Kategorie: Editorial

Das war’s

Portrait der Bloggerin an ihrem Arbeitsplatz in der Ecke ihrer Küche.

Das war 2023. Es war für mich mit diesem Blog kein leichtes Jahr.

Nachdem ich 2020 mit den Wissenschaftlerinnen – und der Entscheidung, auf (damals noch) Twitter mit frauenfiguren aufzutreten, wenn auch nicht mit einem designierten Account – viel mehr Aufmerksamkeit bekommen hatte, eine Ahnung dessen, was möglich wäre, wenn ich dieses Blog und meine Zeit anders managen würde/könnte, war es sehr nötig, aber auch sehr schmerzhaft, 2021 und 2022 zu pausieren. Neben dem dringenden Wunsch, in wirklich irgendeiner Form einen eigenen Lohnverdienst zu generieren, während ich gleichzeitig zwei Schulkinder zum Teil vollständig zu beschulen und unterhalten hatte, blieb schlicht keine Kraft für die Arbeit, die ich in dieses Blog im erfolgreichsten Jahr gesteckt hatte.

In dieses vergangene Jahr bin ich mit einer Mischung aus Zweifel und Entschlossenheit – oder Verbissenheit – gestartet: Ich hatte mir die Aktivistys des Intersektionalen Feminismus Ende 2020 nun mal vorgenommen, nicht nur, weil ich mich mit diesem Blog positionieren wollte (aber auch). Ich hatte gehofft, dass das Thema auf Instagram (und Twitter) vielleicht Aufmerksamkeit gewinnen könnte. Leider bin ich mit frauenfiguren auf Instagram zu spät gestartet, und ganz sicher auch mit der falschen Ressourcenverteilung. Die Zeit, die ich in frauenfiguren stecken kann, steckte ich in dieses Blog, in dieses inzwischen offensichtlich veraltete Format, das mir (auch alter Person) bisher einfach am meisten lag. Die Rechnung dieser Ressourcenverteilung war in diesem Jahr: Viel Arbeit, Energie und Leidenschaft ging in Recherche und Texterstellung hier, weniger Arbeit, Energie und Leidenschaft in die Sozialen Medien, und das Ergebnis waren für mein Gefühl fast immer unverhältnismäßig wenig Reaktionen, Wahrnehmung und damit gefühlter Anerkennung für die Arbeit, die ich ja nun, aber eben an der ’falschen’ Stelle, geleistet hatte. Mehr, regelmäßiger, für den Algorithmus attraktiver Posten wäre die Devise gewesen – aber dafür fehlte und fehlt mir noch immer die Zeit und immer mehr auch der Wille. Die Rechnung, auf dem Acker dieses Blogs zu pflügen und zu säen, aber auf dem Instagram-Acker die Früchte zu erwarten, ging einfach und wenig verwunderlich nicht auf. Und so bewege ich schon seit Mitte des Jahres die Entscheidung in meinem Herzen, die Arbeit an frauenfiguren – zumindest in der bisherigen Form – einzustellen.

Dieses Blog wird weiter existieren, soviel sei gesagt. Die Accounts auf Facebook, Instagram und Mastodon werden in gewissem Rahmen ebenfalls weiter bespielt. Ich werde nicht zwölf Jahre Arbeit von heute auf morgen unzugänglich machen. Allerdings wird es (bis auf Weiteres?) keinen Kalender mehr geben, somit auch keine so regelmäßigen Posts an dieser Stelle. Auf Facebook und Instagram werden die #frauenfigurenVor10Jahren weitergehen, allerdings werden diese Mitte des Jahres auch für ein Jahr versiegen, da sich dann die Geburt des zweiten Kindes zum zehnten Mal jährt und ich nunmal in dieser Zeit pausiert habe. Für die Sichtbarkeit von frauenfiguren ist das natürlich pures Gift, aber damit, habe ich festgestellt, kann ich inzwischen leben.

Was es möglicherweise geben wird, sind weiterhin meine Gedanken zu Filmen – etwas, was von Anfang an durch den Druck der wöchentlichen Kalender-Veröffentlichung zu kurz gekommen ist – und vielleicht belästige ich euch mit einem Prosa-Experiment, das ich irgendwann Mitte 2022 angefangen habe. Ihr werdet es wissen, wenn es passiert. Ich suche die Befreiung im Gedanken ‚nobody cares‚ und mache hier auf meinem Blog ab jetzt nur noch, wozu ich Lust habe.


