schule, danach kehrte sie zunächst nach Dachsen zurück.(1)

Anfang der 1970er Jahre gründete sie mit behinderten und nicht-behinderten Freund*innen eine WG. 1977 veröffentlichte Eggli ihr erstes Buch, ‚Herz im Korsett‘, in dem sie im Tagebuchstil aus dem WG-Leben erzählt. Darin brach sie das Tabu, über sexuelle Bedürfnisse und sexuelles Erleben behinderter Menschen, insbesondere Frauen, zu sprechen.

Zwei Jahre nach der Veröffentlichung trat Ursula Eggli mit ihren Freund*innen im Dokumentarfilm ‚Behinderte Liebe‘ auf, der ebenfalls die Schwierigkeit schildert, ein ’normales‘ Beziehungs- und Liebesleben zu führen, denen Menschen mit Behinderung gegenüberstehen.

In den 1980er Jahren schrieb Eggli weitere Texte, etwa in der von ihr gegründeten Zeitschrift ‚Puls‘, und Bücher, die jedoch nicht an den Erfolg ihres ersten Buches anschließen. Sie war als Aktivistin für Behindertenrechte und Frauenrechte politisch tätig, hielt Vorträge und leistete soziale Arbeit, etwa Begleitung und Betreuung von Feriencamps für Kinder mit Behinderung.

Sie verliebte sich zum ersten Mal in eine Frau und lebte mehrere Jahre mit dieser Partnerin zusammen; so griff sie in den 1990er Jahren in ihrem politischen Aktivismus auch Homosexuellenrechte auf, auch hier insbesondere Rechte behinderter Homosexueller. Mehrfach nahm sie an den Gesprächen der Homosexuellenbewegung an der Akademie Waldschlösschen in Göttingen teil.(1)

2005 war sie Vizepräsidentin des Schweizer Netzwerk behinderter Frauen ‚Avanti donne‚.

Sie starb am 2. Mai 2008 mit 64 Jahren.

Im Archiv der Behindertenbewegung ist ihr Märchenbuch Freakgeschichten für Kinder und Erwachsene als PDF zum Download zu finden.


Quelle Biografie: Wiki deutsch
außerdem:
(1) Archiv Behindertenbewegung




45/2023: Susie Orbach, 6. November 1946

Der Vater von Susie Orbach war ein britisch-jüdischer Politiker der Labour Party und aktiv im Jüdischen Weltkongress, ihre Mutter, eine amerikanische Jüdin, unterrichtete während des Zweiten Weltkriegs geflüchtete Deutsche in Englisch und arbeitete später als Lehrerin.

Susie wuchs in der Nähe von London auf. In ihrer Ausbildung benötigte sie einige Anläufe, bis sie ihre Berufung fand: Zunächst erhielt sie ein Stipendium für die North London Collegiate School, wurde jedoch mit 15 Jahren von der Schule gewiesen. Trotzdem konnte sie später an der School of Slavonic Studies russische Geschichte studieren; im Jahr vor ihrem Abschluss brach sie das Studium ab, ebenso ein Jurastudium in New York. Erst am Richmond College of Staten Island fand sie in den Women’s Studies ihr eigentliches Interesse. Sie machte 1972 mit 26 Jahren dort ihren Bachelor mit dem höchsten Grad, ein Masterabschluss in Sozialfürsorge folgte zwei Jahre später an der Stony Brook University.

Orbach kehrte nach London zurück und gründete 1976 gemeinsam mit Luise Eichenbaum das Women’s Therapy Centre in London, dem fünf Jahre später gleiches Zentrum in New York folgen sollte.

1978 brachte Susie Orbach ihr Buch ‚Fat Is A Feminist Issue‚ heraus, in dem sie die Diätkultur und deren Wurzeln im Kapitalismus analysierte und kritisierte, 1982 folgte ein zweiter Teil des Buches. In den 1990er Jahren machte Orbach eine psychoanalytische Weiterbildung bei Anne-Marie Sandler; sie wurde außerdem dafür bekannt, dass sie Diana, Prinzessin von Wales, für ihre Essstörung behandelte. Ihren Doktortitel in Psychoanalyse machte schloss sie jedoch erst 2001 mit 55 Jahren ab.

2004 beriet sie Unilever und deren Werbeagentur zur Werbung für Dove – die sich auf die Fahnen schrieb, ihre Kundinnen nicht mehr mit unrealistischen Schönheitsidealen unter Druck zu setzen. Der Clip dazu gewann einen Preis in Cannes; Unilever setzt bei Dove-Werbung heute weiterhin auf Authentizität und Verantwortlichkeit im Umgang mit Frauenbildern in den Medien. (Selbstverständlich medienwirksam und mit dem Ziel, Produkte zu verkaufen.)

Orbach ist Vorsitzende des Verein AnyBody (vormals Endangered Bodies) und berät unter anderem das britische Gleichstellungsministerium zum Thema Körperbild. Sie schreibt seit zehn Jahren regelmäßig für The Guardian und brachte 2009 ein weiteres bahnbrechendes Buch heraus namens ‚Bodies‚, in dem sie sich mit dem stark wandelnden Körperbild des Internetzeitalters auseinandersetzt.


