Schlagwort: weltreise

les lèvres rouges

harry kümel, belgien 1971
die weibliche sexualität ist etwas bedrohliches. soviel ist sicher.
die geschlechterverhältnisse in diesem film sind vielsagend und spannungsreich. beziehungen bestehen zwischen drei frauen und zwei männern, in den unterschiedlichen paarungen von mann und frau, frau und frau, mann und mann werden verschiedene möglichkeiten der sexualität und des gender gezeigt und gegenübergestellt. (ausnahmsweise, weil es in diesem kontext nicht nur anders unmöglich wäre, sondern auch interessant und relevant ist, betrachte ich die männliche hauptfigur mal ebenso genau.)
beginnen wir, chronologisch, mit valerie – eine blonde schönheit, frisch verheiratet mit stefan und spürbar sehnsüchtig nach anerkennung und liebe, ein musterbeispiel für weibliche weichheit. nicht nur von ihm will sie geliebt werden, auch von der schwiegermutter, die er ihr als strenge, repressive übermutter vorgaukelt. noch dazu hat sie  „vergangenheit“, wie es einmal angedeutet wird, ein ebenso schamvolles manko als ehefrau und schwiegertochter wie hinweis auf das potential, für den mann sexuell überwältigend zu sein. stefan hat sie wohl geheiratet, ohne ihn zu lange zu kennen, abgesehen von der körperlichen intimität scheinen die beiden sich noch völlig fremd zu sein. so erfährt sie erst durch die morde an jungen frauen in brügge – in den schlagzeilen der zeitung und bei einer begegnung in brügge an einem neuen tatort – von stefans faszination mit dem tod. was sie nicht weiß, wir aber erfahren: stefans „mutter“ ist sein erfahrener freund, ein älterer mann, mit dem er eigentlich in england zusammenlebt und der aus ersichtlichen, wenn auch auch ganz anderen gründen als eine echte mutter, von der neuigkeit nicht begeistert ist, dass stefan derzeit mit seiner frisch angetrauten in oostende weilt. während stefan also in der beziehung zu valerie seine harte „männliche“ seite auslebt, ist seine existenz in der heimat wohl eher von unterordnung geprägt. sicher nicht zuletzt aus diesem grund kommen im laufe der zeit immer dunklere, aggressivere züge an ihm zum vorschein. stefans wachsende spannung zwischen der geschnupperten morgenluft als macho und der erwarteten demütigung zuhause, ebenso wie die ungeklärte frage, wie er beide seiten, beide leben miteinander vereinen will und kann, bricht sich schließlich in der physischen attacke gegen valerie bahn.
stefan gegenübergestellt haben wir die grande dame des films, elisabeth bathory. eine herbe, fast androgyne frau und – natürlich – als vampirin metaphorischer scheitelpunkt bedrohlicher weiblicher sexualität. zu ihr gehört die stille ilona, die in ihrer fügsamkeit das schwächste glied in dieser erotischen kette darstellt und dementsprechend den starken trieben der beiden dominanten persönlichkeiten unterworfen und zum opfer gemacht wird. in elisabeth bathory und ilona spiegelt sich stefan mithin im extrem, die beiden frauen repräsentieren überdeutlich die persönlichkeiten, die unvereint in ihm schlummern. stilistisch ist dieses wechselspiel wunderschön zu sehen in den roten kleidungsstücken. stefan trägt rot, wenn er mit valerie allein ist – roter bademantel, rote lederjacke -, dies zeichnet ihn als sexuellen aggressor aus. doch in der szene, in der stefan und valerie mit elisabeth im hotel zusammensitzen und elisabeth aktiv beginnt, einfluss auf ihre beziehung zu nehmen, trägt er weiß – elisabeth hingegen ein flammend rotes kleid. sie ist der stärkere aggressor und sie nutzt stefans zwiespältigkeit aus, um ihn und valerie seelisch voneinander zu entfernen: sie zieht in auf ihre seite, schlägt ihn geradezu in bann mit ihren schilderungen der folter, die ihre vorfahrin (oder sie) den jungen mädchen der legende nach hat angedeihen lassen – eine ungemütliche szene für valerie, die bereits von stefans verhalten verunsichert ist. und sie führt ihm ilona gerdazu vor, die für ihn als submissives extrem höchst attraktiv ist, was wiederum seine beziehung zu valerie stört. sie schickt ilona zu ihm, während sie valerie an der abreise hindert, wirft ihm quasi den köder aus, vielleicht sogar berechnend, dass dies ilona das leben kosten kann (die möglichkeit, dass er sich als frauenmörder entpuppen wird, besteht schließlich durchaus). sie ergreift die initiative und dirigiert schließlich sowohl valerie wie auch stefan wie puppen, nachdem ihre beziehung an seinem ausbruch, seinem fremdgehen und seinem „mord“ offensichtlich zerbrochen ist. bereits wenige stunden, nachdem stefan ilona getötet hat, nimmt valerie ganz und gar ihren platz in elisabeths leben ein. stefan ist bereits als das nun schwächste glied dem untergang geweiht, ja, er ist im grunde bereits tot – elisabeth macht daraus keinen hehl, als sie ihn zu ilonas leiche ins grab stößt. seine letzten versuche, an valeries vorherige unterwürfigkeit zu appellieren, helfen ihm nichts, er wird von den beiden frauen verschlungen.
während stefan also noch immer mitten in der selbstfindung steckt und dabei recht planlos agiert, verfolgt elisabeth bathory ihr ziel, valerie zu gefährtin zu machen und stefan auszubluten, mit unerbittlicher genauigkeit. ins allgemein-geschlechtliche übertragen, könnte man sagen: der mann ist selbst in seiner physischen aggressivität noch nicht so stark wie die frau, die ihre sexualität kennt, lebt und einsetzt.
und es ist diese gelebte sexualität, die alle geschicke bestimmt und die vor allem unendlich ist und sich beständig perpetuiert. die schwachen: männer und unterwürfige frauen fallen ihr zum opfer, und wenn die stärkste der starken frauen abtritt, steht bereits die nächste bereit, ihren platz einzunehmen. phallische durchbohrung hin oder her.
wenn man bedenkt, dass ich den film ursprünglich nicht sehen wollte – „erotischer vampirfilm“ reizt mich nicht so sehr, da mein interesse an brüsten sich auf meine eigenen beschränkt – ist es erfreulich, wie anders sich der film tatsächlich darstellt. ein fast eher feministischer vampirfilm.
PS: mein mann hat natürlich auch darüber geschrieben.
PPS: obwohl wir 3 frauen als hauptfigur sehen und nur einen mann, kann auch dieser film den bechdel-test nur mit einem humpeln bestehen. zu großen teilen drehen sich die gespräche der frauen um den einen mann, oder doch zumindest um potentielle geschlechtspartner. ich habe nicht mitnotiert und würde daher das urteil nicht fällen wollen.

