Schlagwort: homosexuellenrechte

46/2023: Ursula Eggli, 16. November 1944

Ursula Egglis Eltern waren einfache Leute im kleinen Schweizer Ort Dachsen, der Vater Arbeiter, die Mutter Kinderschneiderin und Näherin. Ursula kam als ältestes von drei Geschwistern auf die Welt; nachdem sie sich mit dem Laufenlernen schwer tat, benötigte es verschiedene Ärzte, bis die Diagnose Spinale Muskelatrophie (‚Muskelschwund‘) erfolgte. Ihr Leben auf dem Dorf blieb zunächst jedoch relativ idyllisch: Sie wurde von Nachbarskindern und ihrem Bruder Daniel im Kinderwagen geschoben, wenn sie allein war, las sie und dachte sich Geschichten aus. Sie ging auch – als einziges Mädchen unter 24 Jungen – für drei Jahre in die Dorfschule.

Mit neun Jahren jedoch kam sie in ein Heim für behinderte Kinder; ihr zweiter Bruder, Christoph, war ebenfalls mit Muskelatrophie zur Welt gekommen, was die diabeteskranke Mutter belastete; die Dorfschule sah sich ebenfalls von den Anforderungen überlastet. Im Heim beendete Eggli die Schule, danach kehrte sie zunächst nach Dachsen zurück.(1)

Anfang der 1970er Jahre gründete sie mit behinderten und nicht-behinderten Freund*innen eine WG. 1977 veröffentlichte Eggli ihr erstes Buch, ‚Herz im Korsett‘, in dem sie im Tagebuchstil aus dem WG-Leben erzählt. Darin brach sie das Tabu, über sexuelle Bedürfnisse und sexuelles Erleben behinderter Menschen, insbesondere Frauen, zu sprechen.

Zwei Jahre nach der Veröffentlichung trat Ursula Eggli mit ihren Freund*innen im Dokumentarfilm ‚Behinderte Liebe‘ auf, der ebenfalls die Schwierigkeit schildert, ein ’normales‘ Beziehungs- und Liebesleben zu führen, denen Menschen mit Behinderung gegenüberstehen.

In den 1980er Jahren schrieb Eggli weitere Texte, etwa in der von ihr gegründeten Zeitschrift ‚Puls‘, und Bücher, die jedoch nicht an den Erfolg ihres ersten Buches anschließen. Sie war als Aktivistin für Behindertenrechte und Frauenrechte politisch tätig, hielt Vorträge und leistete soziale Arbeit, etwa Begleitung und Betreuung von Feriencamps für Kinder mit Behinderung.

Sie verliebte sich zum ersten Mal in eine Frau und lebte mehrere Jahre mit dieser Partnerin zusammen; so griff sie in den 1990er Jahren in ihrem politischen Aktivismus auch Homosexuellenrechte auf, auch hier insbesondere Rechte behinderter Homosexueller. Mehrfach nahm sie an den Gesprächen der Homosexuellenbewegung an der Akademie Waldschlösschen in Göttingen teil.(1)

2005 war sie Vizepräsidentin des Schweizer Netzwerk behinderter Frauen ‚Avanti donne‚.

Sie starb am 2. Mai 2008 mit 64 Jahren.

Im Archiv der Behindertenbewegung ist ihr Märchenbuch Freakgeschichten für Kinder und Erwachsene als PDF zum Download zu finden.


Quelle Biografie: Wiki deutsch
außerdem:
(1) Archiv Behindertenbewegung




24/2023: Josephine Ho, 16. Juni 1951

Josephine Hos akademische Laufbahn ist beeindruckend: Zuerst studierte sie an der National Chengchi University in Taipeh Western Language and Literature und schloss 1972 mit einem Bachelor of Art ab. Anschließend machte sie 1975 ihren Master of Science in Erziehungswissenschaft an der University of Pennsylvania, einen Doctor of Education in Linguistik an der University of Georgia 1981 und schließlich 1992 noch einen Doctor of Philosophy in Englisch an der Indiana University of Pennsylvania.

Bereits seit den 1990er Jahren – kurz, nachdem Taiwan von einem Einparteiensystem in eine Demokratie überging, siehe unten – trat Ho als Frauenrechtsaktivistin in Erscheinung. Nachdem 1989 der erste taiwanische Gerichtsprozess wegen sexueller Belästigung geführt wurde, organisierte sie im Mai 1994 die erste Demonstration gegen sexuelle Belästigung in Taiwan, die unter dem selbstbewussten Slogan lief: „Wir wollen keine Belästigung, wir wollen Orgasmen. Wenn ihr uns weiter sexuell belästigt, schneiden wir ihn mit der Schere ab!“ Sie begründete 1995 das Center for the Studies of Sexualities an der Nationalen Zentraluniversität in Taipeh, in dem zu den Themen Gender, sexuelle Aufklärung und sexuelle Selbstbestimmung, Sexarbeit und Transgeschlechtlichkeit geforscht wird; sie selbst schrieb 15 Bücher zur taiwansischen Gender- und Sexualtitätsforschung. Seit 2006 ist sie an der Universität Professorin, seit 2010 leitet sie das Forschungszentrum.

Ho gilt – neben ihrem Aktivismus auch für die Friedensbewegung, die Anti-Globalisierungsbewegung, gegen Atomkraft und für Menschenrechte – als Begründerin der taiwanischen Queer-Bewegung. Auf der Webseite ihres Forschungszentrums informiert sie über die diversen Themen der Sexualrechtsbewegung – dafür wird sie insbesondere über diese Webseite von Gegnern angegriffen. 2003 klagte eine konservativ-christliche Organisation gegen sie, weil sie angeblich über Zoophilie nicht nur informiere, sondern diese ausdrücklich befürworte. Tatsächlich enthielt die Webseite Artikel zu diesem Thema als Teil der Sexualforschung, die Seite wurde gesperrt. Ein Netzwerk aus Studierenden, Wissenschaftlerys und Aktivistys bildete sich und konnte mit Unterstützung einer internationalen Petition einen Gewinn für die Informationsfreiheit erlangen und die Aufhebung der Sperre erreichen.

Für ihren Einsatz für die Frauenrechte, aber auch die Rechte der LGBTQIA+-Bewegung war Josephine Ho eine von 1.000 Frauen, die 2005 für den Friedensnobelpreis nominiert wurden.


Um Josephine Hos Aktivismus einzuordnen, finde ich es hilfreich, auch die Geschichte Taiwans kurz darzustellen, für alle, die wie ich noch nicht so viel darüber wissen. (In der März-Ausgabe der GEO wurde die Geschichte und aktuelle Lage der Insel vor dem chinesischen Festland wie immer spannend erzählt, ich kann den Artikel sehr empfehlen. Ich habe ein Print-Abo, zugegebenermaßen.)

