Schlagwort: frauenwahlrecht

34/2023: Celine Fariala Mangaza, 27. August 1967

Als Celine Fariala Mangaza 1967 in Bukavu zur Welt kam, war ihr Heimatland die ‚Republik Kongo‘ unter der Diktatur Mobutus (der im immerhin im Mai des gleichen Jahres das Wahlrecht für alle – faktisch das Frauenwahlrecht – eingeführt hatte). In ihrem dritten Lebensjahr erkrankte sie an Poliomyelitis, was zu Lähmungen führte; trotz ihrer körperlichen Einschränkungen und obwohl es für Mädchen in den 1970ern in (dann) Zaire nicht üblich war, besuchte sie bis zur 6. Klasse eine Schule. Danach machte sie eine Ausbildung zur Schneiderin und arbeitete in diesem Beruf. Mit 27 heiratete sie und hatte in dieser Ehe vier Kinder.

Das Elend von behinderten Frauen in der (inzwischen) Demokratischen Republik Kongo führte dazu, dass sie eine Nähwerkstatt eröffnete. Sie sei es müde gewesen, Geschichten von Frauen zu hören, die zu Hause sexuelle und allgemeine Gewalt erleben oder auf der Straße betteln mussten. Um gegen die Isolation, Armut und Diskriminierung etwas zu tun, gründete sie die ‚Association d’Encadrement pour la Promotion Integrale des Femmes Vivant Handicap‚, den ‚Aufsichtsverband zur ganzheitlichen Lebensförderung von Frauen mit Behinderung‘. Die Frauen und Kinder vor allem mit Spätfolgen von Pliomyelitits oder Meningitis, die in ihre Räume kamen und nähten, fanden dort Gemeinschaft, Respekt und Verdienst, aus dem Verkauf der Puppen, Taschen und Kleider, die sie nähten.

Celine Fariala Mangaza erlangte in ihrer Gemeinschaft große Anerkennung. Sie wurde ‚Mama Leki‚ genannt, wobei ‚leki‚ soviel wie Tante heißt, was nicht einen Verwandtschaftsgrad bezeichnet, sondern als respektvolle Anrede gilt.

Am 28. Mai 2020 starb Mama Leki vermutlich an COVID-19, während der Anfangsphase der Pandemie in der DR Kongo. Ihre Testmaterialien waren mit etwa vierzig anderen von Bukavu in die Hauptstadt Kinshasa gesendet worden, doch Mangaza starb bereits am Tag nach ihrer Aufnahme im Krankenhaus.


Quellen Biografie: Wiki deutsch | englisch
außerdem:
(1) Nachruf in der New York Times (via Dutable)

11/2019: Marie Juchacz, 15. März 1879

Als Tochter eines Zimmermannes kannte Marie Juchacz Not und Armut. Nachdem ihr Vater an der Lunge erkrankte, musste sie mit 14 Jahren die Volksschule in Landsberg an der Warthe verlassen, um als Dienstmädchen zu arbeiten. Nach weiteren beruflichen Stationen in einer Textilfabrik und als Krankenschwester in einer psychiatrischen Anstalt machte sie schließlich eine Schneiderlehre; den Schneider, bei dem sie anschließend eingestellt wurde, heiratete sie kurz darauf. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor – eines noch im Jahr der Eheschließung –, sie hielt jedoch nur drei Jahre. Als geschiedene Mutter zog sie 1906 mit ihrer Schwester Elisabeth Röhl und deren Kindern in einen gemeinsamen Haushalt nach Berlin; ihr Schwager verblieb in Köln.

Die beiden Schwestern unterstützten sich nicht nur als arbeitende Mütter gegenseitig, sondern verfolgten auch beide politische Ambitionen, die von ihrer beider älterem Bruder Otto geweckt und gefördert worden waren: Er hatte ihnen „Die Waffen nieder!“ von Bertha von Suttner und Bebels „Die Frau und der Sozialismus“ zu lesen gegeben. Schon in Juchacz‘ Geburtsjahr hatte Bebel als Mitglied der SPD gefordert, Frauen die Mitgliedschaft in Parteien zu erlauben, es dauerte jedoch bis 1908, bis dies gesetzlich erlaubt war. Sofort trat Juchacz der SPD bei; sie war damit eines der ersten weiblichen Parteimitglieder, neben ihrer Schwester, und es sollte noch weitere zehn Jahre dauern, bis Frauen auch das Wahlrecht zugesprochen werden sollte.

