Schlagwort: türkei

25/2020: Muazzez İlmiye Çığ, 20. Juni 1914

Die Eltern von Muazzez İlmiye Çığ stammten beide aus Familien von Krimtataren, die in die Türkei ausgewandert waren; die Familie ihres Vaters lebte in Merzifon, die ihrer Mutter in Bursa, wo auch Muazzez İlmiye zur Welt kam. Einige Wochen nach ihrer Geburt begann der Erste Weltkrieg, und als das Osmanische Reich an dessen Ende aufgeteilt wurde und griechische Truppen einmarschierten, flohen Muazzez‘ Eltern mit ihr zunächst nach Izmir, später nach Çorum.

Nachdem sie dort die Grundschule abgeschlossen hatte, bestand sie mit 12 Jahren die Aufnahmeprüfung einer Schule für angehende Lehrerinnen in Bursa; nach fünf Jahren machte sie dort ihren Abschluss. Danach erhielt sie eine Anstellung als Lehrerin in Eskişehir, wo auch ihr Vater arbeitete, später kehrte sie nach Bursa zurück.

Im Rahmen seiner Reformen hatte Mustafa Kemal Atatürk an der Universtiät Ankara eine Fakultät für Sprache, Geschichte und Geografie (der Türkei?) gegründet, an der ausdrücklich auch weibliche Studentinnen erwünscht waren. İlmiye bewarb sich 1938 und wurde für den Studiengang der Altertumswissenschaft angenommen. Ihre Professoren in diesem Fachbereich waren unter anderem Hans Gustav Güterbock und Benno Landsberger, beides deutsche Juden, die vor dem Faschismus in die Türkei geflohen waren. Neben Sumerologie studierte Muazzez İlmiye auch Hethitologie und Deutsch, das Studium schloss sie 1940 ab. Im gleichen Jahr heiratete sie Kemal Çığ, den Direktor des Topkapi Museums in Istanbul, wo Muazzez İlmiye Çığ am Archäologischen Museum eine Aufgabe für die weiteren Jahrzehnte fand. 75.000 sumerische Tontafeln in Keilschrift lagerten in den Beständen des Museums, bis dahin noch nicht übersetzt oder eingeordnet. Gemeinsam mit Samuel Noah Kramer restaurierte und übersetzte sie die Tontafeln und veröffentlichte die Ergebnisse. Im Laufe der Jahre wurde dank ihrer Arbeit das Museum zu einem Lehrzentrum für die Sprachen des Nahen Ostens.

Mit 92 Jahren erlangte die Sumerologin weltweite Öffentlichkeit, nachdem sie in ihrem Buch ‚Fruchtbarkeitskulte und Heilige Prostitution‘ (Bereket Kültü ve Mabet Fahişeliği/Cult of Fertility and Holy Prostitution) die These aufgestellt hatte, dass das Kopftuch im Islam – oft als Zeichen von Keuschheit und Züchtigkeit gewertet – möglicherweise auf den Kopfschmuck sumerischer Tempelhuren zurückginge (deren Existenz inzwischen allerdings grundsätzlich angezweifelt wird). Sie wurde daraufhin der Beleidigung des Islam angeklagt, jedoch freigesprochen, was internationale Beachtung fand.

In diesem Interview vom 13. Mai 2020 erscheint die inzwischen 106-jährige noch sehr kregel, leider ist es nur in türkischer Sprache ohne deutsche Untertitel verfügbar.

TEDxtalks: Gespräch mit Muazzez İlmiye Çığ im Mai 2020

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Ebenfalls diese Woche

16. Juni 1902: Barbara McClintock
Die amerikanische Zytogenetikerin entdeckte die „springenden Gene“ im Mais und gewann dafür als dritte Frau – nach dreimaliger Nominierung – endlich 1983 den Nobelpreis für Physiologie und Medizin.

20. Juni 1919: Isabella Abbott (Link Englisch)
Als erste Kanaka Maoli mit einem Doktortitel in Naturwissenschaft wurde die Ethnobotanikerin eine Expertin für die Algen im Pazifik.

21. Juni 1927: Ye Shuhua (Link Englisch)
In den 1960er Jahren gelang der chinesischen Astronomin eine der präzisesten Messung der Universal Time.

21/2019: Eren Keskin, 24. Mai 1959

Tochter eines Kurden und einer Tscherkessin, ist Eren Keskin seit 1986 in Istanbul als Anwältin für Menschenrechte tätig, insbesondere der Kurden und Frauen. Sie rief 1997 ein Rechtshilfeprojekt für Frauen ins Leben, die von staatlichen Sicherheitskräften vergewaltigt oder auf andere Weise sexuell misshandelt wurden.

Ihr Engagement brachte ihr zeitweise Berufsverbot ein, Morddrohungen und Strafverfahren, zwischen 1994 und 2018 nach Keskins eigenen Aussagen über 140. Mehrfach wurde sie zu Gefängnisstrafen verurteilt: Dafür, in einem Brief an das belgische Parlament das Wort ‚Kurdistan‘ verwendet zu haben; wiederholte Male für einen Verstoß gegen den Artikel 301 des türkischen Strafgesetzbuches, der die „Beleidigung des Türkentums, der Republik und der Institutionen und Organe des Staates“ unter Strafe stellt. Zuletzt erging ein Urteil, das sie zu 7,5 Jahren Gefängnis verurteilte, für einen Zeitungsartikel, mit dem sie wiederum den Präsidenten der Türkei beleidigt haben soll. Derzeit rechnet sie jeden Tag mit ihrer Verhaftung, kann aber aufgrund eines Ausreiseverbotes die Türkei nicht verlassen.

12/2018

2. Dezember 1083: Anna Komnena

Die Tochter des byzantinischen Kaisers Alexios I. Komnenos mit dessen Frau Irene Dukaina kam als ältestes von sieben Kindern in der Porphyra zur Welt, dem aus rotem Gestein erbauten Gebäude innerhalb des Großen Palastes in Konstantinopel, das für die Geburten der kaiserlichen Nachkommen vorbehalten war. (Es ist nicht klar zu benennen, ob der Begriff der Purpurgeburt – einer Geburt innerhalb der Herrschaft des Vaters – auf dieses Gebäude zurückgeht oder ob das Gebäude deshalb aus purpurem Gestein gebaut wurde, weil diese Farbe die kaiserliche Herrschaft symbolisierte.)

Direkt nach der Geburt wurde sie mit Konstantin Dukas verlobt, der als Sohn des Michael VII. zu diesem Zeitpunkt noch Mitkaiser und Thronfolger war. Diese Verbindung sollte vor allem die Rechtmäßigkeit der Herrschaft Alexios‘ I. untermauern, der den Thron vom Vorgänger usurpiert hatte; die adelige Dukas-Familie hatte mehrere byzantinische Kaiser gestellt. Wie für ihre Kultur üblich, wuchs Anna im Haus ihrer Schwiegermutter auf – Maria von Alanien, der pikanterweise ein Verhältnis mit Alexios I. nachgesagt wird. Als jedoch Annas Bruder Kaloioannes geboren wurde, gab es einen blutsverwandten Thronfolger: Alexios I. entzog Konstantin die Regentschaft und schickte Maria von Alanien ins Kloster (möglicherweise auch, weil sie Intrigen spann, ihn zu entmachten). Konstantin nahm diese Entscheidungen nicht übel und zog sich dem Kaiser weiterhin wohlgesonnen nach Zentralmakedonien zurück.

Anna wurde entgegen den eigenen Vorstellungen mit Nikephoros Bryennios, einem Militär und Geschichtsschreiber, verheiratet. Sie genoss eine ausführliche Bildung in Naturwissenschaften, Philosophie und Musik und war mehr an eigenen Projekten interessiert als an der Ehe. Ihr Vater hatte ihr die Leitung eines Krankenhauses und Waisenhauses anvertraut und sie unterrichtete dort auch; außerdem war sie eine Expertin für Gicht und pflegte ihren daran erkrankten Vater. Von ihren Lehrern und Zeitgenossen wurde sie als gebildete und intelligente Person hoch geschätzt.

Nicht ganz so uninteressiert war sie jedoch an ihrem eigenen Status, da sie gegen ihren Bruder und, seit dem Alter von fünf Jahren, offiziellen Thronfolger Kaloioannes („der schöne Johannes“) eine Abneigung pflegte und mit ihrer Mutter darauf hinarbeitete, ihm den Thron vorzuenthalten. Über die Weigerung ihres Mannes, gegen den inzwischen bettlägerigen Kaiser Alexios I. und seinen Thronfolger zu intrigieren, klagte sie, ihre Geschlechter seien vertauscht, da er von ihnen beiden die Frau hätte sein sollen. Kaloioannes erhielt jedoch – auf welche Weise auch immer – den Siegelring seines Vaters und wurde nach dessen Tod zum Kaiser gekrönt. Obwohl Anna und ihre Mutter erneut versuchten, Nikephoros zur Usurpation zu bewegen, scheiterte ihr Vorhaben und Kaloioannes verbannte die beiden Frauen in Kloster.