Quelle Biografie: Wiki deutsch | englisch
außerdem:
(1) Süddeutsche Zeitung

36/2023: Sarah Mapps Douglass, 9. September 1806

Die Eltern von Sarah Mapps Douglass waren afroamerikanische Quäker und Abolitionisten in Philadelphia, Pennsylvania; ihr Vater Robert Douglass war Bäcker(Wiki) oder Friseur(1), die Mutter, Grace Bustill Douglass, Hutmacherin und Lehrerin. Ihr Großvater mütterlicherseits, Cyrus Bustill, war ebenfalls bereits Quäker und frühes Mitglied der Free African Society (Link Englisch). Sarah war die einzige überlebende Tochter neben vier Brüdern, einer davon der Künstler Robert Douglass, Jr. Sie wurde als Kind Zeugin der Diskriminierung ihrer Eltern als Schwarze in der weißen Quäker-Gemeinde, was später zu einem Zerwürfnis mit ihrer Religion führte. Dank einer verhältnismäßig wohlhabenden Familie wurde sie ausführlich privat unterrichtet und besuchte Anfang der 1820er auch ein College. Nach ihrem Abschluss unterrichtete sie einige Zeit als Lehrerin in New York City, 1825 kehrte sie jedoch nach Philadelphia zurück und arbeitete als Lehrerin an der Schule, die ihre Mutter 1819 gemeinsam mit James Forten gegründet hatte – nachdem eine früh verstorbene ältere Schwester Sarahs, Elizabeth, eine andere Privatschule aufgrund Beschwerden weißer Eltern hatte verlassen müssen. Diese Schule für afroamerikanische Mädchen hatte Sarah auch als Schülerin besucht.

Ihre politische Aktivität begann 1831, als sie mit 25 Jahren eine Spendensammlung für The Liberator organisierte, die Abolitionisten-Zeitung von William Lloyd Garrison. Im gleichen Jahr war Mapps Douglass Mitbegründerin der Female Literary Association (FLA), einer Gesellschaft afroamerikanischer Frauen mit literatischen Interessen. Literarische Gesellschaften von Afroamerikanern hatten sich in den 1820er und 1830er Jahren in verschiedenen Städten der Nordstaaten gegründet; sie vereinte die Haltung, das Lesen eine wichtige Art der Wissensaneignung sei, während der eigene schriftliche Ausdruck die eigene Identität stärke und auch als Stimme geltend machte. Die Frauen der FLA wollten sowohl ihre eigenen schriftstellerischen Fähigkeiten vertiefen wie auch ihre Verbindung zu ihren versklavten Schwestern verstärken. Dafür trafen sich jeden Dienstag, um gemeinsam zu Lesen und eigene wie andere Texte vorzutragen. Fast alle brachten wöchentlich eigene Texte mit, die anonym zur Kritik gestellt wurden.

Wie andere literarische Gesellschaften auch betrachtete sich die FLA als Vermittler von Information, indem sie Wissen und Texte aus der afroamerikanischen Gemeinschaft sammelte. Dabei wollten sie dieses Wissen nicht nur mit bereits Gebildeten, sondern auch denjenigen teilen, die noch im Lernprozess waren sowie den bis dahin gänzlich von Bildung Ferngehaltenen. Das Ziel der FLA war es, einen Gemeinschaftssinn zu schaffen und über die Wissensvermittlung und das Zusammenkommen in Gruppen das Gefühl einer nationalen Identität zu schaffen, an freie wie versklavte Afroamerikanerinnen gleichermaßen. Indem sie Schwarze Literatur sammelten und als Schwarze Frauen selbst als Schriftstellerinnen aktiv waren, widerlegten sie gezielt die weiße Behauptung, das Schwarze naturgemäß intellektuell unterlegen seien. Ihren Intellekt zu pflegen sei die höchste Aufgabe, da diese Fähigkeiten von Gott gegeben seien, und schließlich sei es ihre Pflicht als Afroamerikanerinnen, diese Fähigkeiten dafür einzusetzen, die Unterschiede zwischen weißen und Schwarzen Menschen zu nivellieren und Gleichberechtigung für ihre Gemeinschaft zu erringen.

Sarah Mapps Douglass schrieb in einer Ansprache an die FLA über ihre Motivation: „One short year ago, how different were my feelings on the subject of slavery! It is true, the wail of the captive sometimes came to my ear in the midst of my happiness, and caused my heart to bleed for his wrongs; but, alas! the impression was as evanescent as the early cloud and morning dew. I had formed a little world of my own, and cared not to move beyond its precincts. But how was the scene changed when I held the oppressor lurking on the border of my peaceful home! I saw his iron hand stretched forth to seize me as his prey, and the cause of the slave became my own. I started up, and with one mighty effort threw from me the lethargy which had covered me as a mantle for years; and determined, by the help of the Almighty, to use every exertion in my power to elevate the character of my wronged and neglected race.“ – „Wie anders waren meine Gefühle zum Thema der Sklaverei noch vor einem kurzen Jahr! Es ist wahr, das Klagen der Gefangenen drang manchmal an mein Ohr mitten in meinem Glück, und ließ mein Herz bluten für sein Unrecht; doch, ach! der Eindruck war so flüchtig wie frühe Wolken und der Tau am Morgen. Ich hatte mir eine kleine Welt für mich geschaffen, und wünschte nicht jenseits ihrer Bezirke zu wandeln. Doch wie sich die Szenerie verwandelte, als ich des Unterdrückers an der Grenzen meines friedlichen Heimes gewahr wurde! Ich sah seine eiserne Hand ausgestreckt, um mich als seine Beute zu ergreifen, und die Sache der Sklaverei wurde meine eigene. Ich schrak hoch, und mit einem gewaltigen Bemühen warf ich die Letargie von mir, die mich wie ein Mantel jahrelang bedeckt hatte; und entschlossen, mit der Hilfe des Allmächtigen, jede Anstrengung in meiner Macht anzuwenden, die Gestalt meiner benachteiligten und vernachlässigten race emporzuheben.“

Während der gesamten 1830er Jahre schrieb Douglass unter dem Pseudonymen ‚Sophanista‘ und ‚Ella‘ Lyrik, Prosa und (auch unter ihrem eigenen Namen?) Beiträge für The Liberator. Briefe verzierte sie mit selbstgemalten Aquarellen, ihre Bilder sind möglicherweise die ältesten Exemplare von Malerei von der Hand einer afroamerikanischen Frau, die mit Namen signiert wurden.