In den folgenden fünf Jahren entwickelte sich Juchacz zu einer bekannten Persönlichkeit und beliebten Rednerin in der Partei. Für einige Jahre ließ sie ihre Kinder bei der Schwester in Berlin zurück, um als „Frauensekretärin“ der Partei in Köln für die gewerkschaftliche Organisation der Textilarbeiterinnen im Aachener Raum tätig zu sein; während des Ersten Weltkriegs arbeitete sie mit ihrer Schwester und anderen Frauen in der SPD in der „Heimarbeitszentrale“ und der Lebensmittelkommission. Als sich 1917 die Sozialdemokratische Partei spaltete, übernahm Juchacz, in der SPD verbleibend, die Position Clara Zetkins als „Frauensekretärin“ unter Friedrich Ebert sowie deren Stelle als Redaktionsleitung der sozialdemokratischen Frauenzeitschrift Die Gleichheit.

Zwei Jahre später wurden nach der Einführung des Frauenwahlrechts Juchacz und ihre Schwester Röhl als zwei von 37 Frauen in die Weimarer Nationalversammlung gewählt; Juchacz war die erste Frau, die eine Rede im Parlament hielt.

„Meine Herren und Damen!“ (Heiterkeit.) „Es ist das erste Mal, dass eine Frau als Freie und Gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf, und ich möchte hier feststellen, ganz objektiv, dass es die Revolution gewesen ist, die auch in Deutschland die alten Vorurteile überwunden hat.“

https://www.reichstagsprotokolle.de

Als die Nationalversammlung vom Reichstag abgelöst wurde, erhielt nur Juchacz, nicht aber ihre Schwester einen Sitz im neuen Parlament. Juchacz Hauptinteresse galt jedoch nicht der Politik an sich, sondern den Möglichkeiten der Politik, Menschen in Not und Armut zu helfen. So gründete sie basierend auf ihren Erfahrungen während des Ersten Weltkriegs, mit staatlicher Unterstützung Selbsthilfe zu entwickeln, den „Hauptausschuss für Arbeiterwohlfahrt in der SPD“, aus dem der heutige, parteiunabhängige Arbeiterwohlfahrtsverband entstand. Mittagstische, Nähstuben, Werkstätten und Beratungsmöglichkeiten für sozial Bedürftige, insbesondere Kriegsgeschädigte, wurden unter Juchacz‘ Kommission gegründet.

Sie blieb Mitglied des Reichstags bis 1933; bei der Reichspräsidentenwahl 1932, der letzten der Weimarer Republik, bei der das Volk für den Präsidenten abstimmte, hielt sie noch einmal eine pointierte Rede, in der sie klar gegen Hitler und die an Zustimmung gewinnende NSDAP Position bezog:

Die Frauen … durchschauen die Hohlheit einer Politik, die sich als besonders männlich gibt, obwohl sie nur von Kurzsichtigkeit, Eitelkeit und Renommiersucht diktiert ist. Dieser Politik, der nationalsozialistischen Politik, mit allen Kräften entgegenzutreten, zwingt uns unsere Liebe zu unserem Volke…

http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/marie-juchacz

Mit der Reichstagswahl vom 5. März 1933, mit der die NSDAP die einzige Regierungspartei wurde, verließ Juchacz mit anderen Parteimitgliedern Deutschland ins Saarland, zu dem Zeitpunkt französisch; nach Anschluss des Saargebiets an das Deutsche Reich floh sie über Marseilles und Martinique in die USA. Dort traf sie auf ihren verwitweten Schwager – ihre Schwester war bereits 1930 gestorben. Sie lernte Englisch und wurde in der Versorgung der Kriegsflüchtlinge aktiv, bis hin zu einer Gründung der „Arbeiterwohlfahrt USA – Hilfe für die Opfer des Nationalsozialismus“ in New York nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Vier Jahre nach dessen Ende kehrte sie nach Deutschland zurück und wurde dort zur Ehrenvorsitzenden der neu ins Leben gerufenen AWO. Sieben Jahre später starb sie 77jährig in Düsseldorf.

Selbstverständlich liefert die AWO eine ausführliche Biografie von Marie Juchacz auf ihrer Webseite.

