Wer in Düsseldorf und Umgebung lebt und dort ab und zu einkauft, dem ist das Carsch-Haus ein Begriff, ein Kaufhaus im Baustil des Neo-Klassizismus, das einen gesamten Block umfasste. Das Gebäude hat eine bewegte Geschichte: es wurde im Krieg stark beschädigt, beherbergte nach dem Krieg Institute der Reeducation, um dann später nach einem Umzug – das Gebäude wurde eingerissen, die Fassade an einem ortsversetzten ähnlichen Gebäude befestigt – wieder lange Zeit ein Kaufhaus zu sein (der eigentliche Ort des ehemaligen Carsch-Hauses ist heute nur noch ein kleiner Platz mit einem Ausstieg aus einem Parkhaus, wenn ich mich nicht täusche). Seinen Namen erhielt das Haus vom jüdischen Inhaber des Textil-Einzelhändlerunternehmens Carsch & Co., Paul Carsch. Dieser war mit Herren- und Knaben-Konfektionskleidung erfolgreich und reich geworden – aufgrund der Maßnahmen der Arisierung unter den Nationalsozialisten musste er 1933 allerdings zwangsweise sein Unternehmen an seinen Prokuristen verkaufen. Eine monatliche Rente für Carsch und seine Familie wurde zwar vereinbart, doch der Betrag, den er für sein Unternehmen erhielt, bleib (selbstverständlich) weit unter Wert. Paul und Bella Carsch konnten mit ihren beiden Kindern Walter und Else rechtzeitig nach Amsterdam auswandern und überlebten dort den Zweiten Weltkrieg in einem Versteck. Paul Carsch erhielt nie eine Entschädigung für den erlittenen Verlust.
Walter Carsch floh von Amsterdam aus weiter in die USA, Else Carsch heiratete in Amsterdam den ehemaligen Viehhändler Josef Sax, ebenfalls vor den Nazis geflohener Jude. 1947 kam ihre gemeinsame Tochter Marjan zur Welt.
Marjan Sax studierte Politik und engagierte sich während des Studiums stark in der Feminismus-Bewegung. Sie war beteiligt an der 1969 gegründeten Dolle Mina, ein Organistation für den Kampf für Frauenrechte, benannt nach Wilhelmina Drucker, außerdem an der Gründung des Vrouwenhuis in Amsterdam 1973, einem Ort für Frauen-Gesprächs- und Aktionsgruppen, der Vereinigung Wij Vrouwen Eisen (Wir Frauen fordern) 1974, die sich für das Recht auf Abtreibung einsetzte, des Saarein, dem ältesten noch bestehenden Frauen-Cafés in Amsterdam, sowie der Abteilung für Frauenforschung an der Universität von Amsterdam. 1976 leitete Sax – ungeplant – die Besetzung der Abtreibungsklinik Bloemenhove durch Wij Vrouwen Eisen, die dazu führte, das die geplante Schließung abgewendet wurde; diese Aktion gilt als mitentscheidend bei der Änderung der niederländischen Gesetzeslage hinsichtlich der Legalität und Verfügbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen. Ein kleiner autobiografischer Rückblick darauf findet sich auf dieser Seite:
Marjan Sax‘ Vater war bereits 1973 verstorben und hatte ihr als Alleinerbin 2,5 Millionen Gulden hinterlassen, die er nach dem Krieg im Metallhandel gewonnen hatte. Sie ließ das Geld zunächst auf dem Konto ruhen, da sie mit dieser Summer nichts anzufangen wusste und Vermögen in den politischen Kreisen, in denen sie sich bewegte, als ‚gauche‚ betrachtet wurde.(1) Sie arbeitete 1977 bis 1981 als Teamleiterin an einer Hochschule, 1982 war sie Mitbegründerin des Lesbisch Archief Amsterdam, heute in der Stiftung Internationales Homo/Lesbisches Informationszentrum und Archiv (IHLIA) integriert.
Ebenfalls 1982 fand Sax schließlich die richtige Verwendung für das geerbte Vermögen: Sie rief Mama Cash (Link Englisch) ins Leben, eine Stiftung zur Unterstützung und Förderung von feministischen Projekten, in der sie bis 2003 verschiedene leitende Funktionen einnahm. Die Stiftung gibt bis heute Fördergelder an Projekte und Aktivismusgruppen des Feminismus.
Nach der Gründung von Mama Cash arbeitete Sax von 1983 bis 1986 bei der Stichtig Vrouwen en Media (Stiftung Frauen und Medien) in der Erforschung der Situation von Journalistinnen bei niederländischen Tageszeitungen. Von 1985 war sie auch am Roze Draad (Rosa Draht) beteiligt, einer Unterstützerbewegung des Sexarbeiter*innen-Vereins De Rode Draad (Der Rote Draad), der 2012 für bankrott erklärt und aufgelöst werden musste. Außerdem unterstützte sie bei Vrouwen Tegen Uitzetting (Frauen gegen Ausweisung) weiblich Asylsuchende, und noch heute ist sie Mitgleid im Ehrenrat der jüdischen, israelkritischen Stiftung Een Ander Joods Geluid (Eine andere jüdische Stimme).
Quelle Biografie: Wiki deutsch | englisch
außerdem: (1) Mama Cash