Kategorie: Literatur

36/2023: Sarah Mapps Douglass, 9. September 1806

Die Eltern von Sarah Mapps Douglass waren afroamerikanische Quäker und Abolitionisten in Philadelphia, Pennsylvania; ihr Vater Robert Douglass war Bäcker(Wiki) oder Friseur(1), die Mutter, Grace Bustill Douglass, Hutmacherin und Lehrerin. Ihr Großvater mütterlicherseits, Cyrus Bustill, war ebenfalls bereits Quäker und frühes Mitglied der Free African Society (Link Englisch). Sarah war die einzige überlebende Tochter neben vier Brüdern, einer davon der Künstler Robert Douglass, Jr. Sie wurde als Kind Zeugin der Diskriminierung ihrer Eltern als Schwarze in der weißen Quäker-Gemeinde, was später zu einem Zerwürfnis mit ihrer Religion führte. Dank einer verhältnismäßig wohlhabenden Familie wurde sie ausführlich privat unterrichtet und besuchte Anfang der 1820er auch ein College. Nach ihrem Abschluss unterrichtete sie einige Zeit als Lehrerin in New York City, 1825 kehrte sie jedoch nach Philadelphia zurück und arbeitete als Lehrerin an der Schule, die ihre Mutter 1819 gemeinsam mit James Forten gegründet hatte – nachdem eine früh verstorbene ältere Schwester Sarahs, Elizabeth, eine andere Privatschule aufgrund Beschwerden weißer Eltern hatte verlassen müssen. Diese Schule für afroamerikanische Mädchen hatte Sarah auch als Schülerin besucht.

Ihre politische Aktivität begann 1831, als sie mit 25 Jahren eine Spendensammlung für The Liberator organisierte, die Abolitionisten-Zeitung von William Lloyd Garrison. Im gleichen Jahr war Mapps Douglass Mitbegründerin der Female Literary Association (FLA), einer Gesellschaft afroamerikanischer Frauen mit literatischen Interessen. Literarische Gesellschaften von Afroamerikanern hatten sich in den 1820er und 1830er Jahren in verschiedenen Städten der Nordstaaten gegründet; sie vereinte die Haltung, das Lesen eine wichtige Art der Wissensaneignung sei, während der eigene schriftliche Ausdruck die eigene Identität stärke und auch als Stimme geltend machte. Die Frauen der FLA wollten sowohl ihre eigenen schriftstellerischen Fähigkeiten vertiefen wie auch ihre Verbindung zu ihren versklavten Schwestern verstärken. Dafür trafen sich jeden Dienstag, um gemeinsam zu Lesen und eigene wie andere Texte vorzutragen. Fast alle brachten wöchentlich eigene Texte mit, die anonym zur Kritik gestellt wurden.

Wie andere literarische Gesellschaften auch betrachtete sich die FLA als Vermittler von Information, indem sie Wissen und Texte aus der afroamerikanischen Gemeinschaft sammelte. Dabei wollten sie dieses Wissen nicht nur mit bereits Gebildeten, sondern auch denjenigen teilen, die noch im Lernprozess waren sowie den bis dahin gänzlich von Bildung Ferngehaltenen. Das Ziel der FLA war es, einen Gemeinschaftssinn zu schaffen und über die Wissensvermittlung und das Zusammenkommen in Gruppen das Gefühl einer nationalen Identität zu schaffen, an freie wie versklavte Afroamerikanerinnen gleichermaßen. Indem sie Schwarze Literatur sammelten und als Schwarze Frauen selbst als Schriftstellerinnen aktiv waren, widerlegten sie gezielt die weiße Behauptung, das Schwarze naturgemäß intellektuell unterlegen seien. Ihren Intellekt zu pflegen sei die höchste Aufgabe, da diese Fähigkeiten von Gott gegeben seien, und schließlich sei es ihre Pflicht als Afroamerikanerinnen, diese Fähigkeiten dafür einzusetzen, die Unterschiede zwischen weißen und Schwarzen Menschen zu nivellieren und Gleichberechtigung für ihre Gemeinschaft zu erringen.

Sarah Mapps Douglass schrieb in einer Ansprache an die FLA über ihre Motivation: „One short year ago, how different were my feelings on the subject of slavery! It is true, the wail of the captive sometimes came to my ear in the midst of my happiness, and caused my heart to bleed for his wrongs; but, alas! the impression was as evanescent as the early cloud and morning dew. I had formed a little world of my own, and cared not to move beyond its precincts. But how was the scene changed when I held the oppressor lurking on the border of my peaceful home! I saw his iron hand stretched forth to seize me as his prey, and the cause of the slave became my own. I started up, and with one mighty effort threw from me the lethargy which had covered me as a mantle for years; and determined, by the help of the Almighty, to use every exertion in my power to elevate the character of my wronged and neglected race.“ – „Wie anders waren meine Gefühle zum Thema der Sklaverei noch vor einem kurzen Jahr! Es ist wahr, das Klagen der Gefangenen drang manchmal an mein Ohr mitten in meinem Glück, und ließ mein Herz bluten für sein Unrecht; doch, ach! der Eindruck war so flüchtig wie frühe Wolken und der Tau am Morgen. Ich hatte mir eine kleine Welt für mich geschaffen, und wünschte nicht jenseits ihrer Bezirke zu wandeln. Doch wie sich die Szenerie verwandelte, als ich des Unterdrückers an der Grenzen meines friedlichen Heimes gewahr wurde! Ich sah seine eiserne Hand ausgestreckt, um mich als seine Beute zu ergreifen, und die Sache der Sklaverei wurde meine eigene. Ich schrak hoch, und mit einem gewaltigen Bemühen warf ich die Letargie von mir, die mich wie ein Mantel jahrelang bedeckt hatte; und entschlossen, mit der Hilfe des Allmächtigen, jede Anstrengung in meiner Macht anzuwenden, die Gestalt meiner benachteiligten und vernachlässigten race emporzuheben.“

Während der gesamten 1830er Jahre schrieb Douglass unter dem Pseudonymen ‚Sophanista‘ und ‚Ella‘ Lyrik, Prosa und (auch unter ihrem eigenen Namen?) Beiträge für The Liberator. Briefe verzierte sie mit selbstgemalten Aquarellen, ihre Bilder sind möglicherweise die ältesten Exemplare von Malerei von der Hand einer afroamerikanischen Frau, die mit Namen signiert wurden.

