Kategorie: Lyrik

32/2023: Laura Hershey, 11. August 1962

Als Kleinkind wurde Laura Hershey, erstes von zwei Kindern einer Familie in Littleton, Colorado, mit Spinaler Muskelatrophie diagnostiziert, einem durch Gendefekte ausgelösten fortschreitenden Muskelschwund. Sie nutzte daher schon bald Rollstühle, ihre Eltern, insbesondere ihre Mutter förderte jedoch ihre schulische Bildung, trotz des erschwerten Zugangs zu Schulen für Menschen mit Behinderung. An der Highschool zeigten sich bereits ihre Talete, so war sie Mitglied des Debattierclubs und Redakteurin der Schülerzeitung.(1)

Als Hershey 11 Jahre alt war, wurde sie als das ‚Posterkind‘ von Colorado für die Muscular Dystrophy Association (Link Englisch), ausgewählt und so von Jerry Lewis‚ für seine (von 1966 bis 2014) alljährlichen MDA Labor Day Telethon (Link Englisch) bekannt gemacht. Mit den Bildern der Kinder mit SMA sollte bei den Zuschauern Mitleid erweckt und die Spendenwilligkeit gesteigert werden; Jerry Lewis bezeichnete die Kinder als ‚Jerry’s Kids‘. Zu dieser Zeit empfand sie die Herangehensweise und den Umgang mit ihr als Betroffene wohl schon als verstörend, konnte dies als Kind jedoch nicht klar erkennen und formulieren.(siehe YouTube It’s Our Story)

Nach dem Studium der Geschichte am Colorado College, das sie 1983 mit einem Bachelor-Grad abschloss, erhielt sie ein Stipendium der Watson Foundation (Link Englisch). Dieses ermöglichte ihr, für einige Zeit in Großbritannien zu leben. Hier begegneten ihr erstmals andere Menschen mit Behinderung, die sich künstlerisch und politisch für die Wahrnehmung und die Rechte von behinderten Menschen einsetzten und Hershey in den Menschenrechtsaktvismus einführten. Zwar hatte sich schon 1978 in der Haupststadt ihres Heimatstaates, Denver, Colorado, die Organisation ADAPT (Link Englisch) gegründet, hershey schloss sich dort jedoch erst nach ihrer Rückkehr aus Großbritannien 1985 an.

Als 1990 die Kritik an Jerry Lewis, seinen Telethons und seinem Umgang mit Kindern und Erwachsenen mit SMA laut wurde, zählte Laura Hershey zu den Stimmen. Nicht nur, wie das Leben mit Kindern mit SMA als bemitleidenswert und schrecklich dargestellt wurde, sondern auch die dröhnende Missachtung von Erwachsenen mit SMA waren Kritikpunkte vor allem ehemaliger ‚Jerry’s Kids‚. Lewis hatte einen Artikel darüber geschrieben, wie er sich selbst in einen Rollstuhl gesetzt habe und feststellen musste, dass ’sein Leben so nur halb zu leben wäre‘; als Protestreaktion darauf gründeten sich ‚Jerry’s Orphans‚ Die inhärente Vorstellung, dass ein Leben mit SMA oder anderer Behinderung nicht lebenswert wäre, stieß bei Hershey und ihren Mitstreiterys auf Widerspruch; sie verlangten, nicht als Objekt für Mitleid oder als abschreckendes Beispiel dargestellt zu werden, sondern als Menschen mit erfülltem Leben und vor allem mit allen Bürgerrechten. Die Kinder seien nur für ihren Schauwert eingesetzt worden, die Spendensammlung richtete sich jedoch viel mehr darauf aus, eine ‚Heilung‘ für den Gendefekt zu finden und habe zu wenig in Hilfe für die bereits mit SMA lebenden Erwachsenen – damalige und inzwischen herangewachsene – resultiert. (Der Abschnitt über Criticism am MDA Telethon (Link Englisch) ist ausgesprochen lesenswert, wenn auch lange nicht erschöpfend. Jerry Lewis‘ Reaktion auf die berechtigte Kritik von Betroffenen war suboptimal. Clip unten nur empfohlen für Menschen mit großer Gelassenheit.) Bei ihren Protesten gegen die Veranstaltung wurde Hershey mehrfach verhaftet.

ABC Primetime Live – Jerry Lewis Telethon – CN Ableism, Narzissmus

Ihren politischen Aktivismus setzte Laura Hershey auch als Autorin und Lyrikerin um; sie verfolgte ein weiteres Studium in Kreativem Schreiben, schrieb Bücher und Gedichte sowie eine regelmäßige Kolumne für die Webseite der Christopher and Dana Reeves Foundation (Link Englisch); auch auf ihrer eigenen Seite Crip Commentary‚ (inaktiv) veröffentlichte sie ihre Texte. Zur Anthologie ‚Sisterhood Is Forever‚ trug sie das Kapitel ‚Rights, Realities, and Issues of Women with Disabilities‚ bei. Als lesbische Frau setzte sie sich auch insbesondere für die Rechte homosexueller Menschen mit Behinderung ein; mit ihrer Partnerin adoptierte sie ein Kind. Sie besuchte die UN Konferenzen für Frauenrechte in Nairobi 1985 und in Peking 1995. Noch 2008 machte sie ihren Master of Fine Arts an der Antioch University (Link Englisch) und leitete 2009 einen Workshop zu queer disabled bodies bei der Creating Change Conference.(2) Im November 2010 starb sie unerwartet nach einer kurzen Erkrankung.

