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35/2023: Leslie Feinberg, 1. September 1949

Schwarzweiß-Fotografie von Leslie Feinberg, eine Person mit rasiertem Kopf, in schwarzer Kleidung, die Hände vor der Brust mit den gespreizten Finger aneinandergedrückt
Published on the phenomenelle.de, Fair use

Leslie Feinberg kam als Kind einer jüdischen Arbeiterfamilie in Kansas City, Missouri, zur Welt, wuchs dann in Buffalo, New York, auf, wo zie sich wohl als Kind bereits Borreliose von einem Zeckenbiss zuzog, die nicht behandelt wurde.

Zie hörte mit 14 Jahren auf, die Schule zu besuchen (erhielt jedoch später nichtsdestotrotz ein Highschool-Abschlusszeugnis); zur gleichen Zeit begann zie, Homosexuellen-Clubs in Buffalo zu besuchen. Zis Familie war nicht offen für zis Auseinandersetzung mit sexueller Orientierung und Genderidentität, weshalb zie früh auszog und sich mit Gelegenheitsarbeiten durchschlug. Obwohl zie in zahlreichen Bereichen Erfahrungen sammelte, konnte zie keine langfristige Tätigkeit finden; als offen lebende homosexuelle/trans Person wurde zie regelmäßig in der Arbeitswelt diskriminiert.

Anfang der 1970er traf zie bei einer Demonstration für Landrechte und die Autonomie Palästinas Mitglieder der Workers World Party (Link Englisch), einer US-amerikanischen marxistisch-leninistischen Partei, der zie sich zunächst in der Abteilung Buffalo anschloss. Bald zog zie jedoch nach New York City, wo zie bei der Workers World Party an der Organisation zahlreicher Aktionen und Kampagnen beteiligt war. So führte zie 1974 beim March Against Racism in Boston eine Gruppe von zehn Lesben an, die in einem ‚paste-up‚ rassistische Beinamen aus dem öffentlichen Raum entfernten.(1; das ist die beste Übersetzung, die mir zu dieser Beschreibung gelungen ist) In den Jahren 1983 und 1984 reiste sie durch die USA mit einem Vortrag zu AIDS als verleugnete Epidemie, 1988 war sie an der Organisation des Widerstands gegen den Ku Klux Klan in Atlanta, Georgia beteiligt, der am Martin Luther King Day die Martin-Luther-King-Avenue heruntermarschieren wollte. 1998 kehrte sie noch einmal in den Einsatz für die Partei zurück und unterstützte Homosexuellenbars und Frauenkliniken in Buffalo dabei, sich für die Selbstverteidigung aufzustellen, nachdem Dr. Barnett Slepian von einem Gegner von Schwangerschaftsabbrüchen erschossen worden war und sich daraufhin die Anti-Choice-Bewegung zu Demonstrationen formierte.

1974 wurde Feinberg auch RedakteurIn der Seite über politische Gefangene in der Parteizeitung, später übernahm zie die Position des Chef vom Dienst, die zie bis 1995 innehatte. 1993 erschien ihr erster Roman, ‚Stone Butch Blues‚ (deutscher Titel war beim ersten Erscheinen ‚Träume in den erwachenden Morgen‘, inzwischen ist dies nur noch der Untertitel zum Originaltitel), der mehrere Preise queerer Literaturauszeichnungen gewann. Ab 1995 arbeitete zie als AutorIn und KünstlerIn; zie wirkte in Rosa von Praunheims Film ‚Vor Transsexuellen wird gewarnt‚ mit, veröffentlichte 1996 und 1999 Sachbücher – ‚Transgender Warriors: Making History from Joan of Arc to Dennis Rodman‚ und ‚Trans Liberation: Beyond the Pink and Blue‚ – sowie 2006 einen weiteren Roman. Zwischen 2004 und 2008 veröffentlichte das Workers World Magazin ihre Texte zu den Zusammenhängen zwischen Sozialismus und queerer Geschichte als 120-teilige Reihe unter dem Titel ‚Lavender and Red‚. In ihren Arbeiten setzte sich Feinberg generell unter den Gesichtspunkten und Anwendung der marxistischen Theorie mit der Thematik der Diskriminierung aufgrund von Genderidentität und sexueller Orientierung auseinander; nämlich indem das kapitalistische System die binären Genderausdrücke benötigt, um Profit zu generieren.(2)

1992 hatte zie bei einer Vortragsreihe die Lyrikerin Minnie Bruce Platt kennengelernt, mit der zie bis zum Ende ihres Lebens in einer Beziehung lebte. 2004 ließen sie sich in New Jersey, ihrem damaligen Heimatstaat, als ‚domestic partnership‚ (etwa: partnerschaftliche Haushaltsgemeinschaft) eintragen, 2006 als eingetragene Partnerschaft. 2011 heiratete das Paar standesamtlich in Massachusetts und New York.

