Schlagwort: massive science

21/2020: Ynés Mexía, 24. Mai 1870

Ynés Mexía kam als Tochter eines mexikanischen Diplomaten und einer US-Amerikanerin in Washington, D.C., zur Welt. Neun Jahre später ließen die Eltern sich scheiden, der Vater ging zurück nach Mexiko, Ynés wuchs bei ihrer Mutter in Texas auf. Als Erwachsene zog Mexía in das Heimatland ihres Vaters, wurde in erster Ehe Witwe und ließ sich von ihrem zweiten Ehemann scheiden.

1908 ging sie von Mexiko nach San Francisco und war dort zunächst als Sozialarbeiterin tätig. Mit 50 Jahren wurde sie dort Mitglied des Sierra Club, mit dem sie erste botanische Expeditionen ins Umland unternahm, bei denen ihr Interesse für Botanik geweckt wurde. Aus dem Hobby wurde bereits ein Jahr später ernsthaftes berufliches Interesse, und so schrieb sich Mexía mit 51 Jahren noch einmal als Studentin für das Fach Botanik an der University of California, Berkeley ein. Im Rahmen dieses Studiums lernte sie wohl auch Alice Eastwood kennen, von der sie das wissenschaftlich korrekte Sammeln von Exemplaren erlernte; beide Frauen waren Mitglieder der California Academy of Sciences. 1922 nahm sie an ihrer ersten botanischen Expedition im Rahmen ihres Studiums teil, geleitet vor Eustace L. Furlong (Link Englisch), einem Paläontologen. Zwei Jahre später wurde sie die US-amerikanische Staatsbürgerin, nach Mexiko kehrte sie danach nur noch aus wissenschaftlichem Interesse zurück. So reiste sie 1925 im Rahmen einer botanischen Expedition ins Land, entschloss sich jedoch dazu, ihre Gruppe zu verlassen und ihre Forschungen auf eigene Faust weiter zu betreiben. So reiste die 55-jährige schließlich alleine durch Mexiko, wobei sie 1.500 botanische Exemplare sammelte, von 500 Arten, von denen 50 bisher unbekannt waren. (Diese Zahlen entnehme ich dem englischen Wikipedia-Artikel, andere Quellen variieren, wobei „first trip“ und „species“/“specimen“ bei diesen nicht leicht zuzuordnen sind.) Ihre hilfreiche Kollegin Nina Floy Bracelin (Link Englisch) übernahm die Aufgabe, die von Mexía eingesandten Exemplare zu präparieren, von Experten klassifizieren zu lassen, zu katalogisieren und Duplikate an andere Herbarien zu versenden.

Ynés Mexía war selbst ein ungewöhnliches Exemplar. Als Frau über 50, noch dazu mit lateinamerikanischem Familienhintergrund, ein wissenschaftliches Studium zu beginnen und dann im Alleingang eigene Expeditionswege zu gehen, war zu der Zeit unerhört. Mexía jedoch war zäh und leidensfähig – bei ihrer ersten Expedition fiel sie von einer Klippe und brach sich mehrere Rippen, was sie nicht von ihren Forschungen abhielt. Sie liebte es, unter offenem Himmel zu leben, ritt in Hosen im „Herrensitz“ und entsprach im Großen und Ganzen nicht dem Bild einer älteren Dame. Sie wollte das Land und den Kontinent besser kennenlernen und fand, auf ihre unkomplizierte Art ginge das am Besten.

Nachdem sie aus Mexiko wiedergekehrt war, verschlug es sie 1928 im Auftrag der Universität nach Alaska, im darauffolgenden Jahr wiederum auf den südamerikanischen Kontinent, wo sie im Kanu den Amazonas hinaufreiste. In zweieinhalb Jahren erreichte sie so seine Quelle in den Anden. Auch 1934 bis 1936 bereiste sie den südamerikanischen Kontinent, in den zwei Jahren danach arbeitete sie wiederum in Mexiko. Als sie 1938 gerade in Oaxaca weilte, wurde sie krank und kehrte für ärtzliche Untersuchungen in die Vereinigten Staaten zurück. Dort wurde eine Diagnose auf Lungenkrebs gestellt, an der sie innerhalb eines Monats mit 68 Jahren verstarb.

Sie hinterließ in ihrem Testament der California Academy of Sciences eine ausreichende Summe, um Nina Floy Bracelin als Assistentin für Alice Eastwood einzustellen. In ihrer 13-jährigen Forschungskarriere – in der sie niemals einen Universitätsabschluss machte – sammelte sie um die 145.000 Exemplare, die bis heute noch nicht vollständig katalogisiert sind. 500 von den bis heute bearbeiteten Sammelstücken waren neue Arten, 50 davon wurden nach Ynés Mexía benannt.