In dieser politisch stillgelegten Situation übernahm sie, nachdem ihr Mann starb und ein unvollständiges Werk über die byzantinische Geschichte hinterließ, die Geschichtsschreibung über die Regierungszeit ihres Vaters. Vieles in der 15 Bücher starken Alexiade konnte sie nur aus Erzählungen und Augenzeugenberichten zusammentragen, wobei sie natürlich vor allem das gute Bild ihres Vaters als Befehlshaber und Kaiser im Sinn hatte. Dennoch ist ihr Werk historisch unschätzbar wertvoll, da es die einzige Nacherzählung des Ersten Kreuzzuges aus Sicht der Byzantiner darstellt.

Anna Komnena starb in den frühen 50er Jahren des 12. Jahrhunderts und hinterließ mit der Alexiade ein auch literarisch hochwertiges Geschichtswerk, in dem sie in attischem Griechisch, mit Zitaten aus der Bibel und von Homer gespickt, nicht nur historische Ereignisse schildert, sondern auch Einblicke in ihre eigene Gedanken- und Gefühlswelt gibt.

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8. Dezember 1880: Rokeya Sakhawat Hussain

Geboren wurde Rokeya mit dem Nachnamen Khatun in dem Teil von Britisch-Indien, das heute Bangladesch ist. Ihre Eltern waren wohlhabende, gebildete Moslems und zogen es vor, Persisch oder Arabisch zu sprechen, Bengalisch war zwar die Sprache der Massen, aber eben darum auch in der Oberschicht verpönt. Als ihre ältere Schwester Karimunnesa, später ebenfalls Schriftstellerin, Bengalisch studieren wollte, untersagten ihre Eltern dies; der älteste Bruder Ibrahim jedoch unterrichtete seine beide Schwesten in der Sprache und hatte damit großen Einfluss auf ihre Entwicklung und ihren Erfolg.

Mit 16 heiratete Rokeya Khan Bahadur Sakhawat Hussain, einen Friedensrichter, der selbst Urdu, die „Sprache des gebildeten Hofes“ sprach. Wie ihr älterer Bruder, so ermunterte sie auch ihr Mann in ihrer Bildung und literarischen Entwicklung. Auf seinen Vorschlag hin schrieb sie ihr erstes Buch, „Pipasa“ (Durst), auf Bengalisch, sodass sie eine breite Bevölkerung erreichen konnte. Unter anderem schrieb sie danach ein Buch namens Sultanas Traum, das sich von seiner Zusammenfassung liest wie eine frühere, bengalische Version von Gerd Brantenbergs „Töchter Egalias“: die Geschlechtervorzeichen sind verdreht, die Frauen das dominierende Geschlecht.

Nach 13 Jahren Ehe starb ihr Mann. Zu Lebzeiten hatte er ihr ermöglicht, Geld für eine Schule zur Seite zu legen, an der sie muslimische Mädchen unterrichten könnte. Nach seinem Tod schritt sie zur Tat und gründete das Sakhawat-Denkmal-Mädchengymnasium in der Heimatstadt ihres Mannes Baghalpur. Nach Erbstreitigkeiten mit der Familie ihres Mannes musste sie die Schule aus dem urdusprachigen Gebiet in die bengalische Stadt Kolkata verlegen; dort ist die Schule noch heute eines der beliebtesten Gymnasien der Stadt.

Sakhawat Hussain schrieb neben ihren Romanen auch vielseitige Formate zur Verbreitung ihres islamischen Feminismus. Sie legte besonderes Augenmerk auf die Unterdrückung bengalischer Frauen und vertrat die Ansicht, dass Frauen Allah am besten die Ehre erweisen könnten, wenn sie sich ganz als Person entfalten dürfen. Nur mit der freien Berufswahl der Frauen könnte die Entwicklung der gesamten muslimischen Bevölkerung des indischen Subkontinents voranschreiten. Sie gründete den Anjuman-e-Khawateen-e-Islam, den islamischen Frauenverband, der sich mit Konferenzen und Podiumsdiskussionen für diese Sache einsetzte.

Sie starb mit auf den Tag 52 Jahren an einem Herzleiden. Ihr Todestag, der 9. Dezember, wird in Bangladesch zu ihren Ehren gefeiert.

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15. Dezember 1948: Patricia Cowings

Die afroamerikanische Tochter eines Lebensmittelhändlers und einer Kindergärtnerin kam in der Bronx (New York) zur Welt, zu einem Zeitpunkt, als diese sich von einem Bezirk der Mittelschicht in ein Arbeitviertel verwandelte. In den 1960er Jahren, als Cowings schulpflichtiger Teenager war, galt die Bronx dann als sozialer Brennpunkt und war berüchtigt für ihre hohe Kriminalitätsrate. Cowings Eltern legten daher als Ausweg aus diesem Umfeld großen Wert auf ihre schulische Bildung. Sie entdeckte früh ihre Liebe zu den Naturwissenschaften und studierte Psychologie, später auch Psychophysiologie an einer Universität in New York; ihre Tante, die einen Doktortitel innehatte, inspirierte und motivierte sie dabei, sodass auch Cowings schließlich mit einem Doktortitel abschloss.

In einem Ingenieurskurs, der den Aufbau des Space Shuttles zum Inhalt hatte, machte sie mit ihren spezifischen Beiträgen aus psychologischer Sicht Eindruck, und entdeckte sie ihre Begeisterung für die Raumfahrt. Sie wurde als erste Afroamerikanerin als Wissenschaftsastronautin ausgebildet, kam aber nie zum praktischen Einsatz. Stattdessen jedoch trug sie maßgeblich zur Verbesserung der Gesundheit von Astronauten bei: Sie entwickelte erfolgreich ein System autogenetischer Feedback-Übungen (AFTE, autogenetic feedback training exercises), mit dem die Menschen in der Schwerelosigkeit innerhalb von sechs Stunden lernen konnten, bis zu 20 Körperfunktionen zu erkennen und zu beeinflussen, die für die Raumkrankheit verantwortlich sind. Mit Hilfe dieser Übungen können die Astronauten die unangenehmen Symptome wie Übelkeit, Schwindel und Ohnmacht vermeiden.

Cowings Übungssystem hilft inzwischen auch Krebspatienten, die unter Chemotherapie mit den gleichen Nebenwirkungen zu kämpfen haben.

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19. Dezember 1875: Mileva Marić

Als Kind wohlhabender Eltern in Titel, damals Österreich-Ungarn, heute Serbien, genoss Marić eine gute schulische Ausbildung, die ihr Vater während mehrer Orts- und Schulwechsel besonders förderte. Vor allem ihre Noten in Mathematik und Physik waren ausgezeichnet. Nach einer Krankheit, die sie in der Schweiz auskurierte, legte sie mit 21 Jahren in Bern ihre Matura ab und begann ein Medizinstudium in Zürich. Nach einem Semester jedoch wechselte sie an das Polytechnikum, um dort als einzige Frau ihres Jahrgangs Mathematik und Physik zu studieren. Sie besuchte die gleichen Kurse wie Albert Einstein, mit dem sie sich bald anfreundete. Während er seine zweite Diplomprüfung bestand, fiel sie beim ersten Versuch durch – beim zweiten Versuch, ein Jahr später, war sie im ersten Trimester mit Einsteins Tochter schwanger und fiel erneut durch. Für die Geburt von „Lieserl“ kehrte sie in die Vojvodina zurück; das Kind erlitt dort mit einem Jahr eine Scharlacherkrankung, über ihr weiteres Schicksal herrscht Unklarheit.

Zurück in der Schweiz, heiratete Marić Einstein, obwohl seine Familie sie ablehnte. In den folgenden elf Jahren gebar Marić Einstein zwei Söhne und folgte ihm an jeden Ort, an den ihn sein Lehrberuf verschlug. Doch schon bevor sie ihn 1914 auch nach Berlin begleitete, hatte er einen Briefwechsel und wahrscheinlich auch eine Affäre mit seiner Cousine Elsa begonnen – die auch seiner Familie eine lieber gesehene, weil standesgemäße Partnerin war. Die räumliche Nähe des unfreiwilligen Liebesdreiecks führte bald zum Bruch und Marić kehrte mit ihren beiden Söhnen nach Zürich zurück. Aber erst fünf Jahre später, nachdem Einstein ihr das Preisgeld des Nobelpreises zusicherte, den bald gewinnen würde, willigte Marić in die Scheidung ein. Nur wenige Monate danach heiratete Einstein in Berlin Elsa, obwohl das Züricher Gericht, das die Scheidung rechtskräftig erkläret hatte, ihm eine zweijährige Heiratssperre auferlegt hatte.

