Kategorie: Editorial

Neustart

Screenshot einer WordPress Beitragsliste: "Veröffentlichte (734) | Geplante (12)"

Es ist vollbracht. Es war 2022 auf diesem Blog nur scheinbar still, denn ich habe meinen Plan umgesetzt, für die ersten in etwa 3 Monate – 12 Wochen – die Artikel über Aktivistys des intersektionalen Feminismus fertigzustellen.

Besonders stolz bin ich auf mich, weil ich es gemacht habe, obwohl mich das Leben in den Sozialen Medien auch dieses Jahr immer wieder frustriert, ja, deprimiert hat; die Frage, ob es an der mangelnden Qualität meiner Beiträge, meinem Unwillen, meine Zeit statt für Lohn- und Carearbeit algorithmusfreundlich für die Bewerbung dieses Blogs zu opfern oder auch nur am Algorithmus selbst liegt, kann ich auf keine mich glücklicher machende Art beantworten. Jedenfalls, an vielen Tagen habe ich mir immer wieder die Sinnfrage gestellt und mehr als einmal den Stecker ziehen wollen. Gerade habe ich vernommen, dass Blogs mit dem Ende der 2010er ihre Bedeutung verloren haben. Ressourcen und Fähigkeiten für Tiktok oder einen Podcast habe ich derzeit keine.

Fakt bleibt aber, dass mich wenig so glücklich macht, als mich regelmäßig in eine neue Person zu verlieben, mich mit ihren Themen und Erfolgen zu befassen, ihr Leben und Wirken in eine fassbare, geordnete Struktur zu bringen und zu hoffen, andere ebenfalls für sie begeistern zu können. Ich führe das Blog eigentlich nicht für euch, sondern für mich – dankbar über jede Interaktion bin ich nichtsdestotrotz, weil ich dann weiß, dass ich nicht in einen leeren Raum spreche.


Weil es bei den Beiträgen im kommenden Jahr wichtig ist, und ich das eigentlich auch mal als neues ‚Über mich und dieses Blog‘ angedacht habe, möchte ich hier einmal kurz meine Vorstellung anbringen, was für mich der ‚feministische Kampf‘ ist. Auf Twitter und Instagram habe ich diese Position schon als angepinnter Tweet bzw. in den Highlights kurz aber hoffentlich schlüssig umrissen.

Meine Position: Das System ist misogyn. So wie Tupoka Ogete in EXIT RACISM deutlich macht, dass wir in einem rassistischen System leben, das viel tiefer geht als offene Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, so ist unser gesellschaftliches System auch misogyn. Das durch Religion und Politik etablierte Patriarchat früherer Tage war die Hardware, doch so weit wir in manchen Aspekten der Gleichberechtigung seit dem Mittelalter vorangekommen sind: Die Software unserer heutigen Gesellschaft ist noch immer die Misogynie. Was traditionell als ‚weiblich‘ konnotiert ist, zählt als Anlass oder Begründung für Diskriminierung, Unterdrückung, Gewalt und Herabwürdigung. Die Sache ist, dass das nicht nur cis Frauen betrifft. Es betrifft:

  • cis und trans Frauen sowie alle inter, nicht-binäre und agender Personen, die weiblich gelesen werden – ihre Weiblichkeit (selbst identifiziert oder von außen gelesen) macht sie angreifbar für Misogynie
  • nicht-binäre und agender Personen, deren Identität nicht ‚traditionell weiblich/männlich‘ gelesen werden kann – das misogyne System bestraft das Widersetzen gegen die Binarität, weil es nur weiter funktionieren kann, wenn alle darin verharren
  • männlich gelesene Personen – diese stehen unter dem systemischen Zwang, ihre traditionelle ‚Männlichkeit‘ permanent unter Beweis zu stellen, wobei der goalpost, was ‚ein echter Mann‘ ist, beständig verschiebbar ist und jede Abweichung in Attribute, die traditionell ‚weiblich‘ gelesen werden können, sie für misogyne Gewalt angreifbar macht

Alle sind in irgendeiner Form von der systematischen Misogynie betroffen; die Formen, das Ausmaß und natürlich auch die Privilegien im System unterscheiden sich individuell.

