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Mit der Hauptrolle in dem Film Resurrection von 1909 erlangte Florence Lawrence mit 23 Jahren als erste Filmschauspielerin und als erste:r Darsteller:in im damals jungen Medium überhaupt eine Fangemeinde. Nach 107 Filmen in den Jahren zwischen 1906 und 1909 – in denen ihr Name wie damals üblich stets unerwähnt blieb – hatte sie in der Rolle des zum Verbrechen verführten Mädchens einen so hohen Wiedererkennungswert, dass begeisterte Zuschauer das Studio Biograph anschrieben, um ihren Namen zu erfahren. Auf diesen ungewöhnlichen Vorgang reagierte das Studio mit wohldurchdachter Vorsicht und betitelte sie schlicht mit The Biograph Girl. Das genügte dann auch für eine ganze Weile – bis der IMP– (später Universal-)Studiogründer Carl Laemmle sie für seinen neuesten Film The Broken Oath damit unter Vertrag lockte, dass er ihren Namen auf den Aushängeschildern der Filmtheater nennen würde.
Der Marketingfuchs Laemmle wusste dann auch daraus Kapital zu schlagen, dass sich seine Zuschauer für seine Hauptdarstellerin interessierten: er inszenierte den ersten publicity stunt der Filmgeschichte. Er ließ durch Kanäle, die nicht leicht zu ihm zurückzuverfolgen waren, verlautbaren, Florence Lawrence sei in New York City von einer Straßenbahn überfahren worden. Nachdem diese Fehlmeldung genug buzz generierte hatte (wie man das heute sagen würde), schaltete er empörte Anzeigen: We nail a lie! Darin ließ er auch gleich vermelden, Florence gehe es nicht nur gut, sondern sie drehe auch gerade einen neuen Film für ihn. Ihr Erfolg als Darstellerin führte zu den Anfängen des Starrummels, der Marketingstrategie und PR in der Filmbranche. Vor allem aber haben es heutige Filmschauspieler ihr zu verdanken, dass sie solche zum Teil unglaublichen Summen an Gage verdienen:
Als das Kino in den Kinderschuhen steckte, verdienten die Darsteller zwar verhältnismäßig gut, aber auch gerade nur so viel, dass sie davon ein Auskommen haben konnten, kein Vergleich zu heutigen Verhältnissen. Ihre Position in der Produktionsbranche war einerseits im eigenen, doch auch im Interesse der Produzenten die eines heimlichen Helfers. Die Darsteller fürchteten um ihre Theaterengagements, sollte es öffentlich werden, dass sie mit dem Schmuddelkind der Thalia spielten; die Produzenten fürchteten – berechtigt, wie man sieht – ein Ansteigen der Gagen, sollten die Darsteller die Unabdingbarkeit ihrer Anwesenheit erkennen und demzufolge Forderungen stellen.
Florence Lawrence tat genau dies, als klar wurde, dass ihr Gesicht und später ihr Name Eintrittsgelder einbrachten. Leider konnte sie ihre Karriere nicht so vielversprechend fortführen, wie sie begonnen hatte, doch auch damit war sie Pionierin: Sie wurde die erste has-been und das erste Opfer des Syndroms des Vergangenen Ruhms. Nach einem Unfall am Set, der zu einem schweren Rückenleiden führte, mehreren gescheiterten Ehen und dem Versuch, an alte Erfolge anzuknüpfen, eröffnete sie einen Schönheitssalon, litt inzwischen jedoch an Osteomyelofibrose und nahm sich 52jährig das Leben mit Ameisengift.
Ihre Geschichte ist nicht nur in dieser Hinsicht eng verknüpft mit dem Phänomen Hollywood. Es war Carl Laemmle, der als einer der ersten mit seiner Filmproduktion an die Westküste, nach Hollywood, zog. An der Ostküste nämlich beherrschte Thomas Edison mit seinem Oligopol Motion Picture Patents Company (Edison Trust) die Filmbranche und erschwerte unabhängigen Filmemachern die Arbeit. Diese hatten durch Edison Lizensierungssystem keine Möglichkeit, mit den von ihm entwickelten Kameras zu arbeiten, und Edison übte gewaltigen Druck auf die Studios, die Verleiher und Filmtheater an der Ostküste aus, seine Gesellschaft als alleinige Macht in der Filmbranche zu akzeptieren – juristisch und, wenn nötig, auch mit Schlägertrupps. Währenddessen genoss D.W. Griffith, der 1908 an die 60 Filme mit Florence Lawrence bei Biograph Studios gedreht hatte, die Freiheit und Weitläufigkeit der Fläche, die Hollywood damals darstellte. Die Existenz des künstlerischen und klimatischen Paradieses sprach sich herum, und so wurden in Hollywood immer mehr Studios gegründet, ihre Angestellten und Darsteller mit sich ziehend. In Hollywood war nicht nur beständig schönes Wetter: Man war auch so weit wie innerhalb der Landesgrenzen möglich entfernt von Edison und seinen Schergen (außerdem war das Exil Mexiko nicht weit, sollte tatsächlich ein Gerichtsprozess angestrengt werden und zum negativen Ende kommen).
Alles, was Hollywood jetzt ist, hängt in irgendeiner Form mit Florence Lawrence zusammen. Allein das macht sie interessant; sie bringt so viele filmgeschichtliche Assoziationen auf, dass ich sie gar nicht alle aufführen kann.
Um wenigstens ein bisschen weiterzulinken: Florence auf der Seite der Biograph Company, bei Queens of Vintage, ein einminütiger Film über sie bei histori.ca und eine Kurzbiographie sowie ein Foto ihres Grabsteins (gespendet von Roddy MacDowall) bei cemeteryguide.
Bild: By Unknown – http://www.probertencyclopaedia.com/browse/CZF.HTM, Public Domain