03/2018

4. März 1913: Anna Vavak
Die in Wien lebende Tschechin wurde 1941 als ein aktives Mitglied der „Tschechoslowakischen Widerstandstruppe“ von der Gestapo verhaftet. Im Oktober 1942 wurde sie über verschiedene Stationen in das Konzentrationslager Ravensbrück verbracht, wo sie sich für die Arbeit im Rüstungsbetrieb des Siemenslager-Ravensbrück meldete. Im außerhalb des Konzentrationslagers liegenden Betrieb arbeiteten KZ-Insassinnen und Zivilisten zusammen an Fernsprech-, Radio und Meßgeräten für den Einsatz an der Front. Die Wochenarbeitszeit der KZ-Insassinnen betrug anfangs 48 Stunden und wurde später auf 62 Stunden hochgesetzt; dazu kamen ausfallende „Mahlzeiten“ im Konzentrationslager, weil der Weg hin und zurück die „Pause“ zumeist aufbrauchte. Später wurden Wohnbaracken für die dort arbeitenden KZ-Insassinnen gebaut, sodass sich die Wegzeit verkürzte (und die Arbeitszeit verlängerte).
Anna Vavak meldete sich freiwillig zur Arbeit im Betrieb, um mit den Zivilisten in Kontakt zu kommen und ihnen von den Zuständen im Konzentrationslager berichten zu können. Mit der Unterstützung anderer Arbeiterinnen erreichte sie bald die Position der Hauptanweiserin der Schreiberinnen. Das ermöglichte es ihr nicht nur, einzelnen Frauen das Leben zu retten, indem sie die Angaben über deren Produktionsquoten manipulierte, sondern machte sie zum Schutzengel anderer aktiver Sabotageakte, die die Zwangsarbeiterinnen im Betrieb vornahmen. So setzte sie ihren Widerstand gegen die Nationalsozialisten auch in der Haft weiter fort.
Anna Vavak konnte nach der Evakuierung des KZ Ravensbrück beim Todesmarsch Richtung Malchow entkommen. Sie heiratete ein Jahr nach Kriegsende einen anderen Holocaust-Überlebenden, Hans Maršálek, der später als Chronist des KZ Mauthausen tätig war. Sie starb mit 46 Jahren und wurde in Wien beerdigt.

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7. März 1858: Cecilie Thoresen
Die Tochter eines norwegischen Arztes und Gutsbesitzers genoß mit ihren Brüdern gemeinsam eine private Erziehung. Sie las bereits als Jugendliche die zeitgenössische Literatur, wozu auch eine Übersetzung von John Stuart Mills Die Hörigkeit der Frau gehörte. Dennoch entschloss sie sich erst mit 20 Jahren, einen Mittelschulabschluss zu machen, um berufliche Perspektive zu gewinnen. Zunächst besuchte sie einen „Kurs für Bürodamen“ an einer Handelsschule, wo sie sich allerdings langweilte und nach acht Tagen (eigenen Angaben zufolge) die Ausbildung abbrach.
Ihr Vater setzte sich auf ihren Wunsch dafür ein, dass ihr das für ein Universitätsstudium nötige Examen ermöglicht werden sollte, das zu diesem Zeitpunkt (1880) nicht für Frauen offenstand. Das zuständige Kirchen- und Unterrichtsministerium verweigerte ihr jedoch diesen Wunsch. Als Cecilie selbst sich an den Kirchenminister wandte, leitete dieser die Anfrage an die Universität in Kristiania (heute Oslo) weiter, die einzige Universität des Landes. Doch auch hier wurde sie abgewiesen.
Thoresen ließ nicht locker und kontaktierte Hagbard Berner, einen Mitarbeiter des oppositionellen Politikers Johan Sverdrup. Dieser brachte einen privaten Gesetzesentwurf dahingehend in das norwegische Parlament, das zwar Bedenken hatte – aus der Arbeit der Frau könne nur „voller Nutzen“ gezogen werden, wenn bei Erziehung und Ausbildung Rücksicht auf ihre „natürlichen Dispositionen, ihr eigentümliches Gemütsleben sowie auf ihre Anlagen und Vorzüge“ genommen werde –, aber Mitte 1882 dann doch ein neues Gesetz beschloss, welches das Examen für das Universitätsstudium auch Frauen eröffnete. Thoresen legte noch eine Zusatzprüfung ab, da sie Mathematikunterricht nur im für Mädchen üblichen Rahmen erhalten hatte, und bestand diese mit Erfolg. Im Alter von 24 Jahren bestand sie ihr Examen als erste Frau Norwegens, und zwar in allen Fächern mit „sehr gut“. Gleich im Anschluss schrieb sie sich unter großem nationalen Aufsehen an der Universität Kristiania ein und studierte später sogar für ein Auslandsjahr in Kopenhagen.
Auch wenn sie selbst aufgrund von Heirat und der Geburt dreier Kinder ihr Studium nicht abschloss, hatte sie den Mädchen und jungen Frauen Norwegens den Bildungsweg an der Universität eröffnet. Sie engagierte sich auch im späteren Verlauf ihres Lebens für die Frauenbewegung, war an der Gründung der Norwegischen Frauenrechtsvereinigung und der Frauen-Wahlrechtsvereinigung beteiligt und auch die norwegische Sektion des Internationalen Frauenrats geht auf ihre Initiative zurück.
Den Erfolg ihrer Arbeit erlebte sie nicht mehr; sie verstarb 1911 im Alter von 53 Jahren, das Frauenwahlrecht wurde in Norwegen – als einem der ersten Länder Europas – erst 1913 eingeführt.

