Es ist vollbracht. Es war 2022 auf diesem Blog nur scheinbar still, denn ich habe meinen Plan umgesetzt, für die ersten in etwa 3 Monate – 12 Wochen – die Artikel über Aktivistys des intersektionalen Feminismus fertigzustellen.
Besonders stolz bin ich auf mich, weil ich es gemacht habe, obwohl mich das Leben in den Sozialen Medien auch dieses Jahr immer wieder frustriert, ja, deprimiert hat; die Frage, ob es an der mangelnden Qualität meiner Beiträge, meinem Unwillen, meine Zeit statt für Lohn- und Carearbeit algorithmusfreundlich für die Bewerbung dieses Blogs zu opfern oder auch nur am Algorithmus selbst liegt, kann ich auf keine mich glücklicher machende Art beantworten. Jedenfalls, an vielen Tagen habe ich mir immer wieder die Sinnfrage gestellt und mehr als einmal den Stecker ziehen wollen. Gerade habe ich vernommen, dass Blogs mit dem Ende der 2010er ihre Bedeutung verloren haben. Ressourcen und Fähigkeiten für Tiktok oder einen Podcast habe ich derzeit keine.
Fakt bleibt aber, dass mich wenig so glücklich macht, als mich regelmäßig in eine neue Person zu verlieben, mich mit ihren Themen und Erfolgen zu befassen, ihr Leben und Wirken in eine fassbare, geordnete Struktur zu bringen und zu hoffen, andere ebenfalls für sie begeistern zu können. Ich führe das Blog eigentlich nicht für euch, sondern für mich – dankbar über jede Interaktion bin ich nichtsdestotrotz, weil ich dann weiß, dass ich nicht in einen leeren Raum spreche.
Weil es bei den Beiträgen im kommenden Jahr wichtig ist, und ich das eigentlich auch mal als neues ‚Über mich und dieses Blog‘ angedacht habe, möchte ich hier einmal kurz meine Vorstellung anbringen, was für mich der ‚feministische Kampf‘ ist. Auf Twitter und Instagram habe ich diese Position schon als angepinnter Tweet bzw. in den Highlights kurz aber hoffentlich schlüssig umrissen.
Meine Position: Das System ist misogyn. So wie Tupoka Ogete in EXIT RACISM deutlich macht, dass wir in einem rassistischen System leben, das viel tiefer geht als offene Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, so ist unser gesellschaftliches System auch misogyn. Das durch Religion und Politik etablierte Patriarchat früherer Tage war die Hardware, doch so weit wir in manchen Aspekten der Gleichberechtigung seit dem Mittelalter vorangekommen sind: Die Software unserer heutigen Gesellschaft ist noch immer die Misogynie. Was traditionell als ‚weiblich‘ konnotiert ist, zählt als Anlass oder Begründung für Diskriminierung, Unterdrückung, Gewalt und Herabwürdigung. Die Sache ist, dass das nicht nur cis Frauen betrifft. Es betrifft:
- cis und trans Frauen sowie alle inter, nicht-binäre und agender Personen, die weiblich gelesen werden – ihre Weiblichkeit (selbst identifiziert oder von außen gelesen) macht sie angreifbar für Misogynie
- nicht-binäre und agender Personen, deren Identität nicht ‚traditionell weiblich/männlich‘ gelesen werden kann – das misogyne System bestraft das Widersetzen gegen die Binarität, weil es nur weiter funktionieren kann, wenn alle darin verharren
- männlich gelesene Personen – diese stehen unter dem systemischen Zwang, ihre traditionelle ‚Männlichkeit‘ permanent unter Beweis zu stellen, wobei der goalpost, was ‚ein echter Mann‘ ist, beständig verschiebbar ist und jede Abweichung in Attribute, die traditionell ‚weiblich‘ gelesen werden können, sie für misogyne Gewalt angreifbar macht
Alle sind in irgendeiner Form von der systematischen Misogynie betroffen; die Formen, das Ausmaß und natürlich auch die Privilegien im System unterscheiden sich individuell.