Kurz gesagt: Im misogynen System ist ‚Weibliches‘ Minus, ‚Männliches‘ ist Plus, und alle Menschen müssen in der strengen Binarität verbleiben. Die Gleichberechtigung von Frauen funktionierte sehr lange darüber, dass Frauen Männern in ihren Rechten und Privilegien ähnlicher wurden – aber stets in einem Rahmen, der vom misogynen System bestimmt wurde. Individuelle Interpretationen, eigene Wege und Selbstbestimmung wurden und werden noch immer bestraft. Was von Männern erlaubt oder unterstützt wurde, war möglich, überschrittene Grenzen als Übermut und Anmaßung abgelehnt. Das ist nur scheinbare Gleichberechtigung, weil sie noch immer innerhalb des misogynen Systems funktioniert. Inter*, trans*, nicht-binäre und agender Personen stellen eine Bedrohung für das misogyne System dar, weil sie die Binarität auflösen – somit erfahren sie noch immer die deutlichste, offene Ablehnung, die von vielen, die solidarisch sein sollten, unterstützt wird.*

Es geht mir persönlich – auch mit diesem Blog – nicht darum, mich einer bestimmten Strömung des Feminismus zuzuordnen. Aber mein Verständnis von Feminismus ist, dass wir dieses misogyne System abschaffen müssen, das uns allen Gewalt antut. Und mit diesem Verständnis bin ich solidarisch mit allen, die in individuellen Formen unter diesem System leiden – das sind auch cis-het Männer, die sich damit abmühen, ihrem und dem gesellschaftlichen Bild von ‚Männlichkeit‘ zu entsprechen und dabei ihren Körper quälen und ihre Gefühlswelt verkümmern lassen (müssen). Auch wenn diese selbst nicht verstehen oder wahrhaben wollen, dass es Misogynie ist, an der sie leiden.**

Ich glaube, wir können das System nur überwinden, indem wir auf die Gemeinsamkeiten blicken. Und wenn es das Leid im misogynen System ist, das ich mit anderen gemein habe, dann bin ich mit ihnen solidarisch – ungeachtet ihrer Identität. Die Unterschiede zwischen uns bestimmen die Form des Leids, aber nicht die Tatsache, was die Ursache ist.

In diesem Sinne gehören im kommenden Jahr selbstverständlich auch trans* Frauen und – so sie auch weibliche Pronomen verwenden – nicht-binäre und agender Personen zu den möglichen Kalenderheldinnen. Die Auswahl, über wen ich in einem Beitrag spreche, ist weiterhin höchst idiosynkratisch und möglicherweise auch von meinen zeitlichen Möglichkeiten bestimmt. Ich werde versuchen, die unterschiedlichen Intersektionen gleichermaßen zu berücksichtigen, bitte jedoch um Nachsicht, da ich noch immer alleine und unbezahlt aus purer persönlicher Leidenschaft an diesem Blog arbeite.


* Zum misogynen System gehört auch die Idealvorstellungen von ’schönen‘ weiblichen und männlichen und allgemein ‚richtigen‘ Körpern, die Erwartung an eine ’natürliche‘ Fortpflanzung, bei der keine bereits entstandene Schwangerschaft beendet werden darf, sowie die Fortschreibung der Rollen in Beziehungen und Lohn- und Care-Arbeit.

**Ich bin Mutter zweier Kinder. Mein weiblich gelesenes Kind fühlt sich wohl, wenn es nicht weiblich gelesen wird. Mein männlich gelesenes Kind identifiziert sich männlich, trägt aber gerne Kleider und ist insgesamt gender nonconforming. Für beide sehe ich es als meine Aufgabe an, die binären Prinzipien von ‚Weiblichkeit‘ und ‚Männlichkeit‘ zu ignorieren und sie als Menschen zu begleiten. Das bedeutet nicht, ihre selbst benannte Identifikation z.B. als weiblich oder männlich abzulehnen, sondern ihnen den Rücken zu stärken in ihrem eigenen Ausdruck ihrer Identität. Es bedeutet auch, dass ich als Elternteil sehr unterschiedliche Erfahrungen damit mache, nicht, wie ich sie – als ‚Mädchen‘ oder ‚Junge‘ – erziehe, sondern vor welchen gesellschaftlichen Erwartungen und Repressalien ich sie als Individuen verteidigen muss.

wartet, wartet noch ein weilchen (weg mit §219a!)

