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11/2020: Lady Hester Stanhope, 12. März 1776

frauenfiguren lady hester stanhope
Lady Hester Stanhope on horseback from her memoirs, as related by herself in conversations with her physician [C.L. Meryon]; comprising her opinions and anecdotes of some of the most remarkable persons of her time Rare Books Keywords: Hester Lucy Stanhope By Wellcomeimages.org Gallery: Wellcome Collection gallery (2018-03-30): CC-BY-4.0, CC BY 4.0

Lady Hester Stanhope kam als ältestes Kind des 3. Earl of Stanhope, Charles Stanhope, und seiner ersten Frau, der Viscountess Lady Hester Pitt (Link Englisch), in England auf die Welt. Ihre leibliche Mutter bekam noch zwei Töchter, doch nach der Geburt des dritten Kindes starb Hester Stanhope 24-jährig an einem Fieber. Im Jahr darauf heiratete Charles Stanhope Louisa Grenville (Link Englisch), die Cousine seiner ersten Frau, die in den folgenden Jahren drei Söhne gebar.

Mit 14 wurde sie ans andere Ende des Landes (von Kent nach Somerset) geschickt, um bei ihrer Großmutter mütterlicherseits Hester Pitt, Countess of Catham, zu leben. Drei Jahre später zog sie zu ihrem Onkel mütterlicherseits, William Pitt der Jüngere. Für ihn war sie als Haushaltsvorsteherin und Gastgeberin tätig, da er als Premierminister soziale Verpflichtungen hatte, aber keine Ehefrau, die diese übernehmen konnte. In dieser Funktion wurde sie für ihre Schönheit ebenso wie für ihre Konversationsführung gerühmt. Nachdem William Pitt von seinem Amt als Premierminister zurückgetreten war, diente Lady Hester im noch bis zu seinem Tod (am Durchbruch eines Magengeschwürs) als Privatsekretärin.

Die englische Regierung gestand ihr als Hinterbliebene des ehemaligen Premierministers eine Pension von jährlich 1.200£ zu. Sie verblieb nach dem Tode Pitts 1806 noch einige Zeit in London und zog dann nach Wales. 1809 starb bei der Schlacht bei La Coruña wohl nicht nur ihr Halbbruder, sondern auch John Moore, mit dem sie möglicherweise Heiratspläne gehabt hatte. (Dies entnehme ich dem englischen Wikipedia-Beitrag über Lady Hester Stanhope, den ich aus diversen Gründen lieber als den deutschen empfehlen möchte.) Dieser soll jedenfalls in seinen letzten Momenten zu Charles Banks Stanhope gesagt haben, er möge seine Schwester an ihn erinnern.

So schiffte sich Lady Hester Stanhope 1810, in Begleitung ihrer Zofe, ihres Leibarztes Charles Lewis Meryon, der ihre Memoiren schrieb, und des Abenteurers Michael Bruce (Link Englisch), der ihr Liebhaber wurde, in Richtung Athen ein. In Athen soll Lord Byron ins Meer gesprungen sein, um ihr entgegenzuschwimmen. Von dort reiste die Gruppe nach Konstantinopel und wollte weiter nach Kairo, das sich inzwischen von NapoleonsÄgyptischer Expidition“ erholt hatte. Doch auf dem Weg dorthin geriet ihr Schiff in einen Sturm und kenterte, die Schiffbrüchigen wurden auf der damals osmanischen Insel Rhodos angespült. Da ihr Hab und Gut im Mittelmeer versunken war, mussten sich die Reisenden Kleidung leihen. Lady Hester Stanhope weigerte sich, den Schleier einer osmanischen Frau anzulegen, und wählte stattdessen die Bekleidung eines Mannes, mit Turban, Kaftan und Pantoffeln. Auf der Weiterreise auf einer britischen Fregatte erstand sie die gesamte Ausstattung eines orientalischen Mannes: Einen samtenen Kaftan, eine bestickte Hose, Weste und Jacke, einen Sattel und einen Säbel. So ausstaffiert, schaffte sie es in Kairo bis vor den Pascha. In folgenden zwei Jahren bereiste sie – stets als Mann gekleidet – durch den Mittleren Osten.

Eine Wahrsagerin sagte ihr, dass sie dazu geboren sei, der neue Messias zu werden, daraufhin trat sie mit einem Heiratsangebot an den Imam der Wahhabiten, Saud I. ibn Abd al-Aziz, heran. Nachdem er abgelehnt hatte, beschloss sie, als erste westliche Frau Palmyra zu betreten, und setzte diesen Plan auch in die Tat um, trotz der feindlich gestimmten Beduinen, die in der Wüste um die Oasenstadt herrschten. Sie kleidete sich wie einer von ihnen und reiste mit 22 Kamelen an, vom Emir Mahannah el Fadel (Link Englisch) wurde sie als Königin Hester empfangen.

