Kategorie: Anti-Diskriminierung

16/2023: Ernestine Eckstein, 23. April 1941

Bis sie 1963, mit 22 Jahren, nach New York zog, wusste Ernestine Eckstein selbst nicht, dass sie lesbisch ist. Sie hatte sich zwar zu Frauen hingezogen gefühlt, doch da ihr nicht klar war, dass es diese sexuelle Orientierung gab, betrachtete sie es als rein menschliche Zuneigung. (2, 3)

Vorher hatte sie an der Indiana University in Bloomington, Indiana, Magazin-Journalismus im Hauptfach sowie Psychologie und Russisch in den Nebenfächern studiert; dort war sie Mitglied der NAACP. In New York angekommen, suchte sie als erstes einen alten Freund auf, mit dem sie sich immer gut verstanden hatte, ohne dass es zu einer romantischen oder sexuellen Beziehung gekommen war. Auf seine Aussage ‚I’m gay‚ reagierte sie zunächst mit Unverständnis (‚gay‚ wurde damals noch vor allem als ‚lustig, vergnügt‘ verstanden). Als er ihr die Bedeutung des Wortes erklärte, wurde ihr zum ersten Mal bewusst, dass es Homosexualität gab, und sie hinterfragte ihre eigene Orientierung. Aus einer emotionalen Beziehung zu ihrer Mitbewohnerin wurde so auch eine Liebesbeziehung.(2, 3) Sich einer Organisation für und von Homosexuellen anzuschließen, war für Eckstein als überzeugte Bürgerrechtlerin ein logischer Schritt; sie besuchte als erstes die Mattachine Society, die auf eine Liberalisierung der Gesellschaft hinsichtlich Homosexualität hinarbeitete und Beratung für Homosexuelle anbot. Von dort aus schloss sich Eckstein den Daughters of Bilitis an und wurde 1965 Vizepräsidentin der Vereinigung.

Die Homophilenbewegung (zu dieser Zeit so bezeichnet) war von verschiedenen Strömungen geprägt – insgesamt starkt beeinflusst von linkem, im Sinne von kommunistischem Denken, auf dem viele Strukturen und Methoden von Menschen- und Bürger*innenrechtsbewegungen beruhen. Ein Teil der Bewegung legte Wert auf eine wenig Aufsehen erregende Arbeit für die Toleranz, um etwa die Meinung der Medizin und Psychologie zu verändern, dass Homosexualität eine psychische Krankheit sei. Ein anderer Teil, hauptsächlich jüngerer Homosexueller, wollte eine öffentlichere, politischere Menschenrechtsbewegung, die stärker am Aktivismus der Schwarzen Bürger*innenrechtsbewegung orientiert war. Ernestine Eckstein als Vizepräsidentin der Daughters of Bilitis stand für einen solchen politischen Aktivismus.

Für die Publikation der Daughters, The Ladder, interviewten Barbara Gittings und Kay Lahusen Ernestine Eckstein 1965. Die Ausgabe 1966 von The Ladder ist hier vollständig zu sehen. Im dem Gespräch macht sie einige ausgesprochen interessante Aussagen, insbesondere im Rückblick auf die Entwicklung der LGBTQIA+-Bewegung ab den späten 1960er Jahre.

Sie stellt fest, dass ihre Ideen ‚weiter links‘ seien als die anderer Homosexueller. Diese befürworteten zwar theoretisch die Protestmärsche für die Rechte Homosexueller, gingen aber selbst nicht hin; sie selbst nehme an Protestmärschen teil, wenn auch in anderen Städten. Der Grund für beides war natürlich, dass offen homosexuell lebende Menschen in Gefahr waren, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, und andere soziale Konsequenzen fürchten mussten. Doch eigentlich gingen Eckstein schon diese Protestmärsche nicht weit genug, sie nennt sie eine konservative Art des Aktivismus. Statt der ruhigen, gestitteten Runden mit ‚pickets‚ seien etwa Sit-Ins die politische Aktion der Zeit. Eckstein räumt ein, dass die Homophilen-Bewegung nicht so radikal sein könne wie die der Schwarzen US-Amerikaner, weil deren Anliegen in Sachen Menschen- und Bürger*innenrechten allgemein akzeptiert sei, während die Homophilen-Bewegung erst an den Punkt kommen müsse, dass ihr Anliegen – ungehindert einem selbstgestalteten, ’normalen‘ Leben nachgehen zu können, ohne die sexuelle Orientierung verdrängen oder verstecken zu müssen – von allen akzeptiert würde. Ein Weg jedoch, die Vorurteile gegenüber Homosexuellen auszuräumen, sei es eben, das Leben offen homosexuell zu leben: Eckstein verwendet hier die Worte ‚to come out‚ und meint sie sicher noch wörtlich, dass Homosexuelle als solche sichtbar ‚auf die Straße‘ gehen sollten. Doch möglicherweise liegt hier ja der Ursprung des heute gängigen Ausdrucks dafür, seine Orientierung oder Identität bekannt zu machen.

Eckstein sagt weiter, dass gleichzeitig für ihr Dafürhalten die Homophilen-Bewegung zu wenig juristisch aktiv ist, im Sinne von Klagen gegen Diskriminierung, die als Präzedenzfälle für das US-amerikanische Rechtssystem dienen können. Außerdem sei die Bewegung derzeit zu sehr auf sexuelle Freiheit fokussiert, sicher, weil diese eben nicht so vorhanden sei, Liebes- und sexuelle Beziehungen für Homosexuelle nicht so leicht und offen auslebbar waren wie für Heterosexuelle. Doch für die Gemeinschaft und die gesellschaftliche Akzeptanz von Homosexuellen als ganz ’normale‘ Bürger*innen sei es auch wichtig, sich für alle möglichen anderen sozialen Aktivitäten zusammenzutun. Auf die Anmerkung, dies könne von Heterosexuellen als reine Anbahnungsmaßnahme für sexuelle Kontakte betrachtet werden, kontert sie ausgesprochen modern: ‚I think we have to decide how far we can go for caring about what heterosexuals think. […] We want acceptance and we want our rights as citizens and as people, but this doesn’t mean that all of our activity and all of our goals are defined by other people’s filthy minds.‚ – „Ich glaube, wir müssen uns entscheiden, wie weit wir gehen können darin, uns um das zu kümmern, was Heterosexuelle denken. Wir wollen Akzeptanz und wir wollen unsere Rechte als Bürger und Bürgerinnen und als Menschen, aber das heißt nicht, dass alle unsere Aktivitäten und alle unseren Ziele von den schmutzigen Gedanken anderer Leute definiert sind.“ (Im gedruckten Interview – im PDF zu lesen – sagt sie allerdings auch, dass die Schwarzen weiße und die Homosexuellen heterosexuelle Unterstützer*innen brauchen, um die Bewegung in der Gesellschaft zu integrieren; wenn die Kooperation über diese Label hinweg gefördert würde, würden die Menschenrechtsbewegungen in die Allgemeinheit überführt und blieben nicht nur Bewegungen ‚da drüben‘.)

Die herausragendste Äußerung von Eckstein betreffen allerdings das, was wir heute als Intersektionalität verstehen. Sie spricht darüber, auch die ‚transvestites‚ – damals umfassender Begriff auch für transgender Personen – in die Homophilen-Bewegung und ihren Aktivismus einbezogen werden sollte. Gittings und Lahusen sind darüber überrascht (die Lesben-Bewegung stand transgender und transvestitischen männlich gelesenen Personen kritisch gegenüber) und Eckstein erläutert, dass sie die Homophilen-Bewegung als Teil einer größeren Bewegung versteht, die eigentlich zu einer Beseitigung aller Label führe. Die Veränderungen der Gesellschaft zugunsten von Homosexuellen müsse notwendig auch das Recht für alle mit sich bringen, sich anzuziehen, wie sie wollen. Sie bezeichnet die spezielle Diskriminierungsproblematik der ‚transvestites‚ nicht als ein ‚Homosexuellen-Problem‘, sondern als eines der ’sexuellen Identität‘ – welches jedoch von der Gesellschaft zu einem Komplex zusammengeworfen würde, weshalb sie der Meinung ist, dass die Homophilen-Bewegung sich dessen annehmen sollte, wenn sie erst ihre eigenen Ziele erreicht hätte. Sie glaubt nicht, dass diese intersektionale Zusammenarbeit noch in ihrer Lebenszeit stattfinden würde, doch es sei das Ziel, auf das sie hinarbeite. Ernestine Eckstein nennt sich selbst eine ‚Sozialprophetin‘ und sie hat nach heutigem Kenntnisstand Recht: Der Kampf für die Rechte von trans*gender Personen ist mithin ein feministischer Kampf, doch noch heute lehnen viele den Gedanken ab, dass es im Prinzip um die Auflösung von Labels – beginnend mit ‚männlich‘ und ‚weiblich‘ – gehen sollte, um die Gesellschaft von überkommenen, schädlichen Vorstellungen von ‚Normalität‘ zu befreien.