nach einigen schlechten und einigen noch schlechteren tagen sammele ich wieder kräfte. in dieser woche habe ich mich schon um ein paar kleinigkeiten gekümmert, wie zum beispiel ganz zuletzt das „Weg mit §219a!“-Plug-In von Marco Friedersdorf, das ihr nun unten in der ecke des blogs finden könnt. wenn ihr dort draufklickt, werden die informationen zu schwangerschaftsabbrüchen angezeigt, wie Dr. Hänel sie nicht mehr auf ihrer webseite anzeigen darf, weil sie schwangerschaftsabbrüche ausführt.

ich führe keine schwangerschaftsabbrüche aus, darf deshalb darüber informieren und tue das gerne, da ich selbst das glück im unglück hatte, in amsterdam zu leben, als ich einen schwangerschaftsabbruch durchführen ließ. so niederschwellig und vorurteilsfrei, wie ich das damals tun konnte, sollte es für jeden menschen sein. deshalb finde ich dieses WordPress-PlugIn unterstützenswert – wenn auch im text das wort „Frauen“ noch durch „schwangere Person“ ausgetauscht werden könnte, denn nicht nur frauen können schwanger sein und einen abbruch benötigen. davon abgesehen finde ich es ein erstrebenswertes ziel, dass alle menschen auf so vielen wordpress-blogs wie möglich informationen zu schwangerschaftsabbrüchen finden können. damit sie schon lange, bevor sie vielleicht in die lage kommen, einen abbruch zu benötigen, über ihre rechte und möglichkeiten bescheid wissen.

für die kommende zeit sehe ich die zarten knospen aufblühender pläne – die meisten davon hatte ich irgendwann zwischen herbst und winter letztes jahr eingegraben. übrigens, gegen die andauernden schlechten nachrichten der steigenden infektionszahlen schaue ich jeden vormittag auf das Impfdashboard, auf dem das doch immerhin anziehende tempo des impffortschritts zu beobachten ist. und auch der Impfterminrechner macht inzwischen etwas bessere laune (auch wenn ich für den reality check empfehle, darauf zu achten, dass die parameter auf „tatsächliche Impfrate“ gestellt sind, sonst gibt’s am ende böses erwachen…).

bleibt mir gewogen, abonnentys und leserys, frauenfiguren ruht, aber es ist nicht tot.

wie sie sehen, sehen sie nichts

entgegen der guten vorsätze hat mich leider über die feiertage und mit der weiteren schulschließung bis (mindestens) ende januar ein großer löffel-mangel ereilt. während ich in das jahr 2020 mit einer bestehenden, fertigen planung ging und in der ersten zeit der schulschließung – vor den sommerferien – „nur“ ein vorschulkind und ein grundschulkind pädagogisch begleiten musste, bin ich in 2021 mit einer unvollständigen recherche gestartet (aufgrund von… *vage geste richtung welt*) und bin nun die nächsten wochen im prinzip bergschulenlehrerin: ich begleite ein 1.-klasse-grundschulkind und ein 5.-klasse-gymnasialkind.

ich möchte mich dafür bei den geneigten leser:innen und leserys entschuldigen. ich hoffe sehr, dass ich im februar starten kann, wenn sich das homeschooling eingependelt hat und die intellektuelle und emotionale betreuung meiner bauchfrüchte ich nicht mehr vollständig erschöpft.

bis dahin wünsche ich allen dort draußen die beste gesundheit, die möglich ist, den gelassensten langmut mit familie und/oder arbeit und das glück, dass bald die einladung zur impfung kommt.

rückblick – ausblick

frauenfiguren portrait der autorinmit kopfhörern im onesie
ich, die person hinter frauenfiguren

was für ein jahr! und das nicht nur ganz allgemein, sondern auch für frauenfiguren und mich persönlich.

mit dem thema Wissenschaftlerinnen und einem zufälligen kurzen moment des ruhmes auf twitter kamen überraschend viele neue followys. der zusätzliche Zeitstrahl Frauen in der Wissenschaft hielt mich ziemlich auf trab. das war ja auch von vorneherein das ziel gewesen (mehr disziplin, weil mehr druck), hatte aber auch seine schattenseiten, in diesem jahr besonders, in dem ich wesentlich mehr zeit mit kindern zu hause war als vorher gedacht.

weil die planung für nächstes jahr noch lückenhaft ist – dazu komme ich gleich – und weil es sich nicht immer gut angefühlt hat, so vorangetrieben zu werden von der selbstgestellten aufgabe, gibt es im nächsten jahr wieder `nur´eine frau pro woche. dafür werde ich eventuell an anderer stelle (*hust*Instagram*hust*) versuchen, mehr auf ältere inhalte einzugehen. in jedem fall werde ich mehr andere dinge versuchen, die auf frauenfiguren aufmerksam machen sollen, ohne mir jedoch zu viel energie für die eigentliche arbeit am blog zu rauben.