Zum Sortieren der biografischen Angaben habe ich mich neben den Wikipedia-Beiträgen an diesen englischsprachigen Quellen orientiert: Dieser Artikel von Massive Science, dieser Eintrag auf Global Plants sowie zwei Seiten von Biodiversity Library Exhibition, wo Mexía bei den Early Women in Science und unter Latino Natural History gelistet ist.

*

Ebenfalls diese Woche

19. Mai 1903: Ruth Ella Moore (Link Englisch)
Die Bakteriologin war 1933 die erste Afroamerikanerin/WoC, die einen Doktortitel in Naturwissenschaften erlangte.

21. Mai 1799: Mary Anning
Nachdem sie eigentlich Fossilien nur gesammelt hatte, um mit dem Verkauf den Familienunterhalt zu bestreiten, erhielt sie später von der British Association for the Advancement of Science eine jährliche Pension zum Dank für ihre Leistungen für die Paläontologie.

24. Mai 1903: Eileen Guppy (Link Englisch)
Sie wurde als erste weibliche Geologin zum wissenschaftlichen Stab der British Geological Survey bestellt.

12/2020: Katsuko Saruhashi, 22. März 1920

Katsuko Saruhashi (Link Englisch) beobachtete einmal als Kind, wie sicher wir alle, wie die Regentropfen auf einer Fensterscheibe nach unten liefen, sich vereingiten und stets neue Muster entwarfen. Bei Saruhashi führte dies zu einem wissenschaftlichen Interesse für das Wetter und die Natur. Nachdem sie zunächst bei einer Versicherung gearbeitet hatte, begann sie 1941 im Alter von 21 Jahren ein Studium der Chemie an der Toho University (Link Englisch). Dieses beendete sie zwei Jahre später nach dem ‚grundständigen Studium‚ (Englisch: undergraduate degree). Im Anschluss daran begann sie, beim Meteorologischen Forschungsinstitut zu arbeiten.

1955 schrieb sie eine Arbeit über das Gleichgewicht von Kohlensäuren in natürlichen Gewässern; daraus abgeleitet entstand die Saruhashi Tabelle, die es Meereskundler:innen ermöglicht, mit Hilfe der Messungen von Temperatur, pH-Wert und Chlorinität die Werte dreier verschiedener Kohlensäuren in Meerwasser zu ermitteln. Im Folgejahr widerlegte Saruhashi mit ihrem Mentor und Kollegen Miyake Yasuo die bis dahin gültige Annahme, dass erhöhte Kohlensäure und Alkalinitätswerte in Meerwasser allein eine Folge von darin aufgelöstem kohlensaurem Kalk sei. Sie lieferten empirische Werte dafür, dass Meerwasser tatsächlich doppelt soviel Kohlendioxid abgibt wie es aufnimmt; infolgedessen konnte nicht mehr angenommen werden, dass die globale Erwärmung dadurch gemildert werden könne, dass die Ozeane CO2 aufnehmen würden.

Anschließend nahm Saruhashi mit 37 Jahren erneut das Studium auf, dieses Mal an der Universität Tokio, wo sie schließlich die erste Frau Japans werden sollte, die einen naturwissenschaftlichen Doktortitel errang.

Ihr größter Erfolg wurden jedoch ihre Untersuchungen zu den langfristigen und globalen Folgen der Kernwaffentest werden, die die Vereinigten Staaten im Bikini-Atoll durchführten. Im Auftrag der japanischen Regierung suchten Saruhashi und Miyake am Central Meteorological Observatory nach neuen Methoden, radioaktiven Niederschlag zu messen. Im Verlauf ihrer Forschung stellten die beiden wesentlich erhöhte Werte von Caesium-137 und Strontium-90 im pazifischen Meerwasser fest, beides sekundäre Spaltprodukte zum Beispiel von Nuklearbomben. Ihr Fund wies also auf schwerwiegende Folgen der Tests auf dem Bikini-Atoll für den gesamten pazifischen Ozean hin.

