Schlagwort: rache

il portiere di notte

liliana cavani, italien 1974
was für ein unglaublich guter, spannungsreicher film. wie schon von meinem mann aufschlussreich erörtert, wirft er einen unverhohlenen blick auf den zusammenhang zwischen dem dritten reich und repressiver sexualität; dass die darstellung einer sado-masochistischen beziehung eines ausführenden nazis zu einer internierten von manchem als geschmacklos empfunden werden mag, ist durchaus nachvollziehbar.
wenn man sich jedoch sachlich von der empörung distanzieren kann und als gesetzt annimmt, dass die opfer der naziverfolgung mit sicherheit keinen genuss an ihrer situation empfanden, andererseits aber unmenschliche verhältnisse ihre auswirkungen auf opfer und täter haben, kann man vor allem in der figur der lucia – zumindest im rahmen des einverständlichen machtgefälles einer dominant-submissiven beziehung – einiges über die macht des opfers und das ausgeliefert-sein des täters erkennen.
lucia erscheint uns in den ersten szenen – ganz natürlich – als verschrockenes reh, das ihrem ehemaligen peiniger wieder gegenübersteht, und wir lassen uns von ihrer zerbrechlichkeit und unwilligkeit, wien zu verlassen, dazu verführen zu glauben, sie wolle sich an max rächen. diese erwartung an die missbrauchte frau wird jedoch jäh enttäuscht in der szene, in der max sie auf ihrem zimmer aufsucht und sich die vorherigen begegnungen als verführerisches katz-und-maus-spiel entpuppen.
lucias erwachende sexualität wurde von max auf die wechselbäder der anbetung und degradierung geprägt, auf die verquere und doch schlüssige abfolge der fürsorglichen überhöhung und umso lustvollerer erniedrigung. sie gibt sich nun ohne zwang wieder in diese beziehung und im laufe des films, besonders in ihrer hocherotischen gesangseinlage, wird klar, dass dies nicht nur daran liegt, dass sie es so gelernt hat. sie begibt sich in die rolle des opfers zurück, weil sie sich ebenso wie max an ihrer macht berauscht: an der macht des opfers. ohne sie ist max nur der seine scham im dunkeln versteckende nachportier. mit ihr und nur mit ihr kann er die seiten seiner selbst ausleben, für die er sich schämt, von denen er jedoch auch weiß, dass er sie weder leugnen noch weg-rationalisieren kann.
im weiteren verlauf des films sehen wir lucia als raubkatze, die sich nicht festketten lässt, jedoch bleibt, wenn sie jederzeit gehen kann. als willensstarke liebhaberin, als launische gespielin. vor allem aber als verführerische fetischfigur in männerhosen mit hosenträgern über den nackten brüsten, lederhandschuhen und nazi-insignien, die in bester marlene-manier singt: „wenn ich gar zu glücklich wär‘, hätt‘ ich heimweh nach dem traurigsein“. man spürt, dass die männer im raum wohl ihre phallussymbole beherrschen mögen, lucia jedoch beherrscht die phalli.
es ist das bittersüße der genussvollen hingebung, die die absolute kontrolle über den anderen beinhaltet, die diese frau echt und eine identifikation möglich macht. von der voyeuristischen schalheit der sexploitation weit entfernt, ist es liliana cavani gelungen, opfer und täter in ihren rollen zu beleuchten, zu spiegeln und ihnen dabei ihre würde zu lassen.
unbedingt unvoreingenommen anschauen! die zärtlich-tragischen letzten minuten allein sind es wert.

KW 9/2012: Aileen Wuornos, 29. Februar 1956

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Aileen Wuornos hatte in ihrem Leben keine Sternstunde, das würde sie vermutlich auch selbst gesagt haben. Vom Beginn ihres Lebens an war sie verloren. Wenn ich ihre Geschichte lese – mit meiner eigenen kleinen Tochter vor Augen – möchte ich nur weinen. Mit der Verlassenheit in Kindertagen, sexuellen Übergriffen bereits vor der Pubertät, Hin- und Her- und Ausgestoßen-Sein von der Welt, kann ich sie nicht als Monster sehen. Ich kann nichts weiter sehen als ein Wesen, das die Welt nur als harten, erbarmungslosen, schmerzhaften und erniedrigenden Ort erlebt und eines Tages – durch welchen Auslöser auch immer – erfahren hat, dass es sich verteidigen kann. Dass Aileen Wuornos sich bei der Ermordung von sieben Männern nicht vor allem gegen diese, sondern gegen die Missbrauchenden und Misshandelnden ihrer Vergangenheit verteidigte, erscheint mir schlüssig.