Die Urbevölkerung Taiwans gehört zu den austronesischen Völkern und betrieb wirtschaftlichen Austausch mit den Völkern auf den Philippinen und dem chinesischen Festland. In der europäischen Geschichte taucht Taiwan zuerst 1583 auf, als die Portugiesen die Insel entdecken, die sie (Ilha) Formosa, die Schöne (Insel), nennen. 1624 besetzen niederländische Seeleute und Händler den Süden, zwei Jahre später lassen sich spanische Händler im Norden nieder. Die niederländischen Kolonisatoren werben verstärkt Siedler vom chinesischen Festland an, was zu mehreren Immigrationswellen führt – die Nachfahren der eingewanderten Han-Chinesen bilden heute die Mehrheit der taiwanischen Bevölkerung. Die austronesische Urbevölkerung geht zu großen Teilen in dieser Bevölkerung auf, nur in einigen unzugänglichen Bergregionen bleiben indigene Völker bis ins 20. Jahrhundert davon unberührt. Die Niederländer führen in der von ihnen regierten Region die christliche Religion und das europäische Schulsystem ein. 1661 verdrängt der chinesische Kaufmann/Pirat Zhen Chenggong die Niederländer von Formosa und gründet dabei das (chinesische) Königreich Tungning – auch er holt in mehreren Wellen Festlandchinesen auf die Insel. Dieses wird 1683 vom Festland-Königreich der Qing-Dynastie besiegt und Taiwan dem Königreich als Teil einer Festland-Provinz einverleibt. Die Insel ist daraufhin 200 Jahre lang chinesisch.
Nachdem China den ersten japanisch-chinesischen Krieg 1895 verloren hatte, musste es die Penghu-Inseln zwischen Tawian und dem Festland an Japan abtreten. Daraufhin rief die Provinzregierung auf Taiwan die Republik Formosa aus; Japan musste die Insel in einem mehrmonatigen Kampf erobern. Bis 1945 blieb Taiwan japanische Kolonie, in dieser Zeit versuchte die Besatzungsmacht, den Shintoismus als Staatsideologie (und -religion) einzuführen und ‚zivilisierte‘ die restliche indigene Bevölkerung, etwa indem die noch übliche Kopfjagd abgeschafft wurde.
In einer Erhebung 1919 bestand die Bevölkerung dieser Zeit aus (ungefähr) 3 Millionen Han-Taiwanys (Nachfahren der eingewanderten Han-Chinesen), 100.000 Japanern und 120.000 indigenen Taiwanys.
Mit der Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg wurde die Insel wiederum in die inzwischen eingerichtete Republik China eingegliedert; die republikanischen Truppen wurden auf Taiwan zunächst freudig begrüßt, doch stürzten die Taiwanys die Regierung der Kuomintang 1947 nach dem starkem wirtschaftlichem Niedergang (die schwelende Unzufriedenheit im Volk aufgrund der Korruption und gewaltbereiten Regierung brach sich nach einem Massaker Bahn, dessen genaues Ausmaß noch heute nicht vollständig bekannt ist). Als die Republik 1949 im Bürgerkrieg zwischen den Kuomintang (KMT) und den Kommunisten zerbrach, floh die KMT-Regierung um Chian Kai-shek nach Taiwan und richtete Taipeh als Hauptstadt der Republik China (Taiwan) ein. Mit ihnen flohen etwa 1,5 Millionen Chinesen vom Festland auf die Insel, die heute ungefähr 14% der Bevölkerung Taiwans ausmachen.
In den folgenden vierzig Jahren blieb Taiwan von der KMT als einzige Partei regiert. Erst 1987 wurde das Kriegsrecht aufgehoben, eine Oppositionspartei – die Demokratische Fortschrittspartei – wurde zu Wahlen zugelassen und regierte seitdem Jahr 2000 abwechselnd mit der KMT. Seit dem Aufbrechen des Einparteiensystems erhält auch die indigene taiwanische Sprache wieder Raum und das Bestreben, die ursprüngliche Kultur des Inselvolkes wiederzuentdecken und zu bewahren.

Dies ist selbstverständlich nur ein sehr kurz gefasster, Details sparender Überblick, die Verlinkungen können zur Vertiefung dienen.


Quelle Biografie: Wiki deutsch | englisch

21/2023: Barbara May Cameron, 22. Mai 1954

CN: In Titeln und Namen von Organisationen wird das alte englische Wort für amerikanische Ureinwohner verwendet, insbesondere jedoch als Selbstbezeichnung. In dieser Form und Funktion schreibe ich es aus.

In ihrem Essay Gee, You Don’t Seem Like An Indian From the Reservation schreibt Barbara May Cameron, dass sie bis zu ihrem fünften Lebensjahr bereits erlebt hatte, wie ein alter Mann von der Polizei tödlich in den Rücken geschossen wurde, und sie stumme Zeugin war, wie eine Gruppe Jugendlicher einen älteren Herrn zusammenschlugen. Cameron kam als Kind einer Hunkpapa Lakota Familie im Standing Rock Reservat in North Dakota zur Welt und wuchs dort bei ihren Großeltern auf. Schon als Kind, erzählte sie später, habe sie von der Stadt San Francisco gelesen und gesagt, eines Tages werde sie auch dort leben und die Welt retten.(2) In der neunten Klasse gewann sie einen Schreibwettbewerb (von Pepsi), der Preis war $1000 und eine Fahrt nach Washington, D.C.(3,4)

Sie besuchte die Highschool im Reservat, im Anschluss studierte sie Fotografie und Film am Institute of American Indian Arts (Link Englisch) in New Mexico, 1973 ging sie mit 19 Jahren nach San Francisco und studierte dort am San Francisco Art Institute. Sie war als Fotografin und Filmemacherin erfolgreich, als Aktivistin für homosexuelle Indigene schrieb sie auch zahlreiche Essays und Artikel.

1975 gründete sie mit Randy Burns (Link Englisch), einem Zuñi, die Gay American Indians, die erste Organisation, die sich für die gesellschaftliche Befreiung und Sichtbarkeit homosexueller Indigener einsetzte. Die Funktion der Organisation war nicht nur, als Homosexuelle of Color einen sicheren Raum zu finden, denn der Rassismus war auch in der hauptsächlich weißen Homosexuellen-Szene massiv – Schwarze und Indigene wurden nicht oder nicht ohne Weiteres in die Clubs gelassen. GAI diente auch als anthropologische Sammelstätte, in der die homosexuellen Indigenen ihr Wissen und ihre Erinnerungen an ihre Stammeskulturen zusammentrugen. Die Terminationspolitik (CN: I*-Wort) der 1950er-Jahre hatte diese so gut wie vernichtet, bei dem Versuch, sämtliche US-amerikanischen Indigenen zu ‚assimilieren‘: An Schule war es bei Strafe verboten, die eigenen Sprachen zu sprechen oder religiöse Rituale durchzuführen, Reservate – schon extrem begrenzte Lebensräume – sollten aufgelöst werden, dabei verloren viele die staatliche Unterstützung und jeden gesellschaftlichen Halt. Die Generation, die dies durchlebte, war schwer traumatisiert. Die Mitglieder von GAI waren zumeist die Kinder dieser Generation und erzählten sich nun gegenseitig, was sie noch von ihren Großeltern erfahren und gelernt hatten; sie sammelten auch die Namen für two spirits in ihren jeweiligen Stammessprachen. So wurde GAI auch zu einem historisch relevanten Projekt.

Zwischen 1980 und 1985 war sie an der Organisation der jährlichen Lesbian Gay Freedom Day Parade beteiligt – im ersten Jahr ihrer Beteiligung war sie nicht zufrieden mit der Repräsentation marginalisierter Gruppen als Sprecher. Diesem Gefühl gab sie in einer Rede Ausdruck, in der sie den Rassismus und Klassismus der Gemeinschaft ansprach und auf die Anfänge der Pride-Bewegung hinwies(3, Transkript und Übersetzung von mir):

Ihren Text ‚Gee, You Don’t Seem Like An Indian From the Reservation‚ schrieb sie 1981; darin beschreibt sie die Schwierigkeiten zur weißen Gesellschaft ebenso wie zu ihrer eigenen Kultur; sie nennt u.a. die Ermordung von Anna Mae Aquash als Anlass für ihren politischen Aktivismus. In den frühen 1980er begann auch die Beziehung zu ihrer Lebenspartnerin, mit der sie einen Sohn großzog. 1986 lebte sie mit einer Gruppe anderer Frauen unter dem Namen ‚Sonos Hermanas‚ (Wir sind Schwestern) eine Zeit in Nicaragua, um dort Frauen zu helfen.