Ernestine Eckstein ließ sich sogar für das Titelbild der Ausgabe fotografieren, wenn auch nur im Profil – sie ging schließlich das Risiko ein, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, wenn sie erkannt würde. Sie verließ die Daughters of Bilitis bald darauf, wahrscheinlich war sie von persönlichen und politischen Grabenkämpfen erschöpft. So stand sie 1965 in Korrespondenz mit Frank Kameny, den sie für einen Vortrag nach New York zu den Daughters einladen wollte, um ihre Position hinsichtlich öffentlicher Proteste und politischem Aktivismus zu stärken. Im Februar 1966 musste sie ihre Einladung dann aufgrund des Widerstands bei den Daughters jedoch zurückziehen. In den frühen 1970er Jahren zog Eckstein von New York nach San Francisco, wo sie sie sich bei Black Women Organized for Action (BWOA) engagierte – eine Organisation, die mehr ihren politischen Vorstellungen entsprach. So rotierte die Führung der Organisation zwischen jeweils drei Personen, die nach drei Monaten wieder ausgewechselt wurden, was nicht nur den Aufbau einer Hierarchie unter den Mitgliedern verhinderte, sondern auch dafür sorgte, dass zahlreiche unterschiedliche Schwarze Frauen als Anführerinnen gefördert wurden.

Die Absichtserklärung der BWOA lautete(1, Übersetzung meine):

Black: Wir sind Schwarz und sind wir uns unserer Verpflichtung bewusst, uns im Kampf der Schwarzen einzusetzen für ihre Identität und für die Einbindung in Entscheidungen, die ihr Leben und das Leben der folgenden Generationen Schwarzer betreffen.
Women: Wir sind Frauen und uns deshalb bewusst, wie eklatant zum Teil die Talente und Energien Schwarzer Frauen verschwendet werden, weil uns die Gesellschaft einen bestimmten Platz zugewiesen hat.
Organized: Wir sind organisiert, weil wir erkennen, dass wir nur zusammen, mit unseren gemeinsamen Talenten und Ressourcen, eine entscheidende Veränderung erreichen können in den Institutionen, die unsere Möglichkeiten eingeschränkt und unser Wachstum als Menschen behindert haben.
Action: Wir sind für Aktivismus, weil wir glauben, dass die Zeit der Rhetorik vorüber ist; dass die Fähigkeiten Schwarzer Frauen am besten auf vielseitige Weise eingesetzt werden können, um die Gesellschaft zu verändern; dass, in der politischen Arbeit, die wir vorleben, das Engagement Schwarzer Frauen über die traditionelle Mittelbeschaffung hinausgehen und in die ganze Palette von Aktivitäten führen muss, die den politischen Prozess ausmachen, welcher unser Leben auf so viele Arten bestimmt.

Die BWOA hatte eine offene Auffassung, wer als ‚Schwarz‘ galt (möglicherweise näher an dem, was heute ‚of Color‚ heißt), und ging zurückhaltend mit dem Begriff ‚feministisch‘ um. Damit verhinderten sie Abgrenzungen und Dispute innerhalb der Organisation über die Vorstellungen, was diese Begriffe beinhalteten.

Nach ihrem Weggang aus New York nach San Francisco verliert sich Ernestine Ecksteins Spur. Es ist nur mehr bekannt, dass sie 1992, wahrscheinlich nach langer Krankheit, in San Pablo, Kalifornien, starb.


Faszinierendes Dokument aus der Zeit, in der Ernestine Eckstein als Schwarze, lesbische Frau ihren Aktivismus entwickelte, ist einmal diese CBS Dokumentation, „The Homosexuals“ (CN: voller 1950/60er Vorurteile, Pathologisierung, verinnerlichter Homophobie etc. – nur ansehen, wenn frohes Bewusstsein darüber besteht, dass diese Zeiten immerhin mehr als 50 Jahre zurückliegen), in der bei Minute 28:50 Ernestine Eckstein kurz zu sehen ist(2); außerdem lässt sich an den zwei kurzen Filmen von Lilli Vincenz hier großartig die Entwicklung der LGBTQIA+-Bewegung erkennen: Der erste zeigt die recht braven picket lines 1968, wie sie auch Ernestine Eckstein besuchte, der zweite zeigt die erste Christopher Street Liberation Day Parade 1970 – den ersten Jahrestag der Stonewall Riots. Das Coming Out der Homosexuellen auf die Straße, das Eckstein sehen wollte, ist hier wesentlich deutlicher und wird mit Stolz gefeiert. Der Einfluss, den die eben nicht friedlichen, sondern wehrhaften Unruhen in der Christopher Street auf die Gesellschaft hatten – ausgetragen von trans*gender und homosexuellen, Schwarzen und weißen Männern und Frauen –, ist hier nicht zu verleugnen.


Quellen: Wiki englisch
außerdem:
(2) Making Gay History
(3) LGBTQ Nation

15/2023: Whitney Way Thore, 14. April 1984

Schon in ihrer Kindheit und Jugend tanzte Whitney Way Thore und spielte Theater. Nachdem sie schon als schlanke Zehnjährige einen fettfeindlichen Witz über sich hörte, begann sie Probleme mit ihrer Selbstwahrnehmung und ihrem Selbstbewusstsein hinsichtlich ihres Gewichts zu haben. Sie tanzte weiterhin und besuchte mit 16, nach dem Highschoolabschluss 2002, die Appalachian State University mit Hauptfach Theater.

In ihren Teenagerjahren hatte sie massiv zugenommen, ohne bis dahin eine Erklärung dafür zu haben. In ihren frühen 20ern schwankte ihr Gewicht und ihre psychische Gesundheit litt. Sie hörte auf mit allem, was sie liebte und entwickelte eine ausgeprägte bulimische und anorektische Essstörung(2). Eine PCOS-Diagnose erklärte ihr zwar die Gewichtszunahme, verbesserte jedoch nicht ihre psychische Situation; sie strebte noch immer danach, abzunehmen, weil sie damit vermeintlich glücklicher sein würde, und der Prozess des Abnehmens wurde durch die Diagnose nicht erleichtert. Ihr Äußeres verleitete ihre Umgebung schließlich auch weiterhin, sie für faul, dumm, unordentlich, wertlos und talentlos zu halten(2).

Nach ihrem Collegeabschluss bereiste sie Asien, unterrichtete Englisch für Schulkinder in Korea und machte horrende Erfahrungen mit der gesellschaftlichen Ablehnung fetter Menschen. Sie kehrte in die USA zurück und wurde On-Air-Producer einer Morgensendung beim heimischen Radiosender 107.5KZL. Sie erreichte ihr höchstes Gewicht, begann wieder Sport zu treiben und nahm in diesem Zuge auch das Tanzen wieder auf. Als ihr nach einem Besuch im Sportstudio eine Gruppe junger Männer eine fettfeindliche Beleidigung zurief, wurde ihr klar, dass sie niemals die Erwartungen Fremder oder Gesellschaft an ihren Körper würde erfüllen können und das Streben danach, diese bewegliche Ziellinie zu erreichen, sie unglücklich machte. Sie beschloss, alle Dinge zu tun, die sie allein aufgrund ihres Gewichtes eigentlich nicht machen würde(3), wie etwa eine Session bei einer Boudoir-Fotografin (Link Englisch). Die Bilder, die dabei entstanden gaben ihr eine neue Perspektive auf ihren Körper, wie er war. Sie ließ sich außerdem darauf ein, mit ihrem Kollegen vom Radio ein Video aufzunehmen, das am 27. Februar 2914 unter dem Titel „A Fat Girl Dancing“ bei YouTube veröffentlicht wurde.

