Kategorie: gesehen

invisible sue

am donnerstag startet ein deutscher kinderfilm in den kinos, den ich allen kindern, jugendlichen und auch erwachsenen superheld:innen-fans ans herz legen möchte. invisible sue von markus dietrich bezieht sich optisch deutlich auf die comic-genese des superheld:innen-prinzips, hat sichtbaren spaß an dynamik und popkulturellen referenzen und macht ganz einfach mal das geschlecht seiner protagonist:innen (fast komplett) zu einem unwesentlichen charaktermerkmal. bei FILMLÖWIN habe ich mir drei gedanken zu dem film gemacht.

unzertrennlich

für die FILMLÖWIN durfte ich Frauke Lodders Unzertrennlich besprechen – ein Film über die Geschwister von behinderten oder lebensverkürzt erkrankten kindern. ein sehr schöner film, der mein mutterherz gar nicht so sehr zu tränen gerührt als über die ähnlichkeit von geschwisterbeziehungen hat lächeln lassen.

reise nach jerusalem

arbeitslose akademikerin bewirbt sich erfolglos, nennt sich selbständig und versucht, ihrem leben mit to-do-Listen sinn und struktur zu geben – mein leben als film! Lucia Chiarlas Reise nach Jerusalem durfte ich für FILMLÖWIN sehen und besprechen. real talk: ich habe bei dem film so viel geweint wie bei Watership Down. es ist einfach zu wahr.

mary shelley

für die FILMLÖWIN durfte ich Mary Shelley besprechen – seit dem 9. Mai auf DVD/BD – ein sehr schöner film, der locker den bechdeltest besteht und (fast) alles richtig macht!

Wer sich vorher oder hinterher noch mal etwas zur echten Mary Shelley zu Gemüte führen möchte, kann ja noch meinen Beitrag von 2016 zu ihr lesen. Ihr Leben nach der Veröffentlichung von Frankenstein bekommt dort auch nicht sehr viel Raum, deshalb hier eine kurze Zusammenfassung ihres Lebens post-Frankenstein. Sie schrieb weitere Romane und Reiseberichte, vor allem aber arbeitete sie daran, das Werk ihres verstorbenen Mannes zu veröffentlichen. Davon, seine Biografie zu schreiben, hielt sie ihr Schwiegervater ab, der seine finanziellen Zuwendungen – auf die sie lange Zeit angewiesen blieb – davon abhängig machte, dass niemand von den radikalen Ansichten seines Sohnes erfuhr. Der Tod von Percys erstem Sohn mit Harriet Shelley machte Marys Sohn Percy Florence zum direkten Erben des Shelley-Vermögens und als der Schwiegervater später starb, waren Mutter und Sohn ihre wirtschaftlichen Sorgen halbwegs los.

Sie traf nach Percys Tod noch einige Männer, die ihr die Ehe antrugen, aber sie lehnte stets ab. Sie könne nach einer Ehe mit einem Genie nur ein weiteres heiraten, war ihre Begründung. Dafür half sie allerdings einem befreundeten Frauen*-Pärchen, in Frankreich wie Mann* und Frau* zusammenzuleben – sie half ihnen, den Pass einer der beiden zu fälschen, sodass diese dort unter ihrem männlichen Pseudonym leben konnte.

Sie wurde mehrfach Opfer von Erpressungsversuchen, die auf ihrer oder Percys „unmoralischer“ Lebensweise beruhten. Ein Mann erpresste sie damit, eine kritische Biografie Percy Bysshe Shelleys herausbringen zu wollen – worauf sie nicht einging, wohl, weil diese sie eventuell aus der Zensur durch ihren Schwiegervater befreit hätte. Sie fand allerdings ihren eigenen Weg, dennoch ihre eigene Sichtweise zu erzählen, indem sie Percys Gedichte mit ausführlichen Anmerkungen herausbrachte, die sehr ins biografische Detail gingen.