ich möchte bald auch einmal etwas persönlicher werden und von meiner situation erzählen, die für dieses blog eine rolle spielt und für die dieses blog auch eine große rolle spielt. ich bin eine einzelne person hinter frauenfiguren, die leidenschaft und zeit hineinsteckt, und ich will und werde das weiterhin tun. gleichzeitig fühlt sich die etwas anonyme und meist wenig kommunikative arbeit hinter der seite oft einsam an. sehr oft frage ich mich, ob die arbeitet wirklich einen sinn hat, ob es eigentlich wirklich jemensch interessiert, ob dieser blick auf frauenfiguren in geschichte und geschichten vielleicht nicht zeitgemäß und völlig überholt ist – wo die feministische arbeit zum beispiel auf Instagram eine ganz andere, aktivistischere ist. sehr oft in diesem jahr habe ich mich gefragt, ob ich auch in diesem bereich meines lebens, der mir doch so am herzen liegt, überflüssig bin, fühle mich aussortiert als `feministin alter schule´und stelle mir trotzig vor, wie ich mich ganz und gar ins private zurückziehe, mit dem einzigen ehrgeiz, meine eigenen kinder feministisch zu erziehen.

das ist natürlich auch meine dysthymie, die daraus spricht, und noch will ich mich nicht völlig geschlagen geben von logarithmen und meiner unfähigkeit, serotonin zu verarbeiten. deswegen schluss auch jetzt mit dem selbstmitleid und her mit dem ausblick auf das kommende jahr. schon immer habe ich nach möglichkeit meine überzeugung als intersektionale feministin deutlich gemacht, BiWoC und queeren frauen, wenn sie zur wahl standen, den vorrang gegeben vor den weißen cis hetero frauen, die in der weißen cis-hetero-normativen welt schon einen vorsprung haben. im nächsten jahr wird es auf frauenfiguren jedoch im kalender allein um aktivistinnen bzw. aktivistys des intersektionalen feminismus gehen – der queeren/LGBTQA+ community, des antirassismus, der body positivity und ähnlichem. weil diese personen zu oft in anderen themenbereichen nicht vorkommen, und weil es meine überzeugung ist: my feminism will be intersectional or it will be shit.

ich werde hoffentlich bald zwei neue seiten veröffentlichen, die die alte `über/about´ersetzen sollen – `Über dieses Blog´, mit einer leichteren verlinkungen zu den themen der vergangenen acht jahre sowie der klaren positionierung zum intersektionalen feminismus, und `Über mich´, mit einem einblick in mein leben hinter frauenfiguren. außerdem möchte ich mehr andere texte – für dieses blog, aber vielleicht auch anderswo – schreiben, über filme, bücher, comics oder auch einfach nur über mein leben als feministische mutter, das mit den wachsenden kindern nicht weniger herausforderungen bietet. ich freue mich über alle, die bleiben und die vielleicht auch im nächsten jahr neu dazu kommen.

Vom Parken und Vergleichen

Alter Text von 2017, aber immer noch sehr wahr. Wollte ich immer schon mal als allenstehendes Plädoyer wiederverwerten. Warum nicht jetzt und heute.

Ich beziehe mich auf eine Wortmeldung bei dieser Veranstaltung, aber hier bricht sich einiges Bahn, was mich als Mutter, die arbeiten will, in der Diskussion um das Thema arbeitende Mütter, Kinderbetreuung etc. im Internet und anderswo schon eine Weile bewegt. Vielleicht ist dies ja ein Beitrag zum Feminismus der Mütter, dessen mangelnde Perspektive die Frankfurter Rundschau vor einiger Zeit beklagte.

Umso trauriger – nein: ärgerlicher ist es, gerade bei so einer Gelegenheit, dass einer der letzten Wortbeiträge einer war, der voller Reizworte und Rabenmutter-shaming war. Die Dame, die sich zu Wort meldete, war, so hatte ich aus einem Pausengespräch schließen können, in Begleitung ihres Mannes anwesend, der einen familienfreundlichen Handwerksbetrieb im eigenen Haus führt und daher mit Arbeitgeberinteressen die Veranstaltung besuchte. Sie selbst war glückliche Hausfrau/Mutter, wozu ihr zu gratulieren ist.