107.5KZL’S „A Fat Girl Dancing: Talk Dirty To ME (Jason Derulo) Original

Die Reaktionen auf das Video waren – für Thore unerwartet – größtenteils positiv und sie schöpfte daraus neuen Mut. Schon einige Zeit zuvor hatte sie ihren Selbstakzeptanzprozess auf einem Blog festgehalten, nun startete sie auf der Welle des viralen Videos die Kampagne No Body Shame. Sie wurde in verschiedene Fernsehformate eingeladen, bis ihr schließlich ein eigenes Reality-TV-Format angeboten wurde: 2015 drehte Thore zwei Staffeln ‚My Big Fat Fabulous Life‘. Auch auf YouTube und in anderen Sozialen Medien setzte sie sich weiterhin für eine Veränderung der Gesellschaft zur body positivity ein, so diskutierte sie öffentlich Kommentare Trumps(4) oder reagierte auf ein bekanntes, fettenfeindliches Video einer kanadischen YouTuberin.

https://youtu.be/r2YYZBrPwwU
Reaktion auf das fettenfeindliche Video einer kanadischen YouTuberin

2016 – mit 32 Jahren – veröffentlichte sie ihre vorläufigen Memoiren unter dem Titel I Do It With The Lights On: And 10 More Discoveries on the Road to a Blissfully Shame-Free Life‘. Darin spricht sie nicht nur über die eigenen Erfahrungen mit dem krankmachenden Körperbild und der nie zu erfüllenden Erwartung der Gesellschaft an (weibliche) Körper, sondern auch über ihren Weg zur Akzeptanz und Liebe ihres Körpers.

https://youtu.be/EKZjkuON2nI
I Do It With The Lights On: Body Positivity Video auf Thores YouTube Kanal

Whitney Way Thore erzählt in diesem TEDxTalk in ihrer Heimatstadt ihre eigene Geschichte:

Living without shame: How we can empower ourselves | Whitney Thore | TEDxGreensboro (CN: Essstörungen, Methoden)

Quellen Biografie: Wiki englisch
außerdem:
(2) Huffington Post
(3) The Star
(4) AL.com

14/2023: Curtis „Kitty“ Cone, 7. April 1944

Als sie sechs Jahre alt war, erhielt Curtis „Kitty“ Cone eine erste Fehldiagnose. Die Lehrerin hatte bemerkt, dass sie immer auf den Zehenspitzen lief, die Ärzte hielten ihre Erkrankung für Zerebralparese und verordneten zunächst keinerlei Maßnahmen. Da ihr Vater beim Militär war, wechselte die Familie Cone häufig den Wohnsitz, und somit auch die Ärzte, also folgten später dann doch Schienen und Operationen, um ihre Sehnen zu verlängern. Während einer Zeit in Japan wurde sie – ebenfalls fehlerhaft – mit Kinderlähmung diagnostiziert und an beiden Hüften operiert; die langen postoperativen Wochen, in denen sie liegen musste, trugen zur Verschlechterung ihrer Symptome bei. Erst als sie fünfzehn war, erfolgte die richtige Diagnose: Cone lebte mit progressiver Muskeldystrophie, eine genetisch bedingte Behinderung, bei der Betroffene im Verlauf ihre Muskelkräfte verlieren.

Bis zu ihrer späten Jugend besuchte Cone insgesamt dreizehn Schulen, darunter auch im US-amerikanischen Süden. Dort machte sie schon früh und nachhaltige Erfahrungen mit der Segregation (CN Begriff für Segregation), der Diskriminierung ihrer afroamerikanischen Mitmenschen; diese Erlebnisse prägten auch ihren politischen Aktivismus. Sie selbst traf immer wieder auf Einschränkungen an Schulen; zeitweise trugen ihre Cousins und Cousinen sie in die Klassenräume, weil sie die Treppen nicht mehr nehmen konnte – Rampen oder Aufzüge gab es selbstverständlich keine. In einem Internat erlegte ihr die Schulleiterin so uneinhaltbare Regeln auf, dass sie bald wieder ins Elternhaus zurückkehrte. Ihre schulischen Leistungen waren trotz dieser Umstände immer gut und auch, wenn sie in ihrer späteren Jugend mit Stützen gehen musste, machte sie ihren Highschool-Abschluss und ging auf ein College der University of Illinois at Urbana-Champaign. Die Schule hatte ein Programm für körperlich behinderte Studierende, hielt diese jedoch dazu an, nicht um Hilfe zu bitten und sogar angebotene Hilfe auszuschlagen, damit diese nicht schwach und hilfsbedürftig wirkten und damit für potentielle Arbeitgeber unattraktiv.

Cone war für ein Semester nach Hause zurückgekehrt, da ihre Mutter plötzlich an Krebs verstorben war – ebenfalls aufgrund einer Fehldiagnose, ihr Leiden wurde auf die Nerven geschoben. Als sie ans College zurückkehrte, begann sie, sich stark in der Bürgerrechtsbewegung, der NAACP und der Friedensbewegung zu engagieren und verbrachte viel ihrer freien Zeit bei Protesten. Zu dieser Zeit nutzte sie bereits einen Rollstuhl. Als sie spürte, dass ihre Muskulatur schwächer wurde und sie möglicherweise bald auf noch mehr Hilfe angewiesen sein würde, wollte sie sich eine Wohnung außerhalb des Universitätscampus suchen. Zum Einen ging es ihr darum, unabhängig zu leben, bevor dies nicht mehr möglich sein sollte, zum Anderen fiel es ihr meist schwer, die Schließzeiten der Schlafräume einzuhalten, da sie viel und mit dem Rollstuhl unterwegs war. Sie benötigte dafür eine Erlaubnis vom Leiter des Programms, der jedoch vermutete, sie werde nicht aufgrund ihrer Erkrankung schwächer, sondern weil sie so viel bei Protesten aktiv war. Außerdem unterstellte er ihr, dass es ihr darum ging, sexuelle Kontakte zu pflegen. Cone war schließlich so unzufrieden mit ihrem Leben im Rahmen der Universität und dem Programm, das sie im Studium dort unterstützen sollte, dass sie keinen Abschluss dort machte. Stattdessen zog sie nach New York und fokussierte sich auf die politische Arbeit.

1974 wurde sie in Oakland, Kalifornien, bei dem dortigen Center of Independent Living eingestellt, um Lobbyarbeit für die Rechte behinderter Menschen zu betreiben, politische Aktionen auf lokaler und nationaler Ebene zu planen und dazu beitragen, Barrieren für Menschen mit Behinderung zu senken. In dieser Rolle war sie maßgeblich an der Planung und Durchführung des 504 Sit-In (Link Englisch) beiteiligt.

‚504‘ bezieht sich auf Abschnitt 504 des Rehabilitation Act von 1973, ein nationales Gesetz gegen die Diskriminierung behinderter Menschen. Der Abschnitt weitete die Menschenrechte bei Bildung, Arbeit und ‚anderen Teilen des gesellschaftlichen Lebens‘ aus und schrieb vor, dass jede Einrichtung, jedes Unternehmen, die oder das Staatsgelder bezog, verpflichtet sei, Menschen mit Behinderung zugänglich zu sein und mit den nötigen Hilfsmitteln aufzurüsten, bzw. Barrieren abzuschaffen. Mit der Absegnung dieses Abschnittes sollte es auch möglich werden, diese Zugänglichkeit zur Not gerichtlich einklagen zu können. Der Gesetzesentwurf war zuvor schon mehrfach von US-Präsident Richard Nixon abgelehnt worden, die Sit-Ins sollten den damaligen US-Gesundheitsminister Joseph Califano dazu bewegen, die Änderungen im Sinne behinderter Menschen zu unterzeichnen. In zehn US-Städten kam es zu konzertierten Protesten; angeführt von Kitty Cone und Judith Heumann bezogen am 5. April 1977 mehrere Demonstrierende, davon zahlreiche im Rollstuhl und anderweitig körperlich behindert, Stellung im Sitz des Gesundheitsministeriums in San Francisco. Zwischen diesem Tag und dem 4. Mai, insgesamt 28 volle Tage, waren mehr als 150 Menschen für dieses Sit-In anwesend. Califano unterzeichnete die Änderungen am 28. April und setzte damit das Gesetz in Kraft. Aus dem Rehabilitation Act wurde später das US-Bundesgesetz Americans with Disabilities Act (ADA).