Ende der 1980er Jahre war sie Vizepräsidentin des Alice B. Toklas LGBT Democratic Club, 1988 trat sie als Delegierte für Jesse Jacksons Rainbow Coalition (Link Englisch) beim Parteitag der Demokratischen Partei an. Sie leitete 1989 bis 1992 die Organisation Community United Against Violence, die Opfer von häuslicher Gewalt unterstützte. Ab Anfang der 1990er begann sich Cameron auch für die Aufklärung über HIV/AIDS und die Unterstützung Betroffener in der indigenen Gemeinschaft einzusetzen; sie besuchte 1993 die International Conference on AIDS als Delegierte des International Indigenous AIDS Network. Über ihren Besuch in Berlin schrieb sie das Essay ‚Frybread in Berlin‚ (Link Englisch, ganzer Text zum Download verfügbar). Sie war im Vorstand der San Francisco AIDS Foundation und des American Indian AIDS Institute, außerdem gründete sie das Institute on Native American Health and Wellness.

Werke von ihr erschienen in diversen Anthologien und Sammlungen:
Our right to love: a lesbian resource book (1978)
This Bridge Called My Back: Writings by Radical Women of Color (Link Englisch) (1981)
A Gathering Of Spirit: A Collection of Writing and Art by North American Indian Women (Link Englisch) (1983)
New Our Right To Love: A Lesbian Resource Book (1996)

Sie starb am 12. Februar 2002 mit nur 47 Jahren und wurde auf eigenen Wunsch, nach einem Leben vor allem in San Francisco, im Standing Rock Reservat beigesetzt. Ihr Drehbuch ‚Long Time, No See‚ blieb unvollendet.

Nicht viel mehr als dies, aber sehr charmant und lebendig erzählt Dr. Leah Leach im Gal’s Guide Podcast über Barbara May Cameron.


Quelle: Wiki englisch
außerdem:
(2) KQED
(3) Pride is a Protest
(4) Indigenous Goddess Gang

09/2023: Jean O’Leary, 4. März 1948

Schwarz-weiß-Fotografie, Jean O'Leary (lachend, mit kurzen braunen Haaren) in der Mitte trägt ein wild gemustertes Shirt und ist umringt von lachenden Frauen, Afro-Amerikanern, im Vordegrund zwei Polizisten
By Bettye Lane – Original publication: Schlesinger Library Immediate source: Making Gay History, Fair use

Jean O’Leary wuchs in Cleveland auf, sie war als Kind das, was als „tomboy“ bezeichnet wird und verliebte sich schon in der dritten Klasse in Mädchen (1). Kaum hatte sie die Highschool abgeschlossen, begann sie ein Noviziat bei den Sisters of the Humility of Mary – sie hatte in ihrer Jugend auch Verabredungen mit Jungen und floh vor einem Heiratsantrag in die Schwesternschaft(1). Nach etwa sechs Monaten dort hatte sie ihr eigenes Coming Out und äußerte dies auch im Gespräch mit dem ansässigen Priester und Psychologen, der es jedoch nicht weiter ernstnahm (2).

Mit 23 Jahren machte sie einen Abschluss in Psychologie an der Cleveland State University und verließ das Konvent, um nach New York City zu gehen. Dort studierte sie auf einen Doktorgrad hin Organisationsentwicklung an der Yeshiva University und begann, sich in der Gay Activists Alliance (Link Englisch) für die Rechte von Homosexuellen einzusetzen. Im Folgejahr 1972 verließ sie die GAA wieder, weil sie die Organisation als zu sehr von Männern dominiert empfand; als Gegenentwurf dazu gründete sie mit anderen die Lesbian Feminist Liberation (Link Englisch).

Die GAA selbst war von Dissidenten der Gay Liberation Front gegründet worden, die sich von den anderweitigen politischen Haltungen absetzen wollten: GLF war eine alliierte Organisation der Black Panther Party und vertrat eine hart linke, anti-kapitalistische Position, GAA wollte sich hingegen auf die Rechte Homosexueller konzentrieren, um den Widerstand gegen ihre Ziele zu minimieren. Jean O’Learys Lesbian Feminist Liberation war eine der ersten lesbischen Aktivistinnengruppen der Frauenbewegung.

Als Vertreterin der LFL war sie an einem Vorfall am Christopher Street Liberation Day 1973 beteiligt, bei dem sie eine Haltung vertrat, die sie später revidierte. An der Bühnenshow dieser frühen Pride Parade waren auch mehrere Drag Queens beteiligt; dies wurde von einigen Radikalfeministinnen kritisch gesehen. Sie verteilten Flugblätter, die diese Kritik beinhalteten, als Reaktion darauf ergriff eine der Drag Queens, Sylvia Rivera, das Mikrofon und wies darauf hin, dass es sie und ihre Gruppe waren, die bei den Stonewall-Unruhen gekämpft hatten, verprügelt und verhaftet worden waren und weitere soziale Konsequenzen erlitten hatten – und somit die Veranstaltung und die gesellschaftliche Akzeptanz von Homosexuellen, auch Lesben, ermöglicht hatten. Sie wies klar auf die anderen Diskriminationsebenen hin, die darin deutlich wurden: „[…] Die Menschen, die versuchen, etwas für uns alle zu tun und nicht nur für Männer und Frauen, die zu einem weißen Klub der Mittelklasse gehören. Und das ist, wo ihr alle hingehört.“ (2; Übersetzung meine)

Als Antwort darauf verlas O’Leary eine Erklärung, an der sie mit anderen nach eigener Aussage(2) die ganze Nacht gesessen hatte, in der sie erklärte, sie (die LFL) unterstützten jede Person, sich zu kleiden, wie sie oder er wolle; sie seien jedoch gegen die Ausbeutung von Frauen für Unterhaltung oder Profit. Sie unterstellte, Männer, die sich wie Frauen anziehen, seien eine Beleidigung von Frauen. „Männer haben uns unser ganzes Leben lang gesagt, wer wir sind. […] Wogegen wir heute Einspruch erheben, ist ein weiterer Fall, bei dem Männer untereinander lachen über etwas, was sie als Frauen darstellen, womit sie uns sagen, was sie denken, wer wir sind. Wir wollen es nicht wissen.“ (2; Übersetzung meine)

O’Leary verließ die Bühne direkt nach ihrer Erklärung, Sylvia Rivera und eine andere Drag Queen, Lee Brewster (Link Englisch), eroberten sich erneut das Mikrofon und riefen: „Ihr könnt alle in Bars gehen wegen etwas, das Drag Queens für euch getan haben, und diese bitches sagen uns, wir sollen aufhören, wir selbst zu sein?!“ (Wiki; Übersetzung meine) Es gab verbale und körperliche Auseinandersetzungen in der Menge der Anwesenden und die Situation drohte zu eskalieren, bis Bette Midler die Bühne betrat und begann, ihren Song „Friends“ zu singen.

Dazu, wie Jean O’Leary diesen Austausch fast zwanzig Jahre später in Kontext setzt und ihre Meinung änderte, später mehr.

Zunächst einmal trat sie 1974 der National Gay Task Force (heute National LGBTQ Task Force, Link Englisch) bei und wurde, nachdem sie Gender- bzw. Geschlechterausgleich in der Führung ausgehandelt hatte, stellvertretende Leiterin, 1976 bis 1979 leitete sie die Task Force. In dieser Funktion gelang es ihr, 1977 das erste Meeting von Aktivist*innen für Homosexuellenrechte mit einer Regierungsvertreterin im Weißen Haus zu veranlassen: Midge Constanza (Link Englisch) war als Verantwortliche für Public Relations mit Jimmy Carter in den Regierungspalast gezogen, außerdem war sie – als nicht geoutete Homosexuelle(3) – zu der Zeit O’Learys Freundin. Dieses Meeting war nicht nur eine Mediensensation – die homosexuellenfeindliche Kampagne Save Our Children (Link Englisch) der Popmusikerin Anita Bryant befand sich zeitgleich auf ihrem Höhepunkt –, sie war aus O’Learys Sicht auch ein voller Erfolg, weil es den Aktivist*innen Gehör verschaffte, Homosexualität in der Öffentlichkeit normalisierte und auch politische Konsequenzen zur Folge hatte(3).