Mit dem Geld des Nobelpreises, den Einstein tatsächlich 1922 gewann, erwarb Marić drei Mietshäuser; in einem davon lebte sie, die anderen dienten dem Unterhalt. Doch als ihr Sohn Eduard 1932 mit Schizophrenie diagnostiziert wurde, schmolzen ihre Ressourcen bald dahin: Sie musste zwei Häuser verkaufen, eines überschrieb sie ihrem Ex-Ehemann, behielt aber die Vollmacht darüber. Einstein sorgte zwar, inzwischen in den USA lebend, weiterhin für seinen Sohn und sie, doch es reichte nur für bescheidene Verhältnisse. Marić starb mit 72 in einer Züricher Privatklinik.

Während Marić selbst keine wissenschaftlichen Arbeiten hinterließ, ist umstritten, wie sehr sie an den Arbeiten Einsteins beteiligt war, die ihn ihm Wunderjahr 1905 berühmt machten. Die Vermutung basieren vor allem auf den Formulierungen von „unserer Arbeit“, die Einstein in Briefen verwendet, sowie darauf, dass der Name des Autors dreier der Arbeiten, deren Originale verschollen sind, Einstein-Marity (der ungarischen Form von Marić) lautete. Beweisen lässt es sich nicht, doch sind einige Vorlesungsunterlagen Einsteins in Marićs Handschrift verfasst. Schließlich ist es nicht unmöglich, dass eine Frau, die selbst offensichtlich so interessiert und gebildet in Mathematik und Physik war wie Marić, zumindest als verständige Zuhörerin und ebenbürtige Gesprächspartnerin an der Entstehung seines Genies in immaterieller Form beteilig war. Im Einklang mit diesem Gedanken wurde Mileva Marić 2005 von ihrer ehemaligen Hochschule, inzwischen die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich und der Gesellschaft zu Fraumünster als „Mitentwicklerin der Relativitätstheorie“ geehrt.

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23. Dezember 1983: Máret Ánne Sara

Die samisch-norwegische Künstlerin nahm 2017 an der documenta 14 teil, mit einer Weiterentwicklung ihrer ersten Installation, „Pile o’Sápmi“: Einer Installation aus Rentierschädeln mit Einschusslöchern. Der erste „Pile o’Sápmi“ entstand 2016, kurz bevor ihr Bruder vom Obersten Gerichtshof in Norwegen gezwungen wurde, sein Rentierzucht per Tötung zu reduzieren. Die Rentierzucht gehört traditionell zur Lebensweise der Samen und wird von der norwegischen Regierung stark reguliert – aufgrund der Überweidung der Finnmark, sagt die Regierung, wegen der Gier nach Bodenschätzen, die gehoben werden können, wenn keine Rentiere mehr dort weiden, sagt Saras Bruder.

Der Titel des Werkes nimmt Bezug auf ein Foto (Link englischsprachig), das einen Berg Büffelschädel zeigt, den Cree-Indianer im kanadischen Regina zusammengetragen hatten. Sie zog damit die Parallele zwischen der Vertreibung der amerikanischen Ureinwohner und der Unterdrückung der Samen in den Gesellschaften der Länder, über deren Gebiet sich der Lebensraum der Samen erstreckt.

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26. Dezember 1926: Marija Atanassowa

Kurz und knackig zum Schluss: Die Bulgarin war die erste Zivilpilotin ihres Landes, die erste weibliche Kapitänin für schwere Flugzeugtypen und die erste Frau, die ein Verkehrsflugzeug auf dem Flughafen London Heathrow landete.

10/2018

10. Oktober 1928: Leyla Gençer

Die Tochter eines türkischen Vaters und einer polnischen Mutter wuchs auf der kleinasiatischen Seite Istanbuls auf; sie begann eine Gesangsausbildung am Konservatorium von Ankara, brach diese jedoch ab und setzte den Gesangsunterricht privat fort. Sie war mit einem Banker verheiratet und sang zunächst als Chorsängerin am Türkischen Staatstheater.

1953 begann sie ihre Karriere in Neapel, nur vier Jahre später sang sie zum ersten Mal an der Mailänder Scala. Bis zum Jahr 1987 trat sie an der Scala in 19 Rollen auf und baute ihr Repertoire auf über 70 Partien aus. Die „türkische Diva“ sang Hauptrollen in den USA und Europa, unter den berühmtesten Dirigenten ihrer Zeit. Besondere Erfolge feierte sie mit ihren Interpretationen von Donizetti, einem zwischenzeitlich in Vergessenheit geratenen Komponisten des Belcanto.

Nach dem Ende ihrer Bühnenkarriere war Gençer noch vielseitig in der Opern- und Musikbranche tätig. Ihr zu Ehren findet seit 1996 der Leyla Gençer Gesangswettbewerb statt. Die Sängerin starb 2008 80jährig an Herzversagen, ihre Asche wurde wunschgemäß in den Bosporus verstreut.

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12. Oktober 1873: Nadezda Petrović

Die serbische Malerin des Expressionismus und Fauvismus nahm anfangs privaten Zeichenunterricht in Belgrad. 25jährig kam sie nach München und wurde zunächst Schülerin des slowenischen Malers und Lehrers Anton Azbe; Petrović liebte alles Russische und besuchte auch den Salon von Marianne von Werefkin, wo sie russischen Künstlern begegnete. Ihre Vorliebe für die farbenfrohe russische Kunst brachte sie als Schülerin zum „Farbenfürst“ Julius Exter nach Übersee am Chiemsee.

Petrović vereinte ihre lebenslange Treue zum Azbe-Stil mit der Farbigkeit des Expressionismus. Sie reiste als Künstlerin durch ganz Europa und stellte in den 1910er-Jahren mehrfach in Paris aus. In ihrem Heimatland Serbien ist sie auch aufgrund ihres politischen Engagements beliebt: Sie unterstützte die Bevölkerung in Mazedonien in den türkischen Pogromen und gründete die erste serbische Künstlerkolonie. In den Balkankriegen und dem Ersten Weltkrieg malte sie in ihrer Heimat Landschaft, Soldaten und Bauern, verpflichtete sich jedoch auch als freiwillige Krankenpflegerin. Im Rahmen dieser Tätigkeit zog sie sich den Flecktyphus zu und verstarb 43jährig in einem Lazarett.

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14. Oktober 1938: Farah Pahlavi

Die spätere Ehefrau des iranischen Schahs wurde als Tochter eines aserbaidschanisch-stämmigen Offiziers in Teheran geboren, der starb, als sie zehn Jahre alt war. Farah Diba besuchte in Teheran zunächst eine italienische, später zwei französische Schulen; mit 19 Jahren schrieb sie sich in Paris an einer Hochschule für Architektur ein.

Da viele iranische Studenten staatliche Unterstützung in ihren ausländischen Studien erhielten, wurden stets einige in die Botschaft geladen, wenn der Schah dort weilte. Im Rahmen eines solchen Treffens lernte Farah Mohammed Reza Pahlavi Shah kennen. Es erfolgten einige weitere Treffen, bis nach etwa einem halben Jahr die Verlobung des Schah mit dem 19 Jahre älteren Monarchen bekanntgegeben wurde. Farah wurde die dritte und letzte Ehefrau des iranischen Staatsoberhauptes und schenkte ihm in zehn Jahren vier Kinder.

Nach der Hochzeit war ihr Titel zuerst Malakeh, aus dem Arabischen für „Königin“. Zwei Jahre, nachdem sie durch die Ehe diesen Titel erhalten hatte, erhöhte der Schah per Dekret ihre Stellung: Er verlieh ihr den Titel Schahbanu, Persisch für „Gemahlin des Schah“. Damit betonte er nicht nur ihre persische Herkunft, sondern wertete ihre Position – und damit intediert die Stellung der Frau in der iranischen Gesellschaft – auf eine der Gleichberechtigung nähere.

Farah Pahlavi Schahbanu setzte sich in ihrer politischen Position vielseitig für die Menschen und die Kultur im Iran ein, mit einem Büro, das sich in vier Themenbereich engangierte: Medizin und Gesundheit, Bildung und Erziehung, Kunst und Kultur udn Soziale Angelegenheiten. So gründete sie z. B. als erste ein Dorf, in dem Leprakranke und ihre Familien nicht nur medizinisch versorgt, sondern auch gesellschaftlich rehabilitiert wurden – bis dahin führte die Erkrankung zur lebenslänglichen Verbannung nicht nur des Betroffenen, sondern auch derer Familien aus dem heimatlichen Verbund. Gesellschaften unter ihrer Schirmherrschaft verbesserten die Versorgung von Krebskranken, Brandopfern, Kindern und die Zusammenarbeit mit der WHO. Farah Pahlavi gründete mehrere Waisenhäuser, Fachschulen und Institutionen für die Teilhabe von körperlich Beeinträchtigten; die ehemalige Pfadfinderin förderte auch die Organisation der Pfadfinderinnen im Iran. Außerdem förderte sie mit Schrimherrschaften die Literatur, das Theater und Museumslandschaft im Iran, insbesondere mit Fokus auf Kinder und die persische Sprache. Farah unternahm Inspektionsreisen in abgelegene Gebiete ihres Landes und begleitete ihren Mann bei Staatsbesuchen rund um die Welt, unter anderem auch den 1967 in Deutschland.