Serienmordende Frauen sind sehr, sehr selten. Deshalb und weil das Bild der sorgenden, schwachen, defensiven Frau in fast jeder Gesellschaft der Welt verankert ist, sind Serienmörderinnen meist Ziel ganz besonders großer Abscheu. Doch gerade bei Aileen Wuornos sehe ich die Notwendigkeit für das genaue Gegenteil: Mitgefühl. Mitgefühl bedeutet nicht, ungestraft davon kommen zu lassen. Verbrechen, die im Vollbesitz der geistigen Kräfte und im Bewusstsein des verbrecherischen und schädlichen Handelns ausgeübt werden, müssen geahndet werden – ob die Todesstrafe dafür geeignet ist, steht wiederum auf einem anderen Blatt.

Doch was mir durch Mark und Bein geht, und Aileen Wuornos ist nur das hier dafür verwendete Beispiel: Kein Mensch kommt als das Wesen auf die Welt, als das er sie verlässt. Niemand, auch nicht Aileen Wuornos, wurde geboren als die abgekämpfte, zerstörte, kranke, kaputte Frau, als die sie schließlich exekutiert wurde. Aileen Wuornos kam auf die Welt als ein Säugling, der physisch und psychisch alle Möglichkeiten hatte für ein ganz normales, liebevolles, erfülltes, schönes und gesundes Leben. Jeder Täter, der Ungeheuerliches begeht, kam als Säugling auf die Welt, der abhängig war von der Liebe und Fürsorge seiner Familie.

Ich pflege meine morbide Faszination mit Serienmördern, Psychopathen und dem Entschlüsseln der Psyche dieser Menschen (CRIMINAL MINDS ist derzeit meine Lieblingsserie). Aber Aileen Wuornos: Sie möchte ich einfach nur in den Arm nehmen und ihr Liebe und Geborgenheit geben – ich glaube sie zu verstehen und die Vorstellung, was diesem Mädchen angetan wurde, dass sie zu dieser Frau werden konnte, schmerzt mich körperlich.

Neben der offensichtlichen Empfehlung, MONSTER zu sehen, lohnt es sich vielleicht auch, die beiden Dokumentarfilme über sie, THE SELLING OF A SERIAL KILLER und THE LIFE AND DEATH OF A SERIAL KILLER, zu sehen.

Ein Interview mit der Wuornos-Darstellerin Charlize Theron bringt nichts Neues, spiegelt aber einige meiner Gefühle wider.

Bild: By Florida Department of Corrections, Public Domain

mandingo

richard fleischer, USA 1975
oh boy. oh boy oh boy oh boy.
das war die zweite sichtung dieses films in den vergangenen fünf bis sieben jahren, und zumindest konnte ich ihn dieses mal ertragen, ohne mich im sitz zu winden; ob das abstumpfung oder gereifte distanz ist, kann ich nicht sagen. jedenfalls ist es schwer, bei diesem film nicht die darstellung für’s dargestellte zu hassen, quasi dem boten nicht den kopf abzuschlagen.
es kann vielleicht den beigeschmack von exploitation haben, wenn in szenen mit (sexueller) gewalt gegen frauen nicht diskret geschwenkt wird, sondern die kamera regungslos aufzeichnet; tatsächlich aber lassen sich die möglicherweise lüsternen bilder im rahmen dieses extrem schonungslosen period piece nicht lustvoll rezipieren, nicht von gesunden geistern jedenfalls. das enge korsett der verworrenen rassen- und geschlechtermoral schmerzt mit der konsequenz, mit der es vermeintlich erhabene und vermeintlich unterworfene ins verderben führt – am schluss gibt es nur noch unterworfene oder tote.

