Monat: November 2023

48/2023: Laura „Lau“ Mazirel, 29. November 1907

Geboren und zu Teilen aufgewachsen im Dorf Gennep, das im Osten and Kleve und Goch grenzt, lernte die Tochter eines Eisenbahners und einer Lehrerin von früh auf Niederländisch und Deutsch. Ihre Eltern waren Pazifisten und sie erzogen ihr einziges Kind auch mit dieser Geisteshaltung. Als Laura zehn Jahre alt war, zog die Familie nach Utrecht, wo sie nach der weiterführenden Schule ebenfalls als Lehrerin arbeitete, während sie in der Abendschule Jura und Psychologie studierte. Nachdem sie darin ihren Abschluss gemacht hatte, machte sie eine Wanderung nach Spanien (möglicherweise den Jakobsweg nach Santiago de Compostela?).(1)

Von 1930 an lebte sie in Amsterdam, wo sie zunächst als Lehrerin und Reiseleiterin arbeitete. Sie schloss sich der sozialistischen Kommune ‚Roode Kloster‚ an, engagierte sich im Sociaal Demokratischen Studentenclub (Sozialdemokratischer Studentenclub, SDSC) und in der Sociaal-Democratische Arbeiderspartij (Sozialdemokratische Arbeiterpartei SDAP), außerdem beriet sie das Medisch Opvoedkundig Bureau (Büro für medizinische Bildung) in Rechtsfragen. Sie ging – als Gegnerin der traditionellen Ehe mit all ihren Konsequenzen für die Rechte der Ehefrau – eine ‚freie Ehe‘ mit einem Mann ein; diese ‚freie Ehe‘ schloss sie durch Bezeugung des Bündnisses vor Freunden, zwei Söhne gingen aus der Ehe hervor.

Mit 30 Jahren eröffnete sie 1937 ihr eigenes Rechtsanwaltsbüro; hier vertrat sie vor allem Klienten, die aufgrund des §248 verfolgt wurden, der homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen und Minderjährigen strafbar machte – als minderjährig galten zu dieser Zeit Menschen unter 21 Jahren. Der andere Teil ihrer juristischen Arbeit galt der Unterstützung von Flüchtlingen – darunter die zahlreichen Juden und Sinti*ze und Rom*nja, die vor dem faschistischen Regime aus Deutschland in die Niederlande geflohen waren. Sie half bei der Regelung von Familienangelegenheiten, und bei Problemen mit der Ausländerbehörde. Im gleichen Jahr, in dem sie ihr Büro eröffnete, wohnte sie auch einem Kongress auf der Weltausstellung in Paris bei, auf dem sie von der Theorie und der Planung der ‚Rassenhygiene‚ durch deutsche Wissenschaftler hörte und sogleich verstand, welche Folgen das für Juden und Sinti und Roma haben würde. Um sich selbst ein Bild zu machen, besuchte Mazirel ein ‚Entlausungscamp‘ für Rom*nja in Deutschland und fotografierte die Zustände dort. Als sie in die Niederlande zurückkehrte, versuchte sie, die Behörden und jüdischen Institutionen davor zu warnen, persönliche Angaben wie Religion und Interessen behördlich registrieren zu lassen, weil sie verstand, dass dies die staatliche Verfolgung aufgrund dieser Angaben erleichtern würde. Ihre Warnung fanden jedoch kein Gehör.