Ebenfalls im Jahr 1977 war O’Leary eine der Sprecherinnen bei der National Women’s Conference (Link Englisch).

In den frühen 1980er Jahren war O’Leary besonders aktiv im Aufbau der National Gay Rights Advocates, die sich juristisch aggressiv für die menschenwürdige Versorgung von HIV/AIDS-Patienten einsetzte.

1988 begründete Jean O’Leary gemeinsam mit Rob Eichberg den (National) Coming Out Day, der inzwischen in mehreren Ländern rund um die Welt – und international in den Sozialen Medien – begangen wird.

Im Gespräch mit Eric Marcus von Making Gay History 1989(2) blickt Jean O’Leary mit Unbehagen auf ihre Position gegenüber Drag Queens auf dem Christopher Street Liberation Day zurück. Sie erklärt, dass sie eine Reaktion auf den auch in der Homosexuellenszene stark ausgeprägten Sexismus gegenüber Frauen war – dass Frauen wie Mütter, Liebhaberinnen und Schwestern behandelt wurden, aber ihnen verantwortungsvolle Positionen in Organisationen bewusst verweigert wurden. Dabei sollte es deutlicher werden, dass gay, homosexuell, nicht nur schwul meinte – dass Lesben ebenso und mehr um Sichtbarkeit in der Gesellschaft, aber auch in der eigenen Gruppe kämpften. Außerdem beinhaltete die Darstellung von Frauen, die Drag Queens abgaben, genau die Elemente, insbesondere der Kleidung, gegen die die Feministinnen sich auflehnten als Instrumente der körperlichen Restriktion: Strapsgürtel, Korsette, Strumpfhosen, Büstenhalter.

Schon wenige Jahre nach dem Zwischenfall, als sie wegen einer Konterkampagne gegen Save Our Children auch häufiger in Miami-Dade County, Florida, weilte, habe sie meist in einem Hotel gewohnt, in dem viele Transvestiten und transgender Menschen lebten, und im Austausch mit ihnen habe sie einiges besser verstanden. (Sie erwähnt auch, dass sie mit dem Alter milder geworden wäre, was politische Korrektheit angehe, dass sie es sogar schwerer fände, exakte politische Korrektheit zu tolerieren. Aber dass sie auch wisse, dass sie Geduld mit den nachkommenden Aktivist*innen haben müsse, weil sie selbst durch diese strenge Phase hindurchgegangen sei – und sie wisse, dass es ein Prozess ist.)(2)

„Wie konnte ich daran arbeiten, Transvestiten auszuschließen und gleichzeitig Feministinnen kritisieren, die damals ihr Bestes gaben, um Lesben auszuschließen?“, fragt sie(2) und nimmt darauf Bezug, dass es in der National Organization for Women Bestrebungen gab, die lesbischen Mitglieder und die Homosexuellenbewegung innerhalb des Feminismus zu verheimlichen oder auszuklammern. Betty Friedan, 1969 Präsidentin der NOW und Befürworterin davon, Männer am Emanzipationsprozess zu beteiligen, bezeichnete die lesbischen Feministinnen als Lavender Menace: Eine Bedrohung für die Sache des Feminismus, wenn er als Anliegen von ’stereotypen Mann-Weibern und Männerhasserinnen‘ wahrgenommen würde. Die Verleugnung lesbischer Aktivistinnen in der NOW ging soweit, dass die Daughters of Bilitis aus der Sponsorenliste eines erste Kongresses 1969 gestrichen wurden – daraufhin verließen mehrere Mitglieder geschlossen die NOW und protestierten auf dem zweiten Kongress, wofür sie vom Publikum vor allem Zustimmung ernteten.

Von diesem Ausschluss von Lesben aus der Frauenrechtsbewegung war schließlich auch O’Leary betroffen; rückblickend sah sie es wohl als kontraproduktiv, sich im Aktivismus für Frauen- und LGBTQ+Rechte gegenseitig abzulehnen. Dreißig Jahre nach ihren Gesprächen mit Eric Marcus versucht nun der Intersektionale Feminismus, diese Unterschiede zu umschließen und die gemeinsame Arbeit gegen ein unterdrückendes, patriarchales System zu konzentrieren. Vielleicht konnte Jean O’Leary die Anfänge dieser umfassenden Bewegung noch miterleben: Sie starb 2005 57-jährig an Lungenkrebs.


Quelle Biografie grundlegend: Wikipedia (Link Englisch)
außer entsprechend markierte Stellen:
(1) Jean O’Leary Biografie im GLBTQArchive
(2) Making Gay History Konflikt beim CSLD mit Sylvia Rivera
(3) Making Gay History Meeting mit Midge Constanza im WH

05/2023: Koyuki Higashi, 1. Februar 1985

Nach ihrem Studium am Takarazuka Musical College spielte Koyuki Higashi mehrere Jahre als Aura Maki in der Takarazuka Revue, einer Musiktheatergruppe, in der sämtliche Rollen von Frauen gespielt werden. Sie war in diesem Ensemble eine otokoyaku, die die männlichen Rollen spielen. Sie beendete ihre Schauspieltätigkeit 2006.

Vier Jahre später trat sie mit ihrem Aktivismus für die LGBTQA+ Gemeinschaft in Erscheinung. Sie outete sich als lesbisch und gründete 2011 Rainbow Kanazawa, eine non-profit Organisation für LGBTQA+ Jugendliche in ihrem Heimatort.

Als das Tokyo Disney Resort 2012 eröffnete, dass Besuchern im Park Hochzeit, die Disney Royal Dream Wedding, feiern könnten, schrieb Higashi den Vergnügungspark an und fragte, ob sie dort auch mit ihrer Frau heiraten könne. Die erste Antwort war, dass dies möglich sei, jedoch eine von beiden zwingend einen Frack tragen müsse. Higashi schrieb darüber in ihrem Blog und löste damit eine öffentliche Reaktion auf Social Media aus, die das Unternehmen dazu bewegte, sich mit dem Elternkonzern in den USA in Verbindung zu setzen, um die Frage zu klären. Nach dieser Absprache änderte das Tokyo Disney Resort seine Regelung und erlaubte Higashi, am 1. März 2013 ihre Partnerin im Park zu heiraten – beide trugen dabei ein Brautkleid. Queer.de berichtete darüber ebenso wie Pride.com. Das Event wurde von japanischen LGBTQA+ Organisationen als eines der größten Ereignisse des Jahres in der gesellschaftlichen Entwicklung betrachtet; Higashi und ihre Partnerin wurden noch im gleichen Jahr mit dem Tokyo SuperStar Community Award ausgezeichnet.

Die Disney-Eheschließung war allerdings eine rein persönliche Veranstaltung, gleichgeschlechtliche Partnerschaften waren 2013 in Japan in keiner Weise anerkannt. Erst zwei Jahre später machte es der Tokyoter Bezirk Shibuya möglich, einen Antrag für ein – immer noch eher symbolisches – Dokument der „eingetragenen Partnerschaft“ zu stellen. Der Gemeinderat hatte am 31. März 2015 dafür gestimmt, am 5. November des Jahres waren Higashi und ihre Partnerin die ersten, die sich ihre Partnerschaftsurkunde abholen konnten.