Ihre Ergebnisse wurden von amerikanischen Forschern in Frage gestellt, unter anderem aufgrund der Standards für das Vorkommen von Caesium-137 im Meerwasser, doch auch das politische Klima zwischen den USA und Japan nach dem Zweiten Weltkrieg spielte eine Rolle. Die US Atomic Energy Commission stellte die Gelder zur Verfügung, damit Saruhashi für sechs Monate an der Scripps Institution of Oceanography an der University of California, San Diego gemeinsam mit Kollege Ted Folsom forschen und Ergebnisse vergleichen konnte. Die beiden unternahmen ihre Messungen nach ihren jeweiligen Methoden und bemühten sich, die Proben zur gleichen Zeit unter den gleichen Umständen zu nehmen, um die Vergleichbarkeit möglichst hoch zu gestalten. Obwohl ein gewisser Unterschied zwischen den Proben und damit den Ergebnissen unvermeidbar war, stellte sich am Ende ihres Forschungszeitraumes nur eine Diskrepanz von 10% zwischen ihren Ergebnissen heraus. Dies bedeutete nicht nur, dass sowohl Saruhashis Methode wie auch ihre Messergebnisse über jeden Zweifel erhaben waren. Es hieß auch, dass diese Befunde über den Zustand des Meerwassers im Pazifik als Grundlage verwendet werden konnten, um weitere überirdische Kernwaffentests der Vereinigten Staaten zu verbieten.

Im gleichen Jahr, 1958, gründete Saruhashi in ihrer Heimat die Society of Japanese Women in Science.

Nachdem sie ihren Doktortitel erlangt hatte, arbeitete sie in den 1970er Jahren zum pH-Wert des Regenwassers, wobei sie den steigenden Wert im Laufe der Dekade festhalten konnte. In den 1980er gewann sie mehrere Preise, namentlich den Avon Special Prize for Women im Jahr 1981 und – als erste Frau – den Miyake Priza für Geochemie 1985.

1981 rief Saruhashi einen eigenen Preis ins Leben, der seither japanischen Wissenschaftlerinnen bis 50 Jahre, die Beiträge in naturwissenschaftlichen Forschungen geleistet haben, $2.400 zukommen lässt. Gerne hätte Saruhashi den Gewinnerinnen mehr Geld zukommen lassen und sie auch bei Arbeiten im Ausland unterstützen, doch der Preis wird dafür zu gering finanziell unterstützt. Über ihre Beweggründe für die Preisverleihung sagte sie: „Der Mangel an gleichen Möglichkeiten ist eine Sache. Eine andere ist die Haltung der Gesellschaft, von Eltern und Lehrenden. Und die Beiträge von Wissenschaftlerinnen werden weniger anerkannt.

Am 29. September 2007 starb Katsuko Saruhashi im Alter von 87 Jahren an einer Lungenentzündung.

Dieser (englische) Beitrag zur Geochemikerin auf Massive Science hat noch einige Details zu den sexistischen und rassistischen Benachteiligungen, die sie insbesondere bei ihrer Forschung zu radioaktivem Niederschlag erleiden musste.

*

Ebenfalls diese Woche

16. März 1750: Caroline Herschel
Über die Astrologin habe ich 2016 geschrieben, in dem Jahr, in dem mich auf Frauen vor dem 19. Jahrhundert konzentrierte.

frauenfiguren anna atkins waldschachtelhalm cyanotypie
Anna Atkins‘ Cyanotypie eines Wald-Schachtelhalms
Gemeinfrei

16. März 1799: Anna Atkins
Eine starke Konkurrentin für die Frau dieser Woche, gilt sie doch als die erste Fotografin. Sie erlernte mit 40 Jahren innerhalb eines Jahres die Cyanotypie und veröffentlichte in Folge das erste Buch, das vollständig mit fotografischen Illustrationen auskam: Eine botanische Sammlung der in England vorkommenden Algen, British Algae: Cyanotype Impressions.

16. März 1866: Izabela Textorisowá (Link Englisch)
Als erste Botanikerin der Slowakei beschrieb sie in ihrem Herbarium mehr als 100 Pflanzenarten in der Region Turz.

20. März 1879: Maud Menten
Die Michaelis-Menten-Theorie der Enzymkinetik geht auf die kanadische Medizinerin zurück, die auch als eine der ersten Frauen Kanadas ein Medizinstudium abschloss.

20. März 1890: Elizabeth Rona
Gemeinsam mit Kasimir Fajans, George de Hevesy und Fritz Paneth entdeckte die österreichisch-ungarische Kernphysikerin die radioaktiven Tracer.

22. März 1920: Margaret Bastock (Link Englisch)
Die britische Zoologin und Genetikerin untersuchte die Zusammenhänge zwischen Verhalten, Genen und der Evolution; 1956 wies sie nach, dass die Veränderung eines einzigen Gens eine Verhaltensänderung bei Drosophila melanogaster auslösen konnte.

WEG MIT
§218!