Kategorie: gelesen

43/2019: Doris Lessing, 22. Oktober 1919

Von Doris Lessing habe ich bisher nur Das fünfte Kind gelesen – und das lange vor der Zeit, zu der ich selbst Mutterschaft in Erwägung gezogen habe.

Meiner Ansicht nach setzt sich dieser Roman mit dem Folgenden auseinander: Mit den Ängsten der schwangeren Person, welche Persönlichkeit im eigenen Leib heranwächst, und auch den Schuldgefühlen, welchen Einfluss gerade diese Ängste und Befindlichkeiten auf diese doch ursprünglich unschuldige Persönlichkeit haben. Mit der Frage danach, ob Menschen tatsächlich als tabula rasa auf die Welt kommen oder „das Böse“ in ihnen, das Ausmaß eines möglichen antisozialen Wesens, vielleicht doch schon von der Biologie angelegt ist. Auch mit der Frage, wie sich Eltern gegenüber „schwierigen“ Kindern verhalten können, müssen oder sollten. Und: Mit dem gesellschaftlichen Tabu fehlender „instinktiver“ Mutterliebe.

Das sind allerdings alles nur kurze, notizenhafte Gedanken, da die Lektüre einerseits wie gesagt schon eine Weile zurückliegt und ich immer noch wenig Zeit habe (siehe Beitrag letzte Woche).

mary shelley

für die FILMLÖWIN durfte ich Mary Shelley besprechen – seit dem 9. Mai auf DVD/BD – ein sehr schöner film, der locker den bechdeltest besteht und (fast) alles richtig macht!

Wer sich vorher oder hinterher noch mal etwas zur echten Mary Shelley zu Gemüte führen möchte, kann ja noch meinen Beitrag von 2016 zu ihr lesen. Ihr Leben nach der Veröffentlichung von Frankenstein bekommt dort auch nicht sehr viel Raum, deshalb hier eine kurze Zusammenfassung ihres Lebens post-Frankenstein. Sie schrieb weitere Romane und Reiseberichte, vor allem aber arbeitete sie daran, das Werk ihres verstorbenen Mannes zu veröffentlichen. Davon, seine Biografie zu schreiben, hielt sie ihr Schwiegervater ab, der seine finanziellen Zuwendungen – auf die sie lange Zeit angewiesen blieb – davon abhängig machte, dass niemand von den radikalen Ansichten seines Sohnes erfuhr. Der Tod von Percys erstem Sohn mit Harriet Shelley machte Marys Sohn Percy Florence zum direkten Erben des Shelley-Vermögens und als der Schwiegervater später starb, waren Mutter und Sohn ihre wirtschaftlichen Sorgen halbwegs los.

Sie traf nach Percys Tod noch einige Männer, die ihr die Ehe antrugen, aber sie lehnte stets ab. Sie könne nach einer Ehe mit einem Genie nur ein weiteres heiraten, war ihre Begründung. Dafür half sie allerdings einem befreundeten Frauen*-Pärchen, in Frankreich wie Mann* und Frau* zusammenzuleben – sie half ihnen, den Pass einer der beiden zu fälschen, sodass diese dort unter ihrem männlichen Pseudonym leben konnte.

Sie wurde mehrfach Opfer von Erpressungsversuchen, die auf ihrer oder Percys „unmoralischer“ Lebensweise beruhten. Ein Mann erpresste sie damit, eine kritische Biografie Percy Bysshe Shelleys herausbringen zu wollen – worauf sie nicht einging, wohl, weil diese sie eventuell aus der Zensur durch ihren Schwiegervater befreit hätte. Sie fand allerdings ihren eigenen Weg, dennoch ihre eigene Sichtweise zu erzählen, indem sie Percys Gedichte mit ausführlichen Anmerkungen herausbrachte, die sehr ins biografische Detail gingen.