Um zu verdeutlichen, wie schwer diese Erwägung auf mir lastet, will ich einmal ausholen und mehr von der Genese dieses Blogs preisgeben als jemals zuvor. Es ist ein langer Text und ich erwarte nicht, dass er gelesen wird, aber es tut gut, ihn zu schreiben.

Ich zähle zu den unerträglichen Leuten, die von sich sagen: Ich wollte schon immer schreiben. So klischeehaft, so wahr. Die Ambition, gut verdienende Romanautorin zu werden, musste ich angesichts der üblichen Notwendigkeiten nach dem Studium leider drangeben. Als Blogs ein Ding wurden, machte ich aber selbstverständlich eines auf, das ich am Ende auch nur für mich und die Beruhigung meines Gewissens – ’immerhin schreibe ich regelmäßig’ – führte. Andere prosabasierte Tätigkeiten in Foren zu Lyrik, Kurzgeschichten oder Filmrezensionen führten erstaunlicherweise nicht zu einer profitablen Karriere. Kurz vor meinem 30. Geburtstag rettete mir meine erste Festanstellung in einer Agentur zwar buchstäblich das Leben, stahl mir jedoch gleichzeitig mein Licht. In der Werbebranche als unbedeutende ’FFF-Maus’ war ich mehr als ausgelastet, jedwede Energie für kreative Arbeit wurde aufgefressen vom Broterwerb, mein Selbstwertgefühl zerrüttet von der Realisation, dass das, was ich konnte und wusste, in dieser Umgebung nichts zählte. Nach fünf Jahren, dem ersten Kind und dem ersten und hoffentlich einzigen Burnout wollte ich erstens nie wieder so arbeiten müssen und zweitens endlich wieder schreiben. Ich schaffte 2012 den Sprung in meine zweite Festanstellung, die zu gut war, um wahr zu sein, und nutzte die Gelegenheit auch für meinen Wunsch, zu schreiben. Mein erstes Blog war ziel- und publikumslos geblieben, dieses Mal wollte ich es richtig machen. Die Idee zu frauenfiguren hatte ich, als ich mit meinem Partner ’20000 Meilen unter dem Meer’ schaute, ein Film, in dem keine einzige Frau vorkommt, aber trotzdem andauernd von ’she’ und ’her’ die Rede ist – nämlich vom Schiff Nautilus. Diese Tatsache brachte mich darauf, ich könnte doch über Frauenfiguren schreiben; eigentlich dachte ich dabei vor allem an Frauenfiguren im Film, da das Schreiben über Film das Einzige war, was ich noch ab und zu mit Elan und für Anerkennung tat. Damit das Blog aber nicht so vor sich hindümpelte, während ich auf interessante Frauenfiguren in den Filmen wartete, die ich in meiner Freizeit schaute, überlegte ich mir das Konzept des Kalenders – die Rubrik, die schließlich zum eigentlichen Rückgrat und zur Existenzberechtigung dieses Blogs wurde.

Die Arbeit für den frauenfiguren-Kalender ist von Anfang an fast gleich geblieben. Ich entwickelte eine zeitsparende Methode, Wikipedia nach Frauen zu durchforsten, und je nach Laune und Interesse und Zeit lieferte ich ausführliche Texte und weiterführende Links oder nur kurze Notizen mit Bild. Für 2012 bis 2014 war das ein famoses Prinzip, ich fühlte mich ausgelastet und ob jemensch mein Blog las, war mir wurscht: Ich erfreute mich an dem, was ich Neues lernte, und daran, gelegentlich längere Texte zu verfassen. frauenfiguren bestand, damit ich eine sinnvolle Tätigkeit im Sinne des Sisyphus hatte (niemensch las es, außer meiner Mutter und einigen wenigen anderen Bloggern).

Dann verlor ich 2013 plötzlich meinen Vater und 2014 die zweite Festanstellung – wie gesagt, sie war zu gut, um wahr zu sein. Außerdem war ich mit dem zweiten Kind in Elternzeit und pausierte deswegen sowieso (ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt wurde ich in eine prestigeträchtige Blogroll aufgenommen, story of my life). Nach der Elternzeit begann ich angelegentlich wieder zu bloggen und mich mit einem wackligen, aber nicht zu leugnenden Selbstbewusstsein auf Stellen zu bewerben. Das Jahr ALG1 von Mitte 2015 bis Mitte 2016 hielt leider einige Rückschläge bereit, darunter ein Bewerbungserlebnis, das ich heute als traumatisierend erkannt habe. Komplett ausbleibende Einladungen sind eine Sache, auch nach einem Vorstellungsgespräch geghostet zu werden, noch eine andere Sache – eine Absage selbst abholen zu müssen, nachdem die Stelle mir so gut wie sicher zugesagt wurde, war ein Schlag in die Magengrube. Und die Gewissheit, dass diese Ablehnung – von einem Entscheider, der nie mit mir gesprochen hatte – darauf beruhte, dass mein Mutter-Sein alle meine Qualifikationen, Erfahrungen und Eigenschaften aushebelte, fügte meinem Selbstbild eine tiefe Verletzung zu.