Ihr Wortbeitrag bestand aber leider daraus, zum Thema längere Betreuungszeiten/24-Stunden-Kitas zu fragen, wie lange man denn „die Kinder noch in der Betreuung parken (sic!)“ wolle, und gerade wenn ein Kind krank sei, man doch als Mutter nur selbst beim Kind sein wolle, und wenn einer gut genug verdienen würde, dann müsse das doch reichen.

*seufz* Wo anfangen?

Zunächst mal hatte ich im Gespräch mit ihr zuvor zugegeben, dass ja, manchmal ich tatsächlich denke, hätte ich das damals gewusst, was es mich kosten würde, hätte ich eventuell keine Kinder bekommen – aka ich „bereue“ es angesichts meiner derzeitigen Lage manchmal, Mutter geworden zu sein. Das nimmt nichts weg von der Liebe für meine Kinder, es bedeutet nur, dass ich mir auch ein glückliches Leben ohne sie vorstellen könnte. Ich würde das selbst nur als ein Zeichen von Vorstellungskraft und Ambiguitätstoleranz werten, aber manche finden solche Aussagen wohl schockierend.

Also fangen wir zunächst mal mit dem Unwort „parken“ an. Niemand „parkt“ sein Kind irgendwo – fast alle Eltern, die ich in Betreuungseinrichtungen getroffen habe, haben sich die jeweilige mit viel Mühe und Zeitaufwand angeschaut und ausgesucht, weil es eine Notwendigkeit dafür gab, dass das Kind auch von anderen Menschen als Mama, Papa oder anderen Familienmitgliedern wie den Großeltern betreut wird. Und in noch keiner Betreuungseinrichtung, die ich von innen gesehen habe, machten die Kinder einen „geparkten“ Eindruck, sondern sie waren in immer fachlich ausgebildeter und meistens liebevoller Betreuung. Nur „meistens“, weil nicht jeder Mensch mit jedem Kind immer nur säuseln kann – und das werte ich als einen positiven Aspekt der „Fremdbetreuung“, aber dazu später. (Anm. 2020: Und natürlich bestand und besteht das Problem der chronischen Unterbesetzung und vor allem Unterbezahlung von Betreuungspersonal.) „Geparkt“ werden meine Kinder eher von mir zu Hause, vor dem Fernseher oder dem Tablet, wenn ich alleine mit beiden bin und Haushaltsaufgaben erledigen muss, einen Blogpost fertigstellen will oder gar *gasp* einfach mal ein paar Minuten für mich brauche. Can’t pour from an empty cup and all that. Dementsprechend ist Zeit in den Händen ausgebildeter Erzieher für meine Kinder wertvoll, weil sie dort über Stunden hinweg gefordert, gefördert, unterhalten und unterrichtet werden. Was ich als Mutter schlicht nicht leisten kann und meines Erachtens auch nicht können muss. Ich kann dafür meinen Kindern erklären, warum sie nicht alles glauben sollen, was die Werbung ihnen erzählt, was es bedeutet, wenn einer „mit des Seilers Tochter Hochzeit gefeiert“ hat oder warum vor 100 Jahren rosa noch die Jungsfarbe war. Aber zurück zum Unwort. Das Gespräch zwischen arbeitenden und nicht arbeitenden Müttern würde so viel angenehmer verlaufen, wenn solche eindeutig herabsetzenden und verurteilenden Pejorative auf beiden Seiten vermieden würden.

Weiter geht es, wie eine andere Mutter im Publikum dankenswerterweise anmerken durfte, bei längeren Öffnungszeiten und 24-Stunden-Kitas ja nicht nur darum, dass regulär arbeitende Eltern ihre Kinder noch für ein paar Stunden mehr loswerden. Es ginge in meinem Fall früher z.B. darum, ich an vier Tagen der Woche bis 18:00 arbeiten könnte, mit einer Stunde Pendelfahrt, mein Mann auch bis 17:00 arbeiten könnte und nicht jeden Tag die Oma bemüht werden müsste. Sondern an diesen vier Tagen auch bis 17:30 eine Betreuung gegeben wäre. Oder, ganz von meiner Situation gelöst, aber sehr konkret und real, dass Eltern im Schichtdienst oder mit Arbeitszeiten, die nicht dem 9-5 im Büro entsprechen, auch eine Betreuung finden können, ohne familiäre Ressourcen – die schlicht nicht immer vorhanden oder erreichbar sind.