Erster Teil der Reihe mit Laura Hershey bei It’s Our Story – alle 13 sind sehenswert

Quelle Biografie: Wiki englisch
außerdem:
(1) www.laurahershey.com/
(2) Denver Library

22/2023: Nancy Cárdenas, 29. Mai 1934

Zur Welt kam Nancy Cárdenas in Parras de la Fuente, einem kleinen Ort im mexikanischen Bundesstaat Coahuila. Sie studierte zunächst Philosophie und Literatur an der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko, nebenher begann sie mit 20 Jahren als Radiosprecherin zu arbeiten; in diesen Fächern machte sie schließlich ihren Doktortitel. Sie studierte auch Theaterschauspiel in Yale und polnische Kultur und Literatur in Łódź. Während ihrer internationalen Studienzeit begegnete sie Menschen, mit denen sie sich über Queerness austauschte; diese Erfahrungen und Einsichten flossen auch in ihre späteren Werke ein.(2)

In den 1950ern arbeitete sie als Theaterschauspielerin, so war sie 1956 am Lyrik-Programm ‚Poesía en Voz Alta‚ (etwa ‚Poesie mit lauter Stimme‘) von Héctor Mendoza beteiligt. In der folgenden Dekade verlegte sich Cárdenas auf das Schreiben: Sie verfasste Theaterstücke und schrieb für Magazine und Zeitungen; ihr erstes Stück war der EinakterEl cantaro seco‚ (etwa ‚Der leere/trockene Krug‘). Bereits in dieser Zeit war sie politisch aktiv und trat für kommunistische und feministische Ziele ein, beides keine sehr beliebten Haltungen in der mexikanischen Gesellschaft; 1968 wurde sie bei Protesten gegen Polizeigewalt verhaftet. Auch in ihren Texte bezog sie politisch Position, etwa in dem Stück ‚SIDA… así es la vida‚ (etwa ‚AIDS… so ist das Leben‘) und in ihrer Adaption des Romans ‚Quell der Einsamkeit‚ von Radclyffe Hall. In den 70er Jahren wechselte sie schließlich ins Regiefach, ihre Produktion von ‚The Effect of Gamma Rays on Man-in-the-Moon Marigolds‚ von Paul Zindel gewann einen Kritikerpreis.

Inzwischen war ihre politische Haltung und ihr Einsatz für die Rechte Homosexueller und anderer gesellschaftlich marginalisierter Personen allgemein bekannt. Dennoch war es ein unerhörter Moment, als sie 1973 öffentlich bekannte, lesbisch zu sein. Sie war Gast in der Sendung ‚24 horas‚ (’24 Stunden‘) und sprach mit dem Moderator über die Entlassung eines homosexuellen Angestellten aufgrund seiner sexuellen Orientierung. Im Rahmen dieses Gesprächs erklärte sie ihre eigene Homosexualität und war damit die erste Lesbe, die öffentlich ihr Coming Out hatte. Nach dem Gespräch war sie zwar nicht Opfer direkter Anfeindungen, dennoch spürte sie den nachteiligen Effekt: „Niemensch sprach mich darauf an attackierte mich dafür, alles, was ich erhielt, waren Glückwünsche, aber niemensch gab mir mehr Arbeit.“(3) In dieser Phase der eingeschränkten beruflichen Tätigkeit wurde sie umso mehr gesellschaftlich aktiv: Schon im Jahr nach ihrem Coming Out gründete sie die erste Homosexuellen-Organisation Mexikos, die Frente de Liberacíon Homosexual (Link Englisch, in diesem Beitrag wird das Gründungsjahr allerdings mit 1971 angegeben). In die Aufgabe, einer Menschenrechtsorganisation vorzusitzen, stürzte sie sich mit Leidenschaft, sprach mit vielen Betroffenen und sammelte Erzählungen aus der Gemeinschaft. Als Vorsitzende der Organisation nahm sie 1975 an der ersten Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen in Mexiko-Stadt teil, sie war hier Gastgeberin eines Forums über Lesbianismus – aus der Diskussion der Beteiligten des Forums entstand das Manifesto in Defense of Homosexuals in Mexico, das sie mit Carlos Monsivaís verfasste. Die Teilnahme öffentlich bekennender lesbischer Frauen an der Konferenz wurde von außen heftig kritisiert; gegen das Forum wurde mit Schildern protestiert, allerdings soll Cárdenas mit einer der Protestierenden – die ein Schild trug, das Cárdenas‘ Tötung forderte – gesprochen und erfahren haben, dass diese von der Polizei bezahlt worden war.(3) Nach der Veranstaltung lud sie die internationalen Beteiligten zu sich nach Hause ein; dort konnten Lesben aus aller Welt ins Gespräch kommen mit den Lesben der mexikanischen Bewegung. Zur dieser Gemeinschaft gehörten nach Cárdenas auch ‚lesbians who thought they were women trapped in men’s bodies‚, also trans Frauen, sowie wahrscheinlich auch Frauen, die Frauen liebten, sich aber männlich identifizierten. Entgegen der heute so nicht mehr akzeptablen sprachlichen Ausdrücke fasste der Lesbianismus in Cárdenas Gemeinschaft nicht nur die klassische Interpretation von weiblich gelesenen Personen, die sich sexuell zu ebenso weiblich gelesene Personen hingezogen fühlen.(3, der Quellentext verweist hier ganz richtig darauf, dass zu dieser Zeit die Wahrnehmung von Transidentität und somit auch die Sprache/das Sprechen darüber nicht dem heutigem Kenntnisstand entspricht und deshalb auch nicht an heutigen Idealen gemessen werden kann)

Als eine Ikone der LGBTQ-Gemeinschaft in Mexiko führte Nancy Cárdenas am 2. Oktober 1978 auch die erste Gay Pride Parade Mexikos an, die sich einem Erinnerungsmarsch zum Jahrestag des Massakers von Tlatelolco anschloss. Ihre Aktivität insbesondere als lesbische Frau wurde von den unterschiedlichen politischen Kreisen, die sich nicht unbedingt überschnitten, nicht mit Wohlwollen betrachtet: Im heteronormativen Feminismus wurde Lesbianismus zwar still hingenommen, doch sprechen sollten die Frauen nicht darüber – lesbischer Aktivismus sei anti-feministisch, weil er von ‚echten Problemen‘ ablenke. Ebenso waren ihre Genoss*innen im kommunistischen Kampf der Meinung, lesbischer Aktivismus sei anti-kommunistisch, weil er von ‚echten Problemen‘ ablenke. Andere fanden, die Idee der Queerness – der Homosexualität, der nicht-cis Identität – sei aus den USA importiert und widerspräche den mexikanischen Traditionen. Alles Positionen also, die dem intersektionalen Feminismus auch heute noch entgegenstehen: Dass er von den ‚eigentlichen‘ Problemen ablenke oder in irgendeiner moralischen oder ideologischen Verderbtheit oder Verwahrlosung entspringe.

In den Jahren nach dieser Gründerzeit schrieb Cárdenas weiterhin Theaterstücke und Lyrik, 1979 führte sie Regie bei dem Dokumentarfilm ‚Mexico des mis amores‚. Außerdem hielt sie als Feministin und Sexologin Vorträge, trat im Fernsehen auf und organisierte Konferenzen. Sie starb am 23. März 1994 mit 69 Jahren in Mexiko-Stadt an Brustkrebs.