Im gleichen Jahr, 1967, war Farah Pahlavi mit ihrer Schwägerin, der Zwillingsschwester ihres Mannes, an einer Veränderung des Familienrechts beteiligt. Sie selbst wurde von ihrem Mann ein weiteres Mal in ihrer Stellung gehoben: Sie wurde zur Vizekönigin und das Mindestalter, in dem der Sohn des Schah würde regieren dürfen, wurde auf 20 angehoben – Farah wurde damit in Abwesenheit oder im Todesfall des Schahs zur gleichberechtigten Übergangs-Regentin. Dies war ein umwälzender Schritt für die Gleichstellung der Frau in der iranischen Gesellschaft. Die gleichzeitige Gesetzesänderung, dass Frauen das Recht zur Scheidungseinreichung verliehen wurde und Männer sich nicht mehr ohne Angabe von Gründen von ihren Frauen scheiden lassen konnten, sowie die Einwilligung der ersten Ehefrau und einen Nachweis für die Versorgungsicherung benötigten, um eine Zweitfrau zu heiraten, sollte diese fortschrittliche Entwicklung zementieren. Der Ajatollah Chomeini, damaliger religiöser Führer des Islam im Iran, war alles andere als begeistert; dieser Schritt nach vorn verstärkte die gegenläufige Reaktion und trug zur Spaltung des Landes bei, die in der Islamischen Revolution und schließlich dem Sturz des Schahs 1979 ihren Höhepunkt fand.

Nachdem der Schah und seine Frau den Iran verlassen hatten, suchten sie an verschiedenen Stellen sowohl Exil wie auch medizinische Versiorgung für die Krebserkrankung des Monarchen. Einige Politiker, die sie vor kurzem noch als Staatsgäste empfangen hatten, wiesen sie nun ab. Nach Aufenthalten in Ägypten, Marokko, den Bahamas und Mexiko wurde der Schah einige Zeit in amerikanischen Krankenhäusern behandelt; es folgten weitere Aufenthalte in Panama und wiederum Ägypten, wo der Schah 1980 an den Folgen des Krebs verstarb.

Farah Pahlavi lebt derzeit abwechselnd in Frankreich und den USA, sie engagiert sich weiterhin bei der UNESCO für Kinderbildung. Zwei ihrer Kinder musste sie nach Selbstmorden beerdigen: Ihre jüngste Tochter nahm 2001 31jährig Schlaftabletten und Kokain, ihr jüngster Sohn erschoss sich 2011 mit 44 Jahren.

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21. Oktober 1925: Celia Cruz

Celia ‚Azúcar‘ Cruz gilt als Queen of Salsa, „la reina de salsa“. In einfachen Verhältnissen in Havana, Kuba, aufgewachsen, begann sie eine Ausbildung zur Lehrerin, um einen „anständigen“ Beruf zu haben, doch sang sie schon seit ihrer Kindheit und hoffte auf eine wirtschaftlich und sozial vielversprechendere Zukunft als Sängerin. Sie gewann in zahlreichen Gesangswettbewerben, doch ihren wirklichen Durchbruch schaffte sie mit 25, als die vorherige Sängerin der kubanischen Band Sonora Matancera in ihre Heimat Puerto Rico zurückkehrte. Die Band gab Celia Cruz eine Chance und stand bald im Schatten ihres Ruhms.

Celia befand sich mit der Band gerade in Mexiko, als Fidel Castro 1959 auf Kuba die Macht ergriff, und sie blieben alle im Exil. Castro verbot Cruz zwei Jahre später sogar die Einreise zur Beerdigung ihrer Mutter. Cruz wurde amerikanische Staatsbürgerin und feierte in den USA und Mexiko Erfolge, die ihr auch gelegentliche Ausflüge ins Filmfach gewährten. Sie gewann im Laufe ihres Lebens drei Grammys und vier Latin Grammys.

Sie starb 2003 mit 77 Jahren an den Folgen eines Hirntumors.

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27. Oktober 1922: Ruby Dee

Die afro-amerikanische Schauspielerin wuchs in Harlem auf, wo ihre Eltern nebenbei eine Pension für afro-amerikanische Reisende betrieben, die nicht in „weißen“ Hotels aufgenommen wurden. Sie spielte bereits in der Highschool Theater und während des College am American Negro Theater in Harlem, wo sie schon früh mit späteren Stars wie Sidney Poitier und Harry Belafonte auf der Bühne stand. Von dort erarbeitete sie sich ihre Karriere über Off-Broadway-Produktionen an den Broadway. Sie besuchte das Actors Studio unter Lee Strasberg und erreichte über erste Produktionen afro-amerikanscher Filme auch Hollywood. Sie spielte bis zum Ende ihres Lebens in Theater und Filmen, unter anderem in mehreren Werken von Spike Lee. Mit 83 Jahren erhielt sie ihre einzige Oscarnominierung für ihre Rolle als Denzel Washingtons Mutter in American Gangster; sie ist die einzige im 21. Jahrhundert für diese Auszeichnung nominierte Person, die auch bereits gestorben ist.

Gemeinsam mit ihrem zweiten Ehemann Ossie Davis galt Ruby Dee als „Erstes Ehepaar der Bürgerrechtsbewegung“. Die beiden waren mit ihren Schauspielkollegen politisch aktiv und mit den Bürgerrechltern Martin Luther King Jr. und Malcolm X befreundet. Noch bis ins hohe Alter nahm sie an politischen Kundgebungen und Demonstrationen teil und betrachtete ihre prominente Stellung as Schauspielerin als Möglichkeit, für die Rechte der afro-amerikanischen Bevölkerung einzutreten.

Ruby Dee starb mit 91 Jahren; die Lichter am Broadway wurden am Freitagabend nach ihrem Todestag für eine Minute gedimmt, um ihrer zu gedenken.

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28. Oktober 1879: Luisa Capetillo

Luisa Capetillo wurde in Puerto Rico geboren, als Tochter eines Basken und einer Korsin, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben auf die karibische Inselgruppe ausgewandert waren. Liberal erzogen und von den Eltern im Lesen und Schreiben unterrichtet, fand sie ihre erste berufliche Beschäftigung als Vorleserin in einer amerikanischen Zigarrenfabrik – sie las dort den Arbeitern Zeitungen und Romane vor. Über diese Tätigkeit kam sie auch in Kontakt mit Gewerkschaften.

Geprägt von den philosophischen und literarischen Vorlieben ihrer Eltern, las sie Tolstoy, Zola und Hugo; in Kombination mit der harschen Realität ihrer kolonialen Umgebung entwickelte sie sich zur Anarchistin und weiblichen Stimme der Arbeiterbewegung. Sie beteiligte sich zwar nicht an Organisationen der Frauenrechtsbewegung, aber dies nur, weil sie der Meinung war, diese müsse eingebunden werden in den Klassenkampf. 1904 veröffentlichte sie ihr eigenes Essay, „Mi Opinión“, in dem sie die Frauen des Proletariats aufforderte, für ihre Rechte – als Frauen und als Arbeiterinnen – zu kämpfen. Mit der Veröffentlichung dieses Textes in Gewerkschaftszeitungen und der Teilnahme an Arbeiterstreiks gelangte Capetillo bald an die Spitze der FLT (Federación libre de trabajadores), der puerto-ricanischen Arbeiterbewegung, und setzte sich in dieser Position für die Bildung und Rechte der Arbeiterfrauen ein. Mit ihrer Überzeugungsarbeit für das Frauenwahlrecht gilt sie als die erste Suffragette Puerto Ricos.

Zwischen 1912 und 1919 wirkte sie mit an Streiks der Tabakarbeiter in New York und Tampa (FL), außerdem schrieb sie weiterhin Essays und brachte ihr erstes Werk ein weiteres Mal heraus. 1915 wurde sie auf Kuba verhaftet, weil sie Hosen trug – damals für Frauen eine tatsächliche Straftat. Sie hatte bereits vor ihrer politischen Tätigkeit mehrere Kinder bekommen, ohne verheiratet zu sein, und war auch Verfechterin der „freien Liebe“ in dem Sinne, dass Frauen sich ihre Partner frei wählen können sollten.