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22. März 1913: Sabiha Gökçen
Die Tochter eines Amtsschreibers, der vom drittletzten Sultan der Türkei ins Exil verbannt worden war, konnte ihre schulische Ausbildung zunächst dank der Unterstützung ihrer Geschwister weiterführen. Mit 12 Jahren traf sie den Begründer der gerade zwei Jahre alten Republik der Türkei, Mustafa Kemal Atatürk. Der Präsident war von dem Mädchen beeindruckt, dass aus ärmlichsten Verhältnissen kam und dennoch den Ehrgeiz pflegte, die höhere Schule besuchen zu wollen. Er adoptierte Sabiha (neben elf anderen jungen Mädchen und Frauen) und förderte ihre Ausbildung.
Mit 22 Jahren begann Gökçen ihre Politinnenausbildung, mit späterer Weiterbildung in der Sowjetunion. Ein Jahr später machte sie ihren ersten Soloflug, um dann bei der türkischen Luftwaffe ihre Ausbildung zur Militärpilotin abzuschließen. Dazu gehörte auch das Fallschirmspringen – zu diesem Zeitpunkt war der Fallschirmsprung die einzige Möglichkeit, ein abstürzendes Flugzeug zu verlassen.
Sie flog ihre ersten Einsätze im letzten großen Kurdenaufstand in der Türkei; für ihre Einsätze im Korea-Krieg erhielt sie die Beförderung in den Rang eines Majors. Während und nach ihrer aktiven Zeit im Lilitärflugdienst war sie verantwortlich für die Kampfpilotenausbildung der türkischen Luftwaffe, danach flog sie in einer Kunstflugstaffel.
Nur wenige Monate vor ihrem Tod im Jahr 2001 wurde der zweite Istanbuler Flughafen nach ihr benannt. Die Pilotin, die in ihrer aktive Zeit insgesamt 22 verschiedene Flugzeugtypen flog, ist eine spannungsreiche Figur: Sie diente als Exemplar für Atatürks moderne Frauenpolitik, doch verstand sie sich und die türkische Frau an sich als Kind einer „soldatischen Nation“. Sie sprach sich gegen den politischen Islam aus, doch war sie auch daran beteiligt, Bomben auf alevitische Kurden zu werfen. Gökçen kann als reine Galleonsfigur der modernen, ethnisch türkischen Frau gesehen werden – andere Frauen konnten erst wesentlich später (in den 1990er Jahren) den Militärdienst antreten, außerdem symbolisiert sie die Unterdrückung aller türkischen Minderheiten, insbesondere der Kurden. Als drei Jahre nach ihrem Tod Vermutungen aufkamen, dass sie eventuell armenischer Abstammung sein könnte, sorgte das für große Unruhe und zum Teil klare rassistische Äußerungen in der Türkei.

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27. März 1945: Anna Mae Aquash
Auch unter dem Mi’kmaq-Namen Naguset Eask, nahm Anna Mae Aquash als Mitglied des American Indian Movement (AIM) an verschiedenen Protestaktionen teil, wie der Besetzung der Mayflower II im Bostoner Hafen an Thanksgiving 1970 und der Besetzung von Wounded Knee.
Ende 1975 wurde sie vom AIM einigen Verhören unterzogen, wohl, weil man vermutete, sie spiele im Fall des Pine Ridge Shoot-outs der Polizei Informationen über den flüchtigen Tatverdächtigen Leonard Peltier zu. Im September 1975 verschwand sie; im Februar 1976 wurde ihr Leichnam auf der Pine Ridge Reservation gefunden. Zunächst wurde sie als nicht identifizierte Erfrorene unter dem Namen Jane Doe beerdigt, nur ihre Hände wurden abgetrennt und für Fingerabdruck zum FBI gesandt. Dadurch wurde sie acht Tage später als Aquash identifiziert und auf Wunsch ihrer Angehörigen, darunter ihre zwei Töchter, exhumiert. Bei der zweiten Obduktion wurde auch die Schusswunde am Kopf entdeckt, die auf eine Exekution hindeutete.
Es vergingen 27 Jahre, bevor für diesen Mord Tatverdächtige verhaftet wurden. Die Mitglieder und Führungspersonen des AIM, die vermutlich mit der Beseitigung einer vermeintlichen Informantin der Polizei in Zusammenhang stehen, beschuldigen sich gegenseitig. Ein tatsächlicher Tathergang ist bis heute ungeklärt.