Quelle Biografie: Wikipedia (Link Englisch)
außerdem:
(1) LGBT History Month
(2) Making Queer History

frage der perspektive

Transkription: den blick in den himmel gerichtet / fühlt sich der freie fall / wie fliegen an

tinder bevor es tinder gab

Das folgende Gedicht hat eigentlich keinen Titel, als ich es schrieb, war ich etwa 18 und ja, es hat ein bisschen ‚i’m not like other girls‘ vibes. Aber andererseits hab ich einiges davon schließlich und endlich in meinem Partner gefunden, also auch ‚you go girl‘!

Ich brauche keinen

  • wie jede einen hat
  • der nichts begreift
  • der nicht lebt
  • der Angst vor mir hat
  • der sich für sich behalten will
  • der sich raushält

So einen brauche ich

  • den es nur einmal gibt
  • der begreifen kann
  • der lebendig ist
  • der sich mir stellt
  • der sich mir hingibt
  • der sich einmischt

Einen,

  • mit dem meine Konturen verwischen können
  • mit dem ich sie wiederfinden kann

Einen wie mich

Ruperts Tränen

Wut
Sex
Sieg
ist alles was dir bleiben soll
Dafür schmelzen sie dich ein
und schrecken dich ab

Damit die Tränen deiner Zärtlichkeit verhärten

Doch wenn sie fallen, zerbersten
Sohn
werden sie die Schablonen sprengen

Und ihr feiner glitzernder Staub
wird das System knirschend
zum Stillstand bringen

Literaturnobelpreis 2020

Louise Glück veröffentlichte schon 1968 ihren ersten Gedichtband Firstborn. Sie wurde in diesem Jahr mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet ‚für ihre unverwechselbare poetische Stimme, die mit schlichter Schönheit die indivuelle Existenz universell‘ mache.

20 tage

I.
20 Tage also
Jeder Tag ein feines Tuch, das sich über mir ausbreitet.

Ein feines weißes Tuch.
Ein feines weißes Tuch.
Ein feines weißes Tuch.
Ein feines weißes Tuch.
Ein feines weißes Tuch.
Ein feines weißes Tuch.
Ein feines weißes Tuch.
Ein feines weißes Tuch.
Ein feines weißes Tuch.
Ein feines weißes Tuch.
Ein feines weißes Tuch.
Ein feines weißes Tuch.
Ein feines weißes Tuch.
Ein feines weißes Tuch.
Ein feines weißes Tuch.
Ein feines weißes Tuch.
Ein feines weißes Tuch.
Ein feines weißes Tuch.
Ein feines weißes Tuch.
Ein feines weißes Tuch.

Darunter ich.
Darunter Treibsand.

II.
Jetzt kommt die Molasse.
Nicht tröpfchenweise.
Molasseschwall auf Molasseschwall breitet sich dick aus, schwarz, Molasseblut blubbert in den Tüchern, tränkt die Tücher, alles klebt, hängt, trieft, schwer, schwerer, schwerer, schwerer, schwerer, schwererschwererschwererschwererwerwerwerwerwerwerwerwer

III.

Wo ein Ich war
Eine klaffende Leere
Das ist keine Wunde
Das ist ein Wurmloch
Das saugt
Schreit
Erstickt
Unter schwarzen Tüchern
Still und
Ich
weg
ja
bitte
weg  

morbid ideation

ich könnte das nicht
selbstmord
würde ich nie tun
die armen kinder
der arme mann
die armen eltern
wie feige
würde ich nie tun
selbst

ja, ein unfall
eine krankheit
das ist was anderes
die armen kinder
der arme mann
die armen eltern
wie tragisch
aber im ergebnis
gleich

11/2018

5. November 1952: Vandana Shiva

Vandana Shiva wurde in eine brahmanische Familie geboren, der obersten Kaste Indiens, doch ihre Eltern prägten sie früh mit ihrer modernen und liberalen Einstellung. So hatten sie sich als Mitglieder der indischen Unabhängigkeitsbewegung einen neuen Namen gewählt, an dem ihre Kaste nicht mehr zu erkennen war; Vanadana wurde von der Mutter im Sinne des Feminismus ohne genderspezifische Erwartungen und Vorurteile erzogen. Die Wanderungen im Himalaya, die sie in ihrer Kindheit mit ihren Eltern machte, legten den Grundstein für ihre Naturbezogenheit.

Sie studierte zunächst Physik, mit Albert Einstein als Vorbild, doch bei der Arbeit an einem Brutreaktor im Bhabha Atomic Research Centre entwickelte sie eine Vorstellung von der Gefahr radioaktiver Strahlung und schloss ein Studium der Wissenschaftsphilosophie in Kanada an. Nach abgeschlossenem Studium wurde sie Professorin an einem Institut in Bangalore, dass  interdisziplinäre Forschung auf den Gebieten Technik, Umwelt und Politik betreibt.

Shiva war in ihrer indischen Studienzeit aktiv in der Chipko-Bewegung, in der sich indische Frauen gegen die Abholzung in ihrer Region und damit der Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen zur Wehr setzten, indem sie Bäume umarmten (chipko = HIndi für „festhalten“). Nach ihrer Rückkehr aus Kanada wurde sie zur bekanntesten, aber auch umstrittenen Figur des Ökofeminismus und der Globalisierungskritik in Indien. Sie rief die Organisation Navdanya ins Leben, die in Indien Samen traditioneller Nahrungspflanzen sammelt und bewahrt; Shiva ist überzeugt, dass die Lösung für Hunger und Armut nicht in genetisch veränderten Nahrungsmitteln liegt, sondern in der Rettung und Wiederentdeckung der natürlichen Diversität, mit der ursprüngliche Landwirtschaft betrieben wurde. Sie untersuchte mit der deutschen Feministin Maria Mies die Auswirkungen der westlichen, patriarchalischen Gesellschaft und ihrer wirtschaftlichen Entwicklungsstrategien in Indien. Die traditionell „männlichen“ Maßstäbe des Erfolges, nämlich Gewinn individueller Macht, zerstöre Umwelt und Gesellschaft, während traditionell „weibliche“ Werte den Erhalt und Entwicklung des Gemeinwohls förderten. Kritiker führen an, dass diese Einteilung in binäre Gegensätze Frauen in Entwicklungsländern in traditionelle Strukturen fessele, die instrumental für ihre Unterdrückung sind.