rocker

klaus lemke, deutschland 1972
die welt der rocker im deutschland der 1970er jahre ist eine männerwelt – das kann man sich ausrechnen. dementsprechend sind die frauenfiguren in „rocker“ überschaubar. ohne dem film einen vorwurf machen zu wollen – denn ich habe ihn als sensibel und liebevoll wahrgenommen – sind die frauen, die auftreten, im wesentlichen vertreterinnen zweier schablonen.
sonja, gerds ex- und ullis aktuelle freundin (oder „torte“), ist die einzige rockerbraut mit dialog. gemeinhin bevölkert die rockerbraut stumm die sozios (? soziusse?) der motorräder (oder „öfen“) der rockergang; sonja hingegen ist aus der szene ausgestiegen, arbeitet brav im kittel in einem kaufhaus und unterhält dennoch den tagedieb und kleinkriminellen ulli, der auch lederjacke trägt. als gerd wieder vor ihrer tür steht, will sie zwar definitiv nicht zurück zu ihm und in die szene, unterwirft sich den gesetzen der gruppe aber dennoch insoweit, dass sie sich in die kluft schmeißt, um ihrem ex choram publico das ende der beziehung offiziell anzumelden. doch gerd wird im clubhaus von einigen maskierten überfallen und sonja findet ihn an einen baum gebunden und verprügelt vor dem brennenden schuppen – in dieser dramatischen lage werden offenbar alte romantische gefühle wach. sonja bekommt jedoch keine chance, sich zu entscheiden: von gerd wird sie abgewiesen und ulli wird totgeschlagen. sonjas letzte szenen sind von einer vielsagenden sprachlosigkeit; ullis tod versetzt sie in einen schockzustand, der sich auch in ihrer abschließenden begegnung mit gerd, bei dem sie offenbar eigentlich unterstützung und trost sucht, nicht auflöst. ihre unfähigkeit, die hürde in der kommunikation mit gerd zu überwinden, nimmt angesichts seiner vorangegangenen verbalen und physischen drangsalierungen nicht wunder. so verläßt sonja die szene und den film stumm, die genugtuung für den mord an ulli wird dem kleinen bruder und nachwuchsrocker mark überlassen.
die andere schablone der frau in „rocker“ ist die der spießerin, die den rebellierenden männern diametral gegenüber steht. hervorstechendes beispiel ist ullis und marks ältere schwester, bei der ulli geld „organisieren“ will und vor der mark in die gesellschaft seines bruders flüchtet. tatsächlich erweckt sie den eindruck eines verbitterten, harten drachens ohne mitgefühl und verständnis für die rebellischen brüder. ich erlaube mir jedoch zu spekulieren, dass diese strenge allein versteinerte sorge ist, ein form von resignation und depression. mir tat sie jedenfalls leid, in ihrer position als repräsentantin der spießigkeit.
ein paar bordsteinschwalben und leichte mädchen gibt’s noch – die schülerin, mit der ulli auf der kneipentoilette eine erotische begegnung hat, wirkt weniger wie eine figur als wie ein accessoir, um die sexuelle freilebigkeit und gleichzeitige anonymität der großstadtszene zu attestieren. sex ja, aber bitte keine intimität.
wie gesagt: der film hat mir in seiner rauhbeinigen sensibilität sehr gefallen. nur den bechdel-test besteht er nicht.
abschließend noch ein schönes wort, dass ich aus „rocker“ gelernt habe: „pflaumenspeicher“ für ein internat für höhere töchter. ich hatte es erst als frauenknast verstanden, aber das ist ja eigentlich jacke wie hose. du klappstuhl.
PS: einen ausführlicheren text zum gesamtwerk hat mein mann geschrieben. auf der angesprochenen weltreise werde ich ihn, soweit in reichweite, versuchen zu begleiten.

WEG MIT
§218!