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25. März 1953: Souhaila Andrawes*
Die im Libanon zum christlichen Glauben der Eltern erzogene Exil-Palästinenserin wollte eigentlich Nonne werden, was im vorwiegend muslimischen Kuwait, wo sie am Ende ihrer Schulzeit lebte, so gut wie unmöglich war. Sie konnte dort auch nicht studieren und ihr Plan, nach Jerusalem zu gehen, wurde vom Sechstagekrieg 1967 durchkreuzt. So ging sie schließlich zurück in den Libanon, um dort Englische Sprache und Literatur zu studieren.
Unter dem Einfluss ihrer palästinensischen Verwandtschaft, vor allem aber durch die Begegnung mit der ersten weiblichen Flugzeugentführerin, Leila Chaled, die in der arabischen Welt als Heldin gefeiert wurde, politisierte sich die 16jährige Andrawes und fand Anschluss an die palästinensische Widerstandsbewegung. Als sie mit 22 Jahren vor dem libanesischen Bürgerkrieg nach Kuwait zurück floh, nahm sie dort bald Kontakt zur Volksfront zur Befreiung Palästinas auf. Während ihrer militärischen Ausbildung 1977 in Aden (Jemen) lernte sie den hochrangigen PFLP-Funktionär Zaki Helou und dessen deutsche Frau Monika Haas kennen, die später unter Verdacht stand, mit ihr zusammengearbeitet zu haben. Vom Jemen über Kuwait und Bagdad erreichte Andrawes schließlich Mallorca, um dort im Auftrag Wadi Haddads mit anderen militanten PFLP-Mitgliedern das Kommando Martyr Hamileh durchzuführen: die Entführung des Lufthansa-Fluges LH 181 Landshut.
Andrawes war die einzige Überlebende der „Operation Feuerzauber“, wie die Befreiung der Geiseln in Mogadishu in der Planung der GSG 9 bezeichnet wurde. Sie wurde von Schüssen in Lunge und Beine getroffen; beim Abtransport auf einer Bahre durch den Flughafen hielt sie den Fernsehkameras das Victory-Zeichen entgegen und rief: „Tötet mich, wir werden siegen!“
Sie wurde im Folgejahr in Somalia zu 20 Jahren Haft verurteilt, die sie zunächst dort antrat, doch schon Monate später wurde sie in den Irak abgeschoben. Von dort aus wurde sie mehrfach in die Tschechoslowakei gesandt, um die Spätfolgen ihrer Schussverletzungen zu behandeln. Sie konnte im Irak ihr abgebrochenes Studium fortsetzen, doch floh bald vor den israelischen Kräften, die im libanesischen Bürgerkrieg eingriffen, nach Damaskus. Dort lernte sie 1983 ihren Ehemann kennen, mit dem sie zwei Jahre später eine Tochter hatte; 1990 wurden sie aus Syrien nach Zypern ausgewiesen und fanden schließlich in Norwegen politisches Asyl.
1994, auf den Tag 17 Jahre nach der Befreiung der Landshut wurde sie von deutschen Fahndern in Oslo festgenommen und im Folgejahr nach Deutschland ausgeliefert. 1996 wurde sie in Hamburg zu 12 Jahren Haft verurteilt, für die Beteiligung an Mord, Menschenraub, Flugzeugentführung und Geiselnahme. Ein Jahr später wurde ihr erlaubt, ihre Reststrafe in Norwegen abzusitzen; bereits zwei Jare darauf wurde sie aufgrund ihres Gesundheitszustandes, beeinträchtigt von den langfristigen Schäden durch die Schussverletzungen, vorzeitig entlassen. Seitdem lebt sie mit ihrer Familie in Oslo.