Zu einem unbestimmten Zeitpunkt kam Stanhope in den Besitz eines mittelalterlichen italienischen Manuskriptes, aus dem Fundus eines alten Klosters in Syrien. Demzufolge solle sich unter den Ruinen einer Moschee in Aschkelon ein großer Schatz befinden, der dort seit 600 Jahren verborgen läge. 1815 überzeugte Stanhope die ottomanische Verwaltung davon, sie dort nachforschen zu lassen, der Gouverneur von Jaffa, Muhammad Abu Nabbat (Link Englisch), wurde zu ihrer Begleitung abgestellt. Dies sollte die erste archäologische Ausgrabung in Palästina werden, was Lady Hester Stanhope zu einer Pionierin auf diesem Gebiet machte. Nach Meryons Aufzeichnungen hielten sie dabei auch stratigrafische Erkenntnisse fest, eine für die Zeit ungewöhnliche Vorgehensweise, wurden doch andernorts nur die Menge und der Reichtum einzelner Funde und nicht ihre Verortung in einer Chronologie festgehalten und ausgelobt.

Statt eines reichen Goldschatzes fand Stanhope jedoch eine zwei Meter hohe, kopflose Marmorstatue, wohl aus der grecoromanischen Zeit. Aus politischen Gründen ließ Stanhope diese Statue in tausend Stücke zerschlagen und im Mittelmeer versenken: Sie wollte dem ottomanischen Sultan damit beweisen, dass sie diese Ausgrabung nicht getätigt hatte, um ihrem Heimatland archäolgische Funde zukommen zu lassen. Gefundenes Gold hätte sie dem Sultan als ihm zustehenden Schatz ausgeliefert. Auch wenn sie bei der Ausgrabung methodisch vorging und der Fund der Statue detailliert dokumentiert wurde, zerstörte sie doch ein historisches Relikt, welches ihr Biograf Meryon für das Abbild eines vergöttlichten Königs, möglicherweise gar Alexander des Großen oder Herodes‚, hielt. Strategisch umsichtig, wissenschaftlich jedoch schwer verzeihlich. Nichtsdestotrotz gilt Lady Hester Stanhope mit dieser Ausgrabung den Weg bereiten für weitere archäologische Forschungen im Heiligen Land.

Anschließend ließ sich Stanhope im Gebiet des heutigen Libanon nieder, zunächst in einem alten Kloster in der Nähe von Jezzine. Für einige Zeit lebten ihre Zofe und ihr Leibarzt Meryon dort mit ihr, doch ihre Zofe starb 1828, drei Jahre später verließ Meryon sie und kehrte nur einmal für ein Jahr zurück. Als er ihr zum zweiten und letzten Mal den Rücken kehrte, zog sie in ein anderes verfallenes Kloster in der Nähe von Joun (Link Englisch), das sie für seine günstige Lage auf einem Hügel schätzte, von welchem aus sie herannahende Fremde von allen Seiten früzeitig entdecken konnte. Ihre Residenz wurde bei den Dorfbewohnern bekannt als Deir el-Sitt (Brunnen der Herrin). Der im Gebiet herrschende Emir Bashir Shihab II (Link Englisch) begrüßte ihre Anwesenheit zunächst, doch mit den Jahren erlangte Stanhope in der Region um ihre Residenz eine Form der Herrschaft, die ihm durchaus unbequem war, außerdem mischte sie sich in die Uneinigkeiten zwischen den Drusenklans untereinander und dem ottomanischen Reich ein, indem sie einigen Gruppierungen in ihrer Residenz Zuflucht gewährte. Ihr Einfluss in dem Gebiet war soagr so groß, dass Ibrahim Pascha, ein osmanisch-ägyptischer General, sie um Neutralität ersuchte, als er in Syrien einmarschierte.

Lady Hester Stanhope war wohl nicht nur eine charismatische Person, die Menschen glaubten auch, sie könne die Zukunft vorhersagen; sie stand in schriftlichem Kontakt mit zahlreichen einflussreichen Persönlichkeiten und die Menschen in ihrer britischen Heimat verfolgten Berichte und Erzählungen von ihr mit Spannung. Schließlich häufte sie jedoch Schulden an, die sie versuchte mit ihrer Pension der englischen Regierung abzubezahlen. Nach und nach zog sie sich von der Öffentlichkeit zurück, ihre Bediensteten bestohlen und verließen sie; sie litt höchstwahrscheinlich an Depressionen und verlor den Überblick über ihren Haushalt. Möglicherweise wurde sie auch sehr früh senil. In jedem Fall empfing sie Besucher am Ende ihres Lebens nur noch in der Dunkelheit und ließ sie auch dann nur ihre Hände und ihr Gesicht unter einem Turban auf dem rasierten Kopf sehen. 1839 starb sie allein und verarmt. Als der englische Konsul anlässlich der Nachricht ihres Todes aus Beirut nach Deir el-Sitt kam, soll er sie nackt bis auf ihren Schmuck vorgefunden und unter Maulbeer-Feigen beerdigt haben.