Noch etwas zu ihrem größten Werk, Frankenstein oder Der Moderne Prometheus. Es steht noch immer ein Film aus, der diese literarische Vorlage gänzlich von den filmischen Vorgängern frei und wirklich nach der Geschichte Shelleys erzählt. Als ich das Buch damals las, war ich immer wieder erschüttert, wie völlig anders Shelley den künstlichen Menschen charakterisiert, als es uns unsere popkulturellen Einflüsse glauben lassen. Ich kann nur empfehlen, sich dieses Werk auf die feministische Lektüreliste zu setzen.

Jetzt lest aber erst einmal meine Filmkritik auf FILMLÖWIN.

KW 35/2016: Mary Shelley, 30. August 1797

Mary Shelley

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Bei Mary Shelley habe ich eigentlich Schreibhemmung – ein reiches, beeindruckendes, freies Leben voller Tragik und Erfolg, und eine Person, die kulturhistorisch, literaturwissenschaftlich und feministisch ausführlich untersucht und besprochen wurde.

Deshalb möchte ich versuchen, mich auf die wesentlichen Dinge beschränken. Sie war die Tochter von Mary Wollstonecraft, die bei ihrer Geburt starb. Sie wuchs unter dem Namen der Ägide ihres Vaters William Godwin auf, der ihr und ihrer älteren Halbschwester Fanny Imlay eine verhältnismäßig umfassende Bildung und seine politische Ausrichtung zum Anarchismus angedeihen ließ. Sie verliebte sich mit 16 in einen Bewunderer ihres Vaters, Percy Bysshe Shelley, der zu diesem Zeitpunkt noch verheiratet war, folgte ihm auf einer Reise quer durch Europa und kehrte nach zwei Jahren von ihm schwanger nach England zurück. Das Verhältnis der beiden, zumal seine damalige Frau sehr unter seiner Untreue litt, war ein Skandal, den auch ihr Vater nicht guthieß; Mary sah in ihrem Lebensstil wohl die reale Umsetzung der frühen Ideen ihres Vaters.

In London wohnte Mary mit ihrer Stiefschwester Claire Clairmont zusammen, die sie auch auf der Europareise begleitet hatte, ihr Liebhaber und Vater ihres Kindes lebte wegen Schulden im Untergrund und war selten bei ihr. Ihr erstes Kind, eine Tochter, verstarb kurz nach der Geburt, was Mary in eine Depression stürzte. Sie wurde jedoch bald wieder schwanger und gebar einen Sohn, der mit ihr, Shelley und Clairmont an den Genfer See reiste. Das Ziel für den Sommerurlaub 1816 wurde entschieden, weil sich dort Lord Byron aufhielt, von dem Claire Clairmont schwanger war. Mit dessen Leibarzt John Polidori zu fünft, verbrachte die Gesellschaft den Sommer in der Villa Diodati, während der Säugling von einem Kindermädchen betreut wurde.

Die Geschichte darum, wie in diesem Sommer Mary Shelleys bekanntestes Werk, „Frankenstein„, zu Stande kam, ist halb Wahrheit, halb selbst gesponnene Legend. Tatsächlich war es wohl ein verregneter Tag, der die Gesellschaft im Hause festhielt, an dem Byron vorschlug, jeder von ihnen solle eine Schauergeschichte verfassen. Legende ist jedoch eher, dass Mary zunächst keine Idee hatte, aber von einem Wachtraum inspiriert wurde, in dem sie Frankensteins Monster neben seinem Schöpfer vor sich sah. Ihr eigenes Tagebuch dieses Zeitraums existiert nicht mehr, John Polidori notierte jedoch in seinem, dass alle außer ihm sofort an einer Geschichte arbeiteten.