Mit dieser Verletzung wurde jede weitere Bewerbung zu einer Selbstgeißelung, in dem Wissen, es würden mehrere Tage tiefster Depression mit suicidal ideation folgen, wenn mir klar wurde, dass ich wieder einmal vollständig ignoriert wurde, oder eine Absage erfolgte. Ich machte noch eine von der AfA geförderte Fortbildung, aber ich spürte deutlich, ich und eine reguläre Festanstellung über eine reguläre Bewerbung: Das wird nichts mehr. Vielleicht aber, dachte ich, war das das Zeichen, dass ich für etwas anderes gemacht bin. Vielleicht war das das Zeichen, dass ich vom Leben auf den Pott gesetzt wurde und meine ganze Energie in einen ganz anderen Lebensweg stecken sollte? Bewerbungen auf Stellenausschreibungen wurden zum Plan B, die Selbstständigkeit zum Plan A und ja, im Stillen dachte ich auch: frauenfiguren ist das, was mich retten wird. Ich werde mit diesem Blog groß rauskommen und alle, die mich nicht zu schätzen wussten, würden sich wundern. (Hier ’Zu spät’ von den Ärzten einspielen.)

Für mich waren schon die fünf Jahre vor der Pandemie eine extrem schwierige Zeit. Was eigentlich konzentriert, selbstbewusst und zielstrebig vorangetrieben hätte werden sollen, lieferte ich zerfasert und ohne Chuzpe. Ich zerteilte meine Energien in die Selbständigkeit, die ich auch nur halbherzig und mit wenig Souveränität aufstellte, in ebenso halbherzige Bewerbungen, in die Mutterschaft, die schlicht durch vermehrte Zeit zu Hause mit den Kindern ihren Tribut forderte, und in das Blog. Ich rieb mich auf zwischen den Aufgaben, die ich entweder nicht abgeben oder nicht loslassen konnte; der Druck, mit irgendetwas im Kapitalismus Sinnvollem ’erfolgreich’ sein zu müssen, zermürbte mich. Dann kam die Pandemie und läuterte mein Leben. 2020 ging noch das Blog und die Kinder (eine Vollkatastrophe mit dem weiteren Versuch einer Festanstellung beendete jegliche Ambitionen dahingehend), 2021 fuhr ich auch das Blog vollständig herunter, um wenigstens die Corona-Elternschaft mit meiner verbleibenden Energie richtig und gut zu leisten. Die Depressionen, die ich zuvor schon hatte, verstärkten sich, aber damit war ich ja nicht alleine oder: genauso alleine wie alle anderen. 2022 benötigte ich, um wieder Vertrauen in den Umstand zu fassen, dass die Kinder tatsächlich regelmäßig ganze Vormittage in der Schule waren und diese Zeit für mich selbst nutzbar war. Ein kleines Standbein meiner Selbständigkeit festigte sich, ein wenig verlässlicher Lohnverdienst stellte sich ein. Gleichzeitig rang ich immer wieder mit den Auswirkungen der ’parasozialen Beziehungen’ in den Sozialen Netzwerken, suchte weiterhin nach echter Frreundschaft und Anerkennung dort, wo mich die meisten Menschen noch nie IRL getroffen haben und im Fall vom frauenfiguren-Account oft nicht mal mein Gesicht oder meine Stimme kannten – und wurde wie so viele immer wieder vom Algorithmus enttäuscht. Der Ordner mit den Internet-Apps auf meinem Handy heißt inzwischen ’Total Perspective Vortex’, weil ins Internet zu gehen für mich eigentlich bedeutet, mir willentlich und aktiv die eigene Bedeutungslosigkeit vor Augen zu führen. Warum ich das andauernd freiwillig mache, ist mir ein Rätsel (wahrscheinlich gehe ich mit weit unter 1000 Followern durch die Tür, andere mit mehr Erfolg durchs Fenster steigen, siehe ’The Restaurant at the End of the Universe’). Ende 2022 machte ich eine Mutter-ohne-Kind-Kur und hatte drei Wochen Zeit, mich mit mir allein und dem zu beschäftigen, was mit mir in den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren passiert ist.