Es lohnt sich in ihrem Fall, die Beiträge der englischen und der deutschen Wikipedia zu vergleichen. Die Perspektive auf diese ungewöhnliche Frau könnte unterschiedlicher nicht sein, in der Schilderung (und Auslassung) der entscheidenden Punkte ihres Lebens und in der augenfälligen Wortwahl.

Zu ihrem 240. Geburtstag sendete der WDR einen 15-minütigen Beitrag über die Abenteurerin (verfügbar bis 10.03.2026).

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Ebenfalls diese Woche

9. März 1903: Hertha Wambacher
Die österreichische Physikerin entdeckte gemeinsam mit ihrer Kollegin Marietta Blau „Zertrümmerungssterne“ auf Photoplatten, die auf 2.300m Seehöhe kosmischer Strahlung ausgesetzt waren, sternförmige Teilchenbahnspuren von Kernreaktionen, wenn Teile der kosmischen Strahlung auf die photografische Emulsion trafen.
Während ihre jüdische Kollegin Blau wegen des Anschlusses Österreichs 1938 nach Oslo auswandern musste, was einen tiefen Schnitt für ihre wissenschaftliche Karriere bedeutete, war Wambacher seit 1934 Mitglied der NSDAP.

20/2019: Kate Marsden, 13. Mai 1859

Über die Kindheit von Kate Marsden ist nicht viel bekannt, außer dass sie früh verwaiste. Mit 16 Jahren wurde sie Krankenschwester, eine Tätigkeit, die sie mit 18 bereits nach Bulgarien brachte, wo sie für das Rote Kreuz im Russisch-Osmanischen Krieg Verwundete versorgte. Dort begegnete sie den ersten Leprakranken (Link TW Bild) ihres Lebens, die sie davon überzeugten, dass die Heilung der Krankheit ihre Lebensaufgabe sei. Der Lepraerreger war erst wenige Jahre zuvor entdeckt worden; Lepröse wurden noch immer als unheilbar, vor allem aber hochansteckend betrachtet und lebten daher meistens unter extrem schlechten hygienischen Bedingungen, von der restlichen Gesellschaft verstoßen.

Nach dem Ende des Krieges kehrte sie zunächst nach England zurück, um ihre an Tuberkulose erkrankten Geschwister zu pflegen. Auch ihre Schwester in Neuseeland litt daran und so reiste Marsden 1884 mit ihrer Mutter dorthin. Nach dem Tod der Schwester verblieb sie zunächst in Wellington und leitete ein Krankenhaus, außerdem gründete sie die erste Zweigstelle der Johanniter in dem Inselstaat. Dann starb 1889 der „Apostel der Leprakranken“ Pater Damian, ein in der Sache besonders engagierter Geistlicher, der auf der hawai’ianischen Insel Moloka’i gearbeitet hatte. Marsden kehrte nach England zurück mit dem Wunsch, in den englischen Kolonien seine Arbeit fortzusetzen. Als sie im Folgejahr vom Roten Kreuz eine Einladung nach Sankt Petersburg erhielt, um von Zarin Maria Feodorowna einen Orden für ihre Aufopferung im Russisch-Osmanischen Krieg verliehen zu bekommen, bot sich ihr eine große Chance. Vor ihrer Abreise ersuchte sie ein Unterstützungsschreiben der Königin Victoria und deren Schwiegertochter Alexandra von Dänemark, die auch die ältere Schwester der Zarin war. Mit diesen Schreiben ausgestattet reiste sie nach Sankt Petersburg und erlangte dort nicht nur einen offiziellen Brief der Zarin, der ihre Forschungen zur Lepraheilung in Russland unterstützte, sondern auch finanzielle Förderung dafür.