Nachdem sie dieses große Ziel erreicht hatte, führte sie ihren EInsatz auf anderen Ebenen fort, so war sie an der Organisation des Disabeled People’s Civil Rights Day 1979 in San Francisco beteiligt.

Aufgrund der restriktiven Ehegesetze der damaligen Zeit in den USA konnte sie ihre langjährige Lebensgefährtin nicht heiraten und kein Kind adoptieren. Daher verlegte sie ihren Wohnsitz 1981 nach Mexiko, wo es ihr möglich war, ihren Sohn zu adoptieren. Ab 1990 arbeitete sie für den Disability Rights Education and Defense Fund (Link Englisch). 2015 starb sie kurz vor ihrem 71. Geburtstag an Bauchspeicheldrüsenkrebs.


Einen Überblick über die Geschichte und Hintergründe des 504 Sit-In schrieb Cone selbst zum 20. Geburtstag des Ereignisses. Der DREDF, ihr letzter Arbeitgeber, veröffentlichte einen Nachruf zu ihrem Tod, viel später, 2021 brachte die New York Time ebenfalls einen Nachruf (Link Englisch) unter der Reihe ‚Overlooked no more‘. Das Smithsonian stellt sie im Rahmen der Women’s History vor.

Lange Version (2’22“) auf diva.sfsu.edu

Quelle Biografie: Wiki englisch
außerdem:
(2) Online Archive of California (Link Englisch, 324 Seiten Interview-Transkript)

13/2023: Mykki Blanco, 2. April 1986

Mykki Blanko kam als ein Kind der Quattelbaum-Familie zur Welt, ihr Vater, ein afroamerikanischer Jude, beendete seine Tätigkeit als IT-Spezialist, um als Medium zu arbeiten, ihre Mutter war eine Rechtsanwaltsfachangestellte; die Eltern trennten sich, als Mykki zwei Jahre alt war, und sie lebte anschließend bei ihren Großeltern väterlicherseits in Kalifornien. Nach einem Umzug nach North Carolina floh sie mit 16 Jahren aus dem Familienheim nach New York City. Es folgte eine Zeit wechselnder Wohnsitze und zweier begonnener Ausbildungen. Für ein Studium an der School of the Art Institute Chicago erhielt Blanko ein Stipendium, beendete es jedoch nach zwei Semestern, auch ein Studium an der Parsons School of Design beendete sie nicht.

Ihre heutige Karriere begann mit der Veröffentlichung ihres Gedichtbandes From the Silence of Duchamp to the Noise of the Boy 2011, im Folgejahr erschien ihr erstes musikalisches Werk, die EP Mykki Blanko and the Mutant Angels. Bis zu ihrem ersten ausgewachsenen Album im Jahr 2016 – Mykki – war sie auf diversen Mixtapes und anderen Kooperationen vertreten, unter anderem mit Kanye West auf dessen unveröffentlichten Album Yandhi.

Den Namen Mykki Blanko wählte die geborene Quattelbaum zum ersten Mal 2010 für eine Persona, die sie für YouTube-Clips annahm. Der Name ist inspiriert von Lil‘ Kims Alter Ego Kimmy Blanko, die Blanko auch als künstlerischen Einfluss nennt; weiter nennt sie so unterschiedliche andere Einflüsse wie GG Allin, Jean Cocteau, Kathleen Hanna, Lauryn Hill, Rihanna, Marilyn Manson und Anaïs Nin. Auch wenn sie als Mykki Blanko anfangs vor allem in Hiphop-Videos auftrat, in denen sie auch in ihrer männlichen Persona zu sehen war, wollte sie nie als ‚Drag artist‘ oder ‚transvestite rapper‚ wahrgenommen werden. Auch auf ‚gay/queer rap‚ wollte sie sich nicht festlegen, da sie ihren künstlerischen Hintergrund vielmehr im Dadismus und dem Riot Grrrl Punk verortet. In einer Titelstory der Village Voice über sie mit der Überschrift ‚GenderNinja‚ von 2013 positioniert sie sich als Feministin, jedoch noch nicht als trans* Frau – sie spricht stattdessen über die Fluidität von Gender und über die Möglichkeit, mittels Accessoirs und Kleidung Gender zu performen.

Nach ihren frühen Erfolgen als Musikerin ging sie 2015 bewusst das Risiko ein, ihren HIV-positiven Status auf FaceBook zu veröffentlichen. Für den Fall, dass dies ihre Musikkarriere beenden würde, hatte sie bereits einen Wechsel in den Journalismus ins Auge gefasst, doch die Reaktion ihrer Fans war so unterstützend, dass sie doch ihre künstlerische Arbeit fortsetzte.

Seit 2019 identifiziert Mykki Blanko sich als trans* Frau mit den Pronomen sie/ihr und they/them; wie sie in ihrem Corona-Lockdown-Tagebuch schreibt, hat sie auch eine geschlechtsangleichende Hormontherapie begonnen. In den vergangenen zwei Jahren war sie künstlerisch sehr aktiv und brachte zwei ALben heraus: 2021 Broken Hearts and Beauty Sleep, 2022 folgte bereits Stay Close to Music, das hier im Rolling Stone besprochen wurde. Auf dem Album sind diverse Gastkünstler*innen vertreten, wie Michael Stipe von R.E.M. und Jónsi von Sigur Rós.

Mykki Blanko: Family Ties ft. Michael Stipe
Mykki Blanko: Carry On ft. Jónsi

Quelle Biografie: Wiki englisch

12/2023: Sunaura Taylor, 21. März 1982

Das US-amerikanische Militär hatte in der Gegend um Tucson, Arizona seit Mitte des 20. Jahrhunderts toxischen Müll seiner Flugzeugherstellung abgelassen, darunter Trichlorethen. Sunaura Taylor kam dort 1982 mit Arthrogryposis multiplex congenita auf die Welt, einer Gelenkversteifung meist der Extremitäten, die eine lebenslange körperliche Beeinträchtigung nach sich zieht. In Taylors Fall wird die Ursache in der Grundwasservergiftung mit Trichlorethen vermutet; ihre Eltern schlossen sich einer Sammelklage mehrerer betroffener Familien an, denen 1995 Recht und monetäre Entschädigung zugesprochen wurde.

Sunaura Taylor wuchs in einer Familie von Künstlern und Friedensaktivist*innen auf und begann mit zwölf Jahren zu malen(1). Sie wurde zu Hause beschult und war auch künstlerisch eine Autodidaktin, studierte jedoch später am Goddard College und an der University of California, Berkeley, wo sie ihren Bachelor of Arts machte.

Im März 2004 veröffentlichte die Monthly Review ein Essay von Taylor: The Right Not To Work: Power And Disability (Link Englisch). Sie spricht darin über das gesellschaftliche Phänomen, den ‚Wert‘ eines Menschen in seiner Produktivität zu bemessen, und welche Folgen dies für alle Menschen hat, insbesondere aber die, deren Körper nicht – ohne weiteres – für industrielle Produktivität eingesetzt werden können. Sie erläutert den Unterschied von impairment, am ehesten übersetzt mit ‚Beeinträchtigung‘, als die körperlichen Eigenschaften, die nicht der statistischen Norm entsprechen, und disability, Behinderung, als die soziale, kulturelle Folge einer Beeinträchtigung in unserer Welt; kurz, das soziale Modell von Behinderung, in der der Mensch beeinträchtigt ist, aber von der Umwelt behindert wird. Das Magazin druckte auch ihr Selfportrait with Trichlorethene (TCE) ab, auf dem sie sich selbst als Akt portraitiert. Das Bild und einige andere sind auf ihrer Galerieseite der Wynn Newhouse Awards (Link Englisch) zu sehen; sie war 2011 Empfängerin des Preises.

Ihre Schwester, Astra Taylor (Link Englisch), drehte 2008 den Dokumentarfilm Examined Life (Link Englisch), mit einem Segment, in dem sie ihre Schwester Sunaura bei einem Spaziergang mit Judith Butler begleitet. Die Künstlerin und die Philosophin sprechen auch hier über die gesellschftliche Wahrnehmung von Körpern, die normativen Erwartungen an Körper und die Bedrohung von Ausgrenzung und Gewalt, wenn Körper diesen gesellschaftlichen Erwartungen nicht entsprechen.