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*Disclaimer: Zur Erinnerung, es geht mir auf diesem Blog nicht ausschließlich um bewundernswerte Frauen, die Gutes taten/tun und die als Vorbild dienen können. Es geht mir auch darum, die volle Bandbreite persönlicher Eigenschaften abzubilden, die Frauen als menschliche Wesen innehaben können. Eine palästinensische Terroristin zu besprechen, gehört für mich deswegen ebenso dazu wie Massenmörderinnen (I und II) und KZ-Wärterinnen. Nach dem immer noch vorherrschenden Vorurteil sind Frauen friedliche, fürsorgliche Wesen, Aggressivität und Verbrechen von Frauen wird noch stets als schrecklicher, schockierender und widernatürlicher betrachtet als von Männern. Somit gehören diese aus der Norm herausragenden Frauen für mich selbstverständlich zum Themenkomplex Frauenfiguren, mit dem ich versuche, die dominierende Binarität Mann/Frau ein wenig aufzuweichen.

38/2017: Hedwig Dohm, 20.9.1831

Hedwig Dohm

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Wiki deutsch
Hedwig Dohm war eine self-made woman. Nachdem sie zunächst nur die für Mädchen dieser Zeit typische geringe Schulausbildung genießen konnte, um mit 15 Jahren gänzlich auf den Haushalt im Elternhaus beschränkt zu werden, besuchte sie drei Jahre später ein Lehrerinnenseminar und heiratete mit 22 Jahren den intellektuellen Satiriker Ernst Dohm.

In der Ehe gebar sie zunächst fünf Kinder und nahm dann, als das jüngste „aus dem Gröbsten heraus“ war, ihre schriftstellerische Tätigkeit auf. In kürzester Zeit machte sie sich mit vier Essays in den frühen 1870ern zu einer bekannten Vertreterin des frühen Feminismus – sie wollte nicht nur im Kleinen die Verhältnisse für einzelne Personengruppen verbessern, sie wollte grundsätzlich die Rolle der Frau in der Gesellschaft verändern. Dazu gehörte, schon 1873 das Frauenwahlrecht zu fordern und das Recht auf die gleiche Bildung und Erwerbstätigkeit wie die Männer, um die Frauen aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit in der Ehe zu lösen.

Nach dem ersten Aufruhr beschränkte sie sich in der Folge auf Lustspiele und, nach dem Tod ihres Mannes, Novellen und Romane. Mit dem Erstarken des Feminismus in den 1880er Jahren wurde auch Hedwig Dohm wieder zu diesem Thema aktiv – sie beteiligte sich rege an der politischen Debatte in der Gesellschaft, forderte das Studienrecht für Frauen und gehörte zu den ersten, die die Begründung der traditionellen Geschlechterrollen in der „Natur“ in Frage stellte. Während des Ersten Weltkrieges bekannte sie sich vollständig zum Pazifismus.

Sie erlebte in ihrem letzten Lebensjahr noch die Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland, bevor sie mit 87 Jahren in Berlin starb.
Auf der Seite Deutsche Geschichte in Dokumenten und Bildern findet man eine Kostprobe ihres scharfzüngigen Witzes und ihrer fortschrittlichen Denkweise, im Pamphlet „Was die Pastoren von den Frauen denken“ von 1872.

Bild: Von unbekannt, PD-alt-100

Eine der Frauen, die mich zweimal begeistern konnten.

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Wiki english
Hedwig Dohm was a self-made woman. After she was only allowed the typical restricted education for girl in those days, to be reduced to household chores in her family home at age 15, she visited a teachers‘ seminar three years later and married the intellctual satirist Ernst Dohm at age 22.

In this marriage she started out with giving birth to five children and then, when the youngest was „out of the woods“, picked up writing. In a short time she made herself one of the most notorious icon of early feminism over the first half of the 1870s – she not only wanted to improve the conditions for certain peer groups, she wanted to fundamentally change the role of women in society. That meant demanding the right to vote in 1873 already as well as the same rights to education and employment as men, to free women from economic dependence in marriage.

After the first uproar, she consequently limited herself to plays and, after her husband’s death, short stories and novels. With the rise of feminism in the 1880s, Hedwig Dohm became active on that behalf again – she participated briskly in the political debate in society, demanded the right to university studies for women and was one of the first to question the foundation of the traditional gender roles in „nature“. During the First World War she avowed herself completely to pacifism.

She saw women’s suffrage come into action in Germany during her last year, before dying in Berlin at age 87. On the website German History in Documents and Images a sample of her sharp wit and progressive thinking can be found, in the pamphlet „What The Pastors Think Of Women“ from 1872.