Mit diesen Hilfsmitteln ausgestattet, kehrte sie zuerst nach England zurück, schiffte sich dann nach Ägypten ein und reiste über Alexandria, Jaffa, Jerusalem und Zypern nach Konstantinopel. Dort traf sie auf einen englischen Arzt, der ihr von einem angeblichen Heilkraut gegen Lepra erzählte, das in Sibirien zu finden sei. Nach dieser Begegnung reiste Marsden erneut nach Moskau, um von dort aus mit weiterer Unterstützung der Zarin und in Begleitung einer Übersetzerin nach Sibirien aufzubrechen. Ihr Reisegepäck beinhaltete so viele Schichten an Kleidung, dass sie in voller Montur ihre Knie nicht mehr beugen konnte und von drei Männern in den Schlitten gehoben werden musste, außerdem 18 Kilogramm Christmas Pudding – mit dem einfachen Argument, dass dieser ein unverderbliches Nahrungsmittel darstellte und sie ihn gerne aß.

Moskau - Irkutsk - zu Fuß
Google Maps: Auf dieser Route gibt es eine Fährstrecke. Diese Route verläuft durch Kasachstan. Dein Ziel liegt in einer anderen Zeitzone.

Die Reise der beiden Frauen dauerte zwei Monate allein bis Omsk (Google gibt auch heute für die Reisedauer zu Fuß 508 Stunden an). Dort musste Marsden wegen Krankheit pausieren und ihre Übersetzerin warf gänzlich das Handtuch. Nach der Genesung setzte die entschlossene Krankenschwester ihre Mission nach Jakutien alleine (also ohne Begleitung außerhalb der rekrutierten Einheimischen) fort. Das zweite Drittel ihrer Reise führte sie nach Irkutsk am Baikalsee, wo sie ein Kommittee zur Bekämpfung der Lepra gründete; schließlich brachte sie das letzte Drittel bis Jakutsk an der Lena, von wo aus sie sich noch in das nördliche Sibirien vorwagte – auf dem Pferd, teilweise abenteuerlich durch brennende Torffelder, auf der Suche nach dem Wunderkraut. Während ihrer ganzen Reise half sie neben Leprakranken auch anderen Bedürftigen, wie Strafgefangenen auf dem Weg ins Exil, insbesondere den Frauen darunter.

Sie fand in den Tiefen Sibiriens wohl ein Kraut, kutchutka, das dort gegen die Symptome der Lepra verwendet wurde, doch weit entfernt von einem Heilmittel war. Nach elf Monaten Reise durch Russland kam sie wieder in Moskau an und begann sofort, Spenden zu sammeln für eine Leprastation, in der Erkrankte unter menschenwürdigen Bedingungen versorgt werden könnten. Zurück in England, erhielt sie von Queen Victoria eine Brosche in Form eines Engels und sie wurde als eine der ersten weiblichen Fellows in die Royal Geographical Society aufgenommen. Im Folgejahr brachte sie ihren Reisebericht On Sledge and Horsback to Ouscast Siberian Lepers heraus, außerdem hielt sie diverse Vorträge, in denen sie auf die Zustände in den sibirischen Leprakolonien aufmerksam machte und Spenden sammelte. 1895 konnte dann in Wiljuisk eine moderne Leprastation nach ihren Plänen erbaut werden.

Ihr Ruhm als Abenteurerin und Erfolg als Wohltäterin zog jedoch Missgunst auf sich. Einige Kritiker meinten, es sei unglaubwürdig, dass sie als Frau diese ausgesprochen schwierige Reise angetreten und überstanden hätte. Schlimmer jedoch für ihre Position waren zwei Vorwürfe, die sie moralisch fragwürdig erscheinen ließen. Einerseits warf ihr eine ehemalige Reisegefährtin aus der Zeit in Neuseeland vor, eine Betrügerin zu sein, die womöglich auch die Spendengelder für die Leprakranken für den eigenen finanziellen Gewinn nutze. Eine amerikanische Russland-Expertin, Isabel Hapgood, griff diese Vorwürfe auf und bezichtigte Mardsen öffentlich der Veruntreuung. Auch wenn Marsden tatsächlich in ihrem Privatleben nicht den zuverlässigsten Umgang mit Geld, insbesondere Schulden hatte, konnten die Untersuchungskommissionen – sowohl in England wie in Russland – keine Unregelmäßigkeiten in ihrer Verwendung der Spenden feststellen. Nichtsdestotrotz war ihr Ruf als Wohltäterin geschädigt.