Nachdem im Mai 1940 Deutschland die Niederlande besetzte, war Laura Mazirel im Widerstand aktiv. Ihr Rechtsanwaltsbüro blieb weiterhin Anlaufstelle für Homosexuelle und Flüchtlinge und diente als Tarnung für die Weiterleitung von Informationen, die Kontaktaufnahme und die Organisation von Unterkünften von Menschen im Widerstand. Mazirel schloss sich den ‚Vrije Groepen Amsterdam‚ an; unter der Identität der Säuglingsschwester Noortje Wijnands war sie im Untergrund aktiv, während sie als Anwältin Laura Mazirel – die sehr gut Deutsch sprach – in Kontakt kam mit hochrangigen deutschen Militärs wie Ferdinand aus der Fünten. Aufgrunddessen wusste sie, was mit den Deportierten geschehen würde. Sie brachte Juden bei sich unter und gab jedes Jahr ein Neugeborenes einer jüdischen Familie bei den Behörden als ein eigenes an. Auch gehörte sie zur Gruppe um Walter Süskind, die Kinder aus der Hollandsche Schouwburg rettete, und sie soll noch auf den Gleisen des Bahnhofes oder aus bereits abgefahrenen Zügen Kinder aus den Waggons geholt haben. Ihr jüdischer Ehemann und ihre zwei Söhne – nach den deutschen ‚Rassengesetzen‘ ebenfalls Juden – mussten 1942 untertauchen.(1)

Im Folgejahr war Mazirel an dem Anschlag auf das Einwohnermeldeamt Amsterdam beteiligt, bei dem zahlreiche Personendaten zerstört und entwendet werden konnten. Die deutschen Besatzer hatten 1941 Personalausweise mit Bild und Fingerabdruck eingeführt, und dies erleichterte, wie Mazirel bereits früh geahnt hatte, die Verfolgung, Aushebung und Deportation von Juden, Sinti*ze und Rom*nja, Homosexuellen und anderen im Faschismus unerwünschten Personen. Mazirel wollte bei dem Anschlag vor Ort sein, doch Gerrit van der Veen hielt sie für nicht glaubwürdig in einer Polizeiuniform – die Verkleidung, mit der sich die Gruppe Einlass in der Behörde verschaffte. Außerdem fand er, sie könne als Anwältin noch andere, wichtigere Aufgaben für den Widerstand erfüllen. Die Aktion war ein großer Erfolg: Das Zentralregister für ganz Amsterdam war in der ehemaligen Konzerthalle des Amsterdamer Zoos Artis untergebracht; die Widerständler*innen konnten eindringen und Feuer in der Kartothek legen. Die – hauptsächlich niederländisch besetzte – Feuerwehr trug anschließend ebenfalls zum Erfolg des Einsatzes bei, indem sie sich Zeit ließ mit dem Eintreffen und dann auch noch wesentlich mehr Wasser als nötig einsetzte. Was an Dokumenten nicht verbrannte, erlitt so einen Wasserschaden. 800.000 Karteikarten zu Amsterdamer Bürgern wurden zerstört, außerdem konnte die Gruppe 600 Blankoausweise zum Fälschen entwenden sowie 50.000 Gulden. Der Erfolg des Anschlags diente der Stärkung des Widerstands ebenso, wie er die Erfassung und somit Deportation von Verfolgten massiv erschwerte.

Elf der Beteiligten konnten in den kommenden Monaten aufgrund von Verrat verhaftet werden, sie wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet. Eine der Widerständler*innen, Frieda Belinfante, konnte der Verfolgung entkommen, indem sie sich als Mann verkleidete. Gerrit van der Veen wurde im nächsten Jahr ebenfalls aufgegriffen, verurteilt und hingerichtet. Mazirel besuchte ihn am Tag vor seinem Tod, er soll zu ihr gesagt haben, sie möge der Welt erzählen, dass Homosexuelle ebenso mutig sein können wie alle anderen. Ihre Antwort darauf: „Als Frau weiß ich, dass das Geschlechts nichts mit Mut zu tun hat.“(1)

1944 wurde auch Laura Mazirel von den Deutschen verhaftet. Sie wurde zwar nach sechs Wochen wieder auf freien Fuß gesetzt, weil ihre Akte verschwunden war und somit unklar, was ihr vorgeworfen wurde. Doch sie erlitt in dieser Zeit Misshandlungen, die den Rest ihres Lebens Folgen für ihre Gesundheit haben sollten.