Bei der diskutierten „Betreuung des kranken Kindes“ geht es – nach meiner Realität und Vorstellung – auch nicht darum, ein hoch fieberndes Kind zu einer fremden Person zu transportieren, damit der Chef glücklich ist. Aber es könnte zum Beispiel darum gehen, wie die Situation sich für Arbeitgeber und Arbeitnehmer erleichtern ließe, wenn das Kind wegen drei gefüllter Windeln an einem Nachmittag zwei Tage lang mopsfidel zu Hause bleiben muss, weil Kindergärten eine völlig berechtigte Quarantäne für Durchfallerkrankte verhängen. Oder die letzten Tage einer Grippe, in der das Fieber verklungen und die Langeweile groß ist, aber eine Schonung der körperlichen Kräfte immer noch angesagt ist. Homeoffice ist da natürlich ein erster wichtiger Schritt – vor allem, wenn man sich wie ich nicht scheut, solche Rekuperationsphasen mit popkultureller Bildung am Bildschirm zu überbrücken. Aber auch das hat seine Grenzen, vor allem im Sitzfleisch der Kinder, weshalb ergebnisorientierte Arbeitszeiteinteilung, wo möglich, der nächste Schritt wäre. Vornehmlich scheint es aber einfach einen Wandel der Kultur, der Haltung gegenüber Eltern zu brauchen – auch dazu später.

Zum letzten Satz schließlich, „wenn einer gut genug verdient“, dann müsse das reichen – erst einmal muss „einer gut genug“ verdienen, das ist schon mal eine Hürde für viele Eltern; und zwar nicht nur heutzutage, das war schon immer so. Aber selbst wenn die genommen ist, wie ich gerade mal so mit einigem Kopfwiegen und Händewackeln sagen könnte, unter dem unglücklichen Bilck meines Mannes, auf dem damit allein die Verantwortung liegt – es geht doch nicht nur um wirtschaftliche Aspekte! Es geht nicht nur um „arbeiten müssen“, es geht auch um „arbeiten wollen“! Und auch das nicht nur wegen wirtschaftlicher Unabhängigkeit oder „sich mehr leisten können“ zu wollen, oder einen Menschen, den man liebt, von dieser Verantwortung zu entlasten.

Ich bin Feministin und ich verachte keine Frau für ihre Entscheidungen. Mein Feminismus ist einer, bei dem es darum geht, allen Menschen die individuelle Wahl für ihr persönliches Glück zu gewähren, so lange sie damit anderen nicht schaden oder sie einschränken. Wenn eine Frau in der Arbeit als Hausfrau voll aufgeht und glücklich ist, will ich sie nicht zur Karriere im Büro bekehren. Ich beglückwünsche sie, wenn sie den/die passende/n Partner/in findet und wünsche ihr alles erdenklich Gute. Sie möge ihre Kinder so lange selbst zu Hause betreuen, wie sie mag, so lange sie ihnen nicht die Bildung vorenthält, auf die Kinder hierzulande ein Recht haben.

ICH hingegen.

Ich musste 23 Jahre alt und einen Schwangerschaftabbruch älter werden, um zu wissen, dass ich in der ferneren Zukunft dann doch wirklich Kinder haben möchte. Bis es neun Jahre später soweit war, hatte ich aber auch schon ein verhältnismäßig glückliches und erfülltes Leben gelebt. Ich habe mich vor den Kindern für Literatur, Filme und Sprache interessiert, hatte Hobbies, Leidenschaften und einen Beruf, war ein vollständiger Mensch mit Bedürfnis nach (erwachsener) Gesellschaft und Rückzugsmöglichkeit. Dieser Mensch ist nicht verschwunden, als mein erstes Kind auf die Welt kam. Die Bedürfnisse der kleinen Menschen, die ich – nach meinem eigenen Wunsch! – auf die Welt gesetzt hatte, und meine eigenen zu vereinbaren, was meistens naturgemäß zu meinen Ungunsten ausfiel, war ein langer, harter und manchmal niederschmetternder Kampf.