zwei frauen stehen sich in diesem plot diametral gegenüber: die sklavin ellen und die ehefrau und neue hausherrin blanche. ellen, die – im rahmen des möglichen in der rassistisch verzerrten welt des weißen herren – geliebt wird, ist per definitionem objekt: als schwarze frau wird von den weißen männern über sie verfügt, wird sie verliehen, verkauft, hierhin und dorthin geschickt und geholt und schließlich auch vom besitzer, den sie schon für den geliebten hielt, in den dreck gestoßen.
blanche hingegen ist, ja, auch ein opfer – der umstände, der moral, der männer. schon bevor wir sie das erste mal sehen, ist ihre erfüllte sexualität dem untergang geweiht, denn hammond wird von seinem vater gewarnt, sich einer weißen frau niemals gänzlich nackt zu zeigen: sie könne den anblick nicht ertragen. dass ihr mann über allein die möglichkeit, dass sie bereits mit einem anderen geschlafen haben könnte, so von ihr entsetzt und angewidert ist, dass er sie danach nicht mehr anfasst, ist die logische konsequenz. (sein entsetzen mag auch daher rühren, dass ihm unter der selbstgerechten empörung von vorneherein klar ist, dass es ihr bruder war – auch so ein trauriges ergebnis der zeiten und gegebenheiten, in denen kindern keine anderen „rassisch ebenbürtigen“ sexualpartner zur verfügung standen als ihre eigenen geschwister. dass das bei den sklaven dann als kein problem angesehen wird, wenn geschwister kinder miteinander zeugen, schließt wieder den kreis zu rassistischer entmenschlichung…) abgesehen von der tatsache, dass sie wirklich keine jungfrau mehr ist – nach einem einmaligen kontakt mit 13 jahren ist das nicht von der hand zu weisen – schließt hammonds weltsicht die möglichkeit völlig aus, dass eine weiße frau freude an der sexualität haben kann – bei den „vertierten“ sklavinnen ist es animalischer instinkt, die frauen der herrenrasse hingegen müssen, sollen darüber stehen.

in dieser – meiner radikalen – betrachtungsweise des films ist es die unterdrückte weibliche sexualität, die mit ihrer sich bahn schlagenden kraft das wacklige macht- und moralgefüge ihrer umgebung stürzt. denn blanche ist ein opfer, das sich rächt, eine frau, die methoden findet, ihre bedürfnisse zu befriedigen – nach zuneigung, anerkennung, mutterschaft.
so unschuldig ellen daran ist, was zwischen blanche und hammond schief läuft, ist es doch verständlich, wenn auch traurig, dass blanche die rivalin körperlich angreift und in der vernichtung der konkurrierenden leibesfrucht triumphiert. die krasseste maßnahme ihrer rache jedoch ist es, sich den mandingo mede ins bett zu holen. sie übt die perfideste erpressung an ihm aus, indem sie ihm mit einer vergewaltigungs-beschuldigung droht, wenn er nicht mit ihr schläft; sie schwingt sich zur „höhe“ der weißen männer auf, indem sie den sklaven für die erfüllung ihrer sexuellen bedürfnisse mehrfach zu sich bestellt.

hammond nimmt den tod seines kindes mit der sklavin recht gelassen hin, da er es ohnehin als sklaven weiterverkaufen wollte, nur für ellen hätte er es behalten. als aber mit der geburt des milchkaffee-farbenen säuglings von blanche ans tageslicht kommt, dass seine frau, eine weiße frau, sex mit einem schwarzen mann hatte – mehr als ein mal, wie sich herausstellt – bricht für hammond die welt zusammen. in einer verschwörung der unfassbarkeiten sind dinge geschehen, die nicht sein dürften. die angst des weißen mannes vor der sexualität sowohl des schwarzen mannes wie auch der frau im allgemeinen ist verkettet mit der angst um seine machtposition, wenn sklaven sich über die gesetze der sklavenhalter hinwegsetzen, sich verweigern oder, wie ellen, wünsche äußern oder ihm gar sagen wollen, was er tun oder lassen solle. wenn all dies möglich ist, obwohl es nach den regeln seiner welt nicht möglich sein sollte, sind alle grenzen des möglichen gesprengt – deshalb muss er die bedrohung vernichten, um sich in allem, was er bisher für möglich gehalten hat, zu beschützen.

es ist blanches unterdrückte und sich recht verschaffende sexualität, die dieses exemplar der weißen, männlichen unterdrückung erodiert, den vater umbringt und den sohn handlungsunfähig zurücklässt. leider hat sie nichts mehr davon – nachdem ihr sohn in der wiege erstickt wurde, reicht hammond ihr einen becher wein, vermischt mit einem gift, dass der arzt sonst zur tötung arbeitsunfähig gewordener sklaven bei sich trägt. durch die gelebte sexualität mit einem schwarzen und dem gebären eines mischlingskindes ist sie verdorben; das frau-sein nach ihrer natur kostet sie in dieser welt das leben.

PS: mein mann hat natürlich auch über den film geschrieben, hier.

WEG MIT
§218!