Im Jahr 1833 gründete Douglass gemeinsam mit ihrer Mutter und 16 anderen Frauen, darunter Lucretia Mott, die Grimké-Schwestern Sarah und Angelina und drei Töchter von James Forten, die erste gemischte Abolitionistinnen-Gruppierung, die Philadelphia Female Anti-Slavery Society. Deren Ziel war die vollständige Abschaffung der Sklaverei ohne Kompensation für die Sklavenhalter, sowie gleiche Bürger- und Religionsrechte für Schwarze Bürger. Der Verein bezog die Ausgaben verschiedener Abolitionisten-Zeitschriften, um sie unter seinen Mitgliedern zu verteilen und legte auch eine Bibliothek an Literatur und Flugblättern an. Douglass war im Verein für verschiedene organisatorische und administrative Leistungen verantwortlich, neben einer weiterhin beruflichen Tätigkeit als Lehrerin.

Sie hatte 1833 kurze Zeit an einer Schule für afroamerikanische Mädchen gelehrt, bald jedoch eine eigene Schule gegründet, an der sie auch Naturwissenschaften und Kunst unterrichtete. Es war ihr wichtig, den Mädchen insbesondere die MINT-Fächer nahezubringen. Leider lief die Schule wirtschaftlich nicht erfolgreich, und so bat Douglass, nachdem sie für die Society 1837 an der ersten gemischten Anti-Slavery Convention of American Women teilgenommen hatte, ihren Verein, die Schule zu übernehmen. Dies führte jedoch nicht zu der erhofften Verbesserung ihrer Lage; 1840 löste sich Douglass mit der Schule wieder vom Verein. Zwei Jahre später starb ihre Mutter und Sarah – bis dahin mit der Unterstützung der Mutter eine voll im Beruf und in ehrenamtlicher Tätigkeit beschäftigte Frau – war plötzlich auch noch unbezahlte Haushälterin für ihren Vater und ihre Brüder.(1) Sarah Grimké, die inzwischen zu einer engen Vertrauten geworden war, unterstützte sie in dieser Zeit; möglicherweise schloss Douglass aufgrunddessen auch wieder Frieden mit den Quäkern. Jedenfalls trat sie der religiösen Vereinigung 1852 wieder bei und übernahm zwei Jahre später die Leitung der Vorbereitungsstufe der Mädchen des Institute of Colored Youths(1, Wiki sagt, ihre Schule wurde mit dieser zusammengefasst) – diese Position behielt sie bis 1877 inne. Das Institut zog später innerhalb des Stadtgebiets Philadelphia auf das Grundstück der wohlhabenden Quäkerfamilie Cheyney um und wurde daraufhin zur Cheyney University of Pennsylvania.

Mit 47 Jahren begann Douglass 1853 noch ein Studium der Anatomie und Frauenheilkunde sowie eine medizinische Grundlagenausbildung am Female Medical College of Pennsylvania, als erste afroamerikanische Frau an der Hochschule. Sie gab im Sinne der FLA ihr neugewonnenes Wissen zügig in Abendkursen und Vorträgen zu weiblicher Physiologie und Hygiene an andere Schwarze Frauen weiter. Zwei Jahre später ging sie – 49-jährig – die Ehe mit einem Witwer und Vater von 9 Kindern ein, doch die Ehe war nicht glücklich; der Mann starb jedoch auch sechs Jahre später bereits. Schon während der Ehe blieb Douglass in ihrer Position an der Cheyney University, hielt Vorträge zur Frauenmedizin und setzte noch bis 1877 ihr Anatomiestudium fort. Nach dem Tode ihres Mannes setzte sie wieder ihre volle Energie in ihre politische und pädagogische Aktivität. Sie starb mit 76 Jahren 1882 in Philadelphia; ihr Grab blieb unbenannt.


Quelle Biografie: Wiki englisch
außerdem:
(1) Women History Blog
(2) Colored Conventions

35/2023: Leslie Feinberg, 1. September 1949

Schwarzweiß-Fotografie von Leslie Feinberg, eine Person mit rasiertem Kopf, in schwarzer Kleidung, die Hände vor der Brust mit den gespreizten Finger aneinandergedrückt
Published on the phenomenelle.de, Fair use

Leslie Feinberg kam als Kind einer jüdischen Arbeiterfamilie in Kansas City, Missouri, zur Welt, wuchs dann in Buffalo, New York, auf, wo zie sich wohl als Kind bereits Borreliose von einem Zeckenbiss zuzog, die nicht behandelt wurde.

Zie hörte mit 14 Jahren auf, die Schule zu besuchen (erhielt jedoch später nichtsdestotrotz ein Highschool-Abschlusszeugnis); zur gleichen Zeit begann zie, Homosexuellen-Clubs in Buffalo zu besuchen. Zis Familie war nicht offen für zis Auseinandersetzung mit sexueller Orientierung und Genderidentität, weshalb zie früh auszog und sich mit Gelegenheitsarbeiten durchschlug. Obwohl zie in zahlreichen Bereichen Erfahrungen sammelte, konnte zie keine langfristige Tätigkeit finden; als offen lebende homosexuelle/trans Person wurde zie regelmäßig in der Arbeitswelt diskriminiert.

Anfang der 1970er traf zie bei einer Demonstration für Landrechte und die Autonomie Palästinas Mitglieder der Workers World Party (Link Englisch), einer US-amerikanischen marxistisch-leninistischen Partei, der zie sich zunächst in der Abteilung Buffalo anschloss. Bald zog zie jedoch nach New York City, wo zie bei der Workers World Party an der Organisation zahlreicher Aktionen und Kampagnen beteiligt war. So führte zie 1974 beim March Against Racism in Boston eine Gruppe von zehn Lesben an, die in einem ‚paste-up‚ rassistische Beinamen aus dem öffentlichen Raum entfernten.(1; das ist die beste Übersetzung, die mir zu dieser Beschreibung gelungen ist) In den Jahren 1983 und 1984 reiste sie durch die USA mit einem Vortrag zu AIDS als verleugnete Epidemie, 1988 war sie an der Organisation des Widerstands gegen den Ku Klux Klan in Atlanta, Georgia beteiligt, der am Martin Luther King Day die Martin-Luther-King-Avenue heruntermarschieren wollte. 1998 kehrte sie noch einmal in den Einsatz für die Partei zurück und unterstützte Homosexuellenbars und Frauenkliniken in Buffalo dabei, sich für die Selbstverteidigung aufzustellen, nachdem Dr. Barnett Slepian von einem Gegner von Schwangerschaftsabbrüchen erschossen worden war und sich daraufhin die Anti-Choice-Bewegung zu Demonstrationen formierte.