Im Jahr 1833 gründete Douglass gemeinsam mit ihrer Mutter und 16 anderen Frauen, darunter Lucretia Mott, die Grimké-Schwestern Sarah und Angelina und drei Töchter von James Forten, die erste gemischte Abolitionistinnen-Gruppierung, die Philadelphia Female Anti-Slavery Society. Deren Ziel war die vollständige Abschaffung der Sklaverei ohne Kompensation für die Sklavenhalter, sowie gleiche Bürger- und Religionsrechte für Schwarze Bürger. Der Verein bezog die Ausgaben verschiedener Abolitionisten-Zeitschriften, um sie unter seinen Mitgliedern zu verteilen und legte auch eine Bibliothek an Literatur und Flugblättern an. Douglass war im Verein für verschiedene organisatorische und administrative Leistungen verantwortlich, neben einer weiterhin beruflichen Tätigkeit als Lehrerin.

Sie hatte 1833 kurze Zeit an einer Schule für afroamerikanische Mädchen gelehrt, bald jedoch eine eigene Schule gegründet, an der sie auch Naturwissenschaften und Kunst unterrichtete. Es war ihr wichtig, den Mädchen insbesondere die MINT-Fächer nahezubringen. Leider lief die Schule wirtschaftlich nicht erfolgreich, und so bat Douglass, nachdem sie für die Society 1837 an der ersten gemischten Anti-Slavery Convention of American Women teilgenommen hatte, ihren Verein, die Schule zu übernehmen. Dies führte jedoch nicht zu der erhofften Verbesserung ihrer Lage; 1840 löste sich Douglass mit der Schule wieder vom Verein. Zwei Jahre später starb ihre Mutter und Sarah – bis dahin mit der Unterstützung der Mutter eine voll im Beruf und in ehrenamtlicher Tätigkeit beschäftigte Frau – war plötzlich auch noch unbezahlte Haushälterin für ihren Vater und ihre Brüder.(1) Sarah Grimké, die inzwischen zu einer engen Vertrauten geworden war, unterstützte sie in dieser Zeit; möglicherweise schloss Douglass aufgrunddessen auch wieder Frieden mit den Quäkern. Jedenfalls trat sie der religiösen Vereinigung 1852 wieder bei und übernahm zwei Jahre später die Leitung der Vorbereitungsstufe der Mädchen des Institute of Colored Youths(1, Wiki sagt, ihre Schule wurde mit dieser zusammengefasst) – diese Position behielt sie bis 1877 inne. Das Institut zog später innerhalb des Stadtgebiets Philadelphia auf das Grundstück der wohlhabenden Quäkerfamilie Cheyney um und wurde daraufhin zur Cheyney University of Pennsylvania.

Mit 47 Jahren begann Douglass 1853 noch ein Studium der Anatomie und Frauenheilkunde sowie eine medizinische Grundlagenausbildung am Female Medical College of Pennsylvania, als erste afroamerikanische Frau an der Hochschule. Sie gab im Sinne der FLA ihr neugewonnenes Wissen zügig in Abendkursen und Vorträgen zu weiblicher Physiologie und Hygiene an andere Schwarze Frauen weiter. Zwei Jahre später ging sie – 49-jährig – die Ehe mit einem Witwer und Vater von 9 Kindern ein, doch die Ehe war nicht glücklich; der Mann starb jedoch auch sechs Jahre später bereits. Schon während der Ehe blieb Douglass in ihrer Position an der Cheyney University, hielt Vorträge zur Frauenmedizin und setzte noch bis 1877 ihr Anatomiestudium fort. Nach dem Tode ihres Mannes setzte sie wieder ihre volle Energie in ihre politische und pädagogische Aktivität. Sie starb mit 76 Jahren 1882 in Philadelphia; ihr Grab blieb unbenannt.


Quelle Biografie: Wiki englisch
außerdem:
(1) Women History Blog
(2) Colored Conventions

35/2023: Leslie Feinberg, 1. September 1949

Schwarzweiß-Fotografie von Leslie Feinberg, eine Person mit rasiertem Kopf, in schwarzer Kleidung, die Hände vor der Brust mit den gespreizten Finger aneinandergedrückt
Published on the phenomenelle.de, Fair use

Leslie Feinberg kam als Kind einer jüdischen Arbeiterfamilie in Kansas City, Missouri, zur Welt, wuchs dann in Buffalo, New York, auf, wo zie sich wohl als Kind bereits Borreliose von einem Zeckenbiss zuzog, die nicht behandelt wurde.

Zie hörte mit 14 Jahren auf, die Schule zu besuchen (erhielt jedoch später nichtsdestotrotz ein Highschool-Abschlusszeugnis); zur gleichen Zeit begann zie, Homosexuellen-Clubs in Buffalo zu besuchen. Zis Familie war nicht offen für zis Auseinandersetzung mit sexueller Orientierung und Genderidentität, weshalb zie früh auszog und sich mit Gelegenheitsarbeiten durchschlug. Obwohl zie in zahlreichen Bereichen Erfahrungen sammelte, konnte zie keine langfristige Tätigkeit finden; als offen lebende homosexuelle/trans Person wurde zie regelmäßig in der Arbeitswelt diskriminiert.