Und damit sind wir wieder in 2023. Die Kinder sind verlässlich vormittags in der Schule und nachmittags nicht mehr so betreuungsintensiv. Ich arbeite regelmäßig in meiner Lohnarbeit, jedoch bei Weitem nicht genug, um es einen Lebensunterhalt zu nennen, dazu gebe ich einmal die Woche Nachhilfe; die Zeit, die nicht in Lohnarbeit oder Carearbeit geht, stecke ich in dieses Blog – und nicht in Instagram-Content – und ab und zu schreibe ich über Filme für die Stadtrevue. Ich habe eine Freundschaft vor Ort, die auf ehrlicher Erwiderung und gemeinsamem Bemühen um die Pflege basiert, eine neue, unerwartete, aber von intensivem Austausch Geprägte kam in diesem Jahr überraschend hinzu. Für mich war dieses Jahr, als würde sich ein Schleier heben – nicht nur der der Pandemie. Vielleicht sind es die Freundschaften, die ich im echten Leben mit direktem menschlichen Kontakt endlich entwickelt habe – etwas, was mir jahrzehntelang fehlte, wegen Eltern-Dasein, wegen Arbeit, wegen Arbeitsverlust, wegen Pandemie – über die ich mit Teilen meiner Persönlichkeit wieder in Kontakt komme, die ich verloren hatte. Vielleicht sind es die schleichenden Folgen der Kur und der Konsequenzen, die diese auch für meine Beziehungen haben. Jedenfalls fühle ich mich, als würde ich mich nach langer Zeit der Verpuppung entfalten. Die Unzufriedenheit mit der Diskrepanz zwischen der Anstrengung, die ich in dieses Blog stecke, und dessen Sichtbarkeit gehört dazu. Ich gebe offen zu, dass mich der Blick auf andere ähnliche Accounts auf Instagram in den vergangenen Jahren des Öfteren frustrierte; dieses Blog führe ich seit 2012 (mit zwei Unterbrechungen), inzwischen habe ich das Gefühl, fast jeden Eintrag zu einer Frau auf Wikipedia mindestens einmal mindestens überflogen zu haben – ’ich kenne sie alle!’ Selbstverständlich sagt das nur teilweise etwas über das Ausmaß meiner Arbeit, zum anderen Teil vor allem etwas über den Mangel an Beiträgen zu Frauen auf Wikipedia. Oft dachte ich beim Blick auf Instagram: „Joa, über die habe ich schon vor X Jahren mal was geschrieben“, und ich hoffe, alle meine ehrlich geschätzten Kolleg*innen können angesichts meiner Ausdauer nachvollziehen, wenn mein Herz dabei eng und klein wurde. Selbstverständlich gönne ich jedem Account, ob groß oder klein, die Aufmerksamkeit – wie unfeministisch wäre es, mißgünstig zu sein. Und oft hatte ich ein schlechtes Gewissen für mein enges und kleines Herz, wenn erfolgreichere Accounts dann aktiv versuchten, mich in ihr Kielwasser zu ziehen. Wenn ich also nach dem Moment des Neids Kassensturz machte, wurde mir Mal um Mal klar, dass es auf nichts anderes als meine eigenen Entscheidungen und Versäumnisse zurückzuführen ist, dass frauenfiguren nicht einmal in diesem Jahr auf Instagram oder auch hier endlich durchstartete.

(Auf Twitter/X habe ich mit meinem persönlichen Account schon 2021 wieder abgemeldet, um dann einen reinen Blog-Account einzurichten… den habe ich im Laufe des vergangenen Jahres auch entfernt. Die Stimmung auf Twitter/X lag mir nie, aber dieses Jahr hat dem die Krone aufgesetzt.)