Und obwohl es mein gutes Recht ist, meine Ziele zu verfolgen und Bedürfnisse nicht nur des körperlichen Wohlbefindens zu stillen, habe ich den Eindruck, mich ganz besonders gegen Urteile und Vorwürfe wehren zu müssen. Aus staatlicher Sicht verdient mein Mann gerade so viel, dass wir keine Unterstützung brauchen. Und ja, mit von „Doppelverdiener mit einem Kind“ auf „Einzelverdiener mit zwei Kindern“ heruntergeschraubten Ansprüchen befinden wir uns nicht in einer wirtschaftlichen Notlage.

Als Mutter, die nicht arbeiten muss, so scheint es, sollte ich doch einfach froh sein. Und schon gar nicht meine Kinder in Fremdbetreuung geben. Müttern, die müssen, weil sonst kein Geld da ist, verzeiht man, dass sie ihre Kinder von „Fremden“ „betreuen“ lassen. Mir eher nicht – schließlich bin ich die Mutter, habe Zeit und (gerade so genug) Geld. Ich sollte einfach froh sein.

Ich bin aber nicht froh.

Nicht damit, alleinige Beauftragte im Haushalt zu sein – mein Ehrgeiz, eine „gute Hausfrau“ zu sein, ist vernachlässigbar. Nicht damit, wirtschaftlich von meinem Mann abhängig zu sein – einer guten Ehe liegt stets das Gefühl zugrunde, frei zu sein, und wirtschaftliche Abhängigkeit überschattet dieses Gefühl. Und nicht damit, meinen Intellekt und meine zahlreichen Fähigkeiten außerhalb der Mutterrolle brach liegen zu lassen – das bedeutet nämlich, dass große Teile meiner eigenen Persönlichkeit vernachlässigt werden, was zu ganz erheblichen seelischen und mentalen Problemen führt, die sich wiederum auf mein Verhältnis zu den Kindern niederschlagen.

Seit ich die eine Tätigkeit nicht mehr ausüben kann, die mir eine gelungen Work-Life-Balance erlaubte, suche ich nach neuer Arbeit. Das hieß, dass ich trotz Arbeitslosigkeit den Betreuungsplatz beim Tagesvater für meinen nicht ganz Einjährigen in Anspruch nahm. Weil ich, wenn ich neue Arbeit finden sollte, darauf angewiesen gewesen wäre, dass die Betreuung bereits besteht – mit den momentanen Planungs- und Anmeldephasen in der Kinderbetreuung ist man nur auf der sicheren Seite, wenn man einen Platz hat und nicht hergibt. Das hieß auch, dass meine Große weiterhin 45 Stunden pro Woche in den Kindergarten ging – so war sie es gewöhnt, und eine Umgewöhnung und Rück-Umgewöhnung, wenn ich wieder in Arbeit gekommen wäre, hätte mehr Stress für das Kind bedeutet als einfach den bekannten Rhythmus zu behalten.

Dass meine Kinder in ihrer Betreuung waren, hieß auch, dass ich mich in den Stunden zu Hause nicht nur um den Haushalt kümmern konnte. Ich konnte auch meiner bescheidenen Bloggertätigkeit nachgehen, ohne auf Schlaf zu verzichten (ein ausgesprochen wertvoller Gewinn), und mich der Arbeitssuche widmen, wie es die Agentur für Arbeit von mir erwartete.