In den Jahren vor ihrem Tod durch Tuberkulose 1922 war sie 1916 und 1918 noch einmal an den größten Arbeiterstreiks der puertoricanischen Geschichte beteiligt.

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30. Oktober 1902: María Izquierdo

Der Anfang ihres Lebens schien der mexikanischen Künstlerin zunächst nichts Gutes zu versprechen. Als sie fünf Jahre alt war, starb ihr Vater und sie lebte in der Obhut ihrer Mutter und Großmutter in einem Dorf im Norden Mexikos. Gemäß der streng katholischen Traditionen auf dem Land wurde sie mit 14 Jahren in die Ehe mit einem viel älteren Offizier gezwungen und bekam innerhalb der nächsten drei Jahre drei Kinder. Als die mexikanische Revolution endete, zog sie mit ihrer Familie nach Mexiko-Stadt. Dort begann sie, ihre Malerei professioell zu entwickeln und ließ sich schließlich mit 26 Jahren wieder scheiden, um ihrer Leidenschaft nachzukommen. Sie schrieb sich an der Academia de San Carlos ein und begeisterte bei einer Schülerausstellung deren Direktor, Diego Rivera, frisch verheirateter Mann von Frida Kahlo. Aufgrund verschiedener Differenzen mit den anderen Schülern der Akademie beendete sie ihr Studium dort, blieb aber mit dem wenig älteren Kommilitonen und Mentor Rufino Tamayo in engem künstlerischen und persönlichen Kontakt. Ihr primitivistischer und surrealistischer Stil machte sie einzigartig unter den mexikanischen Künstlern ihrer Zeit und sie feierte nicht nur in ihrem Heimatland Erfolge: Sie war die erste mexikanische Künstlerin mit einer Ausstellung in den USA, die allein ihre Werke zeigte.

Sie zog einen weniger politischen Ausdruck in der Kunst vor als die meisten ihrer zeitgenössischen Kollegen und war im Inhalt stark von den vor-christlichen und katholischen Einflüssen ihrer frühen Prägung beeinflusst. In den 1940er Jahren erreichte ihre Karriere ihren Höhepunkt und 1944 wurde sie Kulturbotschafterin ihres Landes. Kurz darauf erlitt sie jedoch einen Schlaganfall, außerdem begannen sich ihre früheren Förderer, die männlichen Künstler Mexikos, gegen sie zu wenden und sie zu diskreditieren. Sie erlitt einen weiteren Schlaganfall und starb 1955.

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08/2018

3. August 1902: Regina Jonas

Regina Jonas kam als Tochter eines Kaufmanns im stark jüdisch geprägten Berliner Scheunenviertel (heute Mitte) geboren und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf; als sie elf Jahre alt war, starb ihr Vater. Sie besuchte das Lyzeum in Berlin-Weißensee und erlangte eine Lehrerlaubnis für höhere Mädchenschulen. Mit dem Unterricht an verschiedenen anderen Lyzeen finanzierte sie sich ein Studium an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, mit dem erklärten Ziel, Rabbinerin zu werden.

Nach zwölf Semestern schloss sie 1930 das Studium mit einer Arbeit ab, die den provokanten Titel „Kann eine Frau das rabbinische Amt bekleiden?“ trug, und zumindest zwei ihrer Prüfer, Dr. Leo Baeck und Eduard Baneth, unterstützten sie wohl in ihrem Ehrgeiz. Baneth verstarb leider plötzlich und konnte ihr nicht mehr das Diplom des Rabbiners erteilen. Fünf Jahre lang erprobte sie ihre Fähigkeiten mit Übungspredigten und Unterricht in religiösen Einrichtungen. Schließlich erklärte sich der Offenbacher Rabbiner Max Dienemann bereit, entgegen die Vorbehalte in der deutschen jüdischen Gemeinde, ihr die mündliche Prüfung abzunehmen und, nach Bestehen, sie zu ordinieren. Ihr ehemaliger Doktorvater Baeck begrüßte sie am nächsten Tag mit „Liebes Fräulein Kollegin“. Trotzdem sie als Rabbi voll ausgebildet und geprüft war, setzte die Berliner jüdische Gemeinde sie weiterhin hauptsächlich für den Religionsunterricht ein; auch seelsorgerische Betreuung durfte sie nun ausüben und religiöse Feste im Ornat leiten, doch nicht einmal die schriftlichen Anfragen von Gemeindemitgliedern, sie als Rabbi auf den Kanzeln der Synagogen oder bei religiösgesetzlichen Zeremonien zu sehen, konnten diese letzte Hürde des männlichen Monopols einreißen. Dahingegen erlangte sie die Aufmerksamkeit und Anerkennung der jüdischen Frauenvereinigungen wie der WIZO.

Ihre Argumentation, dass sie als Frau zur Rabbinerin geeignet war, basierte nicht so sehr auf der feministischen Theorie der Gleichberechtigung der Frau, als vielmehr darauf, dass Gott die Menschheit in zwei Geschlchtern geschaffen habe, die beide ihren geschlechtsspezifischen Beitrag zur Förderung der Menschheit beitragen können – gegen eine Frau als Rabbiner spräche „außer Vorurteil und Ungewohntsein fast nichts“. Sie befürwortete die Keuschheit und Ehelosigkeit der Rabbinerin sowie die Geschlechterttrennung in der Synagoge, doch manche Dinge könne sie als Frau von der Kanzel oder bei der Jugend sagen, die ein Mann nicht sagen könne.

Erst 1938, kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, als der nationalsozialistische Druck auf die jüdischen Gemeinden die Zahl auch der Rabbiner in Deutschland durch Ausreise oder Deprotation dezimiert hatte, wurde sie neben der Seelsorge auch als voll anerkannter Rabbi eingesetzt und zwar im ganzen Land. Wohl weil ihre noch immer lebende Mutter zu alt für die Reisestrapazen war, machte sie selbst keine Anstalten, Deutschland zu verlassen. So wurde sie zunächst 1942 zu Zwangsarbeit verpflichtet und Ende des Jahres nach Theresienstadt deportiert. Dort hatte der jüdische Psychiater Viktor Frankl ein Referat „für psychische Hygiene“ eingerichtet, das den KZ-Häftlingen bei der Verarbeitung des Schocks helfen und ihre Überlebenschancen somit verbessern sollte. In diesem Referat hielt Jonas in zwei Jahren mindestens 44 aktenkundige Vorträge, bis sie am 12. Oktober 1944 nach Auschwitz-Birkenau verbracht und dort zwei Monate später ermordet wurde.

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6. August 1965: Yuki Kaijura

Die japanische Komponistin ist vor allem für zahlreiche Anime-Soundtracks verantwortlich.

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7. August 1913: Carmen Velasquez

Carmen Velasquez‘ Entdeckung der Fadenwurmart Capillaria philippensis rettete seit 1963 unzähligen Menschen auf den Philippinen das Leben. Dort starben die Menschen an einer unbekannten Krankheit, die sich mit Magenknurren, Bauchschmerzen und Durchfall bemerkbar machte. Velasquez stellte den bis dahin unbekannten Parasiten als Auslöser fest; seither können Befallene bereits bei Verdacht einer Infektion behandelt werden.

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10. August 1889: Zofia Kossak-Szczucka

Die polnische Autorin und Gewinnerin zweier Literaturpreise erlebte mit 50 Jahren in Warschau den Überfall Deutschlands auf Polen, mit dem der Zweite Weltkrieg begann. Die Katholikin wurde sofort im Untergrund aktiv als Redakteurin einer Zeitung des Widerstands.

1942, einige Wochen, nachdem die Deutschen mit der „Liquidation“ des Warschauer Ghettos, also mit den Deportationen in das Vernichtungslager Treblinka begonnen hatten, schrieb und veröffentlichte Kossak eine Protestschrift gegen die Duldung dieser Tatsachen in Polen und der internationalen Gemeinschaft. 5.000 Exemplare von „Protest!“ wurden gedruckt; Kossak machte darin durchaus keinen Hehl aus dem generell noch bestehenden Antisemitismus der katholischen Polen, doch seien sie als Christen von Gott dazu verpflichtet, gegen die Greuel, die verübt wurden, zu protestieren. Dadurch, dass die Polen und die Weltgemeinschaft zu dem schweige, was die Deutschen den Juden antaten, würden sie zu Komplizen.

Nach dieser Protestschrift begründete sie die Widerstandsorganisation Zegota, die zwischen 1942 und 1945 daran beteiligt war, Juden vor der Ermordung in Konzentrationslagern zu retten: In Warschau allein rettete die Zegota an die 4.000 Juden, darunter 2.500 Kinder aus dem Ghetto, in ganz Polen geht die höchste Schätzung an die 75.000 Menschen. Für ihre Beteiligung am Widerstand wurde Kossak 1943 verhaftet und nach Auschwitz-Birkenau deportiert, dem polnischen Untergrund gelang es jedoch, sie zunächst in ein Frauengefängnis überführen zu lassen, aus dem sie schließlich entlassen wurde. So konnte sie 1944 am Warschauer Aufstand teilnehmen.