1974 wurde Feinberg auch RedakteurIn der Seite über politische Gefangene in der Parteizeitung, später übernahm zie die Position des Chef vom Dienst, die zie bis 1995 innehatte. 1993 erschien ihr erster Roman, ‚Stone Butch Blues‚ (deutscher Titel war beim ersten Erscheinen ‚Träume in den erwachenden Morgen‘, inzwischen ist dies nur noch der Untertitel zum Originaltitel), der mehrere Preise queerer Literaturauszeichnungen gewann. Ab 1995 arbeitete zie als AutorIn und KünstlerIn; zie wirkte in Rosa von Praunheims Film ‚Vor Transsexuellen wird gewarnt‚ mit, veröffentlichte 1996 und 1999 Sachbücher – ‚Transgender Warriors: Making History from Joan of Arc to Dennis Rodman‚ und ‚Trans Liberation: Beyond the Pink and Blue‚ – sowie 2006 einen weiteren Roman. Zwischen 2004 und 2008 veröffentlichte das Workers World Magazin ihre Texte zu den Zusammenhängen zwischen Sozialismus und queerer Geschichte als 120-teilige Reihe unter dem Titel ‚Lavender and Red‚. In ihren Arbeiten setzte sich Feinberg generell unter den Gesichtspunkten und Anwendung der marxistischen Theorie mit der Thematik der Diskriminierung aufgrund von Genderidentität und sexueller Orientierung auseinander; nämlich indem das kapitalistische System die binären Genderausdrücke benötigt, um Profit zu generieren.(2)

1992 hatte zie bei einer Vortragsreihe die Lyrikerin Minnie Bruce Platt kennengelernt, mit der zie bis zum Ende ihres Lebens in einer Beziehung lebte. 2004 ließen sie sich in New Jersey, ihrem damaligen Heimatstaat, als ‚domestic partnership‚ (etwa: partnerschaftliche Haushaltsgemeinschaft) eintragen, 2006 als eingetragene Partnerschaft. 2011 heiratete das Paar standesamtlich in Massachusetts und New York.

Zis Borreliose und die begleitenden, von Zecken übertragenen Erkrankungen wie Babesiose wurde erst 2008 diagnostiziert; dies führte zie auf die Diskriminierung von trans Personen im Gesundheitssystem zurück.(1) Zie nahm Medikamente und erhielt Behandlungen, doch zis Zustand hatte sich inzwischen so verschlechtert, dass die Krankheiten zie von künstlerischer Arbeit zumeist abhielt. Zis Auseinandersetzung mit „Lyme +„, wie zie es nannte, dokumentierte zie auf zis Webseite Transgender Warriors. Zis letzte Worte lauteten nach Platts Eintrag auf ihrer Seite: „Hasten the revolution! Remember me as a revolutionary communist.“ – „Beschleunigt die Revolution! Erinnert mich als revolutionäreN KommunistIn.“ Zie war 2014 dabei, ‚Stone Butch Blues‚ für eine Neuerscheinung zu überarbeiten, als zie ihrer Erkrankung erlag. Die Rechte hatte zie vom Verlag zurückerstanden, heute ist die Neuauflage auf der Webseite zum Download zugänglich, mit einer Widmung für CeCe McDonald (Link Englisch), einer US-afrikanischen, Schwarzen trans Frau, die zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, nachdem sie sich gegen einen transfeindlichen Angriff zur Wehr gesetzt hatte.

Zeitweilig in zis Leben unterzog Feinberg sich einer Hormonersatztherapie und präsentierte als Mann, vor allem aus Sicherheitsgründen; zie bezeichnete sich selbst als ‚female bodied, butch lesbian, transgender lesbian‚ – eine Butch transgender Lesbe mit einem weiblichen Körper: „[…] referring to me as „she/her“ is appropriate, particularly in a non-trans setting in which referring to me as „he“ would appear to resolve the social contradiction between my birth sex and gender expression and render my transgender expression invisible. I like the gender neutral pronoun „ze/hir“ because it makes it impossible to hold on to gender/sex/sexuality assumptions about a person you’re about to meet or you’ve just met. And in an all trans setting, referring to me as „he/him“ honors my gender expression in the same way that referring to my sister drag queens as „she/her“ does.(Wiki englisch) – „Mich mit ’sie/ihr‘ zu bezeichnen ist angemessen, insbesondere in einer nicht-trans Umgebung, in dem mich mit ‚er‘ zu bezeichnen den Eindruck machen würde, den sozialen Widerspruch zwischen meinem bei der Geburt zugeordneten Geschlecht und meinem Gender-Ausdruck aufzulösen, und meinen transgender Ausdruck unsichtbar machen würde. Ich mag die genderneutralen Pronomenze/hir‚, weil sie es unmöglich machen, an Annahmen über Gender/Geschlecht/Sexualität festzuhalten bei einer Person, die du bald treffen wirst oder die du gerade getroffen hast. Und in einer reinen trans Umgebung bedeutet, mich mit ‚er/ihm‘ zu bezeichnen, dass mein Genderausdruck anerkannt wird, auf die gleiche Art, wie es bei meinen Drag Queen Schwestern bedeutet, sie mit ’sie/ihr‘ anzusprechen.“

Weiter sagte zie über die Nutzung von Pronomen: “I care which pronoun is used, but people have been respectful to me with the wrong pronoun and disrespectful with the right one. It matters whether someone is using the pronoun as a bigot, or if they are trying to demonstrate respect.”(2) – „Es ist mir wichtig, welche Pronomen benutzt werden, aber Leute waren respektvoll mir gegenüber mit den falschen Pronomen und respektlos mit den richtigen. Es spielt eine Rolle, ob jemensch die Pronomen mit Vorurteilen verwendet, oder ob sie versuchen, Respekt zu zeigen.“


Quellen Biografie: Wiki deutsch | englisch
außerdem:
(1) lesliefeinberg: self (Link Englisch)
(2) Teen Vogue (Link Englisch)

32/2023: Laura Hershey, 11. August 1962

Als Kleinkind wurde Laura Hershey, erstes von zwei Kindern einer Familie in Littleton, Colorado, mit Spinaler Muskelatrophie diagnostiziert, einem durch Gendefekte ausgelösten fortschreitenden Muskelschwund. Sie nutzte daher schon bald Rollstühle, ihre Eltern, insbesondere ihre Mutter förderte jedoch ihre schulische Bildung, trotz des erschwerten Zugangs zu Schulen für Menschen mit Behinderung. An der Highschool zeigten sich bereits ihre Talete, so war sie Mitglied des Debattierclubs und Redakteurin der Schülerzeitung.(1)

Als Hershey 11 Jahre alt war, wurde sie als das ‚Posterkind‘ von Colorado für die Muscular Dystrophy Association (Link Englisch), ausgewählt und so von Jerry Lewis‚ für seine (von 1966 bis 2014) alljährlichen MDA Labor Day Telethon (Link Englisch) bekannt gemacht. Mit den Bildern der Kinder mit SMA sollte bei den Zuschauern Mitleid erweckt und die Spendenwilligkeit gesteigert werden; Jerry Lewis bezeichnete die Kinder als ‚Jerry’s Kids‘. Zu dieser Zeit empfand sie die Herangehensweise und den Umgang mit ihr als Betroffene wohl schon als verstörend, konnte dies als Kind jedoch nicht klar erkennen und formulieren.(siehe YouTube It’s Our Story)

Nach dem Studium der Geschichte am Colorado College, das sie 1983 mit einem Bachelor-Grad abschloss, erhielt sie ein Stipendium der Watson Foundation (Link Englisch). Dieses ermöglichte ihr, für einige Zeit in Großbritannien zu leben. Hier begegneten ihr erstmals andere Menschen mit Behinderung, die sich künstlerisch und politisch für die Wahrnehmung und die Rechte von behinderten Menschen einsetzten und Hershey in den Menschenrechtsaktvismus einführten. Zwar hatte sich schon 1978 in der Haupststadt ihres Heimatstaates, Denver, Colorado, die Organisation ADAPT (Link Englisch) gegründet, hershey schloss sich dort jedoch erst nach ihrer Rückkehr aus Großbritannien 1985 an.