Anfang der 1970er traf zie bei einer Demonstration für Landrechte und die Autonomie Palästinas Mitglieder der Workers World Party (Link Englisch), einer US-amerikanischen marxistisch-leninistischen Partei, der zie sich zunächst in der Abteilung Buffalo anschloss. Bald zog zie jedoch nach New York City, wo zie bei der Workers World Party an der Organisation zahlreicher Aktionen und Kampagnen beteiligt war. So führte zie 1974 beim March Against Racism in Boston eine Gruppe von zehn Lesben an, die in einem ‚paste-up‚ rassistische Beinamen aus dem öffentlichen Raum entfernten.(1; das ist die beste Übersetzung, die mir zu dieser Beschreibung gelungen ist) In den Jahren 1983 und 1984 reiste sie durch die USA mit einem Vortrag zu AIDS als verleugnete Epidemie, 1988 war sie an der Organisation des Widerstands gegen den Ku Klux Klan in Atlanta, Georgia beteiligt, der am Martin Luther King Day die Martin-Luther-King-Avenue heruntermarschieren wollte. 1998 kehrte sie noch einmal in den Einsatz für die Partei zurück und unterstützte Homosexuellenbars und Frauenkliniken in Buffalo dabei, sich für die Selbstverteidigung aufzustellen, nachdem Dr. Barnett Slepian von einem Gegner von Schwangerschaftsabbrüchen erschossen worden war und sich daraufhin die Anti-Choice-Bewegung zu Demonstrationen formierte.

1974 wurde Feinberg auch RedakteurIn der Seite über politische Gefangene in der Parteizeitung, später übernahm zie die Position des Chef vom Dienst, die zie bis 1995 innehatte. 1993 erschien ihr erster Roman, ‚Stone Butch Blues‚ (deutscher Titel war beim ersten Erscheinen ‚Träume in den erwachenden Morgen‘, inzwischen ist dies nur noch der Untertitel zum Originaltitel), der mehrere Preise queerer Literaturauszeichnungen gewann. Ab 1995 arbeitete zie als AutorIn und KünstlerIn; zie wirkte in Rosa von Praunheims Film ‚Vor Transsexuellen wird gewarnt‚ mit, veröffentlichte 1996 und 1999 Sachbücher – ‚Transgender Warriors: Making History from Joan of Arc to Dennis Rodman‚ und ‚Trans Liberation: Beyond the Pink and Blue‚ – sowie 2006 einen weiteren Roman. Zwischen 2004 und 2008 veröffentlichte das Workers World Magazin ihre Texte zu den Zusammenhängen zwischen Sozialismus und queerer Geschichte als 120-teilige Reihe unter dem Titel ‚Lavender and Red‚. In ihren Arbeiten setzte sich Feinberg generell unter den Gesichtspunkten und Anwendung der marxistischen Theorie mit der Thematik der Diskriminierung aufgrund von Genderidentität und sexueller Orientierung auseinander; nämlich indem das kapitalistische System die binären Genderausdrücke benötigt, um Profit zu generieren.(2)

1992 hatte zie bei einer Vortragsreihe die Lyrikerin Minnie Bruce Platt kennengelernt, mit der zie bis zum Ende ihres Lebens in einer Beziehung lebte. 2004 ließen sie sich in New Jersey, ihrem damaligen Heimatstaat, als ‚domestic partnership‚ (etwa: partnerschaftliche Haushaltsgemeinschaft) eintragen, 2006 als eingetragene Partnerschaft. 2011 heiratete das Paar standesamtlich in Massachusetts und New York.

Zis Borreliose und die begleitenden, von Zecken übertragenen Erkrankungen wie Babesiose wurde erst 2008 diagnostiziert; dies führte zie auf die Diskriminierung von trans Personen im Gesundheitssystem zurück.(1) Zie nahm Medikamente und erhielt Behandlungen, doch zis Zustand hatte sich inzwischen so verschlechtert, dass die Krankheiten zie von künstlerischer Arbeit zumeist abhielt. Zis Auseinandersetzung mit „Lyme +„, wie zie es nannte, dokumentierte zie auf zis Webseite Transgender Warriors. Zis letzte Worte lauteten nach Platts Eintrag auf ihrer Seite: „Hasten the revolution! Remember me as a revolutionary communist.“ – „Beschleunigt die Revolution! Erinnert mich als revolutionäreN KommunistIn.“ Zie war 2014 dabei, ‚Stone Butch Blues‚ für eine Neuerscheinung zu überarbeiten, als zie ihrer Erkrankung erlag. Die Rechte hatte zie vom Verlag zurückerstanden, heute ist die Neuauflage auf der Webseite zum Download zugänglich, mit einer Widmung für CeCe McDonald (Link Englisch), einer US-afrikanischen, Schwarzen trans Frau, die zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, nachdem sie sich gegen einen transfeindlichen Angriff zur Wehr gesetzt hatte.