Schon 2011 hatten einige buddhistische Tempel begonnen, Eheschließungen für gleichgeschlechtliche Paare vorzunehmen. Die säkularen Gemeindeverwaltungen Japans brauchten dafür noch eine ganze Weile, nach Shibuya zog 2015 noch ein weiterer Bezirk Tokyos nach, in den folgenden Jahren machten zwischen ein und drei Gemeinden in Japen es möglich, sich als homosexuelles Paar dokumentieren zu lassen. Diese Dokumente sind allerdings nicht gesetzlich bindend oder gar einer traditionellen heterosexuellen Ehe gleichgestellt; einige Versicherungen lassen die Dokumente jedoch gelten, um den*die Partner*in mit aufzunehmen, auch in Krankenhäusern und in Erziehungseinrichtungen können die Partnerschaftsurkunden gelten, um als Familienmitglied anerkannt zu werden. Allerdings – da diese Dokumente von der jeweiligen Gemeinde und nicht vom japanischen Staat ausgestellt werden – galten sie lange nur in der ausstellenden Gemeinde. Dies bedeutete, sollte das urkundlich bestätigte Paar in eine andere Gemeinde umziehen, wurde das Dokument wertlos und musste, wenn überhaupt möglich, in der anderen Gemeinde neu beantragt werden. 2019 eröffneten allerdings insgesamt 21 Gemeinden die Möglichkeit einer eingetragenen gleichgeschlechtlichen Partnerschaft und viele unter ihnen erklärten, die Dokumente der jeweils anderen anzuerkennen. Seit 2021 sprechen auch mehrere Präfekturen, also hörere Verwaltungsebenen, davon, eingetragene gleichgeschlechtliche Partnerschaften systematisch zu beurkunden. Das ermöglicht für die betroffenen Paare natürlich eine größere Bewegungsfreiheit. Eine Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der heterosexuellen Ehe ist in Japan allerings noch nicht in Sicht.


Quelle Biografie: Wiki englisch
Quelle eingetragene Partnerschaft in Japan: Wiki englisch

02/2023: Alice Nkom, 14. Januar 1945

Die kamerunische Menschenrechtsaktivistin und Anwältin studierte Rechtswissenschaften in Toulouse, Frankreich, und Douala, Kamerun. Mit ihrem Abschluss 1969 wurde sie die erste Schwarze Frau in Kamerun, die eine ulassung als Anwältin erreichte; fünf Jahre später gründete sie als Teilhaberin eine Gemeinschaftskanzlei in Douala mit.

In Kamerun sind offiziell „homosexuelle Handlungen“ strafbar, de facto werden jedoch Menschen schon für den Verdacht der Homosexualität (also auch ohne nachweisbare *Handlungen*) zu Haftstrafen verurteilt. Nkom setzt sich als Anwältin für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen ein, insbesondere für die Opfer der Diskriminierung als Homosexuelle. Sie gründete 2003 die Organisation ADEFHO (Association pour la Défence des Droits des Homosesuels), 2005 vetrat sie etwa eine Gruppe von Männern, die bei der Razzia in einer Bar verhaftet und für ein Jahr inhaftiert wurden. Die UN kritisierte die kamerunische Regierung für diese Verhaftungen und bezeichnete die Gesetzgebung in Kamerun als eine Verletzung der Menschenrechte. Alice Nkom war im Folgejahr 2006 Key Note Speakerin bei der Menschenrechtskonferenz in Montréal. In ihrem Heimatland war sie immer wieder der Verfolgung sowohl aus der Bevölkerung wie von der Regierung ausgesetzt, mit Androhungen körperlicher Gewalt wie auch der Inhaftierung.

Ihr bekanntester Fall war die Verteidung von Jean-Claude Roger Mbede 2011. Mbede wurde verhaftet auf Basis von SMS, die er an einen anderen Mann schrieb, um sich mit diesem zu verabreden. Er saß in Yaoundé in Untersuchungshaft und wurde für Homosexualität bzw. für versuchte homosexuelle Handlungen angeklagt. Alice Nkom vertrat ihn als Anwältin. Nachdem Mbede für schuldig befunden wurde und seine dreijährige Haft im Kondengui Central Prison antrat, protestierten unter anderem Amnesty International, dass es sich bei Mbede um einen politischen Gefangenen handele. Nkom setzte sich international für ihn ein und deckte auf, dass Mbede in seiner Zeit im Gefängnis an Mangelernährung litt und Opfer sexueller Misshandlungen wurde. 2012 wurde Mbede vorübergehend entlassen. Er starb allerdings 2014, bevor er den Rest seiner Haft antreten konnte: Er musste das Krankenhaus verlassen, in dem behandelt wurde, da er weitere medizinische Versorgung nicht bezahlen konnte.

Alice Nkom war erneut 2013 auf der Menschenrechtskonferenz in Antwerpen Key Note Speakerin, 2014 erhielt sie von Amnesty International Deutschland den AI Menschenrechtspreis. Im Film Born This Way. der die LGBTQ-Community Kameruns portraitiert, ist Alice Nkom in einigen Interviewszenen vertreten.

Dieser Artikel auf Queer Amnesty stellt neben Jean-Claude Roger Mbede auch Alice Nkom vor, ebenso dieser Beitrag der Heinrich-Böll-Stiftung.

Amnesty International Deutschland: „Dein Brief kann leben retten“ für Jean-Claude Roger Mbede
Botschaft von Alice Nkom anlässlich der Verleihung des Amnesty International Menschenrechtspreises der Sektion Deutschland

Quellen Biografie: Wiki deutsch | Wiki englisch

11/2018

5. November 1952: Vandana Shiva

Vandana Shiva wurde in eine brahmanische Familie geboren, der obersten Kaste Indiens, doch ihre Eltern prägten sie früh mit ihrer modernen und liberalen Einstellung. So hatten sie sich als Mitglieder der indischen Unabhängigkeitsbewegung einen neuen Namen gewählt, an dem ihre Kaste nicht mehr zu erkennen war; Vanadana wurde von der Mutter im Sinne des Feminismus ohne genderspezifische Erwartungen und Vorurteile erzogen. Die Wanderungen im Himalaya, die sie in ihrer Kindheit mit ihren Eltern machte, legten den Grundstein für ihre Naturbezogenheit.

Sie studierte zunächst Physik, mit Albert Einstein als Vorbild, doch bei der Arbeit an einem Brutreaktor im Bhabha Atomic Research Centre entwickelte sie eine Vorstellung von der Gefahr radioaktiver Strahlung und schloss ein Studium der Wissenschaftsphilosophie in Kanada an. Nach abgeschlossenem Studium wurde sie Professorin an einem Institut in Bangalore, dass  interdisziplinäre Forschung auf den Gebieten Technik, Umwelt und Politik betreibt.

Shiva war in ihrer indischen Studienzeit aktiv in der Chipko-Bewegung, in der sich indische Frauen gegen die Abholzung in ihrer Region und damit der Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen zur Wehr setzten, indem sie Bäume umarmten (chipko = HIndi für „festhalten“). Nach ihrer Rückkehr aus Kanada wurde sie zur bekanntesten, aber auch umstrittenen Figur des Ökofeminismus und der Globalisierungskritik in Indien. Sie rief die Organisation Navdanya ins Leben, die in Indien Samen traditioneller Nahrungspflanzen sammelt und bewahrt; Shiva ist überzeugt, dass die Lösung für Hunger und Armut nicht in genetisch veränderten Nahrungsmitteln liegt, sondern in der Rettung und Wiederentdeckung der natürlichen Diversität, mit der ursprüngliche Landwirtschaft betrieben wurde. Sie untersuchte mit der deutschen Feministin Maria Mies die Auswirkungen der westlichen, patriarchalischen Gesellschaft und ihrer wirtschaftlichen Entwicklungsstrategien in Indien. Die traditionell „männlichen“ Maßstäbe des Erfolges, nämlich Gewinn individueller Macht, zerstöre Umwelt und Gesellschaft, während traditionell „weibliche“ Werte den Erhalt und Entwicklung des Gemeinwohls förderten. Kritiker führen an, dass diese Einteilung in binäre Gegensätze Frauen in Entwicklungsländern in traditionelle Strukturen fessele, die instrumental für ihre Unterdrückung sind.

Vandana Shiva ist aktiv in verschiedenen Organisationen der Globalisierungskritik und des Umweltschutzes, sie hat mehrere Bücher veröffentlicht und hält acht Ehrendoktortitel, 1993 erhielt sie den Alternativen Nobelpreis Right Livelihood Award. Ihre Argumentationen sind allerdings nicht immer sachlich und bieten Ansatz für Kritik; auch ihre eigenen finanziellen Gewinne an ihrem Ruf als „Beschützerin der armen indischen Bauern“ werden stellenweise negativ bemerkt.