Die kommunistische Regierung Polens nach dem Krieg war den nicht-kommunistischen Widerstandskämpfern nicht freundlich gesonnen. Kossak verdankte es nun ihrem Einsatz für die jüdische Bevölkerung, dass sie einer Inhaftierung mit möglicher Todesfolge entkam: Der jüdisch-stämmige Innenminister der neuen Regierung wusste von seinem Bruder, was Kossak geleistet hatte, und warnte sie, sodass sie einer Verfolgung nach England entkam. Sie ging zunächst nach London und lebte dann 12 Jahre lang in Cornwall. 1957 konnte sie nach Polen zurückkehren, schrieb und lebte dort bis zu ihrem Tod 1968.

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15. August 1830: Mária Lebstück

Die Kroatin kam mit 13 Jahren nach Wien und schloss sich mit 18, als Mann verkleidet, den Juristen-Corps in der Revolution gegen die Monarchie an. Im späteren Verlauf ihrer Karriere in Ungarn schaffte sie es bis zum Rang des Oberleutnants, gleichzeitig brachte sie eine Eheschließung und Schwangerschaft unter. Letztere verriet jedoch ihre Verkleidung und sie musste ihr Kind in Kriegsgefangenschaft zur Welt bringen. Ihr Mann wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt und starb im Gefängnis, sie selbst wurde nach Kroatien ausgewiesen, kehrte jedoch drei Jahre später nach Ungarn zurück und heiratete erneut. Nachdem ihr zweiter Mann gestorben war, ging sie mit ihrem Sohn nach Budapest, wo sie mit 62 Jahren starb. Obwohl (oder weil?) ich mich eher als Pazifistin betrachte, stellen Soldatinnen für mich ein besonderes Faszinosum dar. Es braucht doch ein ordentliches Maß an Chuzpe und den sprichwörtlichen Gonaden, so eine Verkleidung unter solchen Umständen zu erwägen und auszuführen.

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24. August 1890 oder 1894: Jean Rhys

Die Tochter eines Walisers und einer dominicanischen Kreolin hieß in Wirklichkeit Ella Gwendolyn Rees Williams und lebte bis zu ihrem 16. Lebensjahr in der Karibik und wurde dann für eine weiterführende Schulbildung nach England geschickt, wo sie bei einer Tante lebte. In der Schule wurde sie für ihren Akzent gehänselt und auch in der Schauspielschule in London sah man 1909 aufgrund ihrer Redeweise keine Chance für ihren Erfolg. Sie arbeitete zunächst als Revuetänzerin (chorus girl, also Teil der größeren Produktion); nachdem ihr Vater 1910 starb, kämpfte sie gegen die Armut, indem sie sich „aushalten ließ“. Der Börsenmakler, dessen Geliebte sie wurde, heiratete si ezwar nicht, unterstützte sie aber über die Jahre immer wieder finanziell. In den folgenden 13 Jahren arbeitete sie zeitweise als Nacktmodel, wurde schwanger und trieb ab, arbeitete während des Ersten Weltkriegs in einer Militärkantine und nach dem Krieg im Versorgungsamt; sie lebte in England und auf dem europäischen Festland, heiratete und bekam zwei Kinder, von denen eines starb; sie entwickelte eine Alkoholsucht und begann zu schreiben. Sie ließ sich von ihrem ersten Mann scheiden und unterhielt eine Verbindung zum Autoren und Verleger Ford Madox Ford, der sie zwar künstlerisch förderte, ihr auch zum Pseudonym riet, aber im Privatleben wenig wertschätzend mit ihr umging.

Bis 1939 schrieb sie vier Romane und mehrere Erzählungen. Sie heiratete erneut und wurde 1945 Witwe, heiratete anschließend ein drittes Mal und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück. Tatsächlich arbeitete sie an einem weiteren Roman, der 1967 erschien, ein Jahr, nachdem sie ein zweites Mal verwitwete. Ihr letzter Roman „Sargassomeer“ ist eine Vor-Geschichte zu Charlotte Brontës „Jane Eyre“ und brachte ihr schließlich größeren Erfolg: Sie wurde als postkoloniale Autorin vor allem in feministischen Leserkreisen gefeiert.

Sie empfand Enttäuschung über den „zu späten“ Ruhm und äußerte einmal, dass sie bei einer zweiten Chance wohl ein glückliches Leben dem Schriftstellertum vorgezogen hätte. Sie starb mit 88 Jahren, bevor sie ihre Autobiografie beenden konnte.

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27. August 1916: Halet Çambel

Die dritte Tochter türkischer Eltern wurde in Berlin geboren – der Großvater mütterlicherseits war türkischer Botschafter, der Vater Militärattaché in der deutschen Hauptstadt. Nach dem Ersten Weltkrieg bis zur Gründung der Republik lebte die Familie in Österreich und der Schweiz, 1922 ließen sie sich in Istanbul nieder. Halet besuchte die amerikanische High School for Girls im Stadtteil Arnavutköy, in dieser Zeit entwickelte sich ihr Interesse für Geschichte sowie ihr sportlicher Ehrgeiz im Fechten. 1933 bis 1939 studierte sie an der Pariser Sorbonne unter anderem Archäologie, 1936 war sie eine der ersten Frauen, die bei Olympia antrat, in der Disziplin Fechten.

Ab 1940, inzwischen verheiratet, arbeitete sie an der Universität Istanbul als Assistentin und schrieb an ihrer Doktorarbeit, die sie 1944 beendete. 1946 wurde im Süden der Türkei die neo-hethitische Ruinenstätte Karatepe-Arslantas entdeckt und im Auftrag der Universität Istanbul vom Entdecker Helmuth Theodor Bossert und Çambel erforscht. Sie trug maßgeblich zur Entschlüsselung des Hethitischen bei, indem sie die Bilingue von Karatepe mit übersetzte. Sie wurde Vorreiterin des Vor-Ort-Schutzmodells in der Türkei, als sie die türkische Regierung überzeugen konnte, die Ruinen von Karatepe nicht in eine Museum abtransportieren zu lassen, sondern aus der Stätte selbst ein Museum zu machen.

1960 wurde Çambel eine der ersten weiblichen Professoren der Türkei, als sie den den Lehrstuhl für Vorderasiatische Archäologie übernahm. Sie wurde 1984 emeritiert und starb erst 2014 in Istanbul.

Sie beeinflusste eine Generation von türkischen und internationalen Archäologiestudenten im Umgang mit den Anwohnern und lokalen Helfern an Grabungsstätten. Ihre burschikose Art verhinderte sexuelle Ambiguität im patriarchalisch geprägten Grabungsumfeld von Karatepe, sie galt als ehrlich und direkt und wurde dafür von den Menschen auf dem Land respektiert. Außerdem setzte sie sich sehr für die Bildung der Kinder ihrer lokalen Helfer ein.

03/2018

4. März 1913: Anna Vavak
Die in Wien lebende Tschechin wurde 1941 als ein aktives Mitglied der „Tschechoslowakischen Widerstandstruppe“ von der Gestapo verhaftet. Im Oktober 1942 wurde sie über verschiedene Stationen in das Konzentrationslager Ravensbrück verbracht, wo sie sich für die Arbeit im Rüstungsbetrieb des Siemenslager-Ravensbrück meldete. Im außerhalb des Konzentrationslagers liegenden Betrieb arbeiteten KZ-Insassinnen und Zivilisten zusammen an Fernsprech-, Radio und Meßgeräten für den Einsatz an der Front. Die Wochenarbeitszeit der KZ-Insassinnen betrug anfangs 48 Stunden und wurde später auf 62 Stunden hochgesetzt; dazu kamen ausfallende „Mahlzeiten“ im Konzentrationslager, weil der Weg hin und zurück die „Pause“ zumeist aufbrauchte. Später wurden Wohnbaracken für die dort arbeitenden KZ-Insassinnen gebaut, sodass sich die Wegzeit verkürzte (und die Arbeitszeit verlängerte).
Anna Vavak meldete sich freiwillig zur Arbeit im Betrieb, um mit den Zivilisten in Kontakt zu kommen und ihnen von den Zuständen im Konzentrationslager berichten zu können. Mit der Unterstützung anderer Arbeiterinnen erreichte sie bald die Position der Hauptanweiserin der Schreiberinnen. Das ermöglichte es ihr nicht nur, einzelnen Frauen das Leben zu retten, indem sie die Angaben über deren Produktionsquoten manipulierte, sondern machte sie zum Schutzengel anderer aktiver Sabotageakte, die die Zwangsarbeiterinnen im Betrieb vornahmen. So setzte sie ihren Widerstand gegen die Nationalsozialisten auch in der Haft weiter fort.
Anna Vavak konnte nach der Evakuierung des KZ Ravensbrück beim Todesmarsch Richtung Malchow entkommen. Sie heiratete ein Jahr nach Kriegsende einen anderen Holocaust-Überlebenden, Hans Maršálek, der später als Chronist des KZ Mauthausen tätig war. Sie starb mit 46 Jahren und wurde in Wien beerdigt.