Zeitweilig in zis Leben unterzog Feinberg sich einer Hormonersatztherapie und präsentierte als Mann, vor allem aus Sicherheitsgründen; zie bezeichnete sich selbst als ‚female bodied, butch lesbian, transgender lesbian‚ – eine Butch transgender Lesbe mit einem weiblichen Körper: „[…] referring to me as „she/her“ is appropriate, particularly in a non-trans setting in which referring to me as „he“ would appear to resolve the social contradiction between my birth sex and gender expression and render my transgender expression invisible. I like the gender neutral pronoun „ze/hir“ because it makes it impossible to hold on to gender/sex/sexuality assumptions about a person you’re about to meet or you’ve just met. And in an all trans setting, referring to me as „he/him“ honors my gender expression in the same way that referring to my sister drag queens as „she/her“ does.(Wiki englisch) – „Mich mit ’sie/ihr‘ zu bezeichnen ist angemessen, insbesondere in einer nicht-trans Umgebung, in dem mich mit ‚er‘ zu bezeichnen den Eindruck machen würde, den sozialen Widerspruch zwischen meinem bei der Geburt zugeordneten Geschlecht und meinem Gender-Ausdruck aufzulösen, und meinen transgender Ausdruck unsichtbar machen würde. Ich mag die genderneutralen Pronomenze/hir‚, weil sie es unmöglich machen, an Annahmen über Gender/Geschlecht/Sexualität festzuhalten bei einer Person, die du bald treffen wirst oder die du gerade getroffen hast. Und in einer reinen trans Umgebung bedeutet, mich mit ‚er/ihm‘ zu bezeichnen, dass mein Genderausdruck anerkannt wird, auf die gleiche Art, wie es bei meinen Drag Queen Schwestern bedeutet, sie mit ’sie/ihr‘ anzusprechen.“

Weiter sagte zie über die Nutzung von Pronomen: “I care which pronoun is used, but people have been respectful to me with the wrong pronoun and disrespectful with the right one. It matters whether someone is using the pronoun as a bigot, or if they are trying to demonstrate respect.”(2) – „Es ist mir wichtig, welche Pronomen benutzt werden, aber Leute waren respektvoll mir gegenüber mit den falschen Pronomen und respektlos mit den richtigen. Es spielt eine Rolle, ob jemensch die Pronomen mit Vorurteilen verwendet, oder ob sie versuchen, Respekt zu zeigen.“


Quellen Biografie: Wiki deutsch | englisch
außerdem:
(1) lesliefeinberg: self (Link Englisch)
(2) Teen Vogue (Link Englisch)

32/2023: Laura Hershey, 11. August 1962

Als Kleinkind wurde Laura Hershey, erstes von zwei Kindern einer Familie in Littleton, Colorado, mit Spinaler Muskelatrophie diagnostiziert, einem durch Gendefekte ausgelösten fortschreitenden Muskelschwund. Sie nutzte daher schon bald Rollstühle, ihre Eltern, insbesondere ihre Mutter förderte jedoch ihre schulische Bildung, trotz des erschwerten Zugangs zu Schulen für Menschen mit Behinderung. An der Highschool zeigten sich bereits ihre Talete, so war sie Mitglied des Debattierclubs und Redakteurin der Schülerzeitung.(1)

Als Hershey 11 Jahre alt war, wurde sie als das ‚Posterkind‘ von Colorado für die Muscular Dystrophy Association (Link Englisch), ausgewählt und so von Jerry Lewis‚ für seine (von 1966 bis 2014) alljährlichen MDA Labor Day Telethon (Link Englisch) bekannt gemacht. Mit den Bildern der Kinder mit SMA sollte bei den Zuschauern Mitleid erweckt und die Spendenwilligkeit gesteigert werden; Jerry Lewis bezeichnete die Kinder als ‚Jerry’s Kids‘. Zu dieser Zeit empfand sie die Herangehensweise und den Umgang mit ihr als Betroffene wohl schon als verstörend, konnte dies als Kind jedoch nicht klar erkennen und formulieren.(siehe YouTube It’s Our Story)

Nach dem Studium der Geschichte am Colorado College, das sie 1983 mit einem Bachelor-Grad abschloss, erhielt sie ein Stipendium der Watson Foundation (Link Englisch). Dieses ermöglichte ihr, für einige Zeit in Großbritannien zu leben. Hier begegneten ihr erstmals andere Menschen mit Behinderung, die sich künstlerisch und politisch für die Wahrnehmung und die Rechte von behinderten Menschen einsetzten und Hershey in den Menschenrechtsaktvismus einführten. Zwar hatte sich schon 1978 in der Haupststadt ihres Heimatstaates, Denver, Colorado, die Organisation ADAPT (Link Englisch) gegründet, hershey schloss sich dort jedoch erst nach ihrer Rückkehr aus Großbritannien 1985 an.

Als 1990 die Kritik an Jerry Lewis, seinen Telethons und seinem Umgang mit Kindern und Erwachsenen mit SMA laut wurde, zählte Laura Hershey zu den Stimmen. Nicht nur, wie das Leben mit Kindern mit SMA als bemitleidenswert und schrecklich dargestellt wurde, sondern auch die dröhnende Missachtung von Erwachsenen mit SMA waren Kritikpunkte vor allem ehemaliger ‚Jerry’s Kids‚. Lewis hatte einen Artikel darüber geschrieben, wie er sich selbst in einen Rollstuhl gesetzt habe und feststellen musste, dass ’sein Leben so nur halb zu leben wäre‘; als Protestreaktion darauf gründeten sich ‚Jerry’s Orphans‚ Die inhärente Vorstellung, dass ein Leben mit SMA oder anderer Behinderung nicht lebenswert wäre, stieß bei Hershey und ihren Mitstreiterys auf Widerspruch; sie verlangten, nicht als Objekt für Mitleid oder als abschreckendes Beispiel dargestellt zu werden, sondern als Menschen mit erfülltem Leben und vor allem mit allen Bürgerrechten. Die Kinder seien nur für ihren Schauwert eingesetzt worden, die Spendensammlung richtete sich jedoch viel mehr darauf aus, eine ‚Heilung‘ für den Gendefekt zu finden und habe zu wenig in Hilfe für die bereits mit SMA lebenden Erwachsenen – damalige und inzwischen herangewachsene – resultiert. (Der Abschnitt über Criticism am MDA Telethon (Link Englisch) ist ausgesprochen lesenswert, wenn auch lange nicht erschöpfend. Jerry Lewis‘ Reaktion auf die berechtigte Kritik von Betroffenen war suboptimal. Clip unten nur empfohlen für Menschen mit großer Gelassenheit.) Bei ihren Protesten gegen die Veranstaltung wurde Hershey mehrfach verhaftet.