Nach dem Krieg setzte Mazirel ihre Arbeit als Rechtsanwältin in Fragen zu Einbürgerung und Namensänderung fort. Sie trat für die Rechte der LGBTQIA+Community ein und kämpfte für das Recht auf Abtreibung. Sie wurde Mitglied der Partij van de Arbeid, trat dort aufgrund der Haltung zu den ‚Polizeiaktionen‘ in Indonesien jedoch wieder aus. Mit Robert Hartog, den sie im Untergrund während des Zweiten Weltkriegs kennengelernt hatte, ging sie eine notarielle Ehe und bekam einen Sohn von ihm. Mitte der 1950er Jahre zwang ihr Gesundheitszustand sie dazu, ihren Beruf aufzugeben; die Familie zog nach Frankreich aufs Land. Sie trat 1957 noch, kurz nach deren Gründung, der Pacifistisch Socialistische Partij bei. 1973 kam ihr jüngster Sohn bei einem Autounfall ums Leben, sechs Monate später starb Laura Mazirel, kurz vor ihrem 67. Geburtstag.


Quelle Biografie: Wiki deutsch | englisch
außerdem:
(1) Resources Huygens, Vrouwenlexicon

47/2023: Erica Malunguinho, 20. November 1981

Die Region Brasiliens, in der Erica Malunguinho geboren wurde und aufwuchs, ist geprägt von der Kultur aus Afrika nach Südamerika verschleppter Sklaven. In Recife, Hauptstadt der Provinz Pernambuco im Nordosten des Landes, machen PoC einen Großteil der Bevölkerung aus; Água Fria, der Stadtteil, in dem Malunguinhos Familie lebte, ist eine vornehmlich von Schwarzen bewohnte Nachbarschaft. Ihre Mutter war gebildet und arbeitete als Krankenpflegerin, sie sorgte auch für Ericas gute Ausbildung. Die Musik und Ästhetik des Jurema Sagrada* hatte starken Einfluss auf Malunguinhos künstlerische Entwicklung. Gleichzeitig erlebte sie nicht nur Rassismus, sondern auch Colorismus – hierarische Abwertung innerhalb der Schwarzen Gemeinschaft aufgrund dunklerer Haut.


*Jurema ist eine in Brasilien heimische Akazienart, die in diesem Kult als heilig (‚sagrada‚) gilt; der Baum liefert mit Holz und Blättern Baumaterialien, und Getränke, Aufgüsse und Salben aus seinen Bestandteilen werden für rituelle Handlungen verwendet. Die Religion vereint den Naturglauben der indigenen brasilianischen Bevölkerung mit der afrikanischen Religion der Yoruba sowie dem Katholizismus.


Nach der weiterführenden Schule ging Malunguinho nach São Paulo. Die räumliche Veränderung und das Studium der Kunstgeschichte und der Ästhetik gehörten zu einer Befreiung, bei der sie auch ihre Genderidentität erkannte und akzeptierte. Sie begann ihre Transition und wählte ihren Namen: ‚Malungo‘ ist ein Bantu-Wort, das eine*n Reisegefährt*in bezeichnet, ‚-inho‚ ist die portugiesische Verniedlichungsform.

Bereits während ihres Studiums bezog Malunguinho ein Studio im Stadtbezirk Campos Eliseos, von dem aus sie als Künstlerin in vielen Kunstformen tätig ist; im Laufe der Zeit baute sie ihr Studio zu dem Kulturzentrum ‚Aparelha Luzia‚* aus, in dem vornehmlich Schwarze Kunst, Unterhaltung und Politik zusammenkommen. Es dient als safe space für von Diskriminierung Betroffene, sowohl aufgrund der Hautfarbe wie auch der Orientierung und Identität – ein Knotenpunkt für Bildung, Austausch und gegenseitige Unterstützung, frei zugänglich für alle.