Noch etwas zu ihrem größten Werk, Frankenstein oder Der Moderne Prometheus. Es steht noch immer ein Film aus, der diese literarische Vorlage gänzlich von den filmischen Vorgängern frei und wirklich nach der Geschichte Shelleys erzählt. Als ich das Buch damals las, war ich immer wieder erschüttert, wie völlig anders Shelley den künstlichen Menschen charakterisiert, als es uns unsere popkulturellen Einflüsse glauben lassen. Ich kann nur empfehlen, sich dieses Werk auf die feministische Lektüreliste zu setzen.

Jetzt lest aber erst einmal meine Filmkritik auf FILMLÖWIN.

Generation Wealth

Lauren Greenfield (USA 2018)

Full Disclosure: Der deutsche Verleih JIP Film und Verleih ist an mich herangetreten und hat mir den Film für diese Rezension zugänglich gemacht; kein weiteres Honorar wurde vereinbart. Der Text spiegelt meine unbeeinflusste Meinung wieder.

Von Jugendlichen in Los Angeles, die „im Schatten Hollywoods“ aufwachsen, über Magersüchtige, die in einer Reha-Klinik versuchen, eine gesunde Beziehung zu ihrem Körper und seinem Nahrungsbedürfnis aufzubauen, bis hin zur Königin von Versailles – die Fotografin und Dokumentarfilmerin Lauren Greenfield hat sich im Laufe ihres beruflichen Lebens immer wieder mit Extremen befasst. Darüber, so sagt sie in ihrem neuesten Dokumentarfilm, hofft sie den Mainstream besser verstehen zu können.

In „Generation Wealth“ wirft Greenfield einen anthropologischen Blick auf die eigene Kultur und sich selbst als Teil davon. Ihre chronologische Aufarbeitung beginnt mit dem, was der american dream einst für ihre Einwanderer-Großeltern war – dass jeder es zum Erfolg bringen kann, unabhängig von Herkunft und Ausgangspunkt – und wie daraus in den 1980er Jahren die Gier nach Mehr zu einer Tugend wurde, so ausformuliert von Gordon Gecko (Michael Douglas) in „Wall Street„, dem symptomatischen period piece der Dekade. Greenfield selbst begann in den 1990ern zu arbeiten und richtete ihren Fokus auf die extremen Ausformungen der Wohlstandsgesellschaft, die dem folgten. Der vorliegende Dokumentarfilm entstand parallel zur Arbeit an der Ausstellung mit Fotoband gleichen Namens, bei der sie in den vergangenen 10 Jahren rund um die Welt Menschen vor die Kamera holte, die wealth (Reichtum, Vermögen, Wohlstand, aber auch Fülle oder Schatz) haben, hatten oder erreichen wollten – ein Panoptikum des gelebten Kapitalismus. Zu manchen ihrer Protagonisten hat Greenfield eine persönliche Beziehung, aus der Schul- oder Studienzeit; einige trifft sie im Lauf der Arbeit immer wieder und zeichnet damit nach, welche Kosten, aber auch welche Erkenntnisse das exzessive Streben nach Mehr mit sich bringt. Dabei nimmt Greenfield sich selbst als arbeitswütige Mutter nicht aus der Betrachtung heraus: Wiederholt sie das Leben ihrer Mutter, von der sie sich verlassen fühlte?

Greed is right, greed works. Greed clarifies, cuts through, and captures the essence of the evolutionary spirit. Greed, in all of its forms; greed for life, for money, for love, knowledge has marked the upward surge of mankind.