ABC Primetime Live – Jerry Lewis Telethon – CN Ableism, Narzissmus

Ihren politischen Aktivismus setzte Laura Hershey auch als Autorin und Lyrikerin um; sie verfolgte ein weiteres Studium in Kreativem Schreiben, schrieb Bücher und Gedichte sowie eine regelmäßige Kolumne für die Webseite der Christopher and Dana Reeves Foundation (Link Englisch); auch auf ihrer eigenen Seite Crip Commentary‚ (inaktiv) veröffentlichte sie ihre Texte. Zur Anthologie ‚Sisterhood Is Forever‚ trug sie das Kapitel ‚Rights, Realities, and Issues of Women with Disabilities‚ bei. Als lesbische Frau setzte sie sich auch insbesondere für die Rechte homosexueller Menschen mit Behinderung ein; mit ihrer Partnerin adoptierte sie ein Kind. Sie besuchte die UN Konferenzen für Frauenrechte in Nairobi 1985 und in Peking 1995. Noch 2008 machte sie ihren Master of Fine Arts an der Antioch University (Link Englisch) und leitete 2009 einen Workshop zu queer disabled bodies bei der Creating Change Conference.(2) Im November 2010 starb sie unerwartet nach einer kurzen Erkrankung.

Erster Teil der Reihe mit Laura Hershey bei It’s Our Story – alle 13 sind sehenswert

Quelle Biografie: Wiki englisch
außerdem:
(1) www.laurahershey.com/
(2) Denver Library

28/2023: Gunilla Gerland, 13. Juli 1963

Der Vater von Gunilla Gerland war gewalttätig; nachdem er die Familie verließ, blieb sie mit der alkoholkranken Mutter zurück. Mit 16 zog sie aus ihrem Zuhause in Stockholm aus und ging nach Spanien.

Mit 29 Jahren erhielt Gerland eine Autismus-Diagnose; ihre Form des Autismus läuft im ICD-10 noch immer unter Asperger-Syndrom*. Der Arzt, der sie diagnostizierte, ermutigte sie zum Schreiben, und so brachte sie 1996 ihre Autobiografie heraus über das Aufwachsen als neurodivergentes Kind in einem gewalttätigen, vernachlässigenden Elternhaus. Unter dem Titel ‚Ein richtiger Mensch sein: Autismus – das Leben von der anderen Seite‘ ist es auch in Deutschland erhältlich.

Sie ist heute eine Fürsprecherin für autistische Menschen, schriebt Beiträge, hält Vorträge und nimmt an Podiumsdiskussionen teil, um über Autismus aufzuklären und mehr Akzeptanz für neurodivergente Menschen zu erreichen. Außerdem beteiligt sie sich an der Autismusforschung und trägt die Perspektive der Betroffenen zu wissenschaftlichen Erkenntnissen bei.


*Um den Begriff Asperger-Syndrom gibt es seit einiger Zeit eine Diskussion, da der Namensgeber, Hans Asperger, nicht nur mindestens ein Mitläufer der Nazis war, sondern explizit seine Unterscheidung zwischen hochfunktionalen und anderen Formen des Autismus dazu diente, Betroffene in die Jugendfürsorgeanstalt Am Spiegelgrund einzuweisen, wo sie im Namen der ‚Rassenhygiene‚ ermordet wurden. Asperger muss sich dessen bewusst gewesen sein. Die Diagnose des ‚Asperger-Syndroms‘ bedeutete, dass die Betroffenen noch in irgendeiner Weise nützlich sein könnten für den nationalsozialistischen Staat. Tiefgehend mit Hans Asperger und seiner Rolle in der ‚Euthanasie‘ befasst sich zum Beispiel Linus Mueller bei Autismus-Kultur. Auch die Einteilung des Autismus-Spektrums in ‚hochfunktional‘ und ’niedrigfunktional‘ steht zur Debatte; dem Maßstab einer Funktionalität in einer neurotypischen Welt wird die Bemessung gegenübergestellt, wie stark oder ‚erfolgreich‘ autistische Menschen ‚maskieren‚, also den Eindruck einer neurotypischen ‚Normalität‘ vermitteln können – oft auf Kosten ihrer mentalten und physischen Gesundheit. Eine prägnante Erläuterung liefert etwa Melanie Theissler im Beitrag ‚Warum der Begriff ‚hochfunktional‘ problematisch ist‘ auf Autistic Psychologist. Seit Ende der 1990er Jahre ist auch der Begriff der Neurodiversität für die Varianten des Autismus, aber auch andere Arten der kognitiven, neurologischen und informationsverarbeitenden Diversität im Gespräch. Der Verein Neurodivers e.V. bietet hierzu einige weiterführende Informationen aus Wissenschaft und Gesellschaft. Etwa diese Gesprächsrunde auf dem Kanal 100percentme:


Quelle Biografie: Wiki deutsch | englisch

27/2023: Vibeke Vasbo, 9. Juli 1944

Vibeke Vasbo kam als zweites von vier Kindern zweier Ärztys auf der dänischen Insel Als zur Welt. Sie wuchs in Tandslet auf, verbrachte aber auch viel Zeit in Aabenraa auf dem dänischen Festland, bei ihrer Großmutter mütterlicherseits, der Politikerin Ingeborg Reflsund Thomsen. Diese prägte wohl auch ihr späteres politisches Bewusstsein.

