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31/2023: Esther Roper, 4. August 1868

Bereits kurz nach ihrer Geburt in Chorley, Lancashire – ein Ort, der von den nahegelegenen Kohleminen und Textilindustrie geprägt war –, verließen die Eltern von Esther Roper England als Missionare(1). Ihr Vater war ehemaliger Fabrikarbeiter, ihre Mutter stammte aus einer Familie irischer Einwanderer, bei denen Esther aufwuchs. Sie besuchte eine Schule der Church Mission Society, bis sie 16 Jahre alt war, danach wurde sie am Owens College (heute University of Manchester) zugelassen – im Rahmen eines sozialen Versuchs, bei dem geprüft werden sollte, ob Frauen studieren könnten, ohne Schaden an ihrer physischen und psychischen Gesundheit zu nehmen. Fünf Jahre später schloss sie ihr Studium in Latein, englischer Literatur und Wirtschaftwissenschaft mit Auszeichnung ab. Durch ihre Teilnahme an der allein von Frauen betriebenen Social Debating Society blieb sie der Universität auch anschließend verbunden. 1893 wurde sie als Geschäftsführerin der Manchester National Society for Women’s Suffrage – der Manchester Abteilung der Gesellschaft für das Frauenwahlrecht – eingestellt, diese Position behielt sie bis 1905 und begleitete dabei den Übergang der Gesellschaft zur North of England Society for Women’s Suffrage als Teil der National Union of Societies for Women’s Suffrage. Nebenher unterstützte sie vier Jahre nach ihrem Abschluss die Einrichtung des Manchester University Settlements in Ancoats, einem Stadtteil Manchesters, in dem viele Arbeiter lebten – die soziale Einrichtung brachte ein Angebot an Bildung und kulturellen Möglichkeiten zu den ‚working poor‚. Zwei Jahre später rief sie mit einer ehemaligen Kommilitonin die Zeitschrift Iris ins Leben, eine halbjährliche Publikation zu Themen, die die Bildung von Frauen betrafen, und die gleichzeitig ein Netzwerk für derzeitige und ehemalige Studentinnen des Owens College schaffen sollte.

Aufgrund von ‚Erschöpfung‘ verbrachte sie 1896 einige Zeit im italienischen Sommerhaus des schottischen Dichters George MacDonald. Dort traf sie die zwei Jahre jüngere Eva Gore-Booth, Tochter eines wohlhabenden, aber sozial fortschrittlichen Gutsherren und selbst Lyrikerin und Theologin. Deren Schwester Constance, die im gleichen Alter wie Roper war, sollte später als irische Nationalheldin Gräfin Markievicz berühmt werden. Die beiden Frauen verbrachten in Italien viel Zeit miteinander und verliebten sich ineinander. So sehr, dass Gore-Booth ihr privilegiertes Leben auf dem Grundbesitz ihrer Familie in Irland aufgab und zu Roper nach Manchester zog. Um die Jahrhundertwende trugen die beiden dort zum organisierten Widerstand der Blumenmädchen, Zirkusartistinnen, Bardamen und pit-brow women (Link Englisch) bei, deren berufliche Tätigkeit durch politische Entscheidungen und Moralkampagnen gegen arbeitende Frauen in Gefahr war; sie waren außerdem 1903 an der Gründung des Komitees zur politischen Repräsentation von Arbeiterinnen der Textilbranche und anderer Bereiche beteiligt.

Roper und Gore-Booth waren auch eng mit der Pankhurst-Familie vertraut, die Töchter Christabel und Sylvia waren persönliche Freundinnen und politische Genossinnen. Da das Ziel der Women’s Social and Political Union ursprünglich auch war, die Rechte von Arbeiterinnen auszuweiten und sie bei den Wahlrechten miteinzubeziehen, unterstützten Roper und Gore-Booth Pankhurst zunächst. Doch dieser Teil der Frauenrechte verlor im Laufe der Zeit an Bedeutung, außerdem hießen die beiden Pazifistinnen die militanten und gewalttätigen Methoden der WSPU nicht gut und distanzierten sich von der Vereinigung.

1913, Roper war 55 Jahre alt, Gore-Booth 53, zog das Paar aus gesundheitlichen Gründen nach London. Hier halfen sie nach Beginn des Ersten Weltkrieges mit der No-Conscription Fellowship (Link Englisch) den Familien von Kriegsdienstverweigerern, die dafür inhaftiert worden waren. Drei Jahre nach ihrem Umzug nach London gründeten sie mit Irene Clyde (Link Englisch unter ihrem eingetragenen Namen Thomas Baty) die Zeitschrift Urania (Link Englisch) – ein Magazin, dass sich mit Fragen nach Sexualität und Geschlechtsidentität befasste. Sechsmal im Jahr erschien eine Ausgabe mit gesammelten Artikeln aus Zeitschriften aller Welt sowie eigenen Beiträgen der Redakteurys. ‚There are no ‚men‘ or ‚women‘ in Urania‚ stadn über jeder Ausgab und ‚Sex is an accident‚ waren ein häufig verwendeter Slogan. Im Laufe seiner 24-jährigen Existenz wurden die Ausgaben auf vier Mal im Jahr reduziert, gedruckt wurde das Magazin privat von einer Druckerei in Bombay und niemals öffentlich herausgegeben, sondern nur im Privaten zirkuliert.