Gordon Gecko (Michael Douglas) in „Wall Street“

In den teilweise schmerzhaften, erschreckenden, vielleicht für einige gar abstoßenden Szenen, die Greenfield zusammenträgt, wird unleugbar deutlich, wie die Fixierung auf das Anhäufen von Reichtum, von außen sichtbaren Zeichen des Erfolges – wie der Kapitalismus ihn versteht – zur Kommerzialisierung und unweigerlich zur Verdinglichung des menschlichen, insbesondere des weiblichen Körpers wird. Ob es von Greenfield so gemeint ist oder nicht: Auch im Dokumentarfilm selbst stehen die Männer und Frauen in sehr unterschiedlichem Verhältnis zur Gier-Kultur. Florian Homm, vom FBI-gesuchter Ex-Hedgefond-Manager, der jetzt in seiner hessischen Heimat quasi im Exil lebt, erklärt die Börse und zeigt nur in Bezug auf seine eigenen Verluste Reue; Bret Easton Ellis, Autor von „Unter Null“ und „American Psycho“, und der Journalist Chris Hedges erörtern die Sachlage aus einer Position der körperlichen, seelischen und finanziellen Unversehrtheit. Die Frauen vor Greenfields Kamera hingegen tragen alle Spuren der absoluten Kommodifizierung des weiblichen Körpers im Kapitalismus davon: Da erzählt Kacey Jordan, die Pornodarstellerin, die einst für eine fünfstellige Summe (angeblich) zwei Tage lang mit Charlie Sheen feierte, von Salmonellenvergiftung durch Bukkake und gerissenem After, während sie mit der Übelkeit einer Schwangerschaft kämpft, die sie dieses Mal austragen möchte. Da ist die Busfahrerin, die sich so hoch verschuldet, dass sie schließlich im Auto lebt, um wenigstens den schönsten Körper zu haben, den sie haben kann – wenn sie schon nicht mehr vom Eigenheim träumen kann, möchte sie ihrer Tochter wenigstens diese Erfolgsstory vorleben. Und die erfolgreiche Börsenmaklerin, die mit 40 ihren Kinderwunsch auch mit Hilfe mehrerer Fertilitätsbehandlungen nicht mehr mit dem eigenen Uterus erfüllen kann und das Kind, von einer hochbezahlten Leihmutter geboren, schließlich alleine im Luxus großzieht. Dazwischen Bilder der Magersüchtigen aus Greenfields erstem Dokumentarfilm „Thin“ und Stripperinnen in Altanta aus „Magic City„, den Greenfield 2015 drehte.

„If you think that money will buy you anything and everything, you’ve never ever had money.

Florian Homm in „Generation Wealth“

Und Greenfield selbst, die sich der Tatsache stellen muss, dass sie mit ihrer Arbeitswut eine Entfremdung von ihren Kindern in Kauf genommen hat, an der auch ihre Beziehung zur eigenen Mutter krankt. An diesen Stellen gerät der Film in Gefahr, als Kritik an den Errungschaften des Feminismus verstanden werden zu können: Seht, wohin es führt, wenn die Frauen die gleichen Ziele haben wollen, die die Männer seit Jahrhunderten selbstverständlich verfolgen. Tatsächlich aber stellt der Film die Frage nach dem richtigen Leben im falschen, hier: Kann es ein gutes, erfolgreiches Leben für Frauen – oder: für alle – geben im vom Patriarchat geprägten und beherrschten kapitalistischen System? „Generation Wealth“ zeigt deutlich, wie sehr sich in der Wohlstandsgesellschaft Erfolg in sichtbaren, anfassbaren Dingen bemisst, in Besitztümern und, per Objektifizierung der Frau, in Körpermerkmalen, und wie langwierig und schmerzhaft die Besinnung darauf ist, dass dabei die nicht messbaren, nicht von außen zu beurteilenden Schätze auf der Strecke bleiben: Familie, Liebe, Vertrauen, Würde.