Kurz gesagt: Im misogynen System ist ‚Weibliches‘ Minus, ‚Männliches‘ ist Plus, und alle Menschen müssen in der strengen Binarität verbleiben. Die Gleichberechtigung von Frauen funktionierte sehr lange darüber, dass Frauen Männern in ihren Rechten und Privilegien ähnlicher wurden – aber stets in einem Rahmen, der vom misogynen System bestimmt wurde. Individuelle Interpretationen, eigene Wege und Selbstbestimmung wurden und werden noch immer bestraft. Was von Männern erlaubt oder unterstützt wurde, war möglich, überschrittene Grenzen als Übermut und Anmaßung abgelehnt. Das ist nur scheinbare Gleichberechtigung, weil sie noch immer innerhalb des misogynen Systems funktioniert. Inter*, trans*, nicht-binäre und agender Personen stellen eine Bedrohung für das misogyne System dar, weil sie die Binarität auflösen – somit erfahren sie noch immer die deutlichste, offene Ablehnung, die von vielen, die solidarisch sein sollten, unterstützt wird.*
Es geht mir persönlich – auch mit diesem Blog – nicht darum, mich einer bestimmten Strömung des Feminismus zuzuordnen. Aber mein Verständnis von Feminismus ist, dass wir dieses misogyne System abschaffen müssen, das uns allen Gewalt antut. Und mit diesem Verständnis bin ich solidarisch mit allen, die in individuellen Formen unter diesem System leiden – das sind auch cis-het Männer, die sich damit abmühen, ihrem und dem gesellschaftlichen Bild von ‚Männlichkeit‘ zu entsprechen und dabei ihren Körper quälen und ihre Gefühlswelt verkümmern lassen (müssen). Auch wenn diese selbst nicht verstehen oder wahrhaben wollen, dass es Misogynie ist, an der sie leiden.**
Ich glaube, wir können das System nur überwinden, indem wir auf die Gemeinsamkeiten blicken. Und wenn es das Leid im misogynen System ist, das ich mit anderen gemein habe, dann bin ich mit ihnen solidarisch – ungeachtet ihrer Identität. Die Unterschiede zwischen uns bestimmen die Form des Leids, aber nicht die Tatsache, was die Ursache ist.
In diesem Sinne gehören im kommenden Jahr selbstverständlich auch trans* Frauen und – so sie auch weibliche Pronomen verwenden – nicht-binäre und agender Personen zu den möglichen Kalenderheldinnen. Die Auswahl, über wen ich in einem Beitrag spreche, ist weiterhin höchst idiosynkratisch und möglicherweise auch von meinen zeitlichen Möglichkeiten bestimmt. Ich werde versuchen, die unterschiedlichen Intersektionen gleichermaßen zu berücksichtigen, bitte jedoch um Nachsicht, da ich noch immer alleine und unbezahlt aus purer persönlicher Leidenschaft an diesem Blog arbeite.
* Zum misogynen System gehört auch die Idealvorstellungen von ’schönen‘ weiblichen und männlichen und allgemein ‚richtigen‘ Körpern, die Erwartung an eine ’natürliche‘ Fortpflanzung, bei der keine bereits entstandene Schwangerschaft beendet werden darf, sowie die Fortschreibung der Rollen in Beziehungen und Lohn- und Care-Arbeit.
**Ich bin Mutter zweier Kinder. Mein weiblich gelesenes Kind fühlt sich wohl, wenn es nicht weiblich gelesen wird. Mein männlich gelesenes Kind identifiziert sich männlich, trägt aber gerne Kleider und ist insgesamt gender nonconforming. Für beide sehe ich es als meine Aufgabe an, die binären Prinzipien von ‚Weiblichkeit‘ und ‚Männlichkeit‘ zu ignorieren und sie als Menschen zu begleiten. Das bedeutet nicht, ihre selbst benannte Identifikation z.B. als weiblich oder männlich abzulehnen, sondern ihnen den Rücken zu stärken in ihrem eigenen Ausdruck ihrer Identität. Es bedeutet auch, dass ich als Elternteil sehr unterschiedliche Erfahrungen damit mache, nicht, wie ich sie – als ‚Mädchen‘ oder ‚Junge‘ – erziehe, sondern vor welchen gesellschaftlichen Erwartungen und Repressalien ich sie als Individuen verteidigen muss.