Segment aus Examined Life: Sunarua Taylor und Judith Butler im Gespräch (Englisch)

Taylor denkt darin auch laut über die Grenzen nach, wann Körper – gesellschaftlich betrachtet – als ‚menschlich‘ betrachtet werden, und wo die Grenze zwischen Mensch und Tier gezogen wird bzw. werden kann. Sie entwickelte diesen Gedanken weiter und formulierte 2009 ihre Begründung, warum sie als abolitionistische Veganerin lebt: Is it possible to be a conscientious meat eater? (Link Englisch) Sie argumentiert darin unter anderem, dass unsere Unterscheidung von Mensch und Tier auch auf den Fähigkeiten beruht, die wir Menschen, aber nicht Tieren zusprechen, dass aber etwa die Fähigkeit, sich eine Zukunft vorzustellen, oder ein Verständnis des eigenen Ichs zu haben, auch Säuglinge nicht aufweisen, wir diese aber dennoch nicht schlachten und essen. Sie weist auf die Überschneidungen zwischen dem Kampf für die Rechte behinderter Menschen und dem Kampf für Tierrechte hin, und darauf, dass Speziesismus Gemeinsamkeit hat mit der Diskriminierung aufgrund körperlicher Beeinträchtigung – wo Körper nicht einer normativer Erwartung an ‚Mensch‘ entspricht.

Just wondering…: Animal & Disability Liberation – with Sunaura Taylor (Transkript Englisch)

Sunaura Taylor unterrichtet inzwischen als Assistenzprofessorin an der University of California, Berkeley. Sie ist aktiv in der Society for Disability Studies, 2017 brachte sie das Buch Beasts Of Burden heraus, eine ausführliche philosophische Auseinandersetzung mit den Gedanken, die sie im obigen Artikel begonnen hatte.


Quellen Biografie: Wiki deutsch | Wiki englisch
außerdem:
(1) NPR Beitrag

11/2023: Diane Marie Rodríguez Zambrano, 16. März 1982

Foto von Diane Rodríguez im Profil vor einem Regenschirm in Regenbogenfarben; sie hat langes, lockiges schwarzes Haar und trägt ein Tanktop unter einer offenen weißen Bluse
Personas transexuales en la sociedad /15 de enero del 2014 Guayaquil – Ecuador / Lissette Quezada / EXPRESO By Casitti – Own work, Public Domain

Diane Rodríguez floh mit 16 Jahren aus ihrem Elternhaus und arbeitete zunächst als Prostituierte in Guayaquil. Schon früh begann sie jedoch auch, sich in verschiedenen ecuadorianischen Organisationen für die Rechte Homosexueller einzusetzen. Eine Initiative namens „Future Community„, die sich besonders mit Geschlechtsidentität in Abgrenzung zur sexuellen Orientierung befasste, scheiterte leider 2006 nach sechs Monaten an ‚gaytriarchy‚, wie Rodríguez es später nennen sollte.

Rodríguez studierte schließlich Psychologie und arbeitete zur Finanzierung ihres Studiums in Hotels. Nachdem sie zum wiederholten Mal aus einer Stelle entlassen wurde – sie war am Tag zuvor als Frau auf einer öffentlichen Veranstaltung für die Rechte Homosexueller aufgetreten, während sie im Hotel als Mann beschäftigt wurde – klagte sie gegen ihren Arbeitgeber wegen Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. In Ecuador war schon 1998 ein Gesetz gegen die Diskriminierung von Homosexuellen erlassen worden (das jedoch noch nicht unterschiedliche Geschlechtsidentitäten berücksichtigte), doch Rodríguez‘ Fall stellte einen Präzendenzfall dar als darauf basierende Klage einer Privatperson gegen ein Unternehmen. Ihr Ziel war die Wiedereinstellung – als Frau. Dem stand entgegen, dass es ihr nicht möglich war, ihren Namen und Personenstand zu ändern, obwohl sie inzwischen als Frau lebte. Aufgrund dieses Missstandes startete Rodríguez die Kampagne „Frauennamen für Frauen“ und stritt juristisch um die Möglichkeit, ihre persönlichen Daten der Realität anpassen zu dürfen. In dieser Zeit gründete sie auch ihre Organisation für die Rechte von trans*gender Personen Silueta X (Link Spanisch). Ihr wurde in der zweiten Instanz Recht gegeben, und so erhielt Ecuador 2009 eine Gesetzesänderung, die es trans* und inter* Personen ermöglichte, ihren Namen und den Geschlechtseintrag in ihren Daten ändern zu lassen.

Da es sich abzeichnete, wie erfolgreich sie politisch arbeitete, stellte sie sich 2013 als erste trans* Person zur Wahl in die ecuadorianische Nationalversammlung. In diesem Jahr wurde sie noch nicht gewählt, doch der damalige ecuadorianische Präsident Rafael Correa zeigte sich auf Twitter offen bewundernd für ihre Tätigkeit; später folgte daraus sogar ein öffentliches Treffen von Rodríguez mit dem Präsidenten, das einen großen Schritt für die Sichtbarkeit von trans* Personen in Ecuador bedeutete.

International wurde auch die Elternschaft ihres ersten Kindes beachtet, das ihr Ehemann, Fernando Machado, 2015 austrug; 2017 schließlich wurde sie als erste trans* Person in die Nationalversammlung gewählt.

Ihre Motiviation, sich für die Rechte ihrer trans* Mitmenschen einzusetzen, erklärt sie mit ihrer eigenen Erfahrung: Sie habe sich früher selbst für einen schwulen Mann gehalten, weil sie nicht wusste, dass es trans*gender Personen gibt – doch in der Gemeinschaft der schwulen Männer fühlte sie sich auch nicht ‚richtig‘, da ihr Erleben der eigenen Identität und der sexuellen Anziehung zu Männern anders war als das schwuler Männer. Ihr Ziel war und ist es, die Existenz von trans* Personen sichtbar zu machen und soziale Akzeptanz zu erreichen – und zwar soweit, dass diese ein völlig normales Leben führen können, ohne in der Gesellschaft etwas Außergewöhnliches zu sein(3). Sie setzt sich jedoch auch allgemein gegen Diskriminierung und für Menschenrechte ein, so auch für Frauenrechte wie für die Rechte ecuadorianischer Indigener und Afro-Ecuadorianer.

Ihre Klage auf Wiedereinstellung im Hotel wurde nie abgeschlossen. Ihr Studium der Psychologie hat sie erfolgreich abgeschlossen.

Ich entschuldige mich für alle Unklarheiten in der Chronologie oder der Sprache. Der deutsche Beitrag auf Wikipedia ist sehr kurz und der englische leider eine enthusiastische, aber sprachlich schwache Übersetzung des spanischen Beitrags. Mein Spanisch ist schlecht und eingerostet.
Front Line Defenders: Diane Rodríguez Vorstellung als Finalistin für den FLD Award 2015
Beitrag von teleSUR über Diane Rodríguez

BBC Video zur Elternschaft von Diane Zambrano und Fernando Machado (CN: deadnaming, Thematisierung der Kindzeugung und Geschlechtsorgane; Link Englisch)


Quelle Biografie: (1) Wiki deutsch | Wiki englisch
außerdem:
(2) NBC News (CN: deadnaming; Link Englisch)
(3) Frontline Defenders (CN: deadnaming; Link Englisch)

09/2023: Jean O’Leary, 4. März 1948

Schwarz-weiß-Fotografie, Jean O'Leary (lachend, mit kurzen braunen Haaren) in der Mitte trägt ein wild gemustertes Shirt und ist umringt von lachenden Frauen, Afro-Amerikanern, im Vordegrund zwei Polizisten
By Bettye Lane – Original publication: Schlesinger Library Immediate source: Making Gay History, Fair use

Jean O’Leary wuchs in Cleveland auf, sie war als Kind das, was als „tomboy“ bezeichnet wird und verliebte sich schon in der dritten Klasse in Mädchen (1). Kaum hatte sie die Highschool abgeschlossen, begann sie ein Noviziat bei den Sisters of the Humility of Mary – sie hatte in ihrer Jugend auch Verabredungen mit Jungen und floh vor einem Heiratsantrag in die Schwesternschaft(1). Nach etwa sechs Monaten dort hatte sie ihr eigenes Coming Out und äußerte dies auch im Gespräch mit dem ansässigen Priester und Psychologen, der es jedoch nicht weiter ernstnahm (2).