Sehr lange erschien mir das Einstellen dieser Blogarbeit wie eine Kapitulation – dann las ich Mitte dieses Jahres diesen GEO-Artikel (leider hinter Paywall) über das Loslassen und wie ‚Aufgeben‘ auch Ressourcen für Neues freimacht. Die ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Gedanken, es einfach bleiben zu lassen, machte tatsächlich Raum – oder zumindest: stieß die Überlegung an, was ich denn sonst tun könnte. Ich hatte neue Ideen, für meine berufliche Entwicklung und für etwas, was ich statt des Blogs ausprobieren möchte – in einem anderen Format, zu einem anderen Thema. Beides verlangt Zeit, die ich freischaufeln muss, und zwischen Lohnarbeit, Carearbeit und Blog ist das Blog das, worauf ich (und alle anderen) ohne Schaden verzichten kann. Und Freude bereitete mir das Blog im vergangenen Jahr auch immer weniger im Verhältnis zu der Zeit, die ich darein investierte – und verglichen mit der Leidenschaft, die ich für meine neue Idee habe. Das Blog oder jedenfalls der Kalender wird konmari-t; es hat sich von einem lieblichen Hobby zu einer lebenserhaltenden Maßnahme zu einem Druckpunkt ohne Weltschmerzerleichterung entwickelt und muss daher gehen.


Gratulation denen, die bis hierher gelesen haben. So lange ich mit der Entscheidung gerungen habe, so gut geht es mir jetzt damit. Es wird mir bis auf Weiteres nicht fehlen (und ich habe mir ja schon längst neue Verpflichtungen selbst aufgebürdet). An meinem Verhältnis zu und meinem Verhalten in den Sozialen Medien kann ich weiter arbeiten; ich kann nicht ganz auf sie verzichten, auch, weil ich mich in meiner derzeitigen Lebenssituation weiterhin nach menschlichem Kontakt verzehre, aber ich werde immer besser darin, mir selbst die wichtigste Begegnung zu sein. Ich merke gerade, wie schwer es mir schließlich doch fällt, endgültig auf den Button zu drücken und diesen Abschied abzuschicken. Aber es hilft nichts, die Zeit und der Raum müssen frei werden. Ich sage nicht ‚Lebe wohl‘, nur ‚Auf Wiedersehen‘.

Neustart

Screenshot einer WordPress Beitragsliste: "Veröffentlichte (734) | Geplante (12)"

Es ist vollbracht. Es war 2022 auf diesem Blog nur scheinbar still, denn ich habe meinen Plan umgesetzt, für die ersten in etwa 3 Monate – 12 Wochen – die Artikel über Aktivistys des intersektionalen Feminismus fertigzustellen.

Besonders stolz bin ich auf mich, weil ich es gemacht habe, obwohl mich das Leben in den Sozialen Medien auch dieses Jahr immer wieder frustriert, ja, deprimiert hat; die Frage, ob es an der mangelnden Qualität meiner Beiträge, meinem Unwillen, meine Zeit statt für Lohn- und Carearbeit algorithmusfreundlich für die Bewerbung dieses Blogs zu opfern oder auch nur am Algorithmus selbst liegt, kann ich auf keine mich glücklicher machende Art beantworten. Jedenfalls, an vielen Tagen habe ich mir immer wieder die Sinnfrage gestellt und mehr als einmal den Stecker ziehen wollen. Gerade habe ich vernommen, dass Blogs mit dem Ende der 2010er ihre Bedeutung verloren haben. Ressourcen und Fähigkeiten für Tiktok oder einen Podcast habe ich derzeit keine.

Fakt bleibt aber, dass mich wenig so glücklich macht, als mich regelmäßig in eine neue Person zu verlieben, mich mit ihren Themen und Erfolgen zu befassen, ihr Leben und Wirken in eine fassbare, geordnete Struktur zu bringen und zu hoffen, andere ebenfalls für sie begeistern zu können. Ich führe das Blog eigentlich nicht für euch, sondern für mich – dankbar über jede Interaktion bin ich nichtsdestotrotz, weil ich dann weiß, dass ich nicht in einen leeren Raum spreche.


Weil es bei den Beiträgen im kommenden Jahr wichtig ist, und ich das eigentlich auch mal als neues ‚Über mich und dieses Blog‘ angedacht habe, möchte ich hier einmal kurz meine Vorstellung anbringen, was für mich der ‚feministische Kampf‘ ist. Auf Twitter und Instagram habe ich diese Position schon als angepinnter Tweet bzw. in den Highlights kurz aber hoffentlich schlüssig umrissen.