12/2017: Matilda Joslyn Gage, 24.3.1826

Matilda Joslyn Gage

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Wiki deutsch
Matilda Joslyn Gage war eine amerikanische Frauenrechtlerin, die mehrere Bücher zu den umgebenden Themen der Frauenbewegung veröffentlichte, etwa zur Trennung von Staat und Kirche und zu den Rechten der amerikanischen Ureinwohner. Ihre liberalen und inklusiven Ansichten verbreitete sie unter anderem auch in ihrer Zeitschrift The National Citizen and Ballot Box.

Als sich 1890 die zwei größten, konservativ-christlich motivierten Frauenrechtsorganisationen NWSA und AWSA zu NAWSA zusammenschlossen, waren sie geeint in dem Bestreben, das Frauenwahlrecht zu erlangen, weil die weibliche Mäßigung die Politik beeinflussen und christliche Werte einbringen sollte. Gage war weder mit der einseitigen Priorität des Frauenwahlrechts noch mit dem Wunsch nach christlicher Einflussnahme einverstanden und gründete die Woman’s National Liberal Union.

Matilda Joslyn Gage hatte stets mehr als Frauenwahlrecht im Blick, ihre Ziele waren grundsätzlicherer und umfassender Natur. Für ihren Einsatz für die Rechte der Haudenosaunee, bei denen sie gelebt hatte und deren Gesellschaftsform sie als Beispiel für ein Matriachat studiert hatte, wurde sie in deren Rat der Mütter aufgenommen.

In ihrem Essay Die Frau als Erfinderin (1870) beschrieb sie einen Effekt, der 1993 von der Wissenschaftshistorikerin Margaret W. Rossiter nach ihr benannt wurde: dass die Erkenntnisse und Errungenschaften von Frauen in Wissenschaft und Forschung entweder an den Rand gedrängt, heruntergespielt und/oder im Laufe der Zeit männlichen Kollegen zugeschrieben werden. Bekannteste Beispiele hierfür sind Marie Curie, Lise Meitner und Rosalind Franklin.

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Wiki englisch
Matilda Joslyn Gage was an American suffragette who published several books on the surrounding topics of the women’s movement, e.g. on the separation of church and state and on the rights of Native Americans. She spread her liberal and inclusive opinion in her paper The National Citizen and Ballot Box, among other publications.

When in 1890 two of the largest women’s rights organisations with conservative Christian motivations, the NWSA and the AWSA, merged to form the NAWSA, they were united in their effort for women’s right to vote because the feminine temperance was supposed to influence politics and install Christian values. Gage did not agree with the singular priority of voting rights nor with the desire for Christian influence, and founded the Woman’s National Liberal Union.

Matilda Joslyn Gage always had her sights on more than voting rights, her goals were of a more fundamental and global nature. For her support of the Haudenosaunee’s struggle, with whom she had lived to study their society as an example of the matriarchy, she was admitted to their Council of Matrons.

In her essay Woman as Inventor (1870) she described an effect that in 1993 was named after her by science historian Margaret W. Rossiter: how discoveries and achievements of women in science and research are either marginalised, downplayed and/or attributed to their male colleagues over time. Wellknown examples for this are Marie Curie, Lise Meitner and Rosalind Franklin.

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The Gage Home – The Matilda Joslyn Gage Foundation

Bild: Von 19th century photograph, Gemeinfrei

08/2017: Lydia Becker, 24.2.1827

Lydia BeckerEnglish below
Wiki deutsch
Die englische Nachfahrin deutscher Einwanderer (ihr Großvater war Thüringer) in England pflegte im privaten Unterricht zu Hause ihre Leidenschaft für die Biologie und Astronomie. Sie veröffentlichte mit 37 Jahren ein Buch, „Botanik für Anfänger“, und stand in regem Kontakt mit Charles Darwin. Erste Schritte in die Suffragetten-Bewegung machte sie bereits mit der Gründung einer Ladies‘ Literary Society in Manchester; auch an ihrem besonderen Interesse an zwei- oder wechselgeschlechtlichen Pflanzen lässt sich ihre Haltung zur „natürlichen Rangordnung der Geschlechter“ erkennen.

1866 begann sie sich nach einer Versammlung der National Association for the Advancement of Social Science für die Erringung des Stimmrechts der Frauen zu begeistern. Mit der Gründung des Committees „Manchester National Society for Women’s Suffrage“ war sie eine der ersten, die die politische Frauenbewegung in Gang setzte. Einige Monate später wusste sie einen administrativen Fehler für ihre Ziele zu nutzen: eine verwitwete Ladeninhaberin war fälschlicherweise im Wählerregister eingetragen worden. Becker holte die Dame ab und begleitete sie zur Wahlstation, wo der eingetragenen Wählerin die Stimmabgabe gestattet wurde. Aus diesem Fall wusste Becker ein Exempel zu statuieren, sie begann damit den Kampf um das Frauenwahlrecht, wenn auch zunächst mit einigen Niederlagen.