Als 1990 die Kritik an Jerry Lewis, seinen Telethons und seinem Umgang mit Kindern und Erwachsenen mit SMA laut wurde, zählte Laura Hershey zu den Stimmen. Nicht nur, wie das Leben mit Kindern mit SMA als bemitleidenswert und schrecklich dargestellt wurde, sondern auch die dröhnende Missachtung von Erwachsenen mit SMA waren Kritikpunkte vor allem ehemaliger ‚Jerry’s Kids‚. Lewis hatte einen Artikel darüber geschrieben, wie er sich selbst in einen Rollstuhl gesetzt habe und feststellen musste, dass ’sein Leben so nur halb zu leben wäre‘; als Protestreaktion darauf gründeten sich ‚Jerry’s Orphans‚ Die inhärente Vorstellung, dass ein Leben mit SMA oder anderer Behinderung nicht lebenswert wäre, stieß bei Hershey und ihren Mitstreiterys auf Widerspruch; sie verlangten, nicht als Objekt für Mitleid oder als abschreckendes Beispiel dargestellt zu werden, sondern als Menschen mit erfülltem Leben und vor allem mit allen Bürgerrechten. Die Kinder seien nur für ihren Schauwert eingesetzt worden, die Spendensammlung richtete sich jedoch viel mehr darauf aus, eine ‚Heilung‘ für den Gendefekt zu finden und habe zu wenig in Hilfe für die bereits mit SMA lebenden Erwachsenen – damalige und inzwischen herangewachsene – resultiert. (Der Abschnitt über Criticism am MDA Telethon (Link Englisch) ist ausgesprochen lesenswert, wenn auch lange nicht erschöpfend. Jerry Lewis‘ Reaktion auf die berechtigte Kritik von Betroffenen war suboptimal. Clip unten nur empfohlen für Menschen mit großer Gelassenheit.) Bei ihren Protesten gegen die Veranstaltung wurde Hershey mehrfach verhaftet.

ABC Primetime Live – Jerry Lewis Telethon – CN Ableism, Narzissmus

Ihren politischen Aktivismus setzte Laura Hershey auch als Autorin und Lyrikerin um; sie verfolgte ein weiteres Studium in Kreativem Schreiben, schrieb Bücher und Gedichte sowie eine regelmäßige Kolumne für die Webseite der Christopher and Dana Reeves Foundation (Link Englisch); auch auf ihrer eigenen Seite Crip Commentary‚ (inaktiv) veröffentlichte sie ihre Texte. Zur Anthologie ‚Sisterhood Is Forever‚ trug sie das Kapitel ‚Rights, Realities, and Issues of Women with Disabilities‚ bei. Als lesbische Frau setzte sie sich auch insbesondere für die Rechte homosexueller Menschen mit Behinderung ein; mit ihrer Partnerin adoptierte sie ein Kind. Sie besuchte die UN Konferenzen für Frauenrechte in Nairobi 1985 und in Peking 1995. Noch 2008 machte sie ihren Master of Fine Arts an der Antioch University (Link Englisch) und leitete 2009 einen Workshop zu queer disabled bodies bei der Creating Change Conference.(2) Im November 2010 starb sie unerwartet nach einer kurzen Erkrankung.

Erster Teil der Reihe mit Laura Hershey bei It’s Our Story – alle 13 sind sehenswert

Quelle Biografie: Wiki englisch
außerdem:
(1) www.laurahershey.com/
(2) Denver Library

28/2023: Gunilla Gerland, 13. Juli 1963

Der Vater von Gunilla Gerland war gewalttätig; nachdem er die Familie verließ, blieb sie mit der alkoholkranken Mutter zurück. Mit 16 zog sie aus ihrem Zuhause in Stockholm aus und ging nach Spanien.

Mit 29 Jahren erhielt Gerland eine Autismus-Diagnose; ihre Form des Autismus läuft im ICD-10 noch immer unter Asperger-Syndrom*. Der Arzt, der sie diagnostizierte, ermutigte sie zum Schreiben, und so brachte sie 1996 ihre Autobiografie heraus über das Aufwachsen als neurodivergentes Kind in einem gewalttätigen, vernachlässigenden Elternhaus. Unter dem Titel ‚Ein richtiger Mensch sein: Autismus – das Leben von der anderen Seite‘ ist es auch in Deutschland erhältlich.

Sie ist heute eine Fürsprecherin für autistische Menschen, schriebt Beiträge, hält Vorträge und nimmt an Podiumsdiskussionen teil, um über Autismus aufzuklären und mehr Akzeptanz für neurodivergente Menschen zu erreichen. Außerdem beteiligt sie sich an der Autismusforschung und trägt die Perspektive der Betroffenen zu wissenschaftlichen Erkenntnissen bei.


*Um den Begriff Asperger-Syndrom gibt es seit einiger Zeit eine Diskussion, da der Namensgeber, Hans Asperger, nicht nur mindestens ein Mitläufer der Nazis war, sondern explizit seine Unterscheidung zwischen hochfunktionalen und anderen Formen des Autismus dazu diente, Betroffene in die Jugendfürsorgeanstalt Am Spiegelgrund einzuweisen, wo sie im Namen der ‚Rassenhygiene‚ ermordet wurden. Asperger muss sich dessen bewusst gewesen sein. Die Diagnose des ‚Asperger-Syndroms‘ bedeutete, dass die Betroffenen noch in irgendeiner Weise nützlich sein könnten für den nationalsozialistischen Staat. Tiefgehend mit Hans Asperger und seiner Rolle in der ‚Euthanasie‘ befasst sich zum Beispiel Linus Mueller bei Autismus-Kultur. Auch die Einteilung des Autismus-Spektrums in ‚hochfunktional‘ und ’niedrigfunktional‘ steht zur Debatte; dem Maßstab einer Funktionalität in einer neurotypischen Welt wird die Bemessung gegenübergestellt, wie stark oder ‚erfolgreich‘ autistische Menschen ‚maskieren‚, also den Eindruck einer neurotypischen ‚Normalität‘ vermitteln können – oft auf Kosten ihrer mentalten und physischen Gesundheit. Eine prägnante Erläuterung liefert etwa Melanie Theissler im Beitrag ‚Warum der Begriff ‚hochfunktional‘ problematisch ist‘ auf Autistic Psychologist. Seit Ende der 1990er Jahre ist auch der Begriff der Neurodiversität für die Varianten des Autismus, aber auch andere Arten der kognitiven, neurologischen und informationsverarbeitenden Diversität im Gespräch. Der Verein Neurodivers e.V. bietet hierzu einige weiterführende Informationen aus Wissenschaft und Gesellschaft. Etwa diese Gesprächsrunde auf dem Kanal 100percentme:


Quelle Biografie: Wiki deutsch | englisch

27/2023: Vibeke Vasbo, 9. Juli 1944

Vibeke Vasbo kam als zweites von vier Kindern zweier Ärztys auf der dänischen Insel Als zur Welt. Sie wuchs in Tandslet auf, verbrachte aber auch viel Zeit in Aabenraa auf dem dänischen Festland, bei ihrer Großmutter mütterlicherseits, der Politikerin Ingeborg Reflsund Thomsen. Diese prägte wohl auch ihr späteres politisches Bewusstsein.

Als Jugendliche wollte Vasbo Journalistin werden, sie schrieb Kurzgeschichten und Gedichte; nach dem Abschluss der weiterführenden Schule ging sie für ein halbes Jahr als Au Pair nach Cambridge, anschließend studierte sie Deutsch und Englisch an der Universität Kopenhagen. Im Studium lernte sie Karen Syberg kennen; die beiden Frauen gründeten bald nach dem Vorbild der US-amerikanischen Redstockings (Link Englisch) die dänische Frauenrechtsbewegung Rødstrumperne. Die ‚Rotstrümpfe‘ demonstrierten und setzten sich für Frauenrechte – eine Demonstration 1970 endete (laut Wikipedia) mit dem Verbrennen von Büstenhaltern, einer angeblich beliebten Geste unter Feministinnen der Zeit, die möglicherweise ins Reich der Legenden verbannt gehört (außer, wenn die Däninnen es nun doch tatsächlich gemacht haben). Die ‚Rotstrümpfe‘ gründeten auch ein Frauencamp auf der Insel Femø und setzten sich für das Recht auf Abtreibung ein. Vasbo brach ihr Studium 1973 mit 29 Jahren ab und begann, im Kopenhagener Bispebjerg Hospital zu arbeiten.

Nach einer kurzen Ehe mit einem Seemanns-Pastor in Hull(2) lebte Vasbo inzwischen in einer Beziehung mit der norwegischen Schriftstellerin Gerd Brantenberg (deren ‚Die Töchter Egalias‘ mir damals in den 1990ern doch eine Epiphanie verschafft – heute sicher nicht mehr 100% zeitgemäß, da vollkommen binär, wies es doch schon auf die Absurdität der Geschlechterrollen hin, indem es die Vorzeichen umgekehrt setzte; lange, bevor es Social Media und seitenverkehrt gab). Wie auch in anderen Ländern entwickelte sich in der Frauenbewegung eine bedauerliche Ablehnung der lesbischen Mitstreiterinnen, sodass Vibeke mit 200 anderen Mitgliedern die eigene lesbische Bewegung (‚lesbisk bevægelse‚) gründete. Vasbo und Brantenberg zogen nach Oslo, wo Vasbo als Kranführerin arbeite. Aus ihren Tagebüchern entstand ihre erste Veröffentlichung im Jahr 1976 – auf deutsch ‚Tagebuch‘, trägt das Buch im Original den wunderbaren Titel ‚Al den løgn on kvinders svaghed‚ – ‚All die Lügen über die Schwäche der Frauen‘. Es stellt die erste Erzählung aus Sicht einer offen lesbischen Frau in der dänischen Literatur dar.

1981 traf sie den Priester Leo Thomsen. Sie beendete den Kontakt zur Lesbenbewegung, doch die Beziehung zu Thomsen war schwierig – Vasbos Roman ‚Miraklet i Amalfi‚ (‚Das Wunder von Amalfi‘) erzählt davon – und endete einen Monat vor seinem Tod 1998.

Vasbo schrieb seitdem noch weitere Bücher, etwa ‚The Song of Hild‚ über die Klostergründerin Hilda von Whitby.(3)


Quelle Biografie: Wiki englisch
außerdem:
(2) Sacristy Press
(3) Blogbeitrag zum Buch Song of Hild

22/2023: Nancy Cárdenas, 29. Mai 1934

Zur Welt kam Nancy Cárdenas in Parras de la Fuente, einem kleinen Ort im mexikanischen Bundesstaat Coahuila. Sie studierte zunächst Philosophie und Literatur an der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko, nebenher begann sie mit 20 Jahren als Radiosprecherin zu arbeiten; in diesen Fächern machte sie schließlich ihren Doktortitel. Sie studierte auch Theaterschauspiel in Yale und polnische Kultur und Literatur in Łódź. Während ihrer internationalen Studienzeit begegnete sie Menschen, mit denen sie sich über Queerness austauschte; diese Erfahrungen und Einsichten flossen auch in ihre späteren Werke ein.(2)

In den 1950ern arbeitete sie als Theaterschauspielerin, so war sie 1956 am Lyrik-Programm ‚Poesía en Voz Alta‚ (etwa ‚Poesie mit lauter Stimme‘) von Héctor Mendoza beteiligt. In der folgenden Dekade verlegte sich Cárdenas auf das Schreiben: Sie verfasste Theaterstücke und schrieb für Magazine und Zeitungen; ihr erstes Stück war der EinakterEl cantaro seco‚ (etwa ‚Der leere/trockene Krug‘). Bereits in dieser Zeit war sie politisch aktiv und trat für kommunistische und feministische Ziele ein, beides keine sehr beliebten Haltungen in der mexikanischen Gesellschaft; 1968 wurde sie bei Protesten gegen Polizeigewalt verhaftet. Auch in ihren Texte bezog sie politisch Position, etwa in dem Stück ‚SIDA… así es la vida‚ (etwa ‚AIDS… so ist das Leben‘) und in ihrer Adaption des Romans ‚Quell der Einsamkeit‚ von Radclyffe Hall. In den 70er Jahren wechselte sie schließlich ins Regiefach, ihre Produktion von ‚The Effect of Gamma Rays on Man-in-the-Moon Marigolds‚ von Paul Zindel gewann einen Kritikerpreis.