Meine Position: Das System ist misogyn. So wie Tupoka Ogete in EXIT RACISM deutlich macht, dass wir in einem rassistischen System leben, das viel tiefer geht als offene Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, so ist unser gesellschaftliches System auch misogyn. Das durch Religion und Politik etablierte Patriarchat früherer Tage war die Hardware, doch so weit wir in manchen Aspekten der Gleichberechtigung seit dem Mittelalter vorangekommen sind: Die Software unserer heutigen Gesellschaft ist noch immer die Misogynie. Was traditionell als ‚weiblich‘ konnotiert ist, zählt als Anlass oder Begründung für Diskriminierung, Unterdrückung, Gewalt und Herabwürdigung. Die Sache ist, dass das nicht nur cis Frauen betrifft. Es betrifft:

  • cis und trans Frauen sowie alle inter, nicht-binäre und agender Personen, die weiblich gelesen werden – ihre Weiblichkeit (selbst identifiziert oder von außen gelesen) macht sie angreifbar für Misogynie
  • nicht-binäre und agender Personen, deren Identität nicht ‚traditionell weiblich/männlich‘ gelesen werden kann – das misogyne System bestraft das Widersetzen gegen die Binarität, weil es nur weiter funktionieren kann, wenn alle darin verharren
  • männlich gelesene Personen – diese stehen unter dem systemischen Zwang, ihre traditionelle ‚Männlichkeit‘ permanent unter Beweis zu stellen, wobei der goalpost, was ‚ein echter Mann‘ ist, beständig verschiebbar ist und jede Abweichung in Attribute, die traditionell ‚weiblich‘ gelesen werden können, sie für misogyne Gewalt angreifbar macht

Alle sind in irgendeiner Form von der systematischen Misogynie betroffen; die Formen, das Ausmaß und natürlich auch die Privilegien im System unterscheiden sich individuell.

Kurz gesagt: Im misogynen System ist ‚Weibliches‘ Minus, ‚Männliches‘ ist Plus, und alle Menschen müssen in der strengen Binarität verbleiben. Die Gleichberechtigung von Frauen funktionierte sehr lange darüber, dass Frauen Männern in ihren Rechten und Privilegien ähnlicher wurden – aber stets in einem Rahmen, der vom misogynen System bestimmt wurde. Individuelle Interpretationen, eigene Wege und Selbstbestimmung wurden und werden noch immer bestraft. Was von Männern erlaubt oder unterstützt wurde, war möglich, überschrittene Grenzen als Übermut und Anmaßung abgelehnt. Das ist nur scheinbare Gleichberechtigung, weil sie noch immer innerhalb des misogynen Systems funktioniert. Inter*, trans*, nicht-binäre und agender Personen stellen eine Bedrohung für das misogyne System dar, weil sie die Binarität auflösen – somit erfahren sie noch immer die deutlichste, offene Ablehnung, die von vielen, die solidarisch sein sollten, unterstützt wird.*

Es geht mir persönlich – auch mit diesem Blog – nicht darum, mich einer bestimmten Strömung des Feminismus zuzuordnen. Aber mein Verständnis von Feminismus ist, dass wir dieses misogyne System abschaffen müssen, das uns allen Gewalt antut. Und mit diesem Verständnis bin ich solidarisch mit allen, die in individuellen Formen unter diesem System leiden – das sind auch cis-het Männer, die sich damit abmühen, ihrem und dem gesellschaftlichen Bild von ‚Männlichkeit‘ zu entsprechen und dabei ihren Körper quälen und ihre Gefühlswelt verkümmern lassen (müssen). Auch wenn diese selbst nicht verstehen oder wahrhaben wollen, dass es Misogynie ist, an der sie leiden.**

Ich glaube, wir können das System nur überwinden, indem wir auf die Gemeinsamkeiten blicken. Und wenn es das Leid im misogynen System ist, das ich mit anderen gemein habe, dann bin ich mit ihnen solidarisch – ungeachtet ihrer Identität. Die Unterschiede zwischen uns bestimmen die Form des Leids, aber nicht die Tatsache, was die Ursache ist.

In diesem Sinne gehören im kommenden Jahr selbstverständlich auch trans* Frauen und – so sie auch weibliche Pronomen verwenden – nicht-binäre und agender Personen zu den möglichen Kalenderheldinnen. Die Auswahl, über wen ich in einem Beitrag spreche, ist weiterhin höchst idiosynkratisch und möglicherweise auch von meinen zeitlichen Möglichkeiten bestimmt. Ich werde versuchen, die unterschiedlichen Intersektionen gleichermaßen zu berücksichtigen, bitte jedoch um Nachsicht, da ich noch immer alleine und unbezahlt aus purer persönlicher Leidenschaft an diesem Blog arbeite.


* Zum misogynen System gehört auch die Idealvorstellungen von ’schönen‘ weiblichen und männlichen und allgemein ‚richtigen‘ Körpern, die Erwartung an eine ’natürliche‘ Fortpflanzung, bei der keine bereits entstandene Schwangerschaft beendet werden darf, sowie die Fortschreibung der Rollen in Beziehungen und Lohn- und Care-Arbeit.