Becker gründete das Women’s Suffrage Journal mit ihrer Freundin Jessie Boucherett und beeindruckte bei einem Auftritt in Manchester die junge Emmeline Pankhurst. Sie setzte sich für den Rest ihres Lebens für gleichberechtigte, nicht geschlechtsspezifische Bildung und das Frauenwahlrecht ein, bis zu ihrem Tod an Diphterie (TW Bild) 1890. Erst 1928 errangen ihre Mitstreiterinnen und Nachfolgerinnen das allgemeine Frauenwahlrecht in Großbritannien.

Link: Frauenwahlrecht in Deutschland

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Wiki englisch
The British descendant of German immigrants (her grandfather was a Thuringian) cultivated her passion for biology and astronomy in homeschooling. At 37 years old, she published a book, „Botany for Novices“, and was in brisk correspondence with Charles Darwin. She took her first steps in the direction of the Suffragettes with the founding of a Ladies‘ Literary Society in Manchester; her special interest in bisexual and hermaphroditic plants also reflects her stance on a „natural hierarchy of sexes“.

In 1866, after a meeting of the National Association for the Advancement of Social Science, she became enthusiastic for the voting rights for women. Founding the Manchester Women’s Suffrage Committee, she was one of the first to set in motion the women’s political movement. Some months later she was able to use a slip-up in administration for her goals: a widowed shop owner had been wrongly entered in the voters‘ register. Becker picked the lady up to accompany her to the polling station, where the registered female was granted her vote. Out of this case Becker knew to make a case, she advanced the struggle for women’s voting rights, though with several defeats in the early years.

Becker along with her friend Jessie Boucherett founded the Women’s Suffrage Journal and impressed the young Emmeline Packhurst during an appearance in Manchester. For the rest of her life, she fought for equal opportunity, non-gendered education and women’s right to vote, until her death of diphtheria (TW images) in 1890. In 1928 only her combattantes and followers won the case for general voting rights for women.

Link: Woman Suffrage Memorabilia
Bild: Von Isaac Wilde, Gemeinfrei

KW 38/2013: Hedwig Dohm, 20. September 1831

Hedwig Dohm

Wiki deutsch Wiki englisch
Hedwig Dohm war die zweite Frau in Deutschland, die – bereits 1873 – das Frauenwahlrecht forderte. Ihren „Kolleginnen“ der damaligen Frauenbewegung war sie, waren ihre Forderungen, zu radikal. Sie selbst typische von der Bildung ferngehaltene höhere Tochter, die erst durch die Heirat mit einem Zeitungsverleger aus der Dunstglocke des patriarchalischen Miefs fliehen konnte*. Und sie floh nach vorn: In humoristische, feministische Texte, Pamphlete, Lustspiele. In Salons, Frauenvereine.
*Wieder so ein Beispiel dafür, dass die Sehnsucht nach Gleichberechtigung auch in einer kulturellen Umgebung aufblühen kann, die jeden Gedanken daran verabscheut, siehe Phoolan Devi.

Dabei Ehefrau eines „Lebemannes“ und Mutter von 5 Kindern, davon 4 Töchter. Ebenso radikale Pazifistin wie Feministin, mit Witz und Wut.
Ihre Biografie auf Fembio ist lesenswert, besonders aber die von zwei engagierten Frauen ins Leben gerufene eigene Webseite sollte Aufmerksamkeit finden. Und noch spezieller hier die Zitateseite. Mein Liebling:

„Und hier liegt, fürchte ich, eine der Hauptquellen, aus der die Männer ihre verschrobenen Ansichten über die Frau schöpfen: Wenn sie vom „Reiz der Unwissenheit“, dem „Zauber der Naivität“ sprechen, bevölkert sich ihre Phantasie sofort mit reizenden jungen Mädchen zwischen 16-18 Jahren, während sie die Vorstellung einer wissenschaftlichen, gebildeten Frau nicht von der einer alten und hässlichen Person trennen können. Das Weib hört auf, für sie zu existieren, sobald es ihrem Vergnügen nicht mehr dient.“ In: Was die Pastoren über die Frauen denken, 1872, S.86f.

Bild: Von unbekannt, PD-alt-100

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