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7. März 1858: Cecilie Thoresen
Die Tochter eines norwegischen Arztes und Gutsbesitzers genoß mit ihren Brüdern gemeinsam eine private Erziehung. Sie las bereits als Jugendliche die zeitgenössische Literatur, wozu auch eine Übersetzung von John Stuart Mills Die Hörigkeit der Frau gehörte. Dennoch entschloss sie sich erst mit 20 Jahren, einen Mittelschulabschluss zu machen, um berufliche Perspektive zu gewinnen. Zunächst besuchte sie einen „Kurs für Bürodamen“ an einer Handelsschule, wo sie sich allerdings langweilte und nach acht Tagen (eigenen Angaben zufolge) die Ausbildung abbrach.
Ihr Vater setzte sich auf ihren Wunsch dafür ein, dass ihr das für ein Universitätsstudium nötige Examen ermöglicht werden sollte, das zu diesem Zeitpunkt (1880) nicht für Frauen offenstand. Das zuständige Kirchen- und Unterrichtsministerium verweigerte ihr jedoch diesen Wunsch. Als Cecilie selbst sich an den Kirchenminister wandte, leitete dieser die Anfrage an die Universität in Kristiania (heute Oslo) weiter, die einzige Universität des Landes. Doch auch hier wurde sie abgewiesen.
Thoresen ließ nicht locker und kontaktierte Hagbard Berner, einen Mitarbeiter des oppositionellen Politikers Johan Sverdrup. Dieser brachte einen privaten Gesetzesentwurf dahingehend in das norwegische Parlament, das zwar Bedenken hatte – aus der Arbeit der Frau könne nur „voller Nutzen“ gezogen werden, wenn bei Erziehung und Ausbildung Rücksicht auf ihre „natürlichen Dispositionen, ihr eigentümliches Gemütsleben sowie auf ihre Anlagen und Vorzüge“ genommen werde –, aber Mitte 1882 dann doch ein neues Gesetz beschloss, welches das Examen für das Universitätsstudium auch Frauen eröffnete. Thoresen legte noch eine Zusatzprüfung ab, da sie Mathematikunterricht nur im für Mädchen üblichen Rahmen erhalten hatte, und bestand diese mit Erfolg. Im Alter von 24 Jahren bestand sie ihr Examen als erste Frau Norwegens, und zwar in allen Fächern mit „sehr gut“. Gleich im Anschluss schrieb sie sich unter großem nationalen Aufsehen an der Universität Kristiania ein und studierte später sogar für ein Auslandsjahr in Kopenhagen.
Auch wenn sie selbst aufgrund von Heirat und der Geburt dreier Kinder ihr Studium nicht abschloss, hatte sie den Mädchen und jungen Frauen Norwegens den Bildungsweg an der Universität eröffnet. Sie engagierte sich auch im späteren Verlauf ihres Lebens für die Frauenbewegung, war an der Gründung der Norwegischen Frauenrechtsvereinigung und der Frauen-Wahlrechtsvereinigung beteiligt und auch die norwegische Sektion des Internationalen Frauenrats geht auf ihre Initiative zurück.
Den Erfolg ihrer Arbeit erlebte sie nicht mehr; sie verstarb 1911 im Alter von 53 Jahren, das Frauenwahlrecht wurde in Norwegen – als einem der ersten Länder Europas – erst 1913 eingeführt.

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22. März 1913: Sabiha Gökçen
Die Tochter eines Amtsschreibers, der vom drittletzten Sultan der Türkei ins Exil verbannt worden war, konnte ihre schulische Ausbildung zunächst dank der Unterstützung ihrer Geschwister weiterführen. Mit 12 Jahren traf sie den Begründer der gerade zwei Jahre alten Republik der Türkei, Mustafa Kemal Atatürk. Der Präsident war von dem Mädchen beeindruckt, dass aus ärmlichsten Verhältnissen kam und dennoch den Ehrgeiz pflegte, die höhere Schule besuchen zu wollen. Er adoptierte Sabiha (neben elf anderen jungen Mädchen und Frauen) und förderte ihre Ausbildung.
Mit 22 Jahren begann Gökçen ihre Politinnenausbildung, mit späterer Weiterbildung in der Sowjetunion. Ein Jahr später machte sie ihren ersten Soloflug, um dann bei der türkischen Luftwaffe ihre Ausbildung zur Militärpilotin abzuschließen. Dazu gehörte auch das Fallschirmspringen – zu diesem Zeitpunkt war der Fallschirmsprung die einzige Möglichkeit, ein abstürzendes Flugzeug zu verlassen.
Sie flog ihre ersten Einsätze im letzten großen Kurdenaufstand in der Türkei; für ihre Einsätze im Korea-Krieg erhielt sie die Beförderung in den Rang eines Majors. Während und nach ihrer aktiven Zeit im Lilitärflugdienst war sie verantwortlich für die Kampfpilotenausbildung der türkischen Luftwaffe, danach flog sie in einer Kunstflugstaffel.
Nur wenige Monate vor ihrem Tod im Jahr 2001 wurde der zweite Istanbuler Flughafen nach ihr benannt. Die Pilotin, die in ihrer aktive Zeit insgesamt 22 verschiedene Flugzeugtypen flog, ist eine spannungsreiche Figur: Sie diente als Exemplar für Atatürks moderne Frauenpolitik, doch verstand sie sich und die türkische Frau an sich als Kind einer „soldatischen Nation“. Sie sprach sich gegen den politischen Islam aus, doch war sie auch daran beteiligt, Bomben auf alevitische Kurden zu werfen. Gökçen kann als reine Galleonsfigur der modernen, ethnisch türkischen Frau gesehen werden – andere Frauen konnten erst wesentlich später (in den 1990er Jahren) den Militärdienst antreten, außerdem symbolisiert sie die Unterdrückung aller türkischen Minderheiten, insbesondere der Kurden. Als drei Jahre nach ihrem Tod Vermutungen aufkamen, dass sie eventuell armenischer Abstammung sein könnte, sorgte das für große Unruhe und zum Teil klare rassistische Äußerungen in der Türkei.

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27. März 1945: Anna Mae Aquash
Auch unter dem Mi’kmaq-Namen Naguset Eask, nahm Anna Mae Aquash als Mitglied des American Indian Movement (AIM) an verschiedenen Protestaktionen teil, wie der Besetzung der Mayflower II im Bostoner Hafen an Thanksgiving 1970 und der Besetzung von Wounded Knee.
Ende 1975 wurde sie vom AIM einigen Verhören unterzogen, wohl, weil man vermutete, sie spiele im Fall des Pine Ridge Shoot-outs der Polizei Informationen über den flüchtigen Tatverdächtigen Leonard Peltier zu. Im September 1975 verschwand sie; im Februar 1976 wurde ihr Leichnam auf der Pine Ridge Reservation gefunden. Zunächst wurde sie als nicht identifizierte Erfrorene unter dem Namen Jane Doe beerdigt, nur ihre Hände wurden abgetrennt und für Fingerabdruck zum FBI gesandt. Dadurch wurde sie acht Tage später als Aquash identifiziert und auf Wunsch ihrer Angehörigen, darunter ihre zwei Töchter, exhumiert. Bei der zweiten Obduktion wurde auch die Schusswunde am Kopf entdeckt, die auf eine Exekution hindeutete.
Es vergingen 27 Jahre, bevor für diesen Mord Tatverdächtige verhaftet wurden. Die Mitglieder und Führungspersonen des AIM, die vermutlich mit der Beseitigung einer vermeintlichen Informantin der Polizei in Zusammenhang stehen, beschuldigen sich gegenseitig. Ein tatsächlicher Tathergang ist bis heute ungeklärt.