Vandana Shiva ist aktiv in verschiedenen Organisationen der Globalisierungskritik und des Umweltschutzes, sie hat mehrere Bücher veröffentlicht und hält acht Ehrendoktortitel, 1993 erhielt sie den Alternativen Nobelpreis Right Livelihood Award. Ihre Argumentationen sind allerdings nicht immer sachlich und bieten Ansatz für Kritik; auch ihre eigenen finanziellen Gewinne an ihrem Ruf als „Beschützerin der armen indischen Bauern“ werden stellenweise negativ bemerkt.

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8. November 1970: Diana King

Die jamaikanische Reggae-Sängerin, 1970 in Spanisch Town geboren, wurde berühmt mit ihrem Song „Shy Guy“, der Teil des Soundtracks von Bad Boys war. Bemerkenswerter jedoch ist, dass sie die einzige Prominente jamaikanischer Herkunft ist, die offen homosexuell lebt: 2018 heiratete sie ihre langjährige Freundin Mijanne Webster, eine ebenfalls jamaikanische Violinistin. Jamaika ist berüchtigt nicht nur für die schlechten juristischen Bedingungen für Homosexuelle im Land, sondern auch für die offene Gewalt, die Homosexuelle dort erleben, angefacht zum Teil von Musikern, die in ihren Liedern zum Verbrennen Schwuler aufrufen. Sie wurde für ihr öffentliches Coming-Out mit einem Tapferkeitspreis in der Musikbranche ausgezeichnet, verlor jedoch darüber auch den Kontakt zu allen bis auf eines ihrer 15 Geschwister.

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12. November 1648: Juana Inés de la Cruz

Geboren als (wohl uneheliche) Tochter eines spanischen Offiziers in Mexiko und einer in Mexiko geborenen Spanierin (Criolla), wuchs das Wunderkind auf der Hacienda ihrer Großeltern mütterlicherseits in Amecameca auf, wo sie bereits im Kleinkindalter heimlich in der Bibliothek las. Mit drei Jahren beherrschte sie Latein – das sie als 13jährige bereits unterrichten würde – und mit fünf Jahren die Buchführung, mit acht Jahren schrieb sie ein Gedicht auf die Eucharistie. Sie war bewandt in griechischer Logik und schrieb auch Gedichte in Nahuatl.

Mit 16 Jahren ging sie nach Mexico City, wo sie gerne an der Universität studiert hätte – sie hätte sich als Mann verkleiden müssen, um das zu erreichen. Da sie jedoch nicht die Erlaubnis ihrer Mutter erhielt, betrieb sie ihre Studien privat weiter, während sie als Hofdame am Hof des Vizekönigspaares fungierte. Dort erregte sie die Aufmerksamkeit der Vizekönigin Leonor Carreto, die sie unter ihre Fittiche nahm und förderte. Der Vizekönig stellte die Bildung und das Talent der jungen Hofdame auf die Probe und konfrontierte sie überraschend mit Theologen, Juristen, Philosophen und Dichtern, denen sie spontan Rede und Antwort stehen musste. Sie bestand diese Prüfung mit fliegenden Fahnen.

Am Hof jedoch wurden ihr beständig Anträge gemacht, da noch immer erwartet wurde, dass eine junge Frau heiraten sollte. Also entschloss sie sich, um ihre Studien nicht einem Leben als Ehefrau zu opfern, ins Kloster zu gehen. Die Unbeschuhten Karmeliterinnen waren ihr in der Lebensführung zu streng, bei den Hieronymitinnen fand sie 1669 hingegen die einfache, lockere Klosterumgebung, in der sie sich wohlfühlte. Sie konnte dort als Schützling der Vizekönigin eine Bibliothek aufbauen und ihren eigenen Forschungen nachkommen. Sie pflegte eine Freundschaft mit Carlos de Sigüenza y Góngora, einem anderen mexikansichen Universalgelehrten, der sie über die Maßen schätzte.

De la Cruz schrieb im Kloster, unter der Patronage der Vizekönigin, unzählige Bücher, Gedichte und Essays; darunter Kritiken an Kirchenmitgliedern und der Kirche an sich. Sie setzte sich dabei offen und mit Witz für die Bildung und die Rechte der Frauen ein. Damit wurde sie auf die Dauer den Würdenträgern unbequem, selbst diejenigen, die ihr nicht widersprachen, waren der Meinung, als Nonne – als Frau – solle sie sich allein mit geistlichen Dingen beschäftigen. Es ist nicht geklärt, ob sie schließlich auf Druck des mexikanischen Erzbischof 1694 tatsächlich eine Unterlassungserklärung unterzeichnete, sicher ist jedoch, dass sie offiziell Buße tat, ihre Bücher und Forschungsmaterialien verschenkte und aufhörte, Texte zu veröffentlichen.

Zwei Jahre nach dem Einschreiten gegen ihre schriftstellerische Tätigkeit 1695 starb sie mit 47 Jahren an der Pest, die sie sich bei der Pflege anderer Nonnen zugezogen hatte. Sie wird heute in Mexiko als bedeutende Dichterin sowohl der frühen mexikanischen wie der spanischen Literatur verehrt und erhielt den Beinamen „Mexikanischer Phoenix“.

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17. November 1961: Chanda Kochhar

Die indische Bankmanagerin Chanda Kochhar wird vom Forbes Magazine zu den einflussreichsten Frauen der Welt gezählt. Als Tochter hinduistischer Eltern, die bei der Teilung Pakistans von Indien aus Karatschi fliehen mussten und all ihr Eigentum dort zurückließen, hat sie es mit Bildung und Ehrgeiz bis an die Spitze der größten privaten Bank Indiens geschafft.

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21. November 1955: Dora María Téllez

Téllez war zwölf, als in Nicaragua die Diktatur Anastasio Somoza Debayles begann, dem letzten Regenten des Landes aus dem Somoza-Clan. Mit 19 trat sie der FSLN bei, der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront, in der sie schon während ihres Medizinstudiums zur Kommandantin aufstieg. Da offener Widerstand in der Diktatur tödlich enden konnte, ging sie in den Untergrund und kämpfte als Guerillera zunächst in den Bergen in Nicaraguas Norden.