Bevor Frankenstein allerdings veröffentlicht wurde, ließen sich Percy Shelley und Mary in England nieder, erlebten die Selbstmorde von Percys erster Ehefrau und Marys Halbschwester Fanny Imlay. Der junge Witwer und die erneut schwangere Autorin heirateten, eigentlich nur, um das Sorgerecht für Percys Kinder aus erster Ehe zu gewinnen, und Mary gebar eine zweite Tochter. Anfang 1818 kam Frankenstein zunächst ohne Angabe des Verfassers heraus, kurz darauf verließ die Familie Shelley England mit dem Gedanken, nie mehr zurückzukehren.

Die Familie reiste mit Kindermädchen durch Europa und fand überall Freunde und Unterstützer. Dann starben beide Kinder kurz hintereinander in Italien und Mary verfiel erneut in schwere Depression. Das Schreiben und die Geburt ihres vierten und letzten Kindes halfen ihr über den Schmerz hinweg; Percys Interesse für andere Frauen, das über den Rahmen einer offenen Beziehung hinausging, eine weitere Fehlgeburt und der Verlust eines adoptierten Mädchens (dessen Herkunft ungeklärt ist) hingegen trugen nur zum tragischen Verlauf ihres Lebens bei.

Nachdem Percy Shelley bei einem Bootsunfall im Mittelmeer ums Leben gekommen war, hatte Mary kein weiteres ernsthaftes Interesse an Bindung. Sie arbeitete weiterhin als Autorin und Verlegerin, hatte auch amouröse Begegnungen, aber die wichtigste Beziehung blieb die zu ihrem Sohn Percy Florence. Zu ihrer späteren Schwiegertochter entwickelte sie noch ein inniges Verhältnis, sie litt zum Zeitpunkt der Hochzeit ihres Sohnes jedoch bereits an Symptomen einer Erkrankung, bei der es sich vermutlich um einen Hirntumor handelte, an dem sie einige Jahre später 53jährig verstarb.
„Frankenstein“ blieb ihr wichtigstes Werk; eine Geschichte, die sich unter anderem mit elterlicher Verantwortung, Forscherdrang, Fortschrittsangst, Wissenschaftshybris, Identitätsfindung, Moralität und der Frage, was gutes Leben ist, beschäftigt, und nebenbei schon das Uncanny Valley entdeckte.

Bild: By Richard Rothwell from the National Portrait Gallery, Public Domain

*

Von 230 (Wikipedia) relevanten Persönlichkeiten vor dem 19. Jahrhundert sind diese 13 (inklusive Mary Shelley) Frauen:
1.9.1286 Elisabeth Richza von Polen
29.8.1540 Elisabeth von Brandenburg-Küstrin
4.9.1557 Sophie von Mecklenburg
31.8.1629 Anna Margarete von Hessen-Homburg
1.9.1647 Anna Sophie von Dänemark
2.9.1648 Magdalena Sibylla von Sachsen-Weißenfels
4.9.1729 Juliane von Braunschweig-Wolfenbüttel
2.9.1763 Caroline Schelling
29.8.1769 Philippine Rose Duchesne
30.8.1798 Virgine Déjazet
30.8.1800 Auguste Gräfin von Harrach
4.9.1800 Pauline von Württemberg

KW 52/2015: Renate Welsh, 22. Dezember 1937

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Passend so kurz vor Weihnachten mit zwei Kindern bin ich mit Renate Welsh auf eine Kindheitserinnerung gestoßen: Das Vamperl gehörte zu meinem ersten Lesestoff. Das Vamperl ist ein kleiner Vampir, der kein Blut saugt, sondern wütenden Menschen die Galle abtrinkt. Wer bis jetzt noch kein Weihnachtsgeschenk für Kinder zwischen 7-10 hat, dem lege ich das Buch ans Herz (lehrer-online.de empfiehlt es als Unterrichtsmaterial für die 3. Klasse). Vielleicht kann damit das kommende Jahr etwas weniger toxisch gelingen… Frohes Fest!

