Schlagwort: gender recognition act

17/2023: April Ashley, 29. April 1935

Content Note: körperliche, sexuelle und emotionale Gewalt, Erwähnung von Suizid

„Lieber Gott, segne meinen Vater, segne meine Mutter, segne meine Geschwister und lass mich morgen als Mädchen aufwachen.“ So beschreibt April Ashley ihr allabendliches Gebet schon als Kind. Sie war eines von sechs überlebenden Kinder eines katholischen Vaters und einer protestantischen Mutter, sie hatte drei leibliche Brüder, zwei Schwestern und einen aus Bombay adoptierten Bruder. Nur ihr Vater liebte sie, doch war als Seeman wenig zugegen; ihre Geschwister lehnten sie ab und ihre Mutter ‚verabscheute‘ sie geradezu, weil sie so anders war.(Quelle: YouTube unten) Sie wurde auch von anderen Kindern in ihrer Heimatstadt Liverpool gehänselt und verprügelt.

Mit 16 Jahren konnte sie mit Hilfe einer Kundin, der sie Einkäufe auslieferte, bei der Handelsmarine anheuern. Doch dort wurde sie von ihrem Zimmergenossen schwer misshandelt und vergewaltigt; sie unternahm einen Suizidversuch und wurde daraufhin unehrenhaft entlassen, ein weiterer Versuch brachte sie in ein Psychiatrisches Krankenhaus, in dem sie Elektroschocktherapie erhielt und ihr Testosteron verabreicht wurde.

1955, mit zwanzig Jahren, konnte sie nach London ziehen und begann dort, als ‚cross dresser‚ zu leben. Einige Zeit später ging sie weiter nach Paris, wo sie unter dem Namen Toni April lebte und im Drag Cabarat ‚Le Carousel‚ auftrat, neben anderen trans*gender Künstlerinnen wie Coccinelle und Bambi. Sie bekam dort Östrogene und sah auch die Ergebnisse von Coccinelles geschlechtsangleichender Operation (CN: Fotos), woraufhin sie ihr Geld für eine eigene Operation ansparte. 1960 hatte sie die nötigen £3.000 zusammen und reiste nach Casablanca in Marokko zu Dr. Georges Burou. Dieser führte dort die von ihm entwickelte Vaginoplastik (Kolpopoese) bereits seit 1956 durch – Ashley sei seine neunte Patientin gewesen, schrieb sie später.

Die Operation war in Marokko verboten, Dr. Burou lebte und arbeitete dort diskret, seine Patientinnen kamen durch persönliche Kontakte mit anderen Patientinnen zu ihm. Zur Einschätzung der Lage (von Wikipedia): Im Jahr 1969 musste eine deutsche Patientin 10.000,-DM im Voraus zahlen, durfte dann zehn Tage später anreisen und erhielt bei der Aufklärung auch die Erklärung, wenn es tödliche Komplikationen gäbe, würe ihr Leichnam im Meer versenkt und ihr Ausweis verbrannt. (Laut DM-Euro-Rechner entspricht der Preis heutigen etwa 21.400,- €)

Ashley beschreibt die Operation als schmerzhaft, sie habe auch alle Haare verloren, doch habe sie niemals Reue gespürt, denn ‚wenn die Operation nicht gelungen wäre, hätte ich nicht weiterleben wollen‘.(Quelle: YouTube unten)