Als 22-jährige war sie dann dritt-höchste Befehlshaberin (Comandante Dos, unter Comandante Uno Hugo Torres und Comandante Cero Edén Pastora Gomez) bei der Einheit, die 1978 den Nicaraguanischen Nationalpalast stürmte. Die Einheit zählte zu den Terceristen – dem „Dritten Weg“ innerhalb der inzwischen gespaltenen Befreiungsfront: Die GPP (Guerra Popular Prolongata) wählte die Strategie der Rekrutierung und Mittelbeschaffung im Untergrund, während sich die Aktivisten aus dem offenen politischen Kampf zurückzogen, die „FSLN Proletario“ glaubte an eine Möglichkeit des Sieges durch die Mobilisierung des Proletariats. Die Terceristen hingegen forderten Pragmatismus und schlossen sich mit anderen, nicht-sandinistischen Kräften zusammen, um die Diktatur zu stürzen. Bei der Stürmung des Nationalpalastes wurden 1500 Zivilisten als Geiseln genommen. Téllez führte die Verhandlungen mit Somoza und handelte die Befreiung von 60 politischen Gefangenen aus – unter ihnen FSLN-Mitbegründer und späteren nicaraguanischen Innenminister Tomás Borge –, mediale  Veröffentlichung sandinistischer Forderungen, Lösegeld und eine Fluchtflugzeug. Die beteiligten FSLN-Mitglieder flohen nach dieser Aktion nach Kuba und Panama, wo sie sich weiterhin militärisch ausbilden ließen, für einen fortgesetzten Kapmf gegen das Regime. Das wurde auch tatsächlich durch diese Demonstration der Revolutionäre geschwächt, Somoza und seine Macht waren angreifbar geworden, während die Revolutionäre im Volk Sympathien gewinnen konnten. Andere Oppositionskräfte fühlten sich ermutigt, sodass wenige Tage später ein Generalstreik ausgerufen wurde, der sich zu einem Volksaufstand im ganzen Land ausweitete. Nach zwei Wochen griff der Diktator Somoza mit der Nationalgarde hart durch und ließ Tausende in der Zivilbevölkerung töten, noch mehr flohen in die benachbarten Länder. Die Besetzung des Nationalpalastes sowie die folgenden Unruhen machten jedoch weltweit auf die Zustände im mittelamerikanischen Land aufmerksam.

Téllez kehrte im darauffolgenden Jahr nach Nicaragua zurück und nahm erneut am Guerillakrieg der wieder konsolidierten FSLN teil. Aus den ländlichen Kampfgebieten zog sie schließlich mit ihren Truppen nach Léon, das nach sechs Wochen Häuserkampf von den Sandinisten erobert wurde. Die Hauptstadt Managua fiel zwei Wochen später, der Diktator floh.

In der anschließenden Regierung wurde Téllez später zur Gesundheitsministerin, ihre Kampagne für die Volksgesundheit wurde von der UN ausgezeichnet. Während sie weiterhin in der Politik aktiv blieb, sich für Homosexuellen- und Frauenrechte einsetzt und bis in die kürzliche Vergangenheit mit Leib und Seele für ihre Sache eintrat (zuletzt trat sie 2008 in einen Hungerstreik, um gegen ihren ehemaligen Sandinisten-Genossen Daniel Ortega zu protestieren), veröffentlichte sie auch ein Buch über die Geschichte Nicaraguas und seine Bedeutung in Mittelamerika. 2004 wurde sie als Gastprofessorin nach Harvard berufen, erhielt aber keine Einreisegenehmigung, weil sie als Terroristin gelistet war. Akademiker*innen des ganzen Landes traten daraufhin zu ihrer Verteidigung und Unterstützung ein.

Téllez führt ein Blog (auf Spanisch) und gehört zu den Teilnehmerinnen des Global Feminisms Project.

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25. November 1978: Sheena Ringo

Die japanische Sängerin sticht durch ihren individuellen Stil hervor, beeinflusst von der Liebe zum Jazz ihres Vaters und Arbeit ihrer Mutter mit Klassik.

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29. November 1835: Cixi

Die letzte chinesische Kaiserin kam als erste Tochter eines mandschurischen Beamten auf die Welt, in einer hochgestellten Familie des chinesischen Adels. Sie erhielt eine Ausbildung wie für Mädchen der Elite üblich: Lesen, Zeichnen, Schachspielen, Sticken und Nähen durfte sie lernen, das Schreiben der komplizierten Zeichenschrift sollte sie nicht benötigen. Auch blieb ihr als Mandschurin das grausame Füßebinden erspart. Als ältestes Kind war sie mit sieben Jahren in der Lage, ihren Vater zu unterstützen, die Familie aus einer Notlage zu helfen, in die sie durch den gerade beendeten Ersten Opiumkrieg geraten waren. Ihr Vater äußerte später lobend, sie sei ihm mehr wie ein Sohn als wie eine Tochter gewesen, weshalb er sie wohl auch später an den Themen teilhaben ließ, die eigentlich Männern vorbehalten waren.

Mit 16 wurde Cixi für den Harem des neuen, 19-jährigen Kaisers Xianfeng ausgewählt. Nach einem Vorbereitungsjahr im eigenen Haushalt betrat sie mit 17, damals zunächst unter dem Namen Lan, für das zweite Vorbereitungsjahr und den Rest ihres Lebens die Verbotene Stadt. Während Lan/Cixi in der sechsten und damit untersten Stufe der Konkubinen zunächst niederrangig blieb, erhob der Kaiser im Widerspruch mit der Etikette eine Konkubine der fünften Stufe zu seiner Kaiserin: Ci’an (auch Zheng) leitete in der Position als Kaiserin den Harem. Sie war eher unscheinbar und nicht unbedingt eine Führungspersönlichkeit, doch gelang es ihr, Zwistigkeiten und Unfrieden im Harem im Zaum zu halten. Lan/Cixi konnte den Kaiser anfangs nicht für sich einnehmen, verärgerte ihn eher noch durch ein Schreiben, in dem sie ihm Vorgehensweisen gegen Unruhen im Land vorschlug. Er setzte einen Erlass auf, dass sie nach seinem Tod „beseitigt“ werden solle, weil sie möglicherweise nach der Macht greifen würde. Doch Cixi hatte die Kaiserin Ci’an auf ihrer Seite, die auch schon dafür gesorgt hatte, dass sie in die fünfte Stufe der Konkubinen erhoben worden war und nun Konkubine Yi hieß.