Zis Borreliose und die begleitenden, von Zecken übertragenen Erkrankungen wie Babesiose wurde erst 2008 diagnostiziert; dies führte zie auf die Diskriminierung von trans Personen im Gesundheitssystem zurück.(1) Zie nahm Medikamente und erhielt Behandlungen, doch zis Zustand hatte sich inzwischen so verschlechtert, dass die Krankheiten zie von künstlerischer Arbeit zumeist abhielt. Zis Auseinandersetzung mit „Lyme +„, wie zie es nannte, dokumentierte zie auf zis Webseite Transgender Warriors. Zis letzte Worte lauteten nach Platts Eintrag auf ihrer Seite: „Hasten the revolution! Remember me as a revolutionary communist.“ – „Beschleunigt die Revolution! Erinnert mich als revolutionäreN KommunistIn.“ Zie war 2014 dabei, ‚Stone Butch Blues‚ für eine Neuerscheinung zu überarbeiten, als zie ihrer Erkrankung erlag. Die Rechte hatte zie vom Verlag zurückerstanden, heute ist die Neuauflage auf der Webseite zum Download zugänglich, mit einer Widmung für CeCe McDonald (Link Englisch), einer US-afrikanischen, Schwarzen trans Frau, die zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, nachdem sie sich gegen einen transfeindlichen Angriff zur Wehr gesetzt hatte.

Zeitweilig in zis Leben unterzog Feinberg sich einer Hormonersatztherapie und präsentierte als Mann, vor allem aus Sicherheitsgründen; zie bezeichnete sich selbst als ‚female bodied, butch lesbian, transgender lesbian‚ – eine Butch transgender Lesbe mit einem weiblichen Körper: „[…] referring to me as „she/her“ is appropriate, particularly in a non-trans setting in which referring to me as „he“ would appear to resolve the social contradiction between my birth sex and gender expression and render my transgender expression invisible. I like the gender neutral pronoun „ze/hir“ because it makes it impossible to hold on to gender/sex/sexuality assumptions about a person you’re about to meet or you’ve just met. And in an all trans setting, referring to me as „he/him“ honors my gender expression in the same way that referring to my sister drag queens as „she/her“ does.(Wiki englisch) – „Mich mit ’sie/ihr‘ zu bezeichnen ist angemessen, insbesondere in einer nicht-trans Umgebung, in dem mich mit ‚er‘ zu bezeichnen den Eindruck machen würde, den sozialen Widerspruch zwischen meinem bei der Geburt zugeordneten Geschlecht und meinem Gender-Ausdruck aufzulösen, und meinen transgender Ausdruck unsichtbar machen würde. Ich mag die genderneutralen Pronomenze/hir‚, weil sie es unmöglich machen, an Annahmen über Gender/Geschlecht/Sexualität festzuhalten bei einer Person, die du bald treffen wirst oder die du gerade getroffen hast. Und in einer reinen trans Umgebung bedeutet, mich mit ‚er/ihm‘ zu bezeichnen, dass mein Genderausdruck anerkannt wird, auf die gleiche Art, wie es bei meinen Drag Queen Schwestern bedeutet, sie mit ’sie/ihr‘ anzusprechen.“

Weiter sagte zie über die Nutzung von Pronomen: “I care which pronoun is used, but people have been respectful to me with the wrong pronoun and disrespectful with the right one. It matters whether someone is using the pronoun as a bigot, or if they are trying to demonstrate respect.”(2) – „Es ist mir wichtig, welche Pronomen benutzt werden, aber Leute waren respektvoll mir gegenüber mit den falschen Pronomen und respektlos mit den richtigen. Es spielt eine Rolle, ob jemensch die Pronomen mit Vorurteilen verwendet, oder ob sie versuchen, Respekt zu zeigen.“


Quellen Biografie: Wiki deutsch | englisch
außerdem:
(1) lesliefeinberg: self (Link Englisch)
(2) Teen Vogue (Link Englisch)

24/2019: Anita Berber, 10. Juni 1899

Als Anita Berber drei Jahre alt war, ließ sich ihre Mutter, eine Chansonsängerin und Kabarettistin, vom Vater, einem Violinisten mit Professur, scheiden, die Tochter wuchs in Folge dessen bei der gutbürgerlichen Großmutter mütterlicherseits in Dresden auf. Sie besuchte Schulen für höhere Töchter, bis sie mit 15 nach Berlin ging. Ihre Mutter war dort inzwischen fest engagiert und brachte sowohl Tochter wie Mutter in eine Wohngemeinschaft mit ihren zwei unverheirateten Schwestern.