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8. November 1970: Diana King

Die jamaikanische Reggae-Sängerin, 1970 in Spanisch Town geboren, wurde berühmt mit ihrem Song „Shy Guy“, der Teil des Soundtracks von Bad Boys war. Bemerkenswerter jedoch ist, dass sie die einzige Prominente jamaikanischer Herkunft ist, die offen homosexuell lebt: 2018 heiratete sie ihre langjährige Freundin Mijanne Webster, eine ebenfalls jamaikanische Violinistin. Jamaika ist berüchtigt nicht nur für die schlechten juristischen Bedingungen für Homosexuelle im Land, sondern auch für die offene Gewalt, die Homosexuelle dort erleben, angefacht zum Teil von Musikern, die in ihren Liedern zum Verbrennen Schwuler aufrufen. Sie wurde für ihr öffentliches Coming-Out mit einem Tapferkeitspreis in der Musikbranche ausgezeichnet, verlor jedoch darüber auch den Kontakt zu allen bis auf eines ihrer 15 Geschwister.

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12. November 1648: Juana Inés de la Cruz

Geboren als (wohl uneheliche) Tochter eines spanischen Offiziers in Mexiko und einer in Mexiko geborenen Spanierin (Criolla), wuchs das Wunderkind auf der Hacienda ihrer Großeltern mütterlicherseits in Amecameca auf, wo sie bereits im Kleinkindalter heimlich in der Bibliothek las. Mit drei Jahren beherrschte sie Latein – das sie als 13jährige bereits unterrichten würde – und mit fünf Jahren die Buchführung, mit acht Jahren schrieb sie ein Gedicht auf die Eucharistie. Sie war bewandt in griechischer Logik und schrieb auch Gedichte in Nahuatl.

Mit 16 Jahren ging sie nach Mexico City, wo sie gerne an der Universität studiert hätte – sie hätte sich als Mann verkleiden müssen, um das zu erreichen. Da sie jedoch nicht die Erlaubnis ihrer Mutter erhielt, betrieb sie ihre Studien privat weiter, während sie als Hofdame am Hof des Vizekönigspaares fungierte. Dort erregte sie die Aufmerksamkeit der Vizekönigin Leonor Carreto, die sie unter ihre Fittiche nahm und förderte. Der Vizekönig stellte die Bildung und das Talent der jungen Hofdame auf die Probe und konfrontierte sie überraschend mit Theologen, Juristen, Philosophen und Dichtern, denen sie spontan Rede und Antwort stehen musste. Sie bestand diese Prüfung mit fliegenden Fahnen.

Am Hof jedoch wurden ihr beständig Anträge gemacht, da noch immer erwartet wurde, dass eine junge Frau heiraten sollte. Also entschloss sie sich, um ihre Studien nicht einem Leben als Ehefrau zu opfern, ins Kloster zu gehen. Die Unbeschuhten Karmeliterinnen waren ihr in der Lebensführung zu streng, bei den Hieronymitinnen fand sie 1669 hingegen die einfache, lockere Klosterumgebung, in der sie sich wohlfühlte. Sie konnte dort als Schützling der Vizekönigin eine Bibliothek aufbauen und ihren eigenen Forschungen nachkommen. Sie pflegte eine Freundschaft mit Carlos de Sigüenza y Góngora, einem anderen mexikansichen Universalgelehrten, der sie über die Maßen schätzte.

De la Cruz schrieb im Kloster, unter der Patronage der Vizekönigin, unzählige Bücher, Gedichte und Essays; darunter Kritiken an Kirchenmitgliedern und der Kirche an sich. Sie setzte sich dabei offen und mit Witz für die Bildung und die Rechte der Frauen ein. Damit wurde sie auf die Dauer den Würdenträgern unbequem, selbst diejenigen, die ihr nicht widersprachen, waren der Meinung, als Nonne – als Frau – solle sie sich allein mit geistlichen Dingen beschäftigen. Es ist nicht geklärt, ob sie schließlich auf Druck des mexikanischen Erzbischof 1694 tatsächlich eine Unterlassungserklärung unterzeichnete, sicher ist jedoch, dass sie offiziell Buße tat, ihre Bücher und Forschungsmaterialien verschenkte und aufhörte, Texte zu veröffentlichen.

Zwei Jahre nach dem Einschreiten gegen ihre schriftstellerische Tätigkeit 1695 starb sie mit 47 Jahren an der Pest, die sie sich bei der Pflege anderer Nonnen zugezogen hatte. Sie wird heute in Mexiko als bedeutende Dichterin sowohl der frühen mexikanischen wie der spanischen Literatur verehrt und erhielt den Beinamen „Mexikanischer Phoenix“.

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17. November 1961: Chanda Kochhar

Die indische Bankmanagerin Chanda Kochhar wird vom Forbes Magazine zu den einflussreichsten Frauen der Welt gezählt. Als Tochter hinduistischer Eltern, die bei der Teilung Pakistans von Indien aus Karatschi fliehen mussten und all ihr Eigentum dort zurückließen, hat sie es mit Bildung und Ehrgeiz bis an die Spitze der größten privaten Bank Indiens geschafft.

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21. November 1955: Dora María Téllez

Téllez war zwölf, als in Nicaragua die Diktatur Anastasio Somoza Debayles begann, dem letzten Regenten des Landes aus dem Somoza-Clan. Mit 19 trat sie der FSLN bei, der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront, in der sie schon während ihres Medizinstudiums zur Kommandantin aufstieg. Da offener Widerstand in der Diktatur tödlich enden konnte, ging sie in den Untergrund und kämpfte als Guerillera zunächst in den Bergen in Nicaraguas Norden.

Als 22-jährige war sie dann dritt-höchste Befehlshaberin (Comandante Dos, unter Comandante Uno Hugo Torres und Comandante Cero Edén Pastora Gomez) bei der Einheit, die 1978 den Nicaraguanischen Nationalpalast stürmte. Die Einheit zählte zu den Terceristen – dem „Dritten Weg“ innerhalb der inzwischen gespaltenen Befreiungsfront: Die GPP (Guerra Popular Prolongata) wählte die Strategie der Rekrutierung und Mittelbeschaffung im Untergrund, während sich die Aktivisten aus dem offenen politischen Kampf zurückzogen, die „FSLN Proletario“ glaubte an eine Möglichkeit des Sieges durch die Mobilisierung des Proletariats. Die Terceristen hingegen forderten Pragmatismus und schlossen sich mit anderen, nicht-sandinistischen Kräften zusammen, um die Diktatur zu stürzen. Bei der Stürmung des Nationalpalastes wurden 1500 Zivilisten als Geiseln genommen. Téllez führte die Verhandlungen mit Somoza und handelte die Befreiung von 60 politischen Gefangenen aus – unter ihnen FSLN-Mitbegründer und späteren nicaraguanischen Innenminister Tomás Borge –, mediale  Veröffentlichung sandinistischer Forderungen, Lösegeld und eine Fluchtflugzeug. Die beteiligten FSLN-Mitglieder flohen nach dieser Aktion nach Kuba und Panama, wo sie sich weiterhin militärisch ausbilden ließen, für einen fortgesetzten Kapmf gegen das Regime. Das wurde auch tatsächlich durch diese Demonstration der Revolutionäre geschwächt, Somoza und seine Macht waren angreifbar geworden, während die Revolutionäre im Volk Sympathien gewinnen konnten. Andere Oppositionskräfte fühlten sich ermutigt, sodass wenige Tage später ein Generalstreik ausgerufen wurde, der sich zu einem Volksaufstand im ganzen Land ausweitete. Nach zwei Wochen griff der Diktator Somoza mit der Nationalgarde hart durch und ließ Tausende in der Zivilbevölkerung töten, noch mehr flohen in die benachbarten Länder. Die Besetzung des Nationalpalastes sowie die folgenden Unruhen machten jedoch weltweit auf die Zustände im mittelamerikanischen Land aufmerksam.