*Aparelho waren Zellen des zivilen Widerstand gegen die Militärdiktatur von 1964 bis in die 1980er Jahre; Malunguinhos Kulturzentrum versteht sich als ein solches Zentrum des zivilen Widerstands mit einer weiblichen Basis, weshalb es ‚aparelha‘ heißt. Luzia ist der Name eines der ältesten Skelette, die audf dem Kontinent gefunden wurden, ein Fossil der frühesten Einwohner Südamerikas. Den Brand des Nationalmuseums 2018 überstand zumindest der Schädel und einige Teile ihrer weiteren Überreste.(1)

Malunguinho bezeichnet das ‚Aparelha Luzia‚ auch als ein ‚quilombo‚: Dies waren, zum Teil wehrhafte, Siedlungen geflohener Sklaven in Brasilien, in denen sich eben solche Kulturen wie die der Jurema Sagrada entwickeln konnten. Malunguinho nimmt damit Bezug auf die Fähigkeit und den Willen der maroons, ihre eigene Gesellschaft nach ihrer Tradition und ihren Vorstellungen aufzubauen.


Es war die Ermordung der Politikerin Marielle Franco, die Erica Malunguinho dazu bewegte, sich aktiv politisch zu betätigen. Für die Partido Socialismo e Liberdade (Partei für Sozialismus und Freiheit) trat sie 2018, unterstützt vom Kollektiv des ‚Aparelha Luzia‚, für die Parlamentswahlen für den Bundesstaat São Paulo an und gewann einen Platz, am gleichen Tag, an dem Jair Bolsonaro zum Präsidenten des Landes gewählt wurde. (1) Sie war die erste trans* Frau, die in Brasilien in ein Parlament gewählt wurde. Ihr politisches Programm richtet sich vor allem gegen Rassismus und die Diskriminierung von Menschen in der LGBTQIA+Gemeinschaft, außerdem hat sie es sich zum Ziel gesetzt, Obdachlosigkeit zu bekämpfen, Opfern von sexueller Gewalt eine bessere Versorgung in Krankenhäusern zu ermöglichen und den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen zu erleichtern. Malunguinho möchte dem Publikum in ihrem quilombo auch verdeutlichen, dass das Private politisch ist und dass die Bevölkerung die Politik mitgestalten kann.(1)

Rosa-Luxemburg-Stiftung: Interview mit Erica Malunguinho „Queer sein in Brasilien ist ein Akt der Rebellion“

Quelle Biografie: Wiki englisch
außerdem:
(1) The Nation

46/2023: Ursula Eggli, 16. November 1944

Ursula Egglis Eltern waren einfache Leute im kleinen Schweizer Ort Dachsen, der Vater Arbeiter, die Mutter Kinderschneiderin und Näherin. Ursula kam als ältestes von drei Geschwistern auf die Welt; nachdem sie sich mit dem Laufenlernen schwer tat, benötigte es verschiedene Ärzte, bis die Diagnose Spinale Muskelatrophie (‚Muskelschwund‘) erfolgte. Ihr Leben auf dem Dorf blieb zunächst jedoch relativ idyllisch: Sie wurde von Nachbarskindern und ihrem Bruder Daniel im Kinderwagen geschoben, wenn sie allein war, las sie und dachte sich Geschichten aus. Sie ging auch – als einziges Mädchen unter 24 Jungen – für drei Jahre in die Dorfschule.

Mit neun Jahren jedoch kam sie in ein Heim für behinderte Kinder; ihr zweiter Bruder, Christoph, war ebenfalls mit Muskelatrophie zur Welt gekommen, was die diabeteskranke Mutter belastete; die Dorfschule sah sich ebenfalls von den Anforderungen überlastet. Im Heim beendete Eggli die Schule, danach kehrte sie zunächst nach Dachsen zurück.(1)

Anfang der 1970er Jahre gründete sie mit behinderten und nicht-behinderten Freund*innen eine WG. 1977 veröffentlichte Eggli ihr erstes Buch, ‚Herz im Korsett‘, in dem sie im Tagebuchstil aus dem WG-Leben erzählt. Darin brach sie das Tabu, über sexuelle Bedürfnisse und sexuelles Erleben behinderter Menschen, insbesondere Frauen, zu sprechen.