Diese üble Nachrede hätte Marsden vielleicht überstehen können, insbesondere nach der offiziellen Unschuldserklärung, doch sie ging Hand in Hand mit einem weniger juristischen als moralischen Vorwurf. Unter anderem die ehemalige Reisebegleiterin, aber auch ein engslischsprechender Pastor in Sankt Petersburg berichteten von der Homosexualität Marsdens – und Marsden selbst gab zu, die Avancen anderer Frauen nicht abgewiesen zu haben. Zwar war weibliche Homosexualität in England im Gegensatz zu männlicher nicht strafbar, aber gutgeheißen wurde sie auch nicht. William T. Stead, der erste Vertreter des investigativen Journalismus, war an vorderster Front bei der Schmierkampagne gegen Marsden. Sie dachte über eine Verleumdungsklage gegen den Sankt Petersburger Pastor nach und, nachdem dieser die Ergebnisse der russischen Spendenkommission als „Schönfärberei“ abtat, strengte auch eine solche an, doch ihre finanzielle Situation machte es unmöglich, diese juristische Handhabe weiterzuverfolgen. An Oscar Wilde, der im gleichen Jahr mit einer Verleumdungsklage scheiterte und vom Kläger zum Angeklagten wurde (später für Unzucht mit Prostituierten zu zwei Jahren harter Zwangsarbeit verurteilt, die langfristig seinen Tod verursachte), hatte sie ein warnendes Beispiel für die hohen Kosten und gleichzeitig schlechten Erfolgschancen einer solchen Klage.

Marsden führte ihre Arbeit noch einige Zeit weiter, doch konnte sie sich vom Ansehensverlust nicht erholen. 1914 war sie noch ursprünglich an der Gründung eines Museums in Bexhill beteiligt, zu dessen Sammlung sie selbst Stücke beitrug und sie überzeugte einen Bekannten, seine ägyptischen Artefakte zur Verfügung zu stellen, außerdem organisierte sie Versammlungen zur Unterstützung des Museums. Dann kontaktierte der Bürgermeister der Stadt das Gründungskommittee und wies auf den Jahre zurückliegenden Skandal in Marsdens Geschichte hin. Daraufhin musste sie sich von ihrer Tätigkeit zurückziehen, weil sie „nicht geeignet“ sei, Spenden zu verwalten.

1921 schrieb sie noch eine Verteidigungsschrift, My Mission in Sibiria, A Vindication, um gegen die Unterstellungen und ihren Ansehensverlust vorzugehen, blieb jedoch erfolglos. Sie starb demenzkrank 1931 in London.

Das Krankenhaus, das sie in Jakutien gründete, wurde 1962 geschlossen, doch Marsden wird dort noch immer erinnert und verehrt. Ein 55-Karat schwerer Diamant, der in Jakutien gefunden wurde, erhielt nach ihr den Namen Sister of Mercy Kate Marsden. Atlas Obscura (Link engl.) hat einen ausführlichen Artikel zu ihr online, einen Teil ihres Reiseberichts, der sich zu lesen lohnt, ist bei thelongridersguilt (Link engl.) zu finden.

12/2018

2. Dezember 1083: Anna Komnena

Die Tochter des byzantinischen Kaisers Alexios I. Komnenos mit dessen Frau Irene Dukaina kam als ältestes von sieben Kindern in der Porphyra zur Welt, dem aus rotem Gestein erbauten Gebäude innerhalb des Großen Palastes in Konstantinopel, das für die Geburten der kaiserlichen Nachkommen vorbehalten war. (Es ist nicht klar zu benennen, ob der Begriff der Purpurgeburt – einer Geburt innerhalb der Herrschaft des Vaters – auf dieses Gebäude zurückgeht oder ob das Gebäude deshalb aus purpurem Gestein gebaut wurde, weil diese Farbe die kaiserliche Herrschaft symbolisierte.)

Direkt nach der Geburt wurde sie mit Konstantin Dukas verlobt, der als Sohn des Michael VII. zu diesem Zeitpunkt noch Mitkaiser und Thronfolger war. Diese Verbindung sollte vor allem die Rechtmäßigkeit der Herrschaft Alexios‘ I. untermauern, der den Thron vom Vorgänger usurpiert hatte; die adelige Dukas-Familie hatte mehrere byzantinische Kaiser gestellt. Wie für ihre Kultur üblich, wuchs Anna im Haus ihrer Schwiegermutter auf – Maria von Alanien, der pikanterweise ein Verhältnis mit Alexios I. nachgesagt wird. Als jedoch Annas Bruder Kaloioannes geboren wurde, gab es einen blutsverwandten Thronfolger: Alexios I. entzog Konstantin die Regentschaft und schickte Maria von Alanien ins Kloster (möglicherweise auch, weil sie Intrigen spann, ihn zu entmachten). Konstantin nahm diese Entscheidungen nicht übel und zog sich dem Kaiser weiterhin wohlgesonnen nach Zentralmakedonien zurück.