Téllez kehrte im darauffolgenden Jahr nach Nicaragua zurück und nahm erneut am Guerillakrieg der wieder konsolidierten FSLN teil. Aus den ländlichen Kampfgebieten zog sie schließlich mit ihren Truppen nach Léon, das nach sechs Wochen Häuserkampf von den Sandinisten erobert wurde. Die Hauptstadt Managua fiel zwei Wochen später, der Diktator floh.

In der anschließenden Regierung wurde Téllez später zur Gesundheitsministerin, ihre Kampagne für die Volksgesundheit wurde von der UN ausgezeichnet. Während sie weiterhin in der Politik aktiv blieb, sich für Homosexuellen- und Frauenrechte einsetzt und bis in die kürzliche Vergangenheit mit Leib und Seele für ihre Sache eintrat (zuletzt trat sie 2008 in einen Hungerstreik, um gegen ihren ehemaligen Sandinisten-Genossen Daniel Ortega zu protestieren), veröffentlichte sie auch ein Buch über die Geschichte Nicaraguas und seine Bedeutung in Mittelamerika. 2004 wurde sie als Gastprofessorin nach Harvard berufen, erhielt aber keine Einreisegenehmigung, weil sie als Terroristin gelistet war. Akademiker*innen des ganzen Landes traten daraufhin zu ihrer Verteidigung und Unterstützung ein.

Téllez führt ein Blog (auf Spanisch) und gehört zu den Teilnehmerinnen des Global Feminisms Project.

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25. November 1978: Sheena Ringo

Die japanische Sängerin sticht durch ihren individuellen Stil hervor, beeinflusst von der Liebe zum Jazz ihres Vaters und Arbeit ihrer Mutter mit Klassik.

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29. November 1835: Cixi

Die letzte chinesische Kaiserin kam als erste Tochter eines mandschurischen Beamten auf die Welt, in einer hochgestellten Familie des chinesischen Adels. Sie erhielt eine Ausbildung wie für Mädchen der Elite üblich: Lesen, Zeichnen, Schachspielen, Sticken und Nähen durfte sie lernen, das Schreiben der komplizierten Zeichenschrift sollte sie nicht benötigen. Auch blieb ihr als Mandschurin das grausame Füßebinden erspart. Als ältestes Kind war sie mit sieben Jahren in der Lage, ihren Vater zu unterstützen, die Familie aus einer Notlage zu helfen, in die sie durch den gerade beendeten Ersten Opiumkrieg geraten waren. Ihr Vater äußerte später lobend, sie sei ihm mehr wie ein Sohn als wie eine Tochter gewesen, weshalb er sie wohl auch später an den Themen teilhaben ließ, die eigentlich Männern vorbehalten waren.

Mit 16 wurde Cixi für den Harem des neuen, 19-jährigen Kaisers Xianfeng ausgewählt. Nach einem Vorbereitungsjahr im eigenen Haushalt betrat sie mit 17, damals zunächst unter dem Namen Lan, für das zweite Vorbereitungsjahr und den Rest ihres Lebens die Verbotene Stadt. Während Lan/Cixi in der sechsten und damit untersten Stufe der Konkubinen zunächst niederrangig blieb, erhob der Kaiser im Widerspruch mit der Etikette eine Konkubine der fünften Stufe zu seiner Kaiserin: Ci’an (auch Zheng) leitete in der Position als Kaiserin den Harem. Sie war eher unscheinbar und nicht unbedingt eine Führungspersönlichkeit, doch gelang es ihr, Zwistigkeiten und Unfrieden im Harem im Zaum zu halten. Lan/Cixi konnte den Kaiser anfangs nicht für sich einnehmen, verärgerte ihn eher noch durch ein Schreiben, in dem sie ihm Vorgehensweisen gegen Unruhen im Land vorschlug. Er setzte einen Erlass auf, dass sie nach seinem Tod „beseitigt“ werden solle, weil sie möglicherweise nach der Macht greifen würde. Doch Cixi hatte die Kaiserin Ci’an auf ihrer Seite, die auch schon dafür gesorgt hatte, dass sie in die fünfte Stufe der Konkubinen erhoben worden war und nun Konkubine Yi hieß.

In jedem Fall hatte der Kaiser eine Favoritin unter seinen Nebenfrauen, die ihm bald eine Tochter gebar. Während der Phase der Enthaltsamkeit, die der Kaiser mit der Schwangeren und späteren Mutter einhalten musste, wurde auch Cixi/Yi 1856 von ihm schwanger; sie gebar dem Kaiser den ersten Sohn, Zaichun, und wurde somit automatisch zur Nebenfrau ersten Ranges, nur noch der Kaiserin Ci’an unterstellt, die die Mutterrolle für den Thronfolger auszuüben hatte. Mit dem gehobenen Status kamen Privilegien wie der Zugang zu Bildung durch Hauslehrer.

China wurde in den kommenden Jahren immer wieder in Kriege um seine Territorien verwickelt und von umliegenden und europäischen Mächten zur Öffnung seiner Grenzen gezwungen; nach dem Zweiten Opiumkrieg 1858 war es Großbritannien, Frankreich, Russland und den USA unter anderem erlaubt, in China Opium zu verkaufen und christliche Missionare ins Land zu senden. Als 1860 diese Alliierten wiederum kriegerisch gegen Peking vorgingen, floh der Kaiser Xianfeng mit seinem gesamten Hofstaat in den Sommerpalast außerhalb der Hauptstadt und ließ seinen Halbbruder, Prinz Gong, in Peking zurück, um mit den eindringenden Mächten zu verhandeln. Der Kaiser war krank und schonte seine Gesundheit nicht bei Trinkgelagen mit Hofbeamten und seiner bevorzugten Konkubine. Der einflussreichste der Hofbeamten, Sushun, hatte offensichtlich Pläne: Cixi beobachtete ihn eines Abends, wie er sich auf den Kaiserthron setzte und sich vom Obereunuchen dort wie der Kaiser hofieren ließ. Auch hatte Sushun bereits – angeblich wegen der schweren Krankheit des Kaisers – bereits das Holzkästchen öffnen lassen, in welchem der Kaiser für einen Zeitpunkt nach seinem Tod ein Papier mit dem Namen seines Nachfolger hinterlegen sollte. Sushun hatte verkünden lassen, dass das Holzkästchen leer gewesen sei, dass also weder der gemeinsame Sohn des Kaisers mit Cixi noch einer seiner Neffen als Thronfolger auserkoren war. Cixi schloss daraus richtig, dass Sushun plante, entweder sich selbst zum Kaiser auszurufen oder einen Marionettenherrscher unter seinem Einfluss einzusetzen. Folgerichtig war ihr Leben, vor allem aber das Leben ihres Sohnes in Gefahr. Es gelang ihr jedoch gegen den Widerstand des Hofstaates, wenige Minuten vor dessen Tod, mit ihrem Sohn vor den Kaiser zu treten und ihm noch die Ernennung seines Kindes als Thronfolger zu entlocken. Da der Dreijährige noch nicht regieren konnte, machte das die Kaiserinwitwen Ci’an und Cixi zu dessen Regentinnen.