Zwei Jahre nach der Veröffentlichung trat Ursula Eggli mit ihren Freund*innen im Dokumentarfilm ‚Behinderte Liebe‘ auf, der ebenfalls die Schwierigkeit schildert, ein ’normales‘ Beziehungs- und Liebesleben zu führen, denen Menschen mit Behinderung gegenüberstehen.

In den 1980er Jahren schrieb Eggli weitere Texte, etwa in der von ihr gegründeten Zeitschrift ‚Puls‘, und Bücher, die jedoch nicht an den Erfolg ihres ersten Buches anschließen. Sie war als Aktivistin für Behindertenrechte und Frauenrechte politisch tätig, hielt Vorträge und leistete soziale Arbeit, etwa Begleitung und Betreuung von Feriencamps für Kinder mit Behinderung.

Sie verliebte sich zum ersten Mal in eine Frau und lebte mehrere Jahre mit dieser Partnerin zusammen; so griff sie in den 1990er Jahren in ihrem politischen Aktivismus auch Homosexuellenrechte auf, auch hier insbesondere Rechte behinderter Homosexueller. Mehrfach nahm sie an den Gesprächen der Homosexuellenbewegung an der Akademie Waldschlösschen in Göttingen teil.(1)

2005 war sie Vizepräsidentin des Schweizer Netzwerk behinderter Frauen ‚Avanti donne‚.

Sie starb am 2. Mai 2008 mit 64 Jahren.

Im Archiv der Behindertenbewegung ist ihr Märchenbuch Freakgeschichten für Kinder und Erwachsene als PDF zum Download zu finden.


Quelle Biografie: Wiki deutsch
außerdem:
(1) Archiv Behindertenbewegung




45/2023: Susie Orbach, 6. November 1946

Der Vater von Susie Orbach war ein britisch-jüdischer Politiker der Labour Party und aktiv im Jüdischen Weltkongress, ihre Mutter, eine amerikanische Jüdin, unterrichtete während des Zweiten Weltkriegs geflüchtete Deutsche in Englisch und arbeitete später als Lehrerin.

Susie wuchs in der Nähe von London auf. In ihrer Ausbildung benötigte sie einige Anläufe, bis sie ihre Berufung fand: Zunächst erhielt sie ein Stipendium für die North London Collegiate School, wurde jedoch mit 15 Jahren von der Schule gewiesen. Trotzdem konnte sie später an der School of Slavonic Studies russische Geschichte studieren; im Jahr vor ihrem Abschluss brach sie das Studium ab, ebenso ein Jurastudium in New York. Erst am Richmond College of Staten Island fand sie in den Women’s Studies ihr eigentliches Interesse. Sie machte 1972 mit 26 Jahren dort ihren Bachelor mit dem höchsten Grad, ein Masterabschluss in Sozialfürsorge folgte zwei Jahre später an der Stony Brook University.

Orbach kehrte nach London zurück und gründete 1976 gemeinsam mit Luise Eichenbaum das Women’s Therapy Centre in London, dem fünf Jahre später gleiches Zentrum in New York folgen sollte.

1978 brachte Susie Orbach ihr Buch ‚Fat Is A Feminist Issue‚ heraus, in dem sie die Diätkultur und deren Wurzeln im Kapitalismus analysierte und kritisierte, 1982 folgte ein zweiter Teil des Buches. In den 1990er Jahren machte Orbach eine psychoanalytische Weiterbildung bei Anne-Marie Sandler; sie wurde außerdem dafür bekannt, dass sie Diana, Prinzessin von Wales, für ihre Essstörung behandelte. Ihren Doktortitel in Psychoanalyse machte schloss sie jedoch erst 2001 mit 55 Jahren ab.