In jedem Fall hatte der Kaiser eine Favoritin unter seinen Nebenfrauen, die ihm bald eine Tochter gebar. Während der Phase der Enthaltsamkeit, die der Kaiser mit der Schwangeren und späteren Mutter einhalten musste, wurde auch Cixi/Yi 1856 von ihm schwanger; sie gebar dem Kaiser den ersten Sohn, Zaichun, und wurde somit automatisch zur Nebenfrau ersten Ranges, nur noch der Kaiserin Ci’an unterstellt, die die Mutterrolle für den Thronfolger auszuüben hatte. Mit dem gehobenen Status kamen Privilegien wie der Zugang zu Bildung durch Hauslehrer.

China wurde in den kommenden Jahren immer wieder in Kriege um seine Territorien verwickelt und von umliegenden und europäischen Mächten zur Öffnung seiner Grenzen gezwungen; nach dem Zweiten Opiumkrieg 1858 war es Großbritannien, Frankreich, Russland und den USA unter anderem erlaubt, in China Opium zu verkaufen und christliche Missionare ins Land zu senden. Als 1860 diese Alliierten wiederum kriegerisch gegen Peking vorgingen, floh der Kaiser Xianfeng mit seinem gesamten Hofstaat in den Sommerpalast außerhalb der Hauptstadt und ließ seinen Halbbruder, Prinz Gong, in Peking zurück, um mit den eindringenden Mächten zu verhandeln. Der Kaiser war krank und schonte seine Gesundheit nicht bei Trinkgelagen mit Hofbeamten und seiner bevorzugten Konkubine. Der einflussreichste der Hofbeamten, Sushun, hatte offensichtlich Pläne: Cixi beobachtete ihn eines Abends, wie er sich auf den Kaiserthron setzte und sich vom Obereunuchen dort wie der Kaiser hofieren ließ. Auch hatte Sushun bereits – angeblich wegen der schweren Krankheit des Kaisers – bereits das Holzkästchen öffnen lassen, in welchem der Kaiser für einen Zeitpunkt nach seinem Tod ein Papier mit dem Namen seines Nachfolger hinterlegen sollte. Sushun hatte verkünden lassen, dass das Holzkästchen leer gewesen sei, dass also weder der gemeinsame Sohn des Kaisers mit Cixi noch einer seiner Neffen als Thronfolger auserkoren war. Cixi schloss daraus richtig, dass Sushun plante, entweder sich selbst zum Kaiser auszurufen oder einen Marionettenherrscher unter seinem Einfluss einzusetzen. Folgerichtig war ihr Leben, vor allem aber das Leben ihres Sohnes in Gefahr. Es gelang ihr jedoch gegen den Widerstand des Hofstaates, wenige Minuten vor dessen Tod, mit ihrem Sohn vor den Kaiser zu treten und ihm noch die Ernennung seines Kindes als Thronfolger zu entlocken. Da der Dreijährige noch nicht regieren konnte, machte das die Kaiserinwitwen Ci’an und Cixi zu dessen Regentinnen.

Sushun versuchte noch weiterhin, sich als eigentlichen Regierenden zu installieren, indem er die beiden Frauen mit Hausarrest dazu erpresste, seine Installation mit ihren Siegeln offiziell zu machen; doch die Mandarine, die hochgestellten Beamten des Landes, hatten bereits ihre Schriften an die beiden Kaiserinnen gerichtet und sie damit als Regentinnen anerkannt. Mit Hilfe des Prinzen Gong und der Traueretikette der chinesischen Kaiser gelang es Ci’an und Cixi, sich dem direkten Einfluss Sushuns zu entziehen: Der Minister musste den Leichenzug des Kaisers in die inzwischen wieder befriedete Hauptstadt begleiten, der Thronfolger sollte jedoch vor dem Leichnam in Peking ankommen. Die Gesellschaft um den jungen Prinzen erreichte drei Tage früher als nötig sein Ziel und die Kaiserinnen konnten das vorherige Schreiben mit ihren Siegeln zur Fälschung erklären. Sushun und seine Gefolgsleute wurden verhaftet, die meisten von ihnen verbannt, Sushun hingegen wurde zunächst zum Tod durch tausend Schnitte verurteilt (das verlinke ich nicht, aber es gibt einen Wikipedia-Eintrag dazu), später aber zur Enthauptung begnadet.

Diese strategische Vorgehensweise Cixis, ihr Leben und das ihres Sohnes zu retten und selbst in die Lage zu kommen, China zu regieren, brachten ihr bei unfreundlich gesinnten chinesischen Beamten den Ruf ein, kaltblütig und skrupellos zu sein; selbstverständlich wurde ihr auch sexuelle Devianz angedichtet, als der Rest der Welt sich für die chinesische Regentin zu interessieren. Cixi setzte nach ihrem Sohn, der 1872 mit 16 Jahren Kaiser wurde, aber nur drei Jahre regierte, bevor er an Syphilis starb, noch zwei weitere Minderjährige auf den Thron und behielt so lange Zeit das Zepter in der Hand. Ihrem Sohn, Kaiser unter dem Namen Tongzhi, folgte ihr Neffe Guangxu, ebenfalls drei Jahre alt, als er den Thron bestieg. Die andere Kaiserinwitwe Ci’an zog sich aus den Regierungsgeschäften zurück und starb, bevor Guangxu regierungsfähig wurde. Der durch eine Lungenerkrankung fast stumme Kaiser strebte, als er schließlich Kaiser wurde, Reformen an, die China wahrscheinlich ermöglicht hätten, den wirtschaftlichen und technologischen Rückstand gegenüber den westlichen Mächten aufzuholen. Cixi setzte ihren Neffen jedoch unter Hausarrest und nahm die Regierung wieder in die eigene Hand.