Sushun versuchte noch weiterhin, sich als eigentlichen Regierenden zu installieren, indem er die beiden Frauen mit Hausarrest dazu erpresste, seine Installation mit ihren Siegeln offiziell zu machen; doch die Mandarine, die hochgestellten Beamten des Landes, hatten bereits ihre Schriften an die beiden Kaiserinnen gerichtet und sie damit als Regentinnen anerkannt. Mit Hilfe des Prinzen Gong und der Traueretikette der chinesischen Kaiser gelang es Ci’an und Cixi, sich dem direkten Einfluss Sushuns zu entziehen: Der Minister musste den Leichenzug des Kaisers in die inzwischen wieder befriedete Hauptstadt begleiten, der Thronfolger sollte jedoch vor dem Leichnam in Peking ankommen. Die Gesellschaft um den jungen Prinzen erreichte drei Tage früher als nötig sein Ziel und die Kaiserinnen konnten das vorherige Schreiben mit ihren Siegeln zur Fälschung erklären. Sushun und seine Gefolgsleute wurden verhaftet, die meisten von ihnen verbannt, Sushun hingegen wurde zunächst zum Tod durch tausend Schnitte verurteilt (das verlinke ich nicht, aber es gibt einen Wikipedia-Eintrag dazu), später aber zur Enthauptung begnadet.

Diese strategische Vorgehensweise Cixis, ihr Leben und das ihres Sohnes zu retten und selbst in die Lage zu kommen, China zu regieren, brachten ihr bei unfreundlich gesinnten chinesischen Beamten den Ruf ein, kaltblütig und skrupellos zu sein; selbstverständlich wurde ihr auch sexuelle Devianz angedichtet, als der Rest der Welt sich für die chinesische Regentin zu interessieren. Cixi setzte nach ihrem Sohn, der 1872 mit 16 Jahren Kaiser wurde, aber nur drei Jahre regierte, bevor er an Syphilis starb, noch zwei weitere Minderjährige auf den Thron und behielt so lange Zeit das Zepter in der Hand. Ihrem Sohn, Kaiser unter dem Namen Tongzhi, folgte ihr Neffe Guangxu, ebenfalls drei Jahre alt, als er den Thron bestieg. Die andere Kaiserinwitwe Ci’an zog sich aus den Regierungsgeschäften zurück und starb, bevor Guangxu regierungsfähig wurde. Der durch eine Lungenerkrankung fast stumme Kaiser strebte, als er schließlich Kaiser wurde, Reformen an, die China wahrscheinlich ermöglicht hätten, den wirtschaftlichen und technologischen Rückstand gegenüber den westlichen Mächten aufzuholen. Cixi setzte ihren Neffen jedoch unter Hausarrest und nahm die Regierung wieder in die eigene Hand.

Cixi hatte sich im Laufe der Zeit von einer gewissen Reformwilligkeit zum Konservativismus entwickelt, möglicherweise durch Schicksalsschläge und den Verlust von Vertrauen in ihre Verbündeten. Erst die Erschütterungen des Boxeraufstandes schienen sie erkennen lassen, dass China mitnichten eine Vormachtstellung in der Welt hatte. Sie hatte die Aufstände gegen die Ausländer im Land gebilligt und unterstützt, da sie von ihren eigenen Makeln ablenkten; nach der blutigen Niederschlagung ließ sie dann die Aufständischen bestrafen. Während jedoch die Regentin sich auf die Erneuerung des Glanzes vergangener Zeiten konzentrierte und nur schwergängig das Land für die Zukunft vorbereitete, griffen die Westmächte nach immer mehr Territotium. Sie kündete zwar noch die Umstellung auf eine konstitutionelle Monarchie an, doch 1908 zog sich die 73-jährige eine echte Grippe zu und verstarb – nicht ohne ihren Neffen am Tag zuvor noch mit Arsen zu vergiften, sodass ihr bevorzugter Thronfolger zum Kaiser gekrönt würde: Der zweijährige Puyi, der letzte Kaiser von China.

1911 brach die Xinhai-Revolution aus und beendete die Monarchie in China.

Für einen spannenden Überblick über die chinesischen Kaiser und deren unterschiedliche Dynastien empfehle ich die Geo Epoche Nr. 93 über das kaiserliche China, die ich gerade lese (unbezahlte Werbung, aus reiner Überzeugung). Leider habe ich vor Beendigung dieses Beitrags noch nicht bis zum letzten Kapitel, dem über Cixi, gelesen.

15/2017: Johanna Elberskirchen, 11.4.1864

Johanna Elberskirchen

English below
Wiki deutsch
Johanna Elberskirchen lebte bereits vor der Jahrhundertwende offen homosexuell, studierte Medizin und Jura und war Weggenossin des Sexualreformers Magnus Hirschfeld. Sie setzte sich nicht nur für die Rechte von Frauen und Homosexuellen ein, sondern auch für das Wohl von Kindern, für Mütter und die Arbeiterklasse.
Während sie als homöopathische Medizinerin tätig war, schrieb sie auch Artikel und Bücher und gab eine Zeitung für Kinderpflege heraus. Sie hatte wenig Geduld für männliche Selbstüberschätzung, wie man ihren Zitaten entnehmen kann.

Bezugnehmend auf Paul Julius Möbius´ Werk „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes„:

„Ich hätte auch schreiben können ‚Feminismus und Schwachsinn‘, denn die Kritik, die im Namen der Wissenschaft am Feminismus verbrochen wird, hat oft mit Wissenschaft wenig zu tun. Jedoch meine angeborene Courtoisie gegenüber dem männlichen Geschlecht verbot mir, auf den Wegen des Herrn Möbius zu wandeln. Meiner Ansicht nach sind die Herren Gelehrten, insbesondre die Herren Naturwissenschaftler und die Herren Mediziner die ungeeignetsten Leute, sich kritisch mit dem Feminismus zu befassen. Sie stehen dem Weibe zu persönlich und zu materialistisch gegenüber und beurteilen es aus einer ganz schiefen und recht beschränkten Perspektive, jedenfalls von ganz unwissenschaftlichen Gesichtspunkten aus.“ In: Feminismus und Wissenschaft. 1903, S. 3
„Nein, Herr Möbius, das Weib ist nicht schwach, nicht inferior, nicht ‚physiologisch schwachsinnig‘, aber das Weib ist krank – es leidet zu sehr unter der Herrschaft des männlichen Sexus.“ Ebenda, S. 18

Elberskirchen starb 1943, zehn Jahre nachdem ihre politische Tätigkeit durch die Nationalsozialisten unmöglich gemacht worden war. Ihre Lebensgefährtin Hildegard Moniac starb 1967 und einige Jahre später, 1975, soll Elberskirchens Urne heimlich in Moniacs Grabstätte verbracht worden sein. Im Jahr 2003 wurde das nun gemeinsame Grab mit einer offiziellen Gedenkveranstaltung unter Schutz gestellt.

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Wiki english
Johanna Elberskirchen lived openly as a homosexual before the turn of the century, studied medicine and law and was a fellow of sexual reformer Magnus Hirschfeld. She promoted not only for the rights of women and homosexuals, but for the better treatment of children, mothers and the working class.
While she worked as a homeopathic doctor, she also wrote articles and books and published a magazine on childcare. She had little patience for male hubris, as can be gleaned from her quotes.

Referring to Paul Julius Möbius‚ work „On the physiological idiocy of women“:

„I could have written ‚Feminism and Idiocy‘, because criticism, perpetrated on feminism in the name of science, often has very little to do with science. However, my innate courtoisie towards the male sex forbids me to walk on the same paths as Mister Möbius. In my view, the esteemed Scholars, especially the esteemed Natural Scientists and the esteemed Physicians, are the most unfit to concern themselves critically with feminism. They face Woman in an opinionated and materialistic manner and judge her from a completely tilted and rather parochial perspective, in any case from a wholly unscientific point of view.“ In: Feminisim and Science. 1903, p. 3
„No, Mister Möbius, women are not weak, not inferior, not ‚physiologically idiotic‘, but women are ailing – they suffer too much from the rule of the male sex.“ Ibidem, p. 18

Elberskirchen died in 1943, ten years after the National Socialst Party made it impossible for her to do political work. Her life partner Hildegard Moniac died in 1967 and a few years later, in 1975, Elberkirchen’s urn is supposed to secretly have been brought into Moniac’s burial site. In 2003 the now shared burial site was put under state’s protection in an formal memorial event.

Bild: CC BY-SA 3.0

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