Mit 23 Jahren machte sie einen Abschluss in Psychologie an der Cleveland State University und verließ das Konvent, um nach New York City zu gehen. Dort studierte sie auf einen Doktorgrad hin Organisationsentwicklung an der Yeshiva University und begann, sich in der Gay Activists Alliance (Link Englisch) für die Rechte von Homosexuellen einzusetzen. Im Folgejahr 1972 verließ sie die GAA wieder, weil sie die Organisation als zu sehr von Männern dominiert empfand; als Gegenentwurf dazu gründete sie mit anderen die Lesbian Feminist Liberation (Link Englisch).

Die GAA selbst war von Dissidenten der Gay Liberation Front gegründet worden, die sich von den anderweitigen politischen Haltungen absetzen wollten: GLF war eine alliierte Organisation der Black Panther Party und vertrat eine hart linke, anti-kapitalistische Position, GAA wollte sich hingegen auf die Rechte Homosexueller konzentrieren, um den Widerstand gegen ihre Ziele zu minimieren. Jean O’Learys Lesbian Feminist Liberation war eine der ersten lesbischen Aktivistinnengruppen der Frauenbewegung.

Als Vertreterin der LFL war sie an einem Vorfall am Christopher Street Liberation Day 1973 beteiligt, bei dem sie eine Haltung vertrat, die sie später revidierte. An der Bühnenshow dieser frühen Pride Parade waren auch mehrere Drag Queens beteiligt; dies wurde von einigen Radikalfeministinnen kritisch gesehen. Sie verteilten Flugblätter, die diese Kritik beinhalteten, als Reaktion darauf ergriff eine der Drag Queens, Sylvia Rivera, das Mikrofon und wies darauf hin, dass es sie und ihre Gruppe waren, die bei den Stonewall-Unruhen gekämpft hatten, verprügelt und verhaftet worden waren und weitere soziale Konsequenzen erlitten hatten – und somit die Veranstaltung und die gesellschaftliche Akzeptanz von Homosexuellen, auch Lesben, ermöglicht hatten. Sie wies klar auf die anderen Diskriminationsebenen hin, die darin deutlich wurden: „[…] Die Menschen, die versuchen, etwas für uns alle zu tun und nicht nur für Männer und Frauen, die zu einem weißen Klub der Mittelklasse gehören. Und das ist, wo ihr alle hingehört.“ (2; Übersetzung meine)

Als Antwort darauf verlas O’Leary eine Erklärung, an der sie mit anderen nach eigener Aussage(2) die ganze Nacht gesessen hatte, in der sie erklärte, sie (die LFL) unterstützten jede Person, sich zu kleiden, wie sie oder er wolle; sie seien jedoch gegen die Ausbeutung von Frauen für Unterhaltung oder Profit. Sie unterstellte, Männer, die sich wie Frauen anziehen, seien eine Beleidigung von Frauen. „Männer haben uns unser ganzes Leben lang gesagt, wer wir sind. […] Wogegen wir heute Einspruch erheben, ist ein weiterer Fall, bei dem Männer untereinander lachen über etwas, was sie als Frauen darstellen, womit sie uns sagen, was sie denken, wer wir sind. Wir wollen es nicht wissen.“ (2; Übersetzung meine)

O’Leary verließ die Bühne direkt nach ihrer Erklärung, Sylvia Rivera und eine andere Drag Queen, Lee Brewster (Link Englisch), eroberten sich erneut das Mikrofon und riefen: „Ihr könnt alle in Bars gehen wegen etwas, das Drag Queens für euch getan haben, und diese bitches sagen uns, wir sollen aufhören, wir selbst zu sein?!“ (Wiki; Übersetzung meine) Es gab verbale und körperliche Auseinandersetzungen in der Menge der Anwesenden und die Situation drohte zu eskalieren, bis Bette Midler die Bühne betrat und begann, ihren Song „Friends“ zu singen.

Dazu, wie Jean O’Leary diesen Austausch fast zwanzig Jahre später in Kontext setzt und ihre Meinung änderte, später mehr.

Zunächst einmal trat sie 1974 der National Gay Task Force (heute National LGBTQ Task Force, Link Englisch) bei und wurde, nachdem sie Gender- bzw. Geschlechterausgleich in der Führung ausgehandelt hatte, stellvertretende Leiterin, 1976 bis 1979 leitete sie die Task Force. In dieser Funktion gelang es ihr, 1977 das erste Meeting von Aktivist*innen für Homosexuellenrechte mit einer Regierungsvertreterin im Weißen Haus zu veranlassen: Midge Constanza (Link Englisch) war als Verantwortliche für Public Relations mit Jimmy Carter in den Regierungspalast gezogen, außerdem war sie – als nicht geoutete Homosexuelle(3) – zu der Zeit O’Learys Freundin. Dieses Meeting war nicht nur eine Mediensensation – die homosexuellenfeindliche Kampagne Save Our Children (Link Englisch) der Popmusikerin Anita Bryant befand sich zeitgleich auf ihrem Höhepunkt –, sie war aus O’Learys Sicht auch ein voller Erfolg, weil es den Aktivist*innen Gehör verschaffte, Homosexualität in der Öffentlichkeit normalisierte und auch politische Konsequenzen zur Folge hatte(3).

Ebenfalls im Jahr 1977 war O’Leary eine der Sprecherinnen bei der National Women’s Conference (Link Englisch).

In den frühen 1980er Jahren war O’Leary besonders aktiv im Aufbau der National Gay Rights Advocates, die sich juristisch aggressiv für die menschenwürdige Versorgung von HIV/AIDS-Patienten einsetzte.

1988 begründete Jean O’Leary gemeinsam mit Rob Eichberg den (National) Coming Out Day, der inzwischen in mehreren Ländern rund um die Welt – und international in den Sozialen Medien – begangen wird.

Im Gespräch mit Eric Marcus von Making Gay History 1989(2) blickt Jean O’Leary mit Unbehagen auf ihre Position gegenüber Drag Queens auf dem Christopher Street Liberation Day zurück. Sie erklärt, dass sie eine Reaktion auf den auch in der Homosexuellenszene stark ausgeprägten Sexismus gegenüber Frauen war – dass Frauen wie Mütter, Liebhaberinnen und Schwestern behandelt wurden, aber ihnen verantwortungsvolle Positionen in Organisationen bewusst verweigert wurden. Dabei sollte es deutlicher werden, dass gay, homosexuell, nicht nur schwul meinte – dass Lesben ebenso und mehr um Sichtbarkeit in der Gesellschaft, aber auch in der eigenen Gruppe kämpften. Außerdem beinhaltete die Darstellung von Frauen, die Drag Queens abgaben, genau die Elemente, insbesondere der Kleidung, gegen die die Feministinnen sich auflehnten als Instrumente der körperlichen Restriktion: Strapsgürtel, Korsette, Strumpfhosen, Büstenhalter.

Schon wenige Jahre nach dem Zwischenfall, als sie wegen einer Konterkampagne gegen Save Our Children auch häufiger in Miami-Dade County, Florida, weilte, habe sie meist in einem Hotel gewohnt, in dem viele Transvestiten und transgender Menschen lebten, und im Austausch mit ihnen habe sie einiges besser verstanden. (Sie erwähnt auch, dass sie mit dem Alter milder geworden wäre, was politische Korrektheit angehe, dass sie es sogar schwerer fände, exakte politische Korrektheit zu tolerieren. Aber dass sie auch wisse, dass sie Geduld mit den nachkommenden Aktivist*innen haben müsse, weil sie selbst durch diese strenge Phase hindurchgegangen sei – und sie wisse, dass es ein Prozess ist.)(2)

„Wie konnte ich daran arbeiten, Transvestiten auszuschließen und gleichzeitig Feministinnen kritisieren, die damals ihr Bestes gaben, um Lesben auszuschließen?“, fragt sie(2) und nimmt darauf Bezug, dass es in der National Organization for Women Bestrebungen gab, die lesbischen Mitglieder und die Homosexuellenbewegung innerhalb des Feminismus zu verheimlichen oder auszuklammern. Betty Friedan, 1969 Präsidentin der NOW und Befürworterin davon, Männer am Emanzipationsprozess zu beteiligen, bezeichnete die lesbischen Feministinnen als Lavender Menace: Eine Bedrohung für die Sache des Feminismus, wenn er als Anliegen von ’stereotypen Mann-Weibern und Männerhasserinnen‘ wahrgenommen würde. Die Verleugnung lesbischer Aktivistinnen in der NOW ging soweit, dass die Daughters of Bilitis aus der Sponsorenliste eines erste Kongresses 1969 gestrichen wurden – daraufhin verließen mehrere Mitglieder geschlossen die NOW und protestierten auf dem zweiten Kongress, wofür sie vom Publikum vor allem Zustimmung ernteten.