Als Jugendliche wollte Vasbo Journalistin werden, sie schrieb Kurzgeschichten und Gedichte; nach dem Abschluss der weiterführenden Schule ging sie für ein halbes Jahr als Au Pair nach Cambridge, anschließend studierte sie Deutsch und Englisch an der Universität Kopenhagen. Im Studium lernte sie Karen Syberg kennen; die beiden Frauen gründeten bald nach dem Vorbild der US-amerikanischen Redstockings (Link Englisch) die dänische Frauenrechtsbewegung Rødstrumperne. Die ‚Rotstrümpfe‘ demonstrierten und setzten sich für Frauenrechte – eine Demonstration 1970 endete (laut Wikipedia) mit dem Verbrennen von Büstenhaltern, einer angeblich beliebten Geste unter Feministinnen der Zeit, die möglicherweise ins Reich der Legenden verbannt gehört (außer, wenn die Däninnen es nun doch tatsächlich gemacht haben). Die ‚Rotstrümpfe‘ gründeten auch ein Frauencamp auf der Insel Femø und setzten sich für das Recht auf Abtreibung ein. Vasbo brach ihr Studium 1973 mit 29 Jahren ab und begann, im Kopenhagener Bispebjerg Hospital zu arbeiten.

Nach einer kurzen Ehe mit einem Seemanns-Pastor in Hull(2) lebte Vasbo inzwischen in einer Beziehung mit der norwegischen Schriftstellerin Gerd Brantenberg (deren ‚Die Töchter Egalias‘ mir damals in den 1990ern doch eine Epiphanie verschafft – heute sicher nicht mehr 100% zeitgemäß, da vollkommen binär, wies es doch schon auf die Absurdität der Geschlechterrollen hin, indem es die Vorzeichen umgekehrt setzte; lange, bevor es Social Media und seitenverkehrt gab). Wie auch in anderen Ländern entwickelte sich in der Frauenbewegung eine bedauerliche Ablehnung der lesbischen Mitstreiterinnen, sodass Vibeke mit 200 anderen Mitgliedern die eigene lesbische Bewegung (‚lesbisk bevægelse‚) gründete. Vasbo und Brantenberg zogen nach Oslo, wo Vasbo als Kranführerin arbeite. Aus ihren Tagebüchern entstand ihre erste Veröffentlichung im Jahr 1976 – auf deutsch ‚Tagebuch‘, trägt das Buch im Original den wunderbaren Titel ‚Al den løgn on kvinders svaghed‚ – ‚All die Lügen über die Schwäche der Frauen‘. Es stellt die erste Erzählung aus Sicht einer offen lesbischen Frau in der dänischen Literatur dar.

1981 traf sie den Priester Leo Thomsen. Sie beendete den Kontakt zur Lesbenbewegung, doch die Beziehung zu Thomsen war schwierig – Vasbos Roman ‚Miraklet i Amalfi‚ (‚Das Wunder von Amalfi‘) erzählt davon – und endete einen Monat vor seinem Tod 1998.

Vasbo schrieb seitdem noch weitere Bücher, etwa ‚The Song of Hild‚ über die Klostergründerin Hilda von Whitby.(3)


Quelle Biografie: Wiki englisch
außerdem:
(2) Sacristy Press
(3) Blogbeitrag zum Buch Song of Hild

22/2023: Nancy Cárdenas, 29. Mai 1934

Zur Welt kam Nancy Cárdenas in Parras de la Fuente, einem kleinen Ort im mexikanischen Bundesstaat Coahuila. Sie studierte zunächst Philosophie und Literatur an der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko, nebenher begann sie mit 20 Jahren als Radiosprecherin zu arbeiten; in diesen Fächern machte sie schließlich ihren Doktortitel. Sie studierte auch Theaterschauspiel in Yale und polnische Kultur und Literatur in Łódź. Während ihrer internationalen Studienzeit begegnete sie Menschen, mit denen sie sich über Queerness austauschte; diese Erfahrungen und Einsichten flossen auch in ihre späteren Werke ein.(2)

In den 1950ern arbeitete sie als Theaterschauspielerin, so war sie 1956 am Lyrik-Programm ‚Poesía en Voz Alta‚ (etwa ‚Poesie mit lauter Stimme‘) von Héctor Mendoza beteiligt. In der folgenden Dekade verlegte sich Cárdenas auf das Schreiben: Sie verfasste Theaterstücke und schrieb für Magazine und Zeitungen; ihr erstes Stück war der EinakterEl cantaro seco‚ (etwa ‚Der leere/trockene Krug‘). Bereits in dieser Zeit war sie politisch aktiv und trat für kommunistische und feministische Ziele ein, beides keine sehr beliebten Haltungen in der mexikanischen Gesellschaft; 1968 wurde sie bei Protesten gegen Polizeigewalt verhaftet. Auch in ihren Texte bezog sie politisch Position, etwa in dem Stück ‚SIDA… así es la vida‚ (etwa ‚AIDS… so ist das Leben‘) und in ihrer Adaption des Romans ‚Quell der Einsamkeit‚ von Radclyffe Hall. In den 70er Jahren wechselte sie schließlich ins Regiefach, ihre Produktion von ‚The Effect of Gamma Rays on Man-in-the-Moon Marigolds‚ von Paul Zindel gewann einen Kritikerpreis.