**Ich bin Mutter zweier Kinder. Mein weiblich gelesenes Kind fühlt sich wohl, wenn es nicht weiblich gelesen wird. Mein männlich gelesenes Kind identifiziert sich männlich, trägt aber gerne Kleider und ist insgesamt gender nonconforming. Für beide sehe ich es als meine Aufgabe an, die binären Prinzipien von ‚Weiblichkeit‘ und ‚Männlichkeit‘ zu ignorieren und sie als Menschen zu begleiten. Das bedeutet nicht, ihre selbst benannte Identifikation z.B. als weiblich oder männlich abzulehnen, sondern ihnen den Rücken zu stärken in ihrem eigenen Ausdruck ihrer Identität. Es bedeutet auch, dass ich als Elternteil sehr unterschiedliche Erfahrungen damit mache, nicht, wie ich sie – als ‚Mädchen‘ oder ‚Junge‘ – erziehe, sondern vor welchen gesellschaftlichen Erwartungen und Repressalien ich sie als Individuen verteidigen muss.

wartet, wartet noch ein weilchen (weg mit §219a!)

nach einigen schlechten und einigen noch schlechteren tagen sammele ich wieder kräfte. in dieser woche habe ich mich schon um ein paar kleinigkeiten gekümmert, wie zum beispiel ganz zuletzt das „Weg mit §219a!“-Plug-In von Marco Friedersdorf, das ihr nun unten in der ecke des blogs finden könnt. wenn ihr dort draufklickt, werden die informationen zu schwangerschaftsabbrüchen angezeigt, wie Dr. Hänel sie nicht mehr auf ihrer webseite anzeigen darf, weil sie schwangerschaftsabbrüche ausführt.

ich führe keine schwangerschaftsabbrüche aus, darf deshalb darüber informieren und tue das gerne, da ich selbst das glück im unglück hatte, in amsterdam zu leben, als ich einen schwangerschaftsabbruch durchführen ließ. so niederschwellig und vorurteilsfrei, wie ich das damals tun konnte, sollte es für jeden menschen sein. deshalb finde ich dieses WordPress-PlugIn unterstützenswert – wenn auch im text das wort „Frauen“ noch durch „schwangere Person“ ausgetauscht werden könnte, denn nicht nur frauen können schwanger sein und einen abbruch benötigen. davon abgesehen finde ich es ein erstrebenswertes ziel, dass alle menschen auf so vielen wordpress-blogs wie möglich informationen zu schwangerschaftsabbrüchen finden können. damit sie schon lange, bevor sie vielleicht in die lage kommen, einen abbruch zu benötigen, über ihre rechte und möglichkeiten bescheid wissen.

für die kommende zeit sehe ich die zarten knospen aufblühender pläne – die meisten davon hatte ich irgendwann zwischen herbst und winter letztes jahr eingegraben. übrigens, gegen die andauernden schlechten nachrichten der steigenden infektionszahlen schaue ich jeden vormittag auf das Impfdashboard, auf dem das doch immerhin anziehende tempo des impffortschritts zu beobachten ist. und auch der Impfterminrechner macht inzwischen etwas bessere laune (auch wenn ich für den reality check empfehle, darauf zu achten, dass die parameter auf „tatsächliche Impfrate“ gestellt sind, sonst gibt’s am ende böses erwachen…).

bleibt mir gewogen, abonnentys und leserys, frauenfiguren ruht, aber es ist nicht tot.

wie sie sehen, sehen sie nichts

entgegen der guten vorsätze hat mich leider über die feiertage und mit der weiteren schulschließung bis (mindestens) ende januar ein großer löffel-mangel ereilt. während ich in das jahr 2020 mit einer bestehenden, fertigen planung ging und in der ersten zeit der schulschließung – vor den sommerferien – „nur“ ein vorschulkind und ein grundschulkind pädagogisch begleiten musste, bin ich in 2021 mit einer unvollständigen recherche gestartet (aufgrund von… *vage geste richtung welt*) und bin nun die nächsten wochen im prinzip bergschulenlehrerin: ich begleite ein 1.-klasse-grundschulkind und ein 5.-klasse-gymnasialkind.

ich möchte mich dafür bei den geneigten leser:innen und leserys entschuldigen. ich hoffe sehr, dass ich im februar starten kann, wenn sich das homeschooling eingependelt hat und die intellektuelle und emotionale betreuung meiner bauchfrüchte ich nicht mehr vollständig erschöpft.