Von diesem Ausschluss von Lesben aus der Frauenrechtsbewegung war schließlich auch O’Leary betroffen; rückblickend sah sie es wohl als kontraproduktiv, sich im Aktivismus für Frauen- und LGBTQ+Rechte gegenseitig abzulehnen. Dreißig Jahre nach ihren Gesprächen mit Eric Marcus versucht nun der Intersektionale Feminismus, diese Unterschiede zu umschließen und die gemeinsame Arbeit gegen ein unterdrückendes, patriarchales System zu konzentrieren. Vielleicht konnte Jean O’Leary die Anfänge dieser umfassenden Bewegung noch miterleben: Sie starb 2005 57-jährig an Lungenkrebs.


Quelle Biografie grundlegend: Wikipedia (Link Englisch)
außer entsprechend markierte Stellen:
(1) Jean O’Leary Biografie im GLBTQArchive
(2) Making Gay History Konflikt beim CSLD mit Sylvia Rivera
(3) Making Gay History Meeting mit Midge Constanza im WH

08/2023: Heather MacAllister, 25. Februar 1968

Heather MacAllister wurde in Michigan geboren, lebte in verscheidenen Städten in dem Bundesstaat, aber auch in Tuscon, Arizona und schließlich in San Francisco. Mit dreißig Jahren machte sie einen Bachelor Degree in Anthropologie und African-American Studies. Sie war aktiv in verschiedenen Netzwerken und Organisationen gegen Gewichtsdiskriminierung und für fat acceptance (Link Englisch), sowie gegen die Verfolgung und Diskriminierung von trans Menschen; nach dem 11. September 2001 setzte sie sich auch für die Bürgerrechte von muslimischen und Arab-US-Amerikanern ein. Sie arbeitete unter anderem für NoLose, in der sich dicke queere Menschen organisieren, und leistete Lobbyarbeit für eine Gesetzgebung gegen Gewichtsdiskriminierung, die 2000 in San Francisco umgesetzt wurde.

Hauptsächlich bekannt ist sie für ihre Burlesque*-Truppe ‚Big Burlesque and the Fat Bottom Revue‚, in der ausschließlich dicke Künstlerinnen tanzten. Für ihre Auftritte verwendete MacAllister die Bühnennamen Ms Demeanor (a misdemeanour = ein Vergehen) und Reva Lucian (ein Wortspiel mit Revolution, falls es nicht aufgefallen sein sollte), ihre Truppe trat bei unterschiedlichsten Gelegenheiten wie etwa dem Burning Man und Konferenzen politischer Organisationen, aber auch privaten Veranstaltungen auf. Neben dem Entertainment setzte MacAllister mit ihrer Truppe auch Körper-Akzeptanz-Workshops um.

Die Anthropologin und Künstlerin war überzeugt, dass Burlesque eine wirksame Form des Aktivismus sei: „Jedes Mal, wenn eine dicke Person auf der Bühne etwas anderes als eine Witzfigur darstellt, ist es politisch. Füge dem noch Bewegung hinzu, dann Tanz, dann Sexualität, und du hast einen revolutionären Akt.“ (Zitatquelle: Wikipedia, Übersetzung von mir)

Ebenso ein Akt körperpolitischer Revolution war es, als MacAllister und Big Burlesque 2005 für eine Kunstgalerie von Leonard Nimoy fotografiert wurden – das Kunstprojekt hieß The Full Body. In seiner Erläuterung dazu erklärt Nimoy, dass Frauenkörper in seinen bisherigen Fotografien dem gesellschaftlichen Standard von Schönheit entsprachen und sie auch von Betrachtenden als ’schön‘ bezeichnet wurden. Die Fotografien der Burlesquetänzerinnen seien eine Abweichung davon, diese Frauen zeigten sich selbst, im Gegensatz zu den Modellen, die er sonst fotografiert und die seinen Anweisungen folgten. In den Bildern ginge es daher auch mehr um die Frauen als um ihn als Künstler. Er stellt mit den Frauen ansatzweise die Bilder anderer Künstler nach, wie Herb Ritts, Helmut Newton oder auch Matisse, zum Teil bekleidet, zu großem Teil nackt. Seiner Aufforderung, sich stolz zu zeigen, kamen die Burlesquetänzerin mit Leichtigkeit nach, auch ihre spürbare Entspanntheit miteinander und sich selbst beschreibt Nimoy. Die Reaktionen auf diese Bilder, schließt er, sei eine andere, die Betrachtenden sprächen anders von den Bildern. Kommentare führten zu Fragen, Fragen zu Diskussionen, über Schönheitsideale, soziale Akzeptanz, kosmetische Eingriffe und anderes. „In diesen Bildern tragen die Frauen ihre eigene Haut. Sie respektieren sich selbst und ich hoffe, meine Bilder vermitteln dies an andere.“ (Quelle: web.archive.org, Übersetzung meine)

2006 erhielt MacAllister vom Harvey Milk LGBTQ Democratic Club (Link Englisch) den Queer Cultural Activist Award. Im Folgejahr starb Heather MacAllister 38jährig durch Sterbehilfe, nachdem sie vorher an Eierstockkrebs erkrankt war. Ein Bildband von The Full Body Project erschien 2008, es ist ihr gewidmet.


Quelle Biografie: Wiki englisch


*Mit Burlesque ist hier New Burlesque gemeint. Für eine interessante, zeitgeschichtliche Einordnung von (New/Neo) Burlesque in Abgrenzung zum Striptease ist der englische Wikipedia-Artikel zu Neo-Burlesque lesenswert. Meine Paraphrasierung für die kurze Lesezeit:

Das ursprüngliche Burlesque-Theater, in dem bekannte Stücke parodiert wurden und Frauen in Männerrollen auftraten, kam in den 1860er Jahren aus Großbritannien in die USA und zwar mit den British Blondes unter der Leitung von Lydia Thompson. Bis in die 1930er Jahre veränderte sich die US-amerikanische Burlesque hin zu einer Form des Striptease, was wiederum dazu führte, dass es in dieser moralisch strengen Dekade** stark reguliert wurde. Damit verschoben sich die Inhalte weg vom strip hin zum tease, doch durch politische Reglementierung und Unterdrückung verschwand das Burlesque-Theater fast vollständig von der Entertainment-Bildfläche. Mit sich lockerndem moralischen Zeitgeist konnten direkter auf sexuelle Erregung abzielende Striptease-Lokale Fuß fassen – und da ab den 1960ern auch Nacktheit in Filmen und anderen Entertainments gängiger wurde, schien das Spiel mit neckischem Entblößen der Burlesque überkommen. Seit 1994 feiert Neo-Burlesque ein Revival als eine ‚vintage‚ Form der Unterhaltung. Das moderne Burlesque-Theater spielt wieder mit Andeutung statt full frontal nudity, hat eher sinnliche als sexuelle Erregung zum Ziel und setzt schlüpfrigen Humor ebenso wie Gesangs- und Tanzeinlagen für ein breiteres Kulturerlebnis ein. Während in seiner Frühzeit die Burlesque gemeinsam mit den rassistischen Minstrel Shows und den ableistischen Freak Shows zu den anspruchslosen Formen der Unterhaltung zählte, hat die moderne Form diese diskriminierenden Zurschaustellungen in ihr Gegenteil verkehrt. Statt als passive, stereotype und abstoßende Objekte erscheinen im Neo-Burlesque diverse Menschen mit unterschiedlichen Körpern als aktive, individuelle und sinnliche Subjekte. Ein normatives Schönheitsideal wird verweigert, weshalb es für Aktivistys der body positivity wie Heather MacAllister ein fruchtbares politisches Instrument ist – Aktivitainment, sozusagen. Mit der Boylesque erwuchs dem Burlesque auch eine verwandte Kunstform, in der statt der weiblichen Darstellung – Frauen und Drag Queens – männliche Darstellende Burlesque-Akte aufführen.