Mit 56 Jahren starb Eva Gore-Booth an Krebs. Esther Roper veröffentlichte anschließend ihre Gedichte und auch die Briefe aus dem Gefängnis ihrer Schwester Constance Mankievicz. Sie blieb für die Frauenrechte aktiv und schrieb regelmäßig Briefe an The Times. 1938 starb sie mit 70 Jahren und wurde neben ihre Lebensgefährtin beerdigt.


Quelle Biografie: Wiki englisch
außerdem:
(1) Spartacus

15/2017: Johanna Elberskirchen, 11.4.1864

Johanna Elberskirchen

English below
Wiki deutsch
Johanna Elberskirchen lebte bereits vor der Jahrhundertwende offen homosexuell, studierte Medizin und Jura und war Weggenossin des Sexualreformers Magnus Hirschfeld. Sie setzte sich nicht nur für die Rechte von Frauen und Homosexuellen ein, sondern auch für das Wohl von Kindern, für Mütter und die Arbeiterklasse.
Während sie als homöopathische Medizinerin tätig war, schrieb sie auch Artikel und Bücher und gab eine Zeitung für Kinderpflege heraus. Sie hatte wenig Geduld für männliche Selbstüberschätzung, wie man ihren Zitaten entnehmen kann.

Bezugnehmend auf Paul Julius Möbius´ Werk „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes„:

„Ich hätte auch schreiben können ‚Feminismus und Schwachsinn‘, denn die Kritik, die im Namen der Wissenschaft am Feminismus verbrochen wird, hat oft mit Wissenschaft wenig zu tun. Jedoch meine angeborene Courtoisie gegenüber dem männlichen Geschlecht verbot mir, auf den Wegen des Herrn Möbius zu wandeln. Meiner Ansicht nach sind die Herren Gelehrten, insbesondre die Herren Naturwissenschaftler und die Herren Mediziner die ungeeignetsten Leute, sich kritisch mit dem Feminismus zu befassen. Sie stehen dem Weibe zu persönlich und zu materialistisch gegenüber und beurteilen es aus einer ganz schiefen und recht beschränkten Perspektive, jedenfalls von ganz unwissenschaftlichen Gesichtspunkten aus.“ In: Feminismus und Wissenschaft. 1903, S. 3
„Nein, Herr Möbius, das Weib ist nicht schwach, nicht inferior, nicht ‚physiologisch schwachsinnig‘, aber das Weib ist krank – es leidet zu sehr unter der Herrschaft des männlichen Sexus.“ Ebenda, S. 18

Elberskirchen starb 1943, zehn Jahre nachdem ihre politische Tätigkeit durch die Nationalsozialisten unmöglich gemacht worden war. Ihre Lebensgefährtin Hildegard Moniac starb 1967 und einige Jahre später, 1975, soll Elberskirchens Urne heimlich in Moniacs Grabstätte verbracht worden sein. Im Jahr 2003 wurde das nun gemeinsame Grab mit einer offiziellen Gedenkveranstaltung unter Schutz gestellt.

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Wiki english
Johanna Elberskirchen lived openly as a homosexual before the turn of the century, studied medicine and law and was a fellow of sexual reformer Magnus Hirschfeld. She promoted not only for the rights of women and homosexuals, but for the better treatment of children, mothers and the working class.
While she worked as a homeopathic doctor, she also wrote articles and books and published a magazine on childcare. She had little patience for male hubris, as can be gleaned from her quotes.

Referring to Paul Julius Möbius‚ work „On the physiological idiocy of women“:

„I could have written ‚Feminism and Idiocy‘, because criticism, perpetrated on feminism in the name of science, often has very little to do with science. However, my innate courtoisie towards the male sex forbids me to walk on the same paths as Mister Möbius. In my view, the esteemed Scholars, especially the esteemed Natural Scientists and the esteemed Physicians, are the most unfit to concern themselves critically with feminism. They face Woman in an opinionated and materialistic manner and judge her from a completely tilted and rather parochial perspective, in any case from a wholly unscientific point of view.“ In: Feminisim and Science. 1903, p. 3
„No, Mister Möbius, women are not weak, not inferior, not ‚physiologically idiotic‘, but women are ailing – they suffer too much from the rule of the male sex.“ Ibidem, p. 18

Elberskirchen died in 1943, ten years after the National Socialst Party made it impossible for her to do political work. Her life partner Hildegard Moniac died in 1967 and a few years later, in 1975, Elberkirchen’s urn is supposed to secretly have been brought into Moniac’s burial site. In 2003 the now shared burial site was put under state’s protection in an formal memorial event.

Bild: CC BY-SA 3.0

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