KW 26/2015: Ingeborg Bachmann, 25. Juni 1926

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Zugegeben, ich habe bisher nur und das vor langer Zeit Malina von ihr gelesen. In einem meiner ersten Semester hatte ich ein Seminar zu Kunstmärchen und schrieb eine kurze Hausarbeit über das Märchen, das in Malina geschrieben wird. Den ganzen Roman hatte ich dann noch einmal als Prüfungsthema.

Ihren Geburtstag diese Woche habe jetzt zum Anlass genommen, mir eine Liste zu erstellen an Büchern von Autorinnen, die ich unbedingt lesen muss: Ingeborg Bachmanns Undine geht steht dort ganz oben.

Ingeborg Bachmann ist für mein Empfinden zu etwas wie die Gallionsfigur der deutschsprachigen Literatur – vielleicht auch nur, weil es den nach ihr benannten Preis gibt. Ihre „weibliche Empfindsamkeit“ ist ihre künstlerische Qualität, aber war auch ihr Folterknecht – schlußendlich sogar ihr Henker (ohne problematische Trennung von Max Frisch keine Barbiturat-Abhängigkeit, ohne Barbiturat-Abhängigkeit kein früher Tod durch Entzugserscheinungen). Was ich von ihrem Text erinnere, ist „typisch weiblich“, intuitiv, offen, fluid, manchmal jämmerlich, manchmal merkwürdig kraftvoll.

Bild: By Neithan90 – Own work, CC0

unterdrückung der mehrheit

und noch ein hinweis auf etwas, das es im netz zu sehen gibt: der kurzfilm Majorité Opprimée zeigt den alltäglichen sexismus in umgekehrten gender-rollen.
zugegeben, nicht jede frau wird jeden tag überfallen und physisch-sexuell attackiert. doch die gefahr ist ohne zweifel stets präsent, und das gibt der film wieder.
an dieser stelle kann ich auch (noch?) mal auf das buch Die Töchter Egalias hinweisen, das dieses experiment konsequent literarisch durchführt – bis hin zum penishalter, den die männer ab einem bestimmen alter tragen müssen, und einer ähnlichen gender-swapped-vergewaltigungssequenz. auch wenn es in den 1970ern enstanden ist und manche gesellschaftlichen aspekte heute tatschlich nicht mehr relevant sind… die grundhaltung, was die geschlechter trennt, unterscheidet und in hierarchie bringt, hat sich bis heute, leider, noch nicht so verändert, dass dieses buch obsolet geworden ist.

KW 23/2012: Mascha Kaléko, 7. Juni 1907

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Ich bin keine große Lyrikleserin und gebe auch zu, dass mein Geschmack (auch?) in dieser Sparte kein anspruchvoller ist – Experimentalismus spricht mich weniger an als eine klare Sprache, die direkt auf Emotionen abzielt. Diesem Angriff auf meine Seele setze ich mich dann gerne aus und ergebe mich der Manipulation. Das bedeutet auch, dass ich mit den Werken der bekanntesten Dichter im allgemeinen zufrieden bin. Mehr als Rilke, Hesse, Kästner, Tucholsky muss es für mich nicht sein (wenn man den alten Johann Wolfgang von G. mal als gegeben annimmt).

Aber ganz sicher nicht fehlen darf in meinem Repertoire die kesse, moderne, warmherzige und allzu-menschliche Mascha Kaléko. Das erste Gedicht, dass ich je von ihr las, ist mir direkt in Erinnerung geblieben mit seinem entwaffnenden Humor. Es war „Konsequenz des Herzens“.
Und egal, was sie über Liebe schreibt, es treibt mir Tränen des Glücks in die Augen, so schön, z. B. „Für Einen“ und „Was man so braucht…“

Ich selbst habe bisher nur „Das lyrische Stenogrammheft“ gelesen, ich liebte es aber sehr und es sollte Anlass zu weiteren Kaléko-Käufen sein. Einige ihrer Gedichte kann man sich professionell vorgetragen auf der Seite des Literaturcafés anhören.

WEG MIT
§218!