**Auch der Hays-Code wirkte von 1934 an „reinigend“ auf Filme und führte hier ebenfalls zu kreativen Ideen, Anzüglichkeiten und sexuelle Inhalte zu verbrämen.

07/2023: Malvika Iyer, 18. Februar 1989

Als Malvika Iyer dreizehn Jahre alt war, fand sie vor ihrem Haus in Bikaner, Rajastan, eine vermeintlich entschärfte Handgranate. Bei der Explosion verlor sie beide Hände und erlitt schwere Verletzungen an den Beinen. Sie verbrachte achtzehn Monate in einem Krankenhaus in Chennai, Tamil Nadu, nahe ihrer Geburtstadt Kumbakonam. Nach zahlreichen Operationen erhielt sie ihre Handprothesen und begann auch wieder, mit der Hilfe von Krücken, zu laufen.

Da sie die Schule regulär nicht besuchen konnte, schrieb sie sich in Chennai privat für die Abschlussprüfung nach der 10. Klasse, das Secondary School Leaving Certificate, ein. Sie legte die Prüfung mit Hilfe eines Schreibassistenten ab und bestand als eine der Besten ihres Bundesstaates. Ihre Geschichte erregte Aufmerksamkeit, so sehr, dass sie vom damaligen Präsidenten Indiens, APJ Abdul Kalam, in den Regierungspalast Rashtrapati Bhavan eingeladen wurde.

Mit dem Schulabschluss in der Tasche, zog Iyer nach Neu-Delhi und studierte zunächst Wirtschaftskunde, danach Sozialarbeit. Sie machte ihren Master of Social Work und anschließend ihren M.Phil im selben Fach. Sie erhielt den Rolling Cup für die beste Masterabschlussarbeit 2012.

Im Folgejahr wurde die 24-jährige eingeladen, in Chennai einen Vortrag für TEDxYouth in Chennai zu halten, bei dem das Video unten entstand. Sie erzählt von ihrem Werdegang und betont, wie wichtig es sei, bei ihrer schulischen Karriere unterstützt worden zu sein.

Malvika Iyer für TEDxYouth „Inclusion starts from within“

Nach diesem TED-Talk beschloss Iyer, eine Karriere als öffentliche Rednerin zu beginnen. Es folgten Reden unter anderem vor den Vereinten Nationen in New York und dem IIM Khozikode (Link englisch), Iyers Hauptthema dabei blieb die Inklusion von Menschen mit Behinderung. Sie führt außerdem Sensibilisierungskurse an Schulen, Universitäten, Nichtregierungsorganisationen und Jugendeinrichtungen durch; sie moderierte auch den India Inclusion Summit. Neben der Inklusion setzt sie sich für Body Positivity und ‚accessible fashion‘ ein, also Mode, die auf die Bedürfnisse von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen eingeht. So trat sie auch schon als Modell bei Modenschauen indischer Hochschulen und Organisationen auf. 2016 erhielt sie für ihren Beitrag zur Ermächtigung von Frauen den Women in the World (Link englisch) Emerging Leaders Award, 2018 erhielt sie den höchsten Bürgerorden Indiens, den Nari Shakti Puraskar des Ministeriums für Frauen und Kinder.

Dr. Malvika Iyer hat eine eigene Webseite und ist in den Sozialen Medien aktiv; sie arbeitet weiterhin in ihrer Tätigkeit als öffentliche Sprecherin für Inklusion.


Quelle Biografie: Wiki englisch

05/2023: Koyuki Higashi, 1. Februar 1985

Nach ihrem Studium am Takarazuka Musical College spielte Koyuki Higashi mehrere Jahre als Aura Maki in der Takarazuka Revue, einer Musiktheatergruppe, in der sämtliche Rollen von Frauen gespielt werden. Sie war in diesem Ensemble eine otokoyaku, die die männlichen Rollen spielen. Sie beendete ihre Schauspieltätigkeit 2006.

Vier Jahre später trat sie mit ihrem Aktivismus für die LGBTQA+ Gemeinschaft in Erscheinung. Sie outete sich als lesbisch und gründete 2011 Rainbow Kanazawa, eine non-profit Organisation für LGBTQA+ Jugendliche in ihrem Heimatort.

Als das Tokyo Disney Resort 2012 eröffnete, dass Besuchern im Park Hochzeit, die Disney Royal Dream Wedding, feiern könnten, schrieb Higashi den Vergnügungspark an und fragte, ob sie dort auch mit ihrer Frau heiraten könne. Die erste Antwort war, dass dies möglich sei, jedoch eine von beiden zwingend einen Frack tragen müsse. Higashi schrieb darüber in ihrem Blog und löste damit eine öffentliche Reaktion auf Social Media aus, die das Unternehmen dazu bewegte, sich mit dem Elternkonzern in den USA in Verbindung zu setzen, um die Frage zu klären. Nach dieser Absprache änderte das Tokyo Disney Resort seine Regelung und erlaubte Higashi, am 1. März 2013 ihre Partnerin im Park zu heiraten – beide trugen dabei ein Brautkleid. Queer.de berichtete darüber ebenso wie Pride.com. Das Event wurde von japanischen LGBTQA+ Organisationen als eines der größten Ereignisse des Jahres in der gesellschaftlichen Entwicklung betrachtet; Higashi und ihre Partnerin wurden noch im gleichen Jahr mit dem Tokyo SuperStar Community Award ausgezeichnet.

Die Disney-Eheschließung war allerdings eine rein persönliche Veranstaltung, gleichgeschlechtliche Partnerschaften waren 2013 in Japan in keiner Weise anerkannt. Erst zwei Jahre später machte es der Tokyoter Bezirk Shibuya möglich, einen Antrag für ein – immer noch eher symbolisches – Dokument der „eingetragenen Partnerschaft“ zu stellen. Der Gemeinderat hatte am 31. März 2015 dafür gestimmt, am 5. November des Jahres waren Higashi und ihre Partnerin die ersten, die sich ihre Partnerschaftsurkunde abholen konnten.


Schon 2011 hatten einige buddhistische Tempel begonnen, Eheschließungen für gleichgeschlechtliche Paare vorzunehmen. Die säkularen Gemeindeverwaltungen Japans brauchten dafür noch eine ganze Weile, nach Shibuya zog 2015 noch ein weiterer Bezirk Tokyos nach, in den folgenden Jahren machten zwischen ein und drei Gemeinden in Japen es möglich, sich als homosexuelles Paar dokumentieren zu lassen. Diese Dokumente sind allerdings nicht gesetzlich bindend oder gar einer traditionellen heterosexuellen Ehe gleichgestellt; einige Versicherungen lassen die Dokumente jedoch gelten, um den*die Partner*in mit aufzunehmen, auch in Krankenhäusern und in Erziehungseinrichtungen können die Partnerschaftsurkunden gelten, um als Familienmitglied anerkannt zu werden. Allerdings – da diese Dokumente von der jeweiligen Gemeinde und nicht vom japanischen Staat ausgestellt werden – galten sie lange nur in der ausstellenden Gemeinde. Dies bedeutete, sollte das urkundlich bestätigte Paar in eine andere Gemeinde umziehen, wurde das Dokument wertlos und musste, wenn überhaupt möglich, in der anderen Gemeinde neu beantragt werden. 2019 eröffneten allerdings insgesamt 21 Gemeinden die Möglichkeit einer eingetragenen gleichgeschlechtlichen Partnerschaft und viele unter ihnen erklärten, die Dokumente der jeweils anderen anzuerkennen. Seit 2021 sprechen auch mehrere Präfekturen, also hörere Verwaltungsebenen, davon, eingetragene gleichgeschlechtliche Partnerschaften systematisch zu beurkunden. Das ermöglicht für die betroffenen Paare natürlich eine größere Bewegungsfreiheit. Eine Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der heterosexuellen Ehe ist in Japan allerings noch nicht in Sicht.


Quelle Biografie: Wiki englisch
Quelle eingetragene Partnerschaft in Japan: Wiki englisch

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