Inzwischen war ihre politische Haltung und ihr Einsatz für die Rechte Homosexueller und anderer gesellschaftlich marginalisierter Personen allgemein bekannt. Dennoch war es ein unerhörter Moment, als sie 1973 öffentlich bekannte, lesbisch zu sein. Sie war Gast in der Sendung ‚24 horas‚ (’24 Stunden‘) und sprach mit dem Moderator über die Entlassung eines homosexuellen Angestellten aufgrund seiner sexuellen Orientierung. Im Rahmen dieses Gesprächs erklärte sie ihre eigene Homosexualität und war damit die erste Lesbe, die öffentlich ihr Coming Out hatte. Nach dem Gespräch war sie zwar nicht Opfer direkter Anfeindungen, dennoch spürte sie den nachteiligen Effekt: „Niemensch sprach mich darauf an attackierte mich dafür, alles, was ich erhielt, waren Glückwünsche, aber niemensch gab mir mehr Arbeit.“(3) In dieser Phase der eingeschränkten beruflichen Tätigkeit wurde sie umso mehr gesellschaftlich aktiv: Schon im Jahr nach ihrem Coming Out gründete sie die erste Homosexuellen-Organisation Mexikos, die Frente de Liberacíon Homosexual (Link Englisch, in diesem Beitrag wird das Gründungsjahr allerdings mit 1971 angegeben). In die Aufgabe, einer Menschenrechtsorganisation vorzusitzen, stürzte sie sich mit Leidenschaft, sprach mit vielen Betroffenen und sammelte Erzählungen aus der Gemeinschaft. Als Vorsitzende der Organisation nahm sie 1975 an der ersten Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen in Mexiko-Stadt teil, sie war hier Gastgeberin eines Forums über Lesbianismus – aus der Diskussion der Beteiligten des Forums entstand das Manifesto in Defense of Homosexuals in Mexico, das sie mit Carlos Monsivaís verfasste. Die Teilnahme öffentlich bekennender lesbischer Frauen an der Konferenz wurde von außen heftig kritisiert; gegen das Forum wurde mit Schildern protestiert, allerdings soll Cárdenas mit einer der Protestierenden – die ein Schild trug, das Cárdenas‘ Tötung forderte – gesprochen und erfahren haben, dass diese von der Polizei bezahlt worden war.(3) Nach der Veranstaltung lud sie die internationalen Beteiligten zu sich nach Hause ein; dort konnten Lesben aus aller Welt ins Gespräch kommen mit den Lesben der mexikanischen Bewegung. Zur dieser Gemeinschaft gehörten nach Cárdenas auch ‚lesbians who thought they were women trapped in men’s bodies‚, also trans Frauen, sowie wahrscheinlich auch Frauen, die Frauen liebten, sich aber männlich identifizierten. Entgegen der heute so nicht mehr akzeptablen sprachlichen Ausdrücke fasste der Lesbianismus in Cárdenas Gemeinschaft nicht nur die klassische Interpretation von weiblich gelesenen Personen, die sich sexuell zu ebenso weiblich gelesene Personen hingezogen fühlen.(3, der Quellentext verweist hier ganz richtig darauf, dass zu dieser Zeit die Wahrnehmung von Transidentität und somit auch die Sprache/das Sprechen darüber nicht dem heutigem Kenntnisstand entspricht und deshalb auch nicht an heutigen Idealen gemessen werden kann)

Als eine Ikone der LGBTQ-Gemeinschaft in Mexiko führte Nancy Cárdenas am 2. Oktober 1978 auch die erste Gay Pride Parade Mexikos an, die sich einem Erinnerungsmarsch zum Jahrestag des Massakers von Tlatelolco anschloss. Ihre Aktivität insbesondere als lesbische Frau wurde von den unterschiedlichen politischen Kreisen, die sich nicht unbedingt überschnitten, nicht mit Wohlwollen betrachtet: Im heteronormativen Feminismus wurde Lesbianismus zwar still hingenommen, doch sprechen sollten die Frauen nicht darüber – lesbischer Aktivismus sei anti-feministisch, weil er von ‚echten Problemen‘ ablenke. Ebenso waren ihre Genoss*innen im kommunistischen Kampf der Meinung, lesbischer Aktivismus sei anti-kommunistisch, weil er von ‚echten Problemen‘ ablenke. Andere fanden, die Idee der Queerness – der Homosexualität, der nicht-cis Identität – sei aus den USA importiert und widerspräche den mexikanischen Traditionen. Alles Positionen also, die dem intersektionalen Feminismus auch heute noch entgegenstehen: Dass er von den ‚eigentlichen‘ Problemen ablenke oder in irgendeiner moralischen oder ideologischen Verderbtheit oder Verwahrlosung entspringe.

In den Jahren nach dieser Gründerzeit schrieb Cárdenas weiterhin Theaterstücke und Lyrik, 1979 führte sie Regie bei dem Dokumentarfilm ‚Mexico des mis amores‚. Außerdem hielt sie als Feministin und Sexologin Vorträge, trat im Fernsehen auf und organisierte Konferenzen. Sie starb am 23. März 1994 mit 69 Jahren in Mexiko-Stadt an Brustkrebs.


Quelle Biografie: Wikipedia (Link Englisch)
außerdem:
(1) LGBT History Month
(2) Making Queer History

frage der perspektive

Transkription: den blick in den himmel gerichtet / fühlt sich der freie fall / wie fliegen an

WEG MIT
§218!