Aber, und jetzt kommt’s. Aber ich habe die „Fremdbetreuung“ meiner Kinder nie nur als meinen eigenen Vorteil gesehen – um mögliche Arbeitszeiten abzudecken oder Freiraum für meine Persönlichkeit neben dem Mutterdasein zu haben. Ich spreche hier nur als Expertin für meine eigenen Kinder, ich weiß, dass andere Kinder anders sind, andere Mütter anders sind und es ist alles gut. Aber meine Kinder haben davon profitiert, dass andere liebevolle und fachlich ausgebildete Menschen in ihr Leben traten und sich um ihre Entwicklung kümmerten. Und das nicht, weil ich so eine fürchterliche, harte und verbitterte Mutter bin, sondern unter anderem weil die gewonnene Zeit für meine anderen Persönlichkeitsaspekte mir geholfen hat, eben das nicht zu werden. Und weil die Welt meiner Kinder sich geöffnet hat, sie mit anderen Kindern zusammenkamen, für ganze Tage und nicht nur ein paar Stunden; sie hat sich aber auch geöffnet für die Andersartigkeit der Erwachsenen. Wir Eltern sind atheistische Film-Freaks, die mittelmäßig-ausreichend auf gesunde Ernährung mit Fleisch achten, aber schon mal streng auf respektlosen Umgang mit unserem Eigentum reagieren. Die Tagesmutter unserer Tochter war katholische Anthroposophin, die Hausmannskost für die ganze Familie inklusive ihrer Teenager kochte und eine ellenlange Geduld hatte. Der Tagesvater unseres Sohnes war evangelischer Theologe und ausgebildeter Sozialarbeiter, der mit den Kindern vorwiegend vegetarisch kochte und die manchmal rabiaten Abenteuerlichkeiten unseres Sohnes mit Schmunzeln und einem gewissen Maß an Bewunderung betrachtete. Unsere Kinder haben bei den Tageseltern und im Kindergarten gelernt, dass sich die Fürsorge der Erwachsenen nicht immer in lieblicher Freundlichkeit äußert, dass Teilen mit anderen notwendig und sogar schön ist, haben Raum und Möglichkeit gehabt, ihren Körper und ihre Fähigkeiten auszuprobieren, die ich als einzelne Bezugsperson in einer Vierzimmerwohnung einfach nicht anbieten kann.
Heißt das, dass ich nicht alle Entwicklungsschritte meiner Kinder beim „ersten Mal“ mitbekommen habe? Ja. Haben sie darunter gelitten? Nein. Warum? Weil die Kinder diese Entwicklungsschritte nicht für mich und meine Selbstverwirklichung gemacht haben und vor allem „das erste Mal“ nur den Anfang bedeutete, dh. es folgte die Wiederholung und Aneignung neuer Fähigkeiten, die ich alle mitbekommen habe. Mein Leid darüber, nicht bei den allerersten Schritten unseres Sohnes dabeigewesen zu sein, verflog, als er gleich nachmittags zum zweiten und dritten Mal lief.
Fazit: Was ich mir wünsche. Ich wünsche mir von der Gesellschaft ein Loslassen der traditionellen Rollen, das heißt mehr Unterstützung berufstätiger Eltern auch in der Gesprächskultur. Dass Mütter arbeiten dürfen, egal ob sie müssen oder „nur“ wollen. Dass Väter zu Hause bleiben und Fürsorge erbringen dürfen. Ich wünsche mir von Arbeitgebern, dass sie „Familienfreundlichkeit“ nicht nur als Wort im Marketing behandeln und in ihrer Betriebskultur Eltern (auch potenzielle!) keine Belastung sind, sondern als wertvolle Mitarbeiter behandelt werden, die Qualifikationen mitbringen, die nur von Eltern ausgebildet werden können. Ich wünsche mir von allen Frauen, vor allem aber allen Müttern, dass sie sich von der Dichotomie gut/schlecht lösen, was individuelle Entscheidungen des Elterndaseins angeht. Die Hausfrauen/Mütter sind keine Egozentrikerinnen, keine Heimchen oder Übermütter, die ihre Kinder nur als Verlängerung ihrer selbst sehen – sie lieben ihre Kinder und wollen ihnen das Beste geben, was sie zu bieten haben*. Die arbeitenden Mütter sind keine Egozentrikerinnen, keine Karrieretussis oder Rabenmütter, die ihre Kinder nur als Lifestyle-Accessoire bekommen haben – sie lieben ihre Kinder und wollen ihnen das Beste geben, was sie zu bieten haben*. Die Bedürfnisse der Eltern und der Kinder unterscheiden sich so sehr, wie sich Menschen unterscheiden. Das Eine ist nicht richtiger als das Andere, das Andere stellt das Eine nicht in Frage oder negiert es!
Ich wünsche mir, dass es für alle Arbeit, Lebensraum und Betreuungsplätze gibt, um das individuelle Glück zu verfolgen. Amen.
 
*Selbstverständlich sind bedauernswerte Einzelfälle hiervon ausgenommen, aber bitte: viele Anekdoten schaffen keine wissenschaftlichen Fakten.

Anm. 2020: Heute arbeitet mein Mann von 9 bis 18 Uhr, den Kindergarten haben wir hinter uns gelassen, das K10J ist schon recht selbständig – und ich habe in den vergangenen Jahren seit 2017 die Möglichkeit der Nachmittagsbetreuung an der Grundschule wahrgenommen, obwohl ich von Zuhause aus arbeite. Aber ich arbeite. Und wie heute wohl überall angekommen ist: Mit Kindern in der Wohnung ist das einfach nicht so einfach.

WEG MIT
§218!