Anna wurde entgegen den eigenen Vorstellungen mit Nikephoros Bryennios, einem Militär und Geschichtsschreiber, verheiratet. Sie genoss eine ausführliche Bildung in Naturwissenschaften, Philosophie und Musik und war mehr an eigenen Projekten interessiert als an der Ehe. Ihr Vater hatte ihr die Leitung eines Krankenhauses und Waisenhauses anvertraut und sie unterrichtete dort auch; außerdem war sie eine Expertin für Gicht und pflegte ihren daran erkrankten Vater. Von ihren Lehrern und Zeitgenossen wurde sie als gebildete und intelligente Person hoch geschätzt.

Nicht ganz so uninteressiert war sie jedoch an ihrem eigenen Status, da sie gegen ihren Bruder und, seit dem Alter von fünf Jahren, offiziellen Thronfolger Kaloioannes („der schöne Johannes“) eine Abneigung pflegte und mit ihrer Mutter darauf hinarbeitete, ihm den Thron vorzuenthalten. Über die Weigerung ihres Mannes, gegen den inzwischen bettlägerigen Kaiser Alexios I. und seinen Thronfolger zu intrigieren, klagte sie, ihre Geschlechter seien vertauscht, da er von ihnen beiden die Frau hätte sein sollen. Kaloioannes erhielt jedoch – auf welche Weise auch immer – den Siegelring seines Vaters und wurde nach dessen Tod zum Kaiser gekrönt. Obwohl Anna und ihre Mutter erneut versuchten, Nikephoros zur Usurpation zu bewegen, scheiterte ihr Vorhaben und Kaloioannes verbannte die beiden Frauen in Kloster.

In dieser politisch stillgelegten Situation übernahm sie, nachdem ihr Mann starb und ein unvollständiges Werk über die byzantinische Geschichte hinterließ, die Geschichtsschreibung über die Regierungszeit ihres Vaters. Vieles in der 15 Bücher starken Alexiade konnte sie nur aus Erzählungen und Augenzeugenberichten zusammentragen, wobei sie natürlich vor allem das gute Bild ihres Vaters als Befehlshaber und Kaiser im Sinn hatte. Dennoch ist ihr Werk historisch unschätzbar wertvoll, da es die einzige Nacherzählung des Ersten Kreuzzuges aus Sicht der Byzantiner darstellt.

Anna Komnena starb in den frühen 50er Jahren des 12. Jahrhunderts und hinterließ mit der Alexiade ein auch literarisch hochwertiges Geschichtswerk, in dem sie in attischem Griechisch, mit Zitaten aus der Bibel und von Homer gespickt, nicht nur historische Ereignisse schildert, sondern auch Einblicke in ihre eigene Gedanken- und Gefühlswelt gibt.

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8. Dezember 1880: Rokeya Sakhawat Hussain

Geboren wurde Rokeya mit dem Nachnamen Khatun in dem Teil von Britisch-Indien, das heute Bangladesch ist. Ihre Eltern waren wohlhabende, gebildete Moslems und zogen es vor, Persisch oder Arabisch zu sprechen, Bengalisch war zwar die Sprache der Massen, aber eben darum auch in der Oberschicht verpönt. Als ihre ältere Schwester Karimunnesa, später ebenfalls Schriftstellerin, Bengalisch studieren wollte, untersagten ihre Eltern dies; der älteste Bruder Ibrahim jedoch unterrichtete seine beide Schwesten in der Sprache und hatte damit großen Einfluss auf ihre Entwicklung und ihren Erfolg.

Mit 16 heiratete Rokeya Khan Bahadur Sakhawat Hussain, einen Friedensrichter, der selbst Urdu, die „Sprache des gebildeten Hofes“ sprach. Wie ihr älterer Bruder, so ermunterte sie auch ihr Mann in ihrer Bildung und literarischen Entwicklung. Auf seinen Vorschlag hin schrieb sie ihr erstes Buch, „Pipasa“ (Durst), auf Bengalisch, sodass sie eine breite Bevölkerung erreichen konnte. Unter anderem schrieb sie danach ein Buch namens Sultanas Traum, das sich von seiner Zusammenfassung liest wie eine frühere, bengalische Version von Gerd Brantenbergs „Töchter Egalias“: die Geschlechtervorzeichen sind verdreht, die Frauen das dominierende Geschlecht.

Nach 13 Jahren Ehe starb ihr Mann. Zu Lebzeiten hatte er ihr ermöglicht, Geld für eine Schule zur Seite zu legen, an der sie muslimische Mädchen unterrichten könnte. Nach seinem Tod schritt sie zur Tat und gründete das Sakhawat-Denkmal-Mädchengymnasium in der Heimatstadt ihres Mannes Baghalpur. Nach Erbstreitigkeiten mit der Familie ihres Mannes musste sie die Schule aus dem urdusprachigen Gebiet in die bengalische Stadt Kolkata verlegen; dort ist die Schule noch heute eines der beliebtesten Gymnasien der Stadt.