Anita trat bald darauf in die Fußstapfen der Mutter und besuchte Schauspiel- und Tanzunterricht, doch schon nach einem Jahr trennte sie sich von ihrem Tanzlehrer, um ihren eigenen Stil zu kultivieren. 1917, mit 18 Jahren, stand sie bereits als Solotänzerin auf den Varieté-Bühnen der Hauptstadt und avancierte innerhalb von zwei Jahren zum Star. Sie nahm erste Filmrollen an und begann wieder, mit einem Ballettlehrer zu arbeiten. Ihr androgyner Look und verruchter Stil prägten die Berliner Frauenmode der Weimarer Republik; als erste Frau in Deutschland trug sie einen Smoking, was sie zur Vorreiterin der Lola im Blauen Engel machte. Nach einer ersten Auslandsreise in die Schweiz, Österreich und Ungarn heiratete sie 1919 in Berlin einen wohlhabenden Offizier.

Ob sie einen Versuch machte, ein geregeltes Leben in den Gesellschaftskreisen ihres Ehemannes zu führen, oder diese Verbindung von vorneherein nur der wirtschaftlichen Versorgung dienen sollte – in jedem Fall verließ sie den Mann, um mit einer Frau zusammenzuleben. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, dass sie 1923 in Ungarn einen zweiten Mann, den homosexuellen Sebastian Droste, heiratete – mit diesem trat sie in den skandalumwitterten Tänze des Lasters, des Grauens und der Extase in Wien auf. Nicht nur lebte die Berber offen homo- bzw. bisexuell, sie schlief Quellen zufolge auch unbefangen gegen Geld mit Männern und machte keinen Hehl aus ihren Drogensüchten. Sie stritt laut und gewalttätig mit Schauspielkollegen und anderen, ließ sich mit Droste und allein nackt von Madame d’Ora fotografieren, zu ihren ebenfalls nackt aufgeführten Tänzen brachten die beiden ein Buch mit Gedichten und Bildern heraus, die ihre Choreographien kommentierten. Aufgrund dieses „unmoralischen“ Lebenswandels wurden mehrfach Versuche unternommen, sie des Landes Österreich zu verweisen; schließlich wurde Droste anlässlich von Vertragsstreitigkeiten des Betrugs für schuldig befunden und kurz nach ihm auch die Berber nach Ungarn ausgewiesen. Droste entledigte die Berber ihres Schmucks und wanderte damit nach New York aus.

Doch schon ein Jahr später, 1924 zurück in Berlin, schloss Berber wiederum eine Ehe mit dem homosexuellen amerikanischen Tänzern Henri Châtin Hofmann, der sie verehrte. Berber drehte weiterhin Filme, trat mit Hofmann in Berliner Varietés auf und stand 1925 Otto Dix Modell für sein Bildnis der Tänzerin Anita Berber (1933 wurde dieses wie der gesamte Dix als entartet diffamiert). Ihr immer exzessiver werdender Lebenswandel führte wahrscheinlich zum Bruch mit ihrem Vater; sie ging daraufhin mit Hofman auf eine Tournee im Nahen Osten, doch ihre Gesundheit hatte zu sehr gelitten. Bei einem Auftritt 1927 in Damaskus brach sie zusammen: Ihr Körper hatte aufgrund des jahrelangen Drogenkonsums einer Tuberkulose (CW Link mit Bildern) nichts entgegenzusetzen. Das Paar machte sich auf den Heimweg, doch gingen in Prag die Mittel aus – Hofmann musste Künstlerkollegen und Freunde um Geld bitten, damit die Berber schließlich nach Berlin zurückkehren konnte. Im November 1928, keine 30 Jahre alt, verstarb Anita Berber.

Einen späten Nachruf auf sie schrieb Klaus Mann 1930 in Die Bühne, ein persönlicher, liebevoller Text, der zudem bereits das schwierige Verantwortungsverhältnis zwischen Stars und ihrem Publikum behandelt. Rosa von Praunheim erzählte ihre Lebensgeschichte in Anita – Tänze des Lasters.

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§218!