Mit den Bildern von zwei sehr unterschiedlichen Müttern, die die kommende Generation heranziehen und so mit ihren Erfahrungen die Gestaltung der zukünftigen Kultur beeinflussen, lässt der Film den Zuschauer zwischen Hoffnung und Skepsis zurück: Die ehemalige Schulkameradin Greenfields, die trotz ihrer wirtschaftlichen Armut dank ihres guten Aussehens in den gehobenen Zirkeln im Schatten Hollywoods akzeptiert wurde, zieht ihre Kinder gänzlich ohne Medien auf; kein schädlicher Einfluss soll auf die jungen Seelen einwirken, doch die Welt, die die Mutter gestaltet, wirkt idealisiert und realitätsfremd. Demgegenüber die alleinerziehende Mutter, die sich ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit erarbeitet hat und es sich nun leisten kann, ihre Zeit in ihr einziges Kind zu investieren – und eine Welt um das Kind herum schafft, in der, ebenso realitätsfremd, niemals etwas nicht zu haben ist. Und auch hier, dazwischen: Lauren Greenfield selbst, die nach den Sätzen ihrer Söhne, dass „der Schaden schon angerichtet“ ist und der Vater eben die Hauptrolle in ihrem Leben spielt, wieder auf die Philippinen reist, um ihre Arbeit fertigzustellen: Sie sind Produkte ihrer Genese und können nicht anders, als in dem einzigen System weiterzumachen, das sie kennen, so transformiert sie auch selbst sein mögen.

It’s kind of ironic that I’ve chosen to raise my kids in the exact same world that I grew up in. Same neighbourhood, same school, same pressures. And even though I can deconstruct the culture in my world, I’m still susceptible to its influence. It’s just who I am, it’s not that I can really stop.

Lauren Greenfield in „Generation Wealth“

Greenfields Dokumentarfilm bringt mit seiner Aussage, dass Geld und Schönheit nicht glücklich macht, dass es die Ausgewogenheit ist, in der Menschen Frieden und Zufriedenheit finden, nicht unbedingt neue oder originelle Erkenntnisse zutage, doch vermittelt der Film eine Dringlichkeit, umzudenken und zu reevaluieren, die lange nachwirkt. Indem die Regisseurin sich selbst als Objekt der Betrachtung nicht ausschließt und eine Beurteilung ihrer Protagonisten unterlässt, bleibt sie bemerkenswert authentisch; ihre „unwissenschaftliche“, menschliche Nähe zu den Menschen vor der Kamera und ihr Eingebundensein in die Kultur, die sie betrachtet, macht die Verluste und die drohenden Gefahren des „Koste-es-was-es-wolle“-Kapitalismus spürbar.

Ohne Zweifel wird „Generation Wealth“ bei jedem Zuschauer, gleich welcher Position in der Gesellschaft und mit welcher Biografie, sensible Punkte berühren; bei manchen vielleicht sogar, wie ich es persönlich für mich empfand, einen Perspektivgewinn für die eigene aktuelle Lebenslage. Was der Wert dessen ist, was wir besitzen, im Vergleich zu dem, was wir tun, wem wir es überlassen, unseren Erfolg zu bemessen und an welchen Maßstäben: Diese Fragen sollten wir uns stellen, und „Generation Wealth“ bietet gute Gelegenheit dazu.

„Generation Wealth“ kommt in Deutschland am 31. Januar in die Kinos, Termine können auf der Seite des Verleihs jip film abgerufen werden.
Die Fotoausstellung zum Film ist vom 30. März bis 23. Juni in den Deichtorhallen in Hamburg zu sehen.

Die andere Seite von Allem

Mila Turajlić (Serbien/Frankreich/Qatar, 2017)

Full Disclosure: Der deutsche Verleih JIP Film und Verleih ist an mich herangetreten und hat mir den Film für diese Rezension zugänglich gemacht; kein weiteres Honorar wurde vereinbart. Der Text spiegelt meine unbeeinflusste Meinung wieder.

Belgrad, 1947: Eine Tür wird abgeschlossen, die Wohnung der bürgerlichen Familie Turajlić in zwei Hälften aufgeteilt, auf Befehl der regierenden Kommunistischen Partei. Die Familie Turajlić lebt von nun an in der einen Hälfte, eine Familie aus dem Proletariat in der anderen. In diesen geteilten Räumen wächst Srbijanka Turajlić auf und auch ihre Tochter Mila, die Regisseurin des Dokumentarfilms. Auf ihrer Seite der Tür durchleben sie die Krisen, Kriege und Bürgerkriege, die Belgrad und Serbien unter seinen unterschiedlichen Namen und Staatsformen nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht zur Ruhe kommen lassen.