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25. März 1953: Souhaila Andrawes*
Die im Libanon zum christlichen Glauben der Eltern erzogene Exil-Palästinenserin wollte eigentlich Nonne werden, was im vorwiegend muslimischen Kuwait, wo sie am Ende ihrer Schulzeit lebte, so gut wie unmöglich war. Sie konnte dort auch nicht studieren und ihr Plan, nach Jerusalem zu gehen, wurde vom Sechstagekrieg 1967 durchkreuzt. So ging sie schließlich zurück in den Libanon, um dort Englische Sprache und Literatur zu studieren.
Unter dem Einfluss ihrer palästinensischen Verwandtschaft, vor allem aber durch die Begegnung mit der ersten weiblichen Flugzeugentführerin, Leila Chaled, die in der arabischen Welt als Heldin gefeiert wurde, politisierte sich die 16jährige Andrawes und fand Anschluss an die palästinensische Widerstandsbewegung. Als sie mit 22 Jahren vor dem libanesischen Bürgerkrieg nach Kuwait zurück floh, nahm sie dort bald Kontakt zur Volksfront zur Befreiung Palästinas auf. Während ihrer militärischen Ausbildung 1977 in Aden (Jemen) lernte sie den hochrangigen PFLP-Funktionär Zaki Helou und dessen deutsche Frau Monika Haas kennen, die später unter Verdacht stand, mit ihr zusammengearbeitet zu haben. Vom Jemen über Kuwait und Bagdad erreichte Andrawes schließlich Mallorca, um dort im Auftrag Wadi Haddads mit anderen militanten PFLP-Mitgliedern das Kommando Martyr Hamileh durchzuführen: die Entführung des Lufthansa-Fluges LH 181 Landshut.
Andrawes war die einzige Überlebende der „Operation Feuerzauber“, wie die Befreiung der Geiseln in Mogadishu in der Planung der GSG 9 bezeichnet wurde. Sie wurde von Schüssen in Lunge und Beine getroffen; beim Abtransport auf einer Bahre durch den Flughafen hielt sie den Fernsehkameras das Victory-Zeichen entgegen und rief: „Tötet mich, wir werden siegen!“
Sie wurde im Folgejahr in Somalia zu 20 Jahren Haft verurteilt, die sie zunächst dort antrat, doch schon Monate später wurde sie in den Irak abgeschoben. Von dort aus wurde sie mehrfach in die Tschechoslowakei gesandt, um die Spätfolgen ihrer Schussverletzungen zu behandeln. Sie konnte im Irak ihr abgebrochenes Studium fortsetzen, doch floh bald vor den israelischen Kräften, die im libanesischen Bürgerkrieg eingriffen, nach Damaskus. Dort lernte sie 1983 ihren Ehemann kennen, mit dem sie zwei Jahre später eine Tochter hatte; 1990 wurden sie aus Syrien nach Zypern ausgewiesen und fanden schließlich in Norwegen politisches Asyl.
1994, auf den Tag 17 Jahre nach der Befreiung der Landshut wurde sie von deutschen Fahndern in Oslo festgenommen und im Folgejahr nach Deutschland ausgeliefert. 1996 wurde sie in Hamburg zu 12 Jahren Haft verurteilt, für die Beteiligung an Mord, Menschenraub, Flugzeugentführung und Geiselnahme. Ein Jahr später wurde ihr erlaubt, ihre Reststrafe in Norwegen abzusitzen; bereits zwei Jare darauf wurde sie aufgrund ihres Gesundheitszustandes, beeinträchtigt von den langfristigen Schäden durch die Schussverletzungen, vorzeitig entlassen. Seitdem lebt sie mit ihrer Familie in Oslo.

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*Disclaimer: Zur Erinnerung, es geht mir auf diesem Blog nicht ausschließlich um bewundernswerte Frauen, die Gutes taten/tun und die als Vorbild dienen können. Es geht mir auch darum, die volle Bandbreite persönlicher Eigenschaften abzubilden, die Frauen als menschliche Wesen innehaben können. Eine palästinensische Terroristin zu besprechen, gehört für mich deswegen ebenso dazu wie Massenmörderinnen (I und II) und KZ-Wärterinnen. Nach dem immer noch vorherrschenden Vorurteil sind Frauen friedliche, fürsorgliche Wesen, Aggressivität und Verbrechen von Frauen wird noch stets als schrecklicher, schockierender und widernatürlicher betrachtet als von Männern. Somit gehören diese aus der Norm herausragenden Frauen für mich selbstverständlich zum Themenkomplex Frauenfiguren, mit dem ich versuche, die dominierende Binarität Mann/Frau ein wenig aufzuweichen.

tarkan viking kani

mehmet aslan, türkei 1971
wir haben es in diesem türkischen film aus den 1970er jahren mit sage und schreibe drei (in zahlen: 3) starken frauen zu tun! da sage noch einer was von rückständigkeit!
natürlich dreht sich die handlung nichtsdestotrotz um die männer, aber immerhin – vielleicht ist es dem „historischen“ setting geschuldet, dass in diesem film frauen kriegerisch, willenstark und gewieft auftreten dürfen, sozusagen als mittelalterliche exotinnen.
yonca ist die tochter von attila dem hunnenkönig, die in begleitung von tarkan durch die lande zieht. sie darf als sinnbild der wilden hunnen-frau auf gleicher ebene mit den hunnenmännern agieren. ursula ist die tochter des verratenen wikingerkönigs gero, die als sinnbild der ebenso wilden wikinger gemeinsam mit tarkan rache am hinterlistigen wikinger toro rache üben darf. und lotus ist die tochter des kaisers von china (ernsthaft!), die als exotischste exotin lehrt, dass ein mann immer vorsichtig sein sollte, wenn eine schöne frau aggressiv auf ein bettgeplänkel hinarbeitet.
insgesamt sehen wir: die stärke und qualität eines mannes wird vor allem durch seine tochter attestiert.
achja: eine ganze militärische abteilung an hun-türkischen frauenkriegern gibt es auch, die „jede den wert von 10 männern hat“, wie es einer behauptet. die gibt’s aber glaube ich hauptsächlich deswegen, damit nachher bei der demütigung durch die wikinger ordentlich fleisch zu sehen ist…
dass allerdings plüsch und bunte fummel alleine was für frauen sein sollen, wird ausnahmsweise nicht von diesem film behauptet. mein mann geht wie immer ins detail.
editorial: die jugos habe ich wie angekündigt übersprungen, den griechen auch – ich hatte die wahl zwischen telefonat mit meiner besten freundin und einem film, der rape is my hobby heißt… einen ersten türkischen film habe ich nicht wach überstanden. israel und iran sind schlicht hinten runter gefallen – ist ja auch nicht meine weltreise, ich mache das nur zum spaß (wobei iran für mich eigentlich interessant aussieht, aber naja). als nächstes ist pakistan dran: eine pakistanische umsetzung von bram stokers dracula ist schon interessant, aber ein pakistanischer katzenfrauen-rape&revenge-horror, da zittern mir die schnurrhaare vor spannung!

born of fire

jamil dehlavi, england 1987
ein recht einfaches stück für mich: die frau in diesem film, die auch nur „die frau“ heißt, ist weniger charakter, als vielmehr archetyp. weise frau, irdisches prinzip, wahrsagerin, verführerin, mutter, gefäß für neues leben, aber auch für das böse. ihre handlungen beziehen sich vollständig auf die männlichen pro- und antagonisten. am ende stirbt sie: einmal als mutter – das ultimative opfer der frau, beim hervorbringen neuen lebens ihres zu geben – und zweitens wird sie als ausgeburt des bösen, als schlange und satan, durch die kreative macht des mannes vernichtet.
man kann dies dem film nicht wirklich vorwerfen, da er sich das islamische äquivalent der luzifer-geschichte zur grundlage gemacht hat. dass dabei die frauen (die herkömmliche dualität mutter:geliebte) durch eine einzige, namenlose figur repräsentiert sind, sagt ebensoviel aus über die wahrnehmung der frau im monotheistisch-christlich-islamischen kulturkreis, wie die tatsache, dass diese eine frau so viele verschiedene züge und potentiale in sich vereint.
ich könnte sehr lange über die frage nachdenken, wie und warum die patriarchalisch-maskulin dominierten monotheistischen religionen judaismus-chrsitentum-islam die dominanz oder zumindest gleichberechtigung weiblicher göttlichkeit in den meisten polytheistischen religionen nicht nur verdrängen, sondern mit gewalt und radikalität eliminieren mussten und konnten. dies übrigens nur, um im falle der katholischen kirche der frau via der mutter gottes dann doch wieder göttlichkeit einräumen zu müssen, durch starke marienkulte in vielen missionierten gebieten. welche ängste und politischen interessen sich da so ungut durchgesetzt haben, werde ich wohl nie zur gänze durchschauen.
anyway, der film ist ansonsten sehr schön anzuschauen – wenn ich die exotisch anmutende erzählung mit irgendetwas vergleichen müsste, würden mir am ehesten die märchen von rafik schami einfallen. europäische stringenz, die sich in orientalischer trance auflöst. dabei übrigens bilder wie gemalt (und das ist kein zufall), die zwar sicherlich von den unglaublichen „locations“ profitieren, aber auch die muss man in szene zu setzen wissen.

WEG MIT
§218!