bis dahin wünsche ich allen dort draußen die beste gesundheit, die möglich ist, den gelassensten langmut mit familie und/oder arbeit und das glück, dass bald die einladung zur impfung kommt.

rückblick – ausblick

frauenfiguren portrait der autorinmit kopfhörern im onesie
ich, die person hinter frauenfiguren

was für ein jahr! und das nicht nur ganz allgemein, sondern auch für frauenfiguren und mich persönlich.

mit dem thema Wissenschaftlerinnen und einem zufälligen kurzen moment des ruhmes auf twitter kamen überraschend viele neue followys. der zusätzliche Zeitstrahl Frauen in der Wissenschaft hielt mich ziemlich auf trab. das war ja auch von vorneherein das ziel gewesen (mehr disziplin, weil mehr druck), hatte aber auch seine schattenseiten, in diesem jahr besonders, in dem ich wesentlich mehr zeit mit kindern zu hause war als vorher gedacht.

weil die planung für nächstes jahr noch lückenhaft ist – dazu komme ich gleich – und weil es sich nicht immer gut angefühlt hat, so vorangetrieben zu werden von der selbstgestellten aufgabe, gibt es im nächsten jahr wieder `nur´eine frau pro woche. dafür werde ich eventuell an anderer stelle (*hust*Instagram*hust*) versuchen, mehr auf ältere inhalte einzugehen. in jedem fall werde ich mehr andere dinge versuchen, die auf frauenfiguren aufmerksam machen sollen, ohne mir jedoch zu viel energie für die eigentliche arbeit am blog zu rauben.

ich möchte bald auch einmal etwas persönlicher werden und von meiner situation erzählen, die für dieses blog eine rolle spielt und für die dieses blog auch eine große rolle spielt. ich bin eine einzelne person hinter frauenfiguren, die leidenschaft und zeit hineinsteckt, und ich will und werde das weiterhin tun. gleichzeitig fühlt sich die etwas anonyme und meist wenig kommunikative arbeit hinter der seite oft einsam an. sehr oft frage ich mich, ob die arbeitet wirklich einen sinn hat, ob es eigentlich wirklich jemensch interessiert, ob dieser blick auf frauenfiguren in geschichte und geschichten vielleicht nicht zeitgemäß und völlig überholt ist – wo die feministische arbeit zum beispiel auf Instagram eine ganz andere, aktivistischere ist. sehr oft in diesem jahr habe ich mich gefragt, ob ich auch in diesem bereich meines lebens, der mir doch so am herzen liegt, überflüssig bin, fühle mich aussortiert als `feministin alter schule´und stelle mir trotzig vor, wie ich mich ganz und gar ins private zurückziehe, mit dem einzigen ehrgeiz, meine eigenen kinder feministisch zu erziehen.

das ist natürlich auch meine dysthymie, die daraus spricht, und noch will ich mich nicht völlig geschlagen geben von logarithmen und meiner unfähigkeit, serotonin zu verarbeiten. deswegen schluss auch jetzt mit dem selbstmitleid und her mit dem ausblick auf das kommende jahr. schon immer habe ich nach möglichkeit meine überzeugung als intersektionale feministin deutlich gemacht, BiWoC und queeren frauen, wenn sie zur wahl standen, den vorrang gegeben vor den weißen cis hetero frauen, die in der weißen cis-hetero-normativen welt schon einen vorsprung haben. im nächsten jahr wird es auf frauenfiguren jedoch im kalender allein um aktivistinnen bzw. aktivistys des intersektionalen feminismus gehen – der queeren/LGBTQA+ community, des antirassismus, der body positivity und ähnlichem. weil diese personen zu oft in anderen themenbereichen nicht vorkommen, und weil es meine überzeugung ist: my feminism will be intersectional or it will be shit.

ich werde hoffentlich bald zwei neue seiten veröffentlichen, die die alte `über/about´ersetzen sollen – `Über dieses Blog´, mit einer leichteren verlinkungen zu den themen der vergangenen acht jahre sowie der klaren positionierung zum intersektionalen feminismus, und `Über mich´, mit einem einblick in mein leben hinter frauenfiguren. außerdem möchte ich mehr andere texte – für dieses blog, aber vielleicht auch anderswo – schreiben, über filme, bücher, comics oder auch einfach nur über mein leben als feministische mutter, das mit den wachsenden kindern nicht weniger herausforderungen bietet. ich freue mich über alle, die bleiben und die vielleicht auch im nächsten jahr neu dazu kommen.

WEG MIT
§218!