Inzwischen war ihre politische Haltung und ihr Einsatz für die Rechte Homosexueller und anderer gesellschaftlich marginalisierter Personen allgemein bekannt. Dennoch war es ein unerhörter Moment, als sie 1973 öffentlich bekannte, lesbisch zu sein. Sie war Gast in der Sendung ‚24 horas‚ (’24 Stunden‘) und sprach mit dem Moderator über die Entlassung eines homosexuellen Angestellten aufgrund seiner sexuellen Orientierung. Im Rahmen dieses Gesprächs erklärte sie ihre eigene Homosexualität und war damit die erste Lesbe, die öffentlich ihr Coming Out hatte. Nach dem Gespräch war sie zwar nicht Opfer direkter Anfeindungen, dennoch spürte sie den nachteiligen Effekt: „Niemensch sprach mich darauf an attackierte mich dafür, alles, was ich erhielt, waren Glückwünsche, aber niemensch gab mir mehr Arbeit.“(3) In dieser Phase der eingeschränkten beruflichen Tätigkeit wurde sie umso mehr gesellschaftlich aktiv: Schon im Jahr nach ihrem Coming Out gründete sie die erste Homosexuellen-Organisation Mexikos, die Frente de Liberacíon Homosexual (Link Englisch, in diesem Beitrag wird das Gründungsjahr allerdings mit 1971 angegeben). In die Aufgabe, einer Menschenrechtsorganisation vorzusitzen, stürzte sie sich mit Leidenschaft, sprach mit vielen Betroffenen und sammelte Erzählungen aus der Gemeinschaft. Als Vorsitzende der Organisation nahm sie 1975 an der ersten Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen in Mexiko-Stadt teil, sie war hier Gastgeberin eines Forums über Lesbianismus – aus der Diskussion der Beteiligten des Forums entstand das Manifesto in Defense of Homosexuals in Mexico, das sie mit Carlos Monsivaís verfasste. Die Teilnahme öffentlich bekennender lesbischer Frauen an der Konferenz wurde von außen heftig kritisiert; gegen das Forum wurde mit Schildern protestiert, allerdings soll Cárdenas mit einer der Protestierenden – die ein Schild trug, das Cárdenas‘ Tötung forderte – gesprochen und erfahren haben, dass diese von der Polizei bezahlt worden war.(3) Nach der Veranstaltung lud sie die internationalen Beteiligten zu sich nach Hause ein; dort konnten Lesben aus aller Welt ins Gespräch kommen mit den Lesben der mexikanischen Bewegung. Zur dieser Gemeinschaft gehörten nach Cárdenas auch ‚lesbians who thought they were women trapped in men’s bodies‚, also trans Frauen, sowie wahrscheinlich auch Frauen, die Frauen liebten, sich aber männlich identifizierten. Entgegen der heute so nicht mehr akzeptablen sprachlichen Ausdrücke fasste der Lesbianismus in Cárdenas Gemeinschaft nicht nur die klassische Interpretation von weiblich gelesenen Personen, die sich sexuell zu ebenso weiblich gelesene Personen hingezogen fühlen.(3, der Quellentext verweist hier ganz richtig darauf, dass zu dieser Zeit die Wahrnehmung von Transidentität und somit auch die Sprache/das Sprechen darüber nicht dem heutigem Kenntnisstand entspricht und deshalb auch nicht an heutigen Idealen gemessen werden kann)

Als eine Ikone der LGBTQ-Gemeinschaft in Mexiko führte Nancy Cárdenas am 2. Oktober 1978 auch die erste Gay Pride Parade Mexikos an, die sich einem Erinnerungsmarsch zum Jahrestag des Massakers von Tlatelolco anschloss. Ihre Aktivität insbesondere als lesbische Frau wurde von den unterschiedlichen politischen Kreisen, die sich nicht unbedingt überschnitten, nicht mit Wohlwollen betrachtet: Im heteronormativen Feminismus wurde Lesbianismus zwar still hingenommen, doch sprechen sollten die Frauen nicht darüber – lesbischer Aktivismus sei anti-feministisch, weil er von ‚echten Problemen‘ ablenke. Ebenso waren ihre Genoss*innen im kommunistischen Kampf der Meinung, lesbischer Aktivismus sei anti-kommunistisch, weil er von ‚echten Problemen‘ ablenke. Andere fanden, die Idee der Queerness – der Homosexualität, der nicht-cis Identität – sei aus den USA importiert und widerspräche den mexikanischen Traditionen. Alles Positionen also, die dem intersektionalen Feminismus auch heute noch entgegenstehen: Dass er von den ‚eigentlichen‘ Problemen ablenke oder in irgendeiner moralischen oder ideologischen Verderbtheit oder Verwahrlosung entspringe.

In den Jahren nach dieser Gründerzeit schrieb Cárdenas weiterhin Theaterstücke und Lyrik, 1979 führte sie Regie bei dem Dokumentarfilm ‚Mexico des mis amores‚. Außerdem hielt sie als Feministin und Sexologin Vorträge, trat im Fernsehen auf und organisierte Konferenzen. Sie starb am 23. März 1994 mit 69 Jahren in Mexiko-Stadt an Brustkrebs.


Quelle Biografie: Wikipedia (Link Englisch)
außerdem:
(1) LGBT History Month
(2) Making Queer History

frage der perspektive

Transkription: den blick in den himmel gerichtet / fühlt sich der freie fall / wie fliegen an

06/2023: Eva Siewert, 11. Februar 1907

Eva Siewerts Vater Hans war ein Kammersänger, der 1932 Mitglied der NSDAP wurde, ihre Mutter Frida (geborene Michels) war Opern- und Konzertsängerin und Jüdin. Eva kam in Breslau (heute in Polen) zur Welt, vier Jahre später wurde die Ehe der Eltern in Hamburg geschieden, das Kind lebte anschließend bei der Mutter in Berlin. Sie wurde wohl hauptsächlich von Gouvernanten großgezogen, die Beziehung zur Mutter war schwierig. Mit acht Jahren floh Eva sogar für eineinhalb Jahre zum Vater, der inzwischen großherzoglicher badischer Kammersänger in Karlsruhe war. Erst eine gerichtliche Anordnung zwang Eva zurück zu ihrer Mutter nach Berlin, wo sie auch ihre Schulbildung am Lyzeum mit der Obersekundarreife (nach der 11. Klasse) abschloss.