Sakhawat Hussain schrieb neben ihren Romanen auch vielseitige Formate zur Verbreitung ihres islamischen Feminismus. Sie legte besonderes Augenmerk auf die Unterdrückung bengalischer Frauen und vertrat die Ansicht, dass Frauen Allah am besten die Ehre erweisen könnten, wenn sie sich ganz als Person entfalten dürfen. Nur mit der freien Berufswahl der Frauen könnte die Entwicklung der gesamten muslimischen Bevölkerung des indischen Subkontinents voranschreiten. Sie gründete den Anjuman-e-Khawateen-e-Islam, den islamischen Frauenverband, der sich mit Konferenzen und Podiumsdiskussionen für diese Sache einsetzte.

Sie starb mit auf den Tag 52 Jahren an einem Herzleiden. Ihr Todestag, der 9. Dezember, wird in Bangladesch zu ihren Ehren gefeiert.

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15. Dezember 1948: Patricia Cowings

Die afroamerikanische Tochter eines Lebensmittelhändlers und einer Kindergärtnerin kam in der Bronx (New York) zur Welt, zu einem Zeitpunkt, als diese sich von einem Bezirk der Mittelschicht in ein Arbeitviertel verwandelte. In den 1960er Jahren, als Cowings schulpflichtiger Teenager war, galt die Bronx dann als sozialer Brennpunkt und war berüchtigt für ihre hohe Kriminalitätsrate. Cowings Eltern legten daher als Ausweg aus diesem Umfeld großen Wert auf ihre schulische Bildung. Sie entdeckte früh ihre Liebe zu den Naturwissenschaften und studierte Psychologie, später auch Psychophysiologie an einer Universität in New York; ihre Tante, die einen Doktortitel innehatte, inspirierte und motivierte sie dabei, sodass auch Cowings schließlich mit einem Doktortitel abschloss.

In einem Ingenieurskurs, der den Aufbau des Space Shuttles zum Inhalt hatte, machte sie mit ihren spezifischen Beiträgen aus psychologischer Sicht Eindruck, und entdeckte sie ihre Begeisterung für die Raumfahrt. Sie wurde als erste Afroamerikanerin als Wissenschaftsastronautin ausgebildet, kam aber nie zum praktischen Einsatz. Stattdessen jedoch trug sie maßgeblich zur Verbesserung der Gesundheit von Astronauten bei: Sie entwickelte erfolgreich ein System autogenetischer Feedback-Übungen (AFTE, autogenetic feedback training exercises), mit dem die Menschen in der Schwerelosigkeit innerhalb von sechs Stunden lernen konnten, bis zu 20 Körperfunktionen zu erkennen und zu beeinflussen, die für die Raumkrankheit verantwortlich sind. Mit Hilfe dieser Übungen können die Astronauten die unangenehmen Symptome wie Übelkeit, Schwindel und Ohnmacht vermeiden.

Cowings Übungssystem hilft inzwischen auch Krebspatienten, die unter Chemotherapie mit den gleichen Nebenwirkungen zu kämpfen haben.

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19. Dezember 1875: Mileva Marić

Als Kind wohlhabender Eltern in Titel, damals Österreich-Ungarn, heute Serbien, genoss Marić eine gute schulische Ausbildung, die ihr Vater während mehrer Orts- und Schulwechsel besonders förderte. Vor allem ihre Noten in Mathematik und Physik waren ausgezeichnet. Nach einer Krankheit, die sie in der Schweiz auskurierte, legte sie mit 21 Jahren in Bern ihre Matura ab und begann ein Medizinstudium in Zürich. Nach einem Semester jedoch wechselte sie an das Polytechnikum, um dort als einzige Frau ihres Jahrgangs Mathematik und Physik zu studieren. Sie besuchte die gleichen Kurse wie Albert Einstein, mit dem sie sich bald anfreundete. Während er seine zweite Diplomprüfung bestand, fiel sie beim ersten Versuch durch – beim zweiten Versuch, ein Jahr später, war sie im ersten Trimester mit Einsteins Tochter schwanger und fiel erneut durch. Für die Geburt von „Lieserl“ kehrte sie in die Vojvodina zurück; das Kind erlitt dort mit einem Jahr eine Scharlacherkrankung, über ihr weiteres Schicksal herrscht Unklarheit.