Cixi hatte sich im Laufe der Zeit von einer gewissen Reformwilligkeit zum Konservativismus entwickelt, möglicherweise durch Schicksalsschläge und den Verlust von Vertrauen in ihre Verbündeten. Erst die Erschütterungen des Boxeraufstandes schienen sie erkennen lassen, dass China mitnichten eine Vormachtstellung in der Welt hatte. Sie hatte die Aufstände gegen die Ausländer im Land gebilligt und unterstützt, da sie von ihren eigenen Makeln ablenkten; nach der blutigen Niederschlagung ließ sie dann die Aufständischen bestrafen. Während jedoch die Regentin sich auf die Erneuerung des Glanzes vergangener Zeiten konzentrierte und nur schwergängig das Land für die Zukunft vorbereitete, griffen die Westmächte nach immer mehr Territotium. Sie kündete zwar noch die Umstellung auf eine konstitutionelle Monarchie an, doch 1908 zog sich die 73-jährige eine echte Grippe zu und verstarb – nicht ohne ihren Neffen am Tag zuvor noch mit Arsen zu vergiften, sodass ihr bevorzugter Thronfolger zum Kaiser gekrönt würde: Der zweijährige Puyi, der letzte Kaiser von China.

1911 brach die Xinhai-Revolution aus und beendete die Monarchie in China.

Für einen spannenden Überblick über die chinesischen Kaiser und deren unterschiedliche Dynastien empfehle ich die Geo Epoche Nr. 93 über das kaiserliche China, die ich gerade lese (unbezahlte Werbung, aus reiner Überzeugung). Leider habe ich vor Beendigung dieses Beitrags noch nicht bis zum letzten Kapitel, dem über Cixi, gelesen.

05/2018

3. Mai 1960: May Ayim

Geboren als Sylvia Andler, Tochter einer unverheirateten deutschen Mutter und eines ghanaischen Medizinstudenten, wurde sie als illegtimes Kind in staatliche Obhut genommen – der Vater wollte sie bei seiner kinderlosen Schwester aufwachsen lassen, doch hatte keinerlei Anspruch auf Bestimmung. Sie wurde von der Familie Opitz in Münster adoptiert, die sie May nannten, und verlebte dort keine glückliche Kindheit. Nach einer Ausbildung zur Krankenschwesternhelferin studierte sie in Regensburg Pädagogik. Aus ihrer Diplomarbeit wurde später in Kooperation mit Dagmar Schultz und Katharina Oguntoye das Buch Farbe bekennen – nicht ohne zunächst von einem Professor abgelehnt zu werden, dass es Rassismus vielleicht in Amerika, aber nicht in Deutschland gäbe. Während ihres Studiums baute Ayim eine stärkere familiäre Bindung zu ihrem Vater in Ghana auf; er hatte sie zwar bei der Adoptivfamilie besucht, aber nun lernte sie ihre in Ghana lebende weitere Familie kennen und nahm in späteren Jahren auch den Namen ihres Vaters, Ayim, an.

Ab 1984 lebte sie in Berlin und machte nach der Reise unter anderem nach Ghana und dem Studium auch noch eine eine Ausbildung zur Logopädin. Sie kam in der Weltstadt in Kontakt mit Audre Lorde, der afro-amerikanischen, feministischen Lyrikerin. Diese motivierte und inspirierte sie dazu, die ISD zu gründen: die Initiative Schwarze Deutsche und Schwarze in Deutschland. Ihre 1986 veröffentlichte Diplomarbeit gab auch den Anstoß für die Gründung der ADEFRA – Schwarze Frauen in Deutschland e.V.

Ayim hielt Vorträge zum Thema Rassismus, schrieb Gedichte und gilt als die Begründerin der kritischen Weißseinsforschung. Sie begann in den 1990ern unter der Belastung ihrer Arbeit, unter psychostischen Schüben zu leiden; als bei ihr Multiple Sklerose diagnostiziert wurde und im Rahmen der MS-Behandlung die Psychopharmaka abgesetzt wurden, fiel sie in schwere Depression und nahm sich am 9. August 1996, mit 36 Jahren, das Leben.

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8. Mai 1923: Cheikha Rimitti

Saadia Bedief wurde früh zur Waise und musste sich allein im Algerien der 1930er Jahre durchschlagen. Sie verdingte sich als Haushaltshilfe für französische Kolonisten und schloss sich mit 15 einer Truppe von Wandermusikern an. Sie sang Lieder, die ihr eigenes Leben und das vieler Algerier zum Thema hatten: die Armut und das massenhafte Sterben während der Typhusepidemien, aber auch Liebe, Lust, Sexualität und Alkoholgenuss. Sie schrieb diese Lieder selbst, obwohl sie Zeit ihres Lebens Analphabetin bleiben sollte, und sie sang sie öffentlich, während vorher die kruden, provokaten Texte nur in kleinem privaten Kreis geschätzt wurden.

Bis zum Zweiten Weltkrieg mehrte sich der Ruhm ihres Gesang allein durch Hörensagen, bis der bekannte algerische Musiker Cheikh Mouhammed Ould Ennems sie entdeckt und in Algier an die Radiomikrophone brachte. Bald, 1952, nahm sie unter ihrem neuen Künstlernamen – zunächst Cheikha Remettez Reliziane – erste Platten auf. Remettez oder Rimitti, wie sie sich schließlich nannte, stammt vom französischen „Schenk nach!“ und die freizügige Lebenslust, die sie in ihren Liedern transportierte, gefiel den Autoritäten des post-kolonialen Algerien gar nicht. Hatte sie den nationalistischen Widerstand gegen die französischen Besatzer noch unterstützt und den neuen Stil der traditionellen Raï-Musik entscheidend mitgeprägt, wurde sie nach dem Unabhängigkeitskrieg vom ersten Präsidenten des jungen Staates, Boumedienne, mit einem Auftrittsverbot belegt und faktisch aus der Kultur verbannt.

Rimitti sang weiter auf privaten Veranstaltungen, lag nach einem Autounfall, der drei ihrer Musikerkollegen tötete, drei Wochen im Koma, unternahm 1979 die Haddsch und trat anschließend vor allem vor algerischen Auswanderern in Frankreich auf. Als Mitte der 1980er der Raï wiederentdeckt wurde, gewann auch Rimitti wieder an Bekanntheit, und so konnte sie in den letzten zwanzig Jahren ihres Lebens noch einmal weltweiten Erfolg genießen. Sie starb 2006 nur wenige Tage nach einem Konzert in Paris an einem Herzinfarkt.