2004 beriet sie Unilever und deren Werbeagentur zur Werbung für Dove – die sich auf die Fahnen schrieb, ihre Kundinnen nicht mehr mit unrealistischen Schönheitsidealen unter Druck zu setzen. Der Clip dazu gewann einen Preis in Cannes; Unilever setzt bei Dove-Werbung heute weiterhin auf Authentizität und Verantwortlichkeit im Umgang mit Frauenbildern in den Medien. (Selbstverständlich medienwirksam und mit dem Ziel, Produkte zu verkaufen.)

Orbach ist Vorsitzende des Verein AnyBody (vormals Endangered Bodies) und berät unter anderem das britische Gleichstellungsministerium zum Thema Körperbild. Sie schreibt seit zehn Jahren regelmäßig für The Guardian und brachte 2009 ein weiteres bahnbrechendes Buch heraus namens ‚Bodies‚, in dem sie sich mit dem stark wandelnden Körperbild des Internetzeitalters auseinandersetzt.


Quelle Biografie: Wiki deutsch | englisch
außerdem:
(1) Süddeutsche Zeitung

44/2023: Miriam van der Have, 1. November 1958

Mit 19 Jahren erhielt Miriam van der Have die Diagnose der Androgenresistenz (AOS): Sie hatte eine Vagina und in der Pubertät Brüste entwickelt, doch sie hatte keinen Uterus, ihre Gonaden waren lageveränderte Hoden und ihre Karyotyp XY. Die Gonaden wurden ihr wegen des erhöhten Krebsrisikos entfernt, doch bei der Operation wurde sie Opfer einer Verstümmelung: Ihr wurde vorher gesagt, ‚etwas an ihrer Vagina‘ müsse gemacht werden – als sie aufwachte, war ihr die Klitorisspitze (CN Bilder) entfernt worden.(1)

Van der Have machte einen Doktor in Mathematik und arbeitete als Journalistin. Sie lebte mit ihrer Frau und zwei Kindern und dem Geheimnis ihrer Geschlechtsidentität, als sie 2003 das Coming Out der trans* Frau Kelly van der Veer sah, die dort durch Big Brother bekannt ist.(2) Sie beschloss, sich ebenfalls öffentlich zu outen und trat in der TV-Dokumentation ‚Vinger aan der Pols‚ auf, obwohl ihr Ärzte jahrelang eingeredet hatten, dass sie bei einem Coming Out persönliche, berufliche und gesellschaftliche Verluste erleiden würde.(1)

Sie gründete 2013 mit zwei Freundinnen die Stiftung NNID für sexuelle Diversität, zwei Jahre später war sie an der Gründung der OII Europe (Link Englisch) beteiligt, seit 2016 hat sie das Sekretariat Intersex des Dachverbandes ILGA (International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association) inne. Sie brachte 2016 auch einen eigenen Dokumentarfilm über Frauen mit AOS heraus.

Eine ihrer politischen Forderungen ist es, ‚Geschlechtscharakteristika‘ als Merkmal in die niederländischen Gelchbehandlungsgesetze einzufügren, sodass inter* Personen nicht aufgrund ihrer Identität diskriminiert werden dürfen. Intergeschlechtlichkeit sollte nicht als eine Erkrankung oder medizinische Abnormalität behandelt werden – zumal der Termines verschiedene Formen umfasst und nicht alle Sachlagen tatsächlich medizinische Versorgung nötig machen. Stattdessen sieht van der Have Intergeschlechtlichkeit als eine Variation der menschlichen Geschlechter, die sich vor allem durch die gelebte Erfahrung auszeichnet, die Menschen haben, deren Körper nicht in die binären Vorstellungen von Männern und Frauen passt. Schon 2014 forderte van der Have deswegen das Hinzufügen des ‚I‘ zur Bezeichnung der LGBT-Gemeinschaft.(4)


Quelle Biografie: Wiki niederländisch | englisch
außerdem:
(1) Humanstisch Verbond
(2) Huffington Post
(3) Vice
(4) Het Parool

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