Mila Turajlić erzählt sehr persönlich und intim davon, wie Politik ins Private dringt und wie Menschen sich dazu verhalten. Vom dreimaligen Klingeln der alten Freunde, mit dem sie sich noch immer zu erkennen geben, obwohl es den Geheimdienst, der nur einmal klingelte, inzwischen nicht mehr gibt. Vom Blick aus der Wohnung auf brennende Botschaften und Polizeiaufgebote. Und von Volkszählungen, in denen Srbijanka die Antwort auf ihre Nationalität und ihre Religion noch immer verweigert, während die alte Nachbarin, die Proletarierin, sich frei heraus als Serbin und Atheistin vermerken lässt.

In den Bildern, die abgesehen von Nachrichtenbildern sich fast vollständig im Haus der Familie Turajlić oder um es herum bewegen, vollzieht die 37-jährige Regisseurin die Geschichte ihres Landes und ihrer Familie nach. Schon ihr Urgroßvater war bei der Gründung des Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen anwesend, wie ein Gemälde beweist, das verschwunden ist und wieder auftaucht. Die Mutter Srbijanka war als Professorin an der Belgrader Universität eine treibende Kraft bei den Demonstrationen gegen Milošević und aktiv in der Organisation Otpor!, die diesen schließlich zu Fall brachte. In Gesprächen, die Mutter und Tochter über mehrere Jahre miteinander und mit Besuchern in der geteilten Wohnung führen, stellen sie sich schwere Fragen: Ist es die Verantwortung der Eltern, in einem repressiven System, überhaupt am Leben zu bleiben, um für die Kinder zu sorgen – oder ist es ihre Verantwortung, gegen das System zu rebellieren und sich selbst zu gefährden? Ist es wichtiger zu bleiben und zu kämpfen oder zu gehen und arbeiten zu können?

Wir können hier in Deutschland vom Glück sprechen, seit dem Zweiten Weltkrieg eine politisch (verhältnismäßig) ruhige und wirtschaftlich (verhältnismäßig) sichere Zeit erlebt zu haben. Erschütternd im Gegensatz dazu, wie Srbijanka erzählt, dass sie 1996 aufgrund der Inflation nicht mehr genug Geld hatte, um ihre Familie für die nächste Woche zu ernähren – und in den Supermärkten auch gar nichts mehr vorhanden war, was sie hätte kaufen können. Dass in einem jetzt europäischen Land zu dem Zeitpunkt, als ich Abitur machte, Eltern entscheiden mussten, nichts zu essen, damit ihre Kinder (Mila Turajlić ist zwei Jahre jünger als ich) nicht hungern müssen. Doch trotz dieser entscheidenden Unterschiede, die die geografische Nähe der unserer Länder Lügen strafen, hat Mila Turajlićs Film auch für das deutsche Publikum höchste Relevanz. Auch in unseren Familien sind die Folgen eines totalitären Regimes noch spürbar, liegt es doch für einige nur zwei, höchstens drei Generationen zurück – für andere noch weniger. Und die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit oder deren Verweigerung bestimmt auch in unserem Land noch immer, wohin sich Politik und Gesellschaft entwickeln.

Die Frage, ob wir auf die Straße gehen, um uns für das einzusetzen, was wir für richtig halten, müssen wir uns leider heute auch wieder wieder stellen. Srbijanka Turajlić hat in ihrem Leben reichlich gekämpft und ist müde, resigniert; sie fragt ihre Tochter, ob diese es in sich spürt, den Kampf fortzusetzen. Doch die Räume sind schon so lange getrennt, dass niemand so recht weiß, wie sie noch wieder betreten werden können, selbst, wenn die Türen geöffnet werden.