Nach der erfolgreichen Operation kehrte Ashley nach England zurück und lebte von nun an unter dem Namen April Ashley. Sie arbeitete als Mannequin und Model, unter anderem wurde sie von David Bailey für die British Vogue fotografiert. In dieser Zeit lernte sie auch ihren späteren ersten Ehemann, den ‚Honourable‚ Arthur Corbett, später 3. Baron Rowallan, kennen. Sie machte wie viele Fotomodelle auch erste Schritte in die Filmindustrie, mit einer kleinen Rolle in der Komödie ‚Der Weg nach Hong Kong‚, in der Bing Corsby, Bob Hope und Joan Collins die Hauptrollen spielten. Die Dreharbeiten wurden 1961 abgeschlossen, 1962 sollte der Film in die Kinos kommen. Kurz nach dem Dreh verkaufte jedoch ein*e ‚Freund*in‘ Ashleys Geschichte an die Presse und das Klatschmagazin ‚The Sunday People‚ outete sie noch 1961 als trans*gender. Daraufhin verlor Ashley ihre Angebote als Model und wurde aus dem Film herausgeschnitten. Zwei Jahre später heiratete sie Arthur Corbett, doch die Ehe hielt nicht lang. Getrennt und als Protagonistin eines ‚Skandals‘ konnte sie anschließend längere Zeit nicht seßhaft werden – immer, wenn ihre Geschichte in ihrem Umfeld bekannt wurde, verlor sie ihre Anstellung – unter anderem als Kellnerin und im Kunsthandel – und sie musste umziehen. Ihr Anwalt schrieb 1967 eine Unterhaltsforderung an Arthur Corbett, woraufhin dieser eine Klage einreichte, die Ehe annullieren zu lassen; dieser Fall wurde als Corbett v. Corbett zum traurigen Präzendenzfall. Dem Annullierungsantrag wurde 1970 stattgegeben, aufgrund der Tatsache, dass Ashley legal, nach ihren eingetragenen Angaben, noch als Mann galt – eine Tatsache, die Arthur Corbett bei der Eheschließung durchaus bewusst war.

April Ashley arbeitete in den 1970er Jahren als Empfangsdame in einem Londoner Restaurant, das sich von ihrer Geschichte mehr Zulauf von Gästen erhoffte. Die Situation führte dazu, dass Ashley vermehrt Alkohol trank, was auf lange Sicht zu gesundheitlichen Problemen bis hin zum Herzinfarkt führte. Sie heiratete ein weiteres Mal, doch auch diese Ehe endete in Scheidung, wenn auch freundschaftlich. 1982 schrieb sie gemeinsam mit einem britischen Journalisten ihre Autobiografie.

In den 1990er und 2000er Jahren versuchte Ashley mehrfach vergeblich, eine Änderung ihres Geschlechtseintrages zu erreichen und somit auch legal als Frau anerkannt zu werden, doch dies gelang ihr erst 2005 – mit 70 Jahren, 45 Jahre nach ihrer geschlechtsangleichenden Operation – nachdem das Vereinigte Königreich den Gender Recognition Act (Link Englisch) umgesetzt hatte. Sie erhielt daraufhin eine geänderte Geburtsurkunde und einen korrigierten Geschlechtseintrag in ihren persönlichen Daten. Im Folgejahr veröffentlichte Ashley eine Neuauflage ihrer Autobiografie mit einigen neuen Anekdoten, doch diese wurde wegen zu großer Übereinstimmung mit ihrer ersten Biografie – an der ein anderer Autor mitgewirkt hatte – aufgrund von Plagiarismus zurückgezogen.

Ashley verlebte den Rest ihres Lebens in Fulham als trans*gender Ikone der britischen LGBTQIA+-Community, sie verstarb im Dezember 2021 mit 86 Jahren.


Interview mit April Ashley in ‚Good Afternoon‘ (CN: Biologismus, Diskussion der ‚Toilettenfrage‘, Gefahren der Inhaftierung, körperliche und sexualisierte Gewalt u.a. gegen Kinder, Suizid – in leichtem Konversationston)
Sequenz über April Ashley in ‚What Am I?‘ (CN: verbale Transphobie)
Ausschnitt aus April Ashleys Auftritt bei ‚Loose Women‘ (CN: Deannaming, Fotografie von Ashley als Jugendliche/misgendert, emotionale Gewalt gegen Kinder, Suizidalität)

Quelle: Wiki deutsch | Wiki englisch

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