Zurück in der Schweiz, heiratete Marić Einstein, obwohl seine Familie sie ablehnte. In den folgenden elf Jahren gebar Marić Einstein zwei Söhne und folgte ihm an jeden Ort, an den ihn sein Lehrberuf verschlug. Doch schon bevor sie ihn 1914 auch nach Berlin begleitete, hatte er einen Briefwechsel und wahrscheinlich auch eine Affäre mit seiner Cousine Elsa begonnen – die auch seiner Familie eine lieber gesehene, weil standesgemäße Partnerin war. Die räumliche Nähe des unfreiwilligen Liebesdreiecks führte bald zum Bruch und Marić kehrte mit ihren beiden Söhnen nach Zürich zurück. Aber erst fünf Jahre später, nachdem Einstein ihr das Preisgeld des Nobelpreises zusicherte, den bald gewinnen würde, willigte Marić in die Scheidung ein. Nur wenige Monate danach heiratete Einstein in Berlin Elsa, obwohl das Züricher Gericht, das die Scheidung rechtskräftig erkläret hatte, ihm eine zweijährige Heiratssperre auferlegt hatte.

Mit dem Geld des Nobelpreises, den Einstein tatsächlich 1922 gewann, erwarb Marić drei Mietshäuser; in einem davon lebte sie, die anderen dienten dem Unterhalt. Doch als ihr Sohn Eduard 1932 mit Schizophrenie diagnostiziert wurde, schmolzen ihre Ressourcen bald dahin: Sie musste zwei Häuser verkaufen, eines überschrieb sie ihrem Ex-Ehemann, behielt aber die Vollmacht darüber. Einstein sorgte zwar, inzwischen in den USA lebend, weiterhin für seinen Sohn und sie, doch es reichte nur für bescheidene Verhältnisse. Marić starb mit 72 in einer Züricher Privatklinik.

Während Marić selbst keine wissenschaftlichen Arbeiten hinterließ, ist umstritten, wie sehr sie an den Arbeiten Einsteins beteiligt war, die ihn ihm Wunderjahr 1905 berühmt machten. Die Vermutung basieren vor allem auf den Formulierungen von „unserer Arbeit“, die Einstein in Briefen verwendet, sowie darauf, dass der Name des Autors dreier der Arbeiten, deren Originale verschollen sind, Einstein-Marity (der ungarischen Form von Marić) lautete. Beweisen lässt es sich nicht, doch sind einige Vorlesungsunterlagen Einsteins in Marićs Handschrift verfasst. Schließlich ist es nicht unmöglich, dass eine Frau, die selbst offensichtlich so interessiert und gebildet in Mathematik und Physik war wie Marić, zumindest als verständige Zuhörerin und ebenbürtige Gesprächspartnerin an der Entstehung seines Genies in immaterieller Form beteilig war. Im Einklang mit diesem Gedanken wurde Mileva Marić 2005 von ihrer ehemaligen Hochschule, inzwischen die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich und der Gesellschaft zu Fraumünster als „Mitentwicklerin der Relativitätstheorie“ geehrt.

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23. Dezember 1983: Máret Ánne Sara

Die samisch-norwegische Künstlerin nahm 2017 an der documenta 14 teil, mit einer Weiterentwicklung ihrer ersten Installation, „Pile o’Sápmi“: Einer Installation aus Rentierschädeln mit Einschusslöchern. Der erste „Pile o’Sápmi“ entstand 2016, kurz bevor ihr Bruder vom Obersten Gerichtshof in Norwegen gezwungen wurde, sein Rentierzucht per Tötung zu reduzieren. Die Rentierzucht gehört traditionell zur Lebensweise der Samen und wird von der norwegischen Regierung stark reguliert – aufgrund der Überweidung der Finnmark, sagt die Regierung, wegen der Gier nach Bodenschätzen, die gehoben werden können, wenn keine Rentiere mehr dort weiden, sagt Saras Bruder.

Der Titel des Werkes nimmt Bezug auf ein Foto (Link englischsprachig), das einen Berg Büffelschädel zeigt, den Cree-Indianer im kanadischen Regina zusammengetragen hatten. Sie zog damit die Parallele zwischen der Vertreibung der amerikanischen Ureinwohner und der Unterdrückung der Samen in den Gesellschaften der Länder, über deren Gebiet sich der Lebensraum der Samen erstreckt.

Google-Ergebnisse Máret Ánne Sara

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26. Dezember 1926: Marija Atanassowa

Kurz und knackig zum Schluss: Die Bulgarin war die erste Zivilpilotin ihres Landes, die erste weibliche Kapitänin für schwere Flugzeugtypen und die erste Frau, die ein Verkehrsflugzeug auf dem Flughafen London Heathrow landete.

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§218!