1923, mit 16 Jahren, begann Siewert zunächst bei ihrer Mutter, dann an der Staatlichen Hochschule für Musik in Berlin Musik zu studieren und verbrachte sogar ein Bühnenjahr in Oldenburg, musste ihre Karriere als Sängerin jedoch aufgrund asthmatischer Beschwerden nach einer Erkrankung aufgeben. So wandte sie sich 1929 der Arbeit als Journalistin zu. Bereits im Jahr davor war sie Mitglied der SPD geworden, stellte eine parteipolitische Arbeit jedoch bald ein, da sie beständig gegen drohende Arbeitslosigkeit kämpfen musste. Mit 23 Jahren ging sie 1930 für ein Jahr nach Teheran, wo sie für eine deutsche Import/Exportfirma arbeitete – hier konnte sie ihre Fremdsprachenkenntnisse ausbauen, die ihr im Folgenden beruflich hilfreich waren. Nach ihrer Rückkehr hatte sie die Möglichkeit, Radiovorträge über ihre Auslandserfahrung halten zu können, dabei fiel ihre angenehme Stimme auf und der Internationale Radiodienst Berlin schlug sie als Radioansagerin bei Radio Luxemburg vor. Tatsächlich arbeitete Siewert von 1932 bis 1938 dort als Chefredakteurin und dreisprachige Chefsprecherin – mit den Sprachen Deutsch, Englisch und Französisch. Siewert sagte von sich, sie sei als „die Stimme Radio Luxemburgs“ bekannt geworden; der Sender war antifaschistisch und daher sei sie in Deutschalnd der „Feindverbindung“ verdächtig gewesen.

Als sich 1938 immer deutlicher die Bedrohung eines neuen Krieges abzeichnete, wollte Siewert eigentlich nach Teheran fliehen. Dafür benötigte sie jedoch ein Visum, das ihr nur in Berlin ausgestellt werden konnte – dies wurde ihr jedoch aufgrund ihrer journalistischen (antifaschistischen) Tätigkeit verweigert und ihr Pass wurde sogleich einbehalten, sodass sie nun in Deutschland festsaß. Noch dazu galt sie aufgrund ihrer jüdischen Mutter als ‚Mischling 1. Grades‘ und unterlag dem Berufsverbot in Rundfunk und Presse. So musste sie sich nun in Berlin mit schlecht bezahlten Arbeiten als Schreibkraft und Übersetzerin über Wasser halten. In dieser Zeit muss sie auch Alice Carlé kennengelernt haben, die mit ihrer Schwester Charlotte und den gemeinsamen Eltern in beengten Verhältnissen lebte, belastet von der Angst vor Verschleppung ins Konzentrationslager. Alice suchte oft Unterschlupf bei Siewert; die beiden waren sicherlich ein Liebespaar, wenn auch Siewert nicht von sich und dieser Beziehung in den heute dafür gängigen Worten sprach oder schrieb.

Zum ersten Mal in Schutzhaft kam Siewert 36-jährig im Jahr 1941 – bei einer Freundin in Bielefeld waren ‚belastende‘ Briefe gefunden worden, in denen Siewert einen antifaschistischen Witz wiedergegeben hatte. Sie musste eine Geldstrafe für ein Vergehen gegen das Heimtückegesetz bezahlen. Siewert fand eine Anstellung im Deutschen Rechtsverlag, doch wurde sie dort von zwei Kolleginnen bald schon wieder für Wehrkraftzersetzung denunziert – wiederum wegen Nacherzählens eines Witzes. Im Urteil wurde zwar auch die Aussage festgehalten, dass ihre Beziehung zu einer Kollegin einen ‚erotischen Einschlag‘ gehabt habe, doch die Zeugin wurde als wenig vertrauenswürdig erachtet. Dennoch musste Siewert dieses Mal für neun Monate ins Gefängnis: Vom 1. März bis zum 1. Dezember 1943 verbüßte sie eine Haftstraße im Frauengefängnis Barnimstraße. Weil sie bereits gesundheitlich angeschlagen war, musste sie „nur“ leichtere Zwangsarbeit verrichten, wie etwa Kabelprüfung für AEG oder Konservenherstellung bei der Bäckerei Aschinger.

Siewert litt an Zysten am Trommelfell, die ihr in der Zeit im Gefängnis wohl ohne Betäubung entfernt wurden, außerdem zog sie sich eine Gehirnerschütterung zu, nach der sie Zeit ihres restlichen Lebens mit Schwindel zu kämpfen hatte. Aus der Haft entlassen, war sie gesundheitlich am Tiefpunkt und ihre Freundin Alice war mit ihrer Schwester nach Auschwitz verschleppt worden. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges konnte sie sich nur noch mit Schwarzarbeit über Wasser halten; als politisch Verfolgte war sie für die meisten Arbeitgeber, die nicht mit der Regierung in Konflikt kommen wollten, untragbar. Sie überlebte den Krieg und die Judenverfolgung, doch konnte sie auch in den Jahren danach beruflich nur schlecht Fuß fassen. Sie erlitt 1949 einen Herzinfarkt und fühlte sich auch in Deutschland verständlicherweise unwohl, nicht zuletzt, weil Menschen um sie herum noch immer antisemitisch und faschistisch dachten und agierten. Zwar wurde ihr vom Hauptausschuss Opfer des Faschismus der Status einer politisch Verfolgten und damit ein Schwerbeschädigten-Ausweis sowie eine kleine Rente zugesprochen, doch ihre journalistische und schriftstellerische Tätigkeit blieb sporadisch und wenig beachtet. Ihre Buchprojekte blieben unveröffentlicht, ihre Theaterstücke wurden bis auf eine Ausnahme nicht inszeniert und auch im Radio blieb sie seltener Gast.

Über ihre höchstwahrscheinliche Liebesbeziehung zu Alice Carlé können nur Rückschlüsse gezogen werden aufgrund ihres Briefwechsels mit dem Publizisten und schwulen Aktivisten Kurt Hiller. Dieser war vor dem Krieg im Wissenschaftlich-humanitären Komitee tätig und ein enger Freund Magnus Hirschfelds. Siewert und Hiller waren in einige Jahre in regem Kontakt miteinander, bis sie ihn bat, ein Vorwort zu ihrem Buch über ‚Gynäkophilie‘ zu schreiben. Er lehnte dies ab; Siewert wiederum stimmte seinen politischen Bestrebungen nicht zu, was ihn brüskierte. Ihr Buch über Frauen, die Frauen lieben, wurde nie veröffentlicht. Andere Hinweise, das Siewert und Carlé ein lesbisches Paar waren, finden sich in ihren Kurzgeschichten.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschwand Eva Siewert so gut wie vollständig von der Bildfläche, Hoffnungen auf Auswanderung aus Deutschland zerschlugen sich. Am 3. Dezember 1994 wurde die 87-jährige tot in ihrer Wohnung gefunden.