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15. Mai 1930: Grace Ogot

Grace Emily Akinyi kam in einem kenianischen Dorf zur Welt, das vor allem von der christlichen Luo-Bevölkerung geprägt war. Ihr Vater war einer der ersten im Ort, der eine westliche Schulbildung erfuhr; dank seiner Konvertierung zum anglikanischen Glauben hörte Grace als Kind von ihm die alttestamentarischen Geschichten, während ihre Großmutter ihr die traditionellen Volksmärchen und Göttersagen der Luo erzählte. Grace machte nach der Schule zunächst eine Ausbildung zur Krankenschwester und Hebamme in Uganda und England; sie arbeitete anschließend auch in Kenia in diesem Beruf.

Sie heiratete den kenianischen Historiker Bethwell Alan Ogot und bekam vier Kinder mit ihm. Außerdem begann sie ihre Karriere als eine der ersten Schriftstellerinnen Afrikas, mit Kurzgeschichten in ihren Muttersprachen Englisch und Luo. Ihr erster Roman The Promised Land war nicht nur das Werk, mit dem sie 1966 größere Bekanntheit erlangte, sondern auch der erste vollständige Roman, der in einem afrikanischen Verlagshaus publiziert wurde. Sie arbeitete auch für die BBC und hatte später verschiedene Botschafterposten bei UNO und UNESCO inne. Ihre Romane sind von spannungsreichen weiblichen Figuren geprägt und vereinen christliche mit traditionell afrikanischen Themen.

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22. Mai 1983: Lina Ben Mhenni

Die tunesische Bloggerin, Tochter wohlhabender Eltern, die ebenfalls Aktivisten waren, startete bereits 2007 ein Blog mit zunächst rein persönlichem Inhalt. Nach einem Aufenthalt in den USA allerdings beschloss sie, die Möglichkeiten des Internet für politischen Aktivismus zu nutzen und begann im Juni 2009 ihr Blog A Tunisian Girl, in dem sie sich für Menschenrechte und Redefreiheit in Tunesien einsetze. Gemeinsam mit anderen Bloggern und mit Hilfe der Möglichkeiten in den sozialen Netzwerken befeuerte und dokumentierte sie die Revolution in Tunesien, die zum Arabischen Frühling werden sollte. Ihr Blog wurde zensiert und verboten; da sie von den Brennpunkten der Revolution (Sidi Bouzid, wo sich Mohamed Bouazizi selbst anzündete, und Kasserine, wo die Polizei zahlreiche Revolutionäre niederschoss) berichtete und Information über die Gewalt des Staates an seiner Bevölkerung verbreitete, war sie selbst auch den Repressalien durch die Regierung Zine al-Abidine Ben Alis ausgesetzt. Beschattung, Einbrüche, Todesdrohung, Verhaftung ihres Freundes gehörten zu den Methoden, wie sie zum Schweigen gebracht werden sollte. Ihr Kontakt zu ausländischen Journalisten half ihr dabei, weiter zu arbeiten und zu überleben.

Als nach einem Jahr der Revolution – nach der Flucht Ben Alis und einer Übergangsregierung – die gemäßigt islamische Ennahda zur Regierung gewählt wurde, zeigte sich Ben Mhenni enttäuscht. Sie setzte sich weiterhin für die Demokratie und gegen Korruption und Doppelmoral der tunesischen Regierung ein. Während sie das Internet als Hilfsmittel für die Revolution betrachtet, betont sie jedoch, dass die tatsächliche Revolution auf der Straße stattfand, und zwar blutig, was nicht mit euphemistischen Bezeichnungen wie Jasminrevolution verheimlicht werden sollte.

Ihr Blog wurde von The BOBs 2011 als Bestes Weblog ausgezeichnet, Ben Mhenni war als Repräsentantin der tunesischen Revolution im Gespräch für eine Nominierung für den Friedensnobelpreis desselben Jahres.

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30. Mai 1985: Maria Amelie Salamowa

Als Maria Salamowa 15 Jahre alt war, floh sie mit ihren Eltern aus ihrem Heimatland Nordossetien, dass in den Tschetschenienkonflikt verwickelt war. Zunächst beantragten sie in Finnland Asyl wegen politischer Verfolgung, nachdem sie dort abgelehnt wurden, gingen sie nach Norwegen. Auch dort wurde ihnen zwar kein Asyl gewährt, sie mussten sich also als ohne Aufgenthaltserlaubnis oder Duldung niederlassen. Während ihr Asylantrag bearbeitet wurde, ging Maria zur Schule und später, nun als ausgesprochen „Illegale“ noch immer in Norwegen lebend, zur Universität. Sie machte ihren Bachelor in Anthropologie und ihren Master in Technologie und Wissenschaft – noch immer ohne gültige Papiere.

Die Jahre der Angst vor Deportation und die bizarren, widersprüchlichen Lebensverhältnisse als illegal Eingewanderte einerseits, Akademikerin und nach eigenem Gefühl Norwegerin andererseits bewegten sie schließlich dazu, ein Buch über ihr Leben zu verfassen. 2010 erschienen ihre editierten Tagebücher unter dem Titel Illegal norwegisch. Es löste eine Debatte über Immigration und Menschenrechte in Norwegen aus und Salamowa wurde eingeladen, Vorträge zu halten über ihre Erfahrungen. Nach einem solchen Vortrag am 12. Januar 2011 an der Nansen-Akademie in Lillehammer wurde sie festgenommen und in Abschiebehaft nach Trandum verbracht – einem Asylgefängnis, das von der UN für seine Foltermethoden und Haftbedingungen kritisiert wurde. Salamowa verbrachte dort sechs Tage, von denen sie sich nach eigenen Aussagen drei Jahre lang zu erholen versuchte, und wurde schließlich nach Russland abgeschoben.

Während ihrer Haftzeit und nach ihrer Abschiebung regt sich allerdings großes Medieninteresse und ein so großer Protest gegen das Vorgehen des Staates – eine Facebook-Seite zu ihrer Unterstützung hat bis zum 23. Januar mehr als 88.000 Mitglieder und die Unterschriftenaktion von Amnesty International zählt über 28.000 Unterschriften. In Island schlagen zwei Abgeordnete dem Althing vor, ihr die isländische Staatsbürgerschaft zu verleihen. Doch am 16. April 2011 darf Salamowa, nun mit gültigen Papieren und einer Arbeitserlaubnis, nach Norwegen zurückkehren.

Heute arbeitet sie als Journalistin und Start-Up-Entrepreneur. Im unten verlinkten TEDx Talk erzählt sie eindringlich ihre Geschichte und ihre Entwicklung unten schwierigen Bedingungen.

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