Der Film hinterlässt diese Unsicherheit, zwischen Hoffnung und Resignation; er bindet die beiden Frauen, Mutter und Tochter, ein in die Geschichte, die vor ihnen begann und nach ihnen weitergeht, ohne zu einem Schluss zu kommen, wie sehr sie den Lauf der Dinge beeinflussen können. Er lässt mich berührt zurück, ein wenig beschämt darüber, wie wenig ich über all das wusste, bewegt vom Mut und Entschlossenheit der Hauptfigur und ihrer Familie.

„Die andere Seite von Allem“ erhielt bereits zahlreiche internationale Filmpreise und läuft ab heute in ausgewählten Kinos. Die Termine können auf der Seite des Verleihs abgerufen werden.

04/2018

3. April 1907: Lola Álvarez Bravo
Die Fotografin, eine der ersten Mexikos, trug zur nachrevolutionären Kulturblüte des Landes bei und war unter anderem mit Frida Kahlo und dem Dichterkreis Los Contemporáneos bekannt. Zunächst unter der Ägide ihres Mannes Manuel Álvarez Bravo, entwickelte sie bald ihren eigenen Stil, inspiriert von anderen in Mexiko tätigen Fotografen wie Tina Modotti und Edward Weston. Auch privat trennte sie sich von ihrem Mann und hatte zeitweise eine Beziehung mit María Izquierdo. Mit 37 Jahren hatte sie ihre erste allein bestrittene Ausstellung im Palacio de Bellas Artes, dem wichtigsten Kulturhaus Mexikos; sieben Jahre später eröffnete sie ihre eigene Galerie, in der Frida Kahlo 18953 ihre einzige Soloausstellung erhielt. Sie unterrichtete an der Academia San Carlos und war 1955 an Edward Steichens Fotoausstellung The Family of Man beteiligt.

LolaAlvarezBravo

Lola Alvarez Bravo

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4. April 1927: Aušra Augustinavičiūtė
Die litauische Psychologin, Soziologin und Ökonomin ist die Begründerin der Sozionik, die ähnlich dem Myers-Briggs-Typenindikator die Aspekte menschlicher Persönlichkeiten in unterschiedliche Funktionen und Beziehungstypen einteilt.
Während der MBTI in den englischsprachigen Ländern verbreitet ist, ist die Sozionik das Gegenstück im russischen, slawischen und baltischen Raum. Die Sozionik erforscht, basierend auf C. G. Jungs psychologischen Typen, wie Menschen Informationen aufnehmen, verarbeiten und weitergeben. Sie teilt Eigentschaften und Neigungen des Menschen in so genannte Dichotomien, Gegensatzpaare oder Skalen, auf: Logik – Ethik, Intuition – Sensorik, Introversion – Extraversion, Rationalität – Irrationalität. Aus diesen leiten sich die acht Aspekte ab, aus deren unterscheidlichen Kombinationen in einem individuellen Charakter sich die sechszehn Typen ergeben.
Hauptkritikpunkt ist, dass ebenso wie der MBTI ein Testergebnis der Sozionik dem Barnum-Effekt unterliegt: Dass Menschen in einem ausreichend unspezifischen Text immer zutreffende Beschreibungen für sich finden.

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5. April 1970: Miho Hatori
Die japanische Musikerin arbeitete bereits in ihrer Jugend in einem Plattengeschäft in Tokyo und war an der Hiphop Crew Kimidori beteiligt. Mit 22 Jahren ging sie nach New York, um Kunst zu studieren. Zunächst sang sie in der Punkband Laito Lychee, dann traf sie Yuka Honda und gründete mit ihr das Triphop-Projekt Cibo Matto, bei dem sie unter anderem auch mit Sean Lennon kooperierte. Sie war eine (oder die erste) Sprecherin der Gorillaz-Gitarristin Noodle.