Die Kenntnisse über Siewert verdanken wir Raimund Wolferts Arbeit zur zweiten deutschen Homosexuellenbewegung. Die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft initiierte die Gedenk-Webseite ‚In Erinnerung an Eva Siewert‘ – hier finden sich die biografischen Details mit Bildern, Videos und Tondateien als Scrollytelling-Projekt aufbereitet. Besonders die von Sigrid Grajek gelesenen Texte von Eva Siewert lohnen sich – in „Das Orakel“ etwa erzählt Siewert von der Situation, im Gefängnis zu sitzen und plötzlich den Kontakt zur Freundin zu verlieren, in „Das Boot Pan“ vom Umgang mit dem Verlust der Geliebten und ihrer Schwester.


Quelle Biografie: Wiki deutsch

Emily

UK/USA 2022, Regie: Frances O'Connor, mit Emma Mackey, Oliver Jackson-Cohen, Fionn Whitehead

Ich will pädagogisch vorgehen und erst sagen, was ich an EMILY alles mag.

Ästhetisch steht der Film von Frances O’Connor in der Tradition von The Piano (AUS/FR 1993, Regie: Jane Campion) und Mary Shelley (UK/LUX/USA/IR/AUS 2017, Regie: Haifaa Al-Mansour). Die Protagonistin steht im Zentrum der Erzählung, die Landschaft – in diesem Fall tatsächlich die Landschaft um Haworth, West Yorkshire, in der die Brontës lebten – nimmt narrativen Raum ein, das natürliche Licht spiegelt das wechselnde Gefühlsleben der Figur wider, dazu flüstert, treibt, jauchzt moderne Klassik mit Streichinstrumenten und Frauenchören wie der Wind, der über die nordenglischen Hügel weht. All das mag ich.

Ich mag auch die Protagonistin, Emily (Emma Mackey), die mit der Kargheit der Landschaft und ihrer persönlichen Beziehungen recht glücklich ist. Ich mag, wie der Film ihre Individualität, ihren Widerspruchsgeist bis zur Häresie und Rebellion erzählt, wie ihre Persönlichkeit – ein wenig animalisch, voller Fantasie, getrübt nur von der scheinbaren Unmöglichkeit, die Liebe ihres Vaters erringen zu können – vom sprichwörtlichen Korsett der christlichen Zivilisation am Atmen und Sich-Entfalten gehindert wird. Ich mag die Beziehungen der Geschwister zueinander, denn sie sind authentisch, nicht einseitig voller Liebe oder Ablehnung, sondern vielseitig, manchmal näher, manchmal und gerade deshalb schärfer und schmerzhafter in ihren Konflikten als als jede andere Liebe. Ich mag auch die Liebesbeziehung zwischen der ’sonderlichen‘, freigeistigen Emily und dem Vikar William (Oliver Jackson-Cohen), der aufgerieben ist zwischen romantischem Streben, körperlichen Trieben und seinem Bedürfnis nach der Sicherheit des institutionalisierten Glaubens; wie sie sich anziehen und abstoßen, und sogar die Tragik des unvermeidlichen Endes mag ich.

All that said.

Wenn ich aber doch eine so spannende Persönlichkeit wie Emily Brontë als Protagonistin ins Zentrum eines Films setze, der so vieles gut mache, warum dichte ich ihr in das Vakuum, das ihre wirkliche Biografie darstellt, nun wieder etwas so Banales wie die Liebesbeziehung zu einem Mann an? Wir wissen nicht viel über diese Brontë, aber es könnte ja alles mögliche in ihrem Leben gewesen sein, das erzählenswert wäre. Und wenn es nur ihre Beziehung zum Vater wäre, oder zu ihren Geschwistern, ihrem Bruder unter anderem? Ja, das sind dann auch wieder Männer, und ja, ihr einziger Roman ‚Sturmhöhe‘ beinhaltet auch eine tragische Liebesgeschichte. Er ist aber viel mehr als das und lässt auf eine viel spannendere Genese schließen als dass Emily Brontë sich unglücklich in einen Vikar verliebt hatte. Und gerade, weil ‚Sturmhöhe‘ so viel mehr ist als ein Liebesroman, kommt die Darstellung ihrer Zeit, die Verhältnisse der Brontë-Geschwister zueinander und zum Vater im Film über sie viel zu kurz. Stattdessen wird eine feministische Ikone der Literatur auf ihre verletzten romantischen Gefühle reduziert, weil die tragische Beziehung zu einem Mann das einzige sein kann, was Frauen zur Kunst antreibt.

Davon, dass der Film wieder einmal nur den Vornamen der Persönlichkeit trägt, von der er erzählt, fange ich erst gar nicht an, das Phänomen ist schon auf FILMLÖWIN mehrfach angesprochen worden, ebenso wie anlässlich genau dieses Films bei Seitenverkehrt auf Instagram. Ärgerlich ist daran, dass einerseits Emily mehrere Personen sein können – Emily Blackwell, Emily Carr oder Emily Lovira Gregory wären ebenfalls interessante Trägerinnen dieses Namens – und es andererseits der Persönlichkeit hinter dem Namen wenig Respekt zollt. Bei Filmen über Männer kommt diese despektierliche Fraternisierung, die auch als Herablassung verstanden werden kann, nicht vor – sogar der ganz gute THE CURRENT WAR, der den Wettlauf um die Elektrifizierung der USA zwischen Thomas Edison, George Westinghouse und Nicola Tesla zeigt, heißt unnötigerweise im Deutschen „Edison – Ein Leben voller Licht“. Warum dann nicht „Thomas, George und Nicola – Drei Typen geben Stoff“? Filme über bewundernswerte Frauen nur mit dem Vornamen zu betiteln, klingt wie die hessische Art, über Mädchen zu sprechen: „Ach, ’s Emily, die had’s fausddick hinner de Oohr’n!“

So gelungen EMILY also formal ist, als Film von einer Drehbuchautorin und Regisseurin fällt er mit diesen Kritikpunkten hinter die Erwartungen an ein feministisches Werk zurück.


EMILY deutscher Trailer

tinder bevor es tinder gab

Das folgende Gedicht hat eigentlich keinen Titel, als ich es schrieb, war ich etwa 18 und ja, es hat ein bisschen ‚i’m not like other girls‘ vibes. Aber andererseits hab ich einiges davon schließlich und endlich in meinem Partner gefunden, also auch ‚you go girl‘!

Ich brauche keinen

  • wie jede einen hat
  • der nichts begreift
  • der nicht lebt
  • der Angst vor mir hat
  • der sich für sich behalten will
  • der sich raushält

So einen brauche ich

  • den es nur einmal gibt
  • der begreifen kann
  • der lebendig ist
  • der sich mir stellt
  • der sich mir hingibt
  • der sich einmischt

Einen,

  • mit dem meine Konturen verwischen können
  • mit dem ich sie wiederfinden kann

Einen wie mich

WEG MIT
§218!