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17. April 1957: Jacqueline Moudeina
Die Menschenrechtsaktivistin musste 1979 ihre Heimat Tschad wegen des einsetzenden Bürgerkriegs verlassen. Sie beendete ihr Studium der Rechtswissenschaften in Brazzaville, Republik Kongo, wo sie sich auch der kongolesischen Sektion der Menschenrechtsorganisation ihres Heimatlandes, ATPDH, anschloss.
1995, nachdem das Terrorregime des Diktators Hissène Habré gestürzt worden war, kehrte sie in den Tscshad zurück und setzte sich seitdem für die Rechte von Frauen, Kindern und Minderheiten ein. Seit dem Jahr 2000 kämpft sie als Anwältin für die Opfer des Habré-Regimes: Der Politiker wird beschuldigt, für 40.000 politisch motivierte Morde vor allem an Minderheiten im Tschad verantwortlich zu sein. Da der Ex-Diktator im Senegal lebte, reichte sie entsprechende Klage beim Obersten Gerichtshof des Senegal ein und erstatte zeitgleich im Tschad Anzeige gegen seine Sicherheitsbeamten. Der Gerichtshof im Senegal sah sich als nicht zuständig an, weshalb Moudeina sich an ein Gericht in Belgien richtete – aufgrund des Weltrechtsprinzips, nach dem völkerstrafrechtlich relevanten Taten überall in der Welt verfolgt werden können. Ein belgischer Beamter nahm sich des Falles an, untersuchte die Vorwürfe und erließ schließlich einen internationalen Strafbefehl gegen Habré. Die Afrikanische Union hingegen verlangte die Verfolgung der Klage im Senegal, da „kein afrikanisches Staatsoberhaupt außerhalb Afrikas verurteilt werden sollte“. Nach weiterem Hin und Her, währenddessen sich der Senegal einer Strafverfolgung Habrés zunächst verweigerte und Moudeina wiederum in Belgien auf seinen Prozess drängte, musste sich Habré schließlich 2013 in der senegalesichen Hauptstadt Dakar für Kriegsverbrechen, Folter und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten und wurde 2016 schließlich, für Vergewaltigungen, sexuelle Sklaverei und Anordnung illegaler Tötungen, zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt.
Moudeina setzt sich weiterhin, gegen den Widerstand in ihrem Heimatland, für Menschen- und Kinderrechte ein, zum Beispiel gegen den Verkauf und die Versklavung von Kindern als Rinderhirten. Sie wurde 2001 bei einer Demonstration von einer Handgranate, die gezielt vor ihr platziert wurde, am Unterleib verletzt und trägt noch immer Granatensplitter in den Beinen, die ihre Gesundheit beeinträchtigen. Sie bestand trotz Gängeleien durch die tsschadischen Behörden immer wieder darauf, von medizinisch notwendigen Aufenthalten in Frankreich in ihre Heimat zurückzukehren; erst, als sie 2008 enthüllte, dass der Präsident Idriss Déby, Kindersoldaten in den tschadisch-sudanesischen Anteil am Dafur-Konflikt gesendet hatte, wurde die Bedrohung im eigenen Land so groß, dass sie Antrag auf Asyl in Frankreich stellte.

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25. April 1956: Jaroslava Schallerová
Nennung ehrenhalber, weil die Schauspielerin die Hauptrolle im Film Valerie – Eine Woche voller Wunder spielt, einem surrealistischen Märchen um ein junges Mädchen in einer traumartigen Welt voller Ungeheuer und Sexualität.

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28. April 1926: Bhanu Athaiya
Die Kostümbildnerin wirkte ihrer 41 Jahre umfassenden Karriere an 150 Filmen mit, vor allem an indischen Produktionen. 1983 gewann sie gemeinsam mit John Mollo den Oscar für bestes Kostüm, für ihre Arbeit an Richard Attenboroughs Monumentalwerk Gandhi. Sie gewann außerdem drei indische Filmpreise, unter anderem den Filmfare Award für ihr Lebenswerk.

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