Monat: Mai 2012

alte frauen in schlechten filmen


mein lieber freund mark hat mir einen buchtipp weitergeleitet, der thematisch zu mir und diesem blog passt, deshalb teile ich ihn gerne – weder er noch ich haben das buch jedoch bisher gelesen, es sei dies also nicht als empfehlung, sondern als hinweis zu verstehen.
christoph dompke hat das buch alte frauen in schlechten filmen verfasst: eine textsammlung über die auftritte gealterter diven in ihren herbst-rollen. die kritiken, die auf der seite des verlages zitiert werden, sind verständlicherweise durchweg positiv, wenn in ihnen auch das anklingt, was ich ehrlicherweise befürchte vorzufinden (nichts für ungut, mark!): über nichts lachen männer, alt wie jung, so gerne wie über verblühte schönheit und frauen, die den zweck ihrer tätigkeit überlebt haben. ich selbst sehe in gealterten diven vor allem tragik: wenn das, was sie zum star machte, geschwunden ist, ringen die vieilles dames um würde und existenzberechtigung. ob man darüber wirklich komische texte schreiben kann, ohne überheblich zu klingen, weiß ich nicht. ich setze mir dieses buch mal auf die liste und werde eventuell – versprechen kann ich nichts – noch einmal mit einem „gelesen“-beitrag darauf zurückkommen.
bei Hard Sensations wurde übrigens auch, meinen erwartungen gemäß zurückhaltend, auf die neuveröffentlichung dieses buches hingewiesen.

leptirica

djordje kadijevic, serbien 1973
die erste nachricht: auch im ehemaligen jugoslawien gibt’s vampire – allerdings stehen die speziell auf mehl und müller, sie verwandeln sich in schmetterlinge und nicht in fledermäuse und irgendwie können sie von körper zu körper wandern, selbst mit loch im bauch. die zweite: auch hier ist der vampir der vagina dentata eng verwandt.
das mädchen radojka ist der inbegriff ländlicher unschuld: offenes langes haar, weißes, besticktes kleid, kussmund und seidiger augenaufschlag. dies ist aber auch in den serbischen bergen einladung für die mysteriösen erscheinungsformen des bösen, sich ihr zu nähern und ihre unschuld zu korrumpieren. so ist das mädchen, das der bräutigam schon vor der hochzeit  vernaschen will, nicht nur schon unschön angebohrt, sondern droht auch, ihn ihrerseits zu vernaschen.
es bleibt sich also durch die kulturen gleich: vampirismus = bedrohliche sexualität. weiblicher vampirismus = männliche kastrationsangst. schön, wenn man auch in der fremde bekanntes findet.
editorial: ich habe tschechien leider verschlafen (sah aber wunderschön aus) und mir den rest jugoslawien gespart (im übertragenen sinne: mein mann ist herumgereist und ich habe am strand gelegen). zum tschechischen baron prásil hat er einige eindrücke gesammelt, leptirica ausführlich beleuchtet und weitere jugos folgen noch.

idi i smotri

elem klimov, udssr 1985
ich muss aus dem rahmen treten, denn über idi i smotri kann und will ich nichts sagen, was mit solchen kleinlichen begriffen wie geschlecht und gender zu fassen ist. tatsächlich will ich gar nicht viel sagen, denn ich kann es nicht.
bei den IMDB-reviews zu idi i smotri fallen die namen der beiden spielberg-WWII-filme saving private ryan und schindler’s list des öfteren. ich habe beide gesehen und bei beiden geweint – saving private ryan habe ich zugegebenermaßen auch nur zu einem guten drittel wirklich mit offenen augen gesehen. dennoch kann ich eines sicher sagen: diese beiden filme sind nichts im vergleich zu idi i smotri. denn beide beinhalten auf unvergleichlich us-amerikanische weise noch immer den funken hoffnung für die menschheit. saving private ryan mag in den tatsächlichen gefechtsszenen das realistischste sein, das je entstanden ist – doch er verbleibt in diesem technischen raum und seine grausamkeiten bleiben zu großen teilen den uniformierten kriegsteilnehmern zu erleiden. idi i smotri zeigt – mit weniger technischem als atmosphärischem einsatz – den absoluten, sinnlosen und endlosen wahnsinn, den der krieg für die menschen bedeutet. schindler’s list ist schon von der prämisse her  – zumindest im vergleich zu idi i smotri – ein feel-good-movie: schließlich ist die hauptfigur der beweis, dass in den schlechtesten zeiten menschen zu den besten versionen ihrer selbst werden können. idi i smotri hat keine gnade mit den menschen, nur die sicherheit, dass das grauen auch lange nach der tat bestand hat.
ich habe es leider nicht ausgehalten, idi i smotri bis zum ende zu sehen. abgesehen vom stress, der von der tonspur ununterbrochen auf mich einwirkte, fällt es mir weiterhin schwer, mich vom gesehenen zu trennen: alles passiert sozusagen in mir. zu wissen, dass die geschehnisse gefilmt sind, hilft nichts: sie bilden ja eine reale vergangenheit ab. zu wissen, dass es vergangene geschehnisse sind, hilft nichts: ähnliches geschieht immer noch, immer wieder, an anderen orten. mein mann stellte ganz richtig die frage: wie macht man nach einem solchen film weiter?

KW 22/2012: Lotte Reiniger, 2. Juni 1899

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Lotte Reiniger
Lotte Reinigers bekanntestes Werk ist „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ (1926), man sollte aber auch nicht übersehen, dass sie zu Beginn ihrer Karriere in Kontakt stand zu Komponisten wie Kurt Weill und Literaten wie Bertolt Brecht – das heißt, Teil einer intellektuellen, künstlerischen Szene war, der der Aufgang des Dritten Reiches und der Zweite Weltkrieg ein abruptes Ende setzte.

Immer wieder, wenn ich die Mode und die Kunst der 1920er Jahre betrachte, schmerzt mich die Vorstellung, wieviel eleganter und schöner alles heute sein könnte, wenn dieser Wahnsinn nicht passiert wäre. (Man lege mir dies bitte nicht als Trivialisierung aus, selbstverständlich hatte der Faschismus wesentlich grässlichere und entscheidendere Konsequenzen als Volksmusik und Veronika Ferres, Ballermann und Birkenstocks!) Mit Sicherheit wäre der deutsche Film – und mit ihm die deutsche Trickfilmsparte – reichhaltiger, interessanter und in positivem Sinne in einer Tradition verwurzelt als es derzeit der Fall ist, wo sich durch alle Lebensbereiche die kulturelle Erschütterung des Holocausts zieht sowie die Konsequenzen der nachfolgenden Notwendigkeit, alles ganz und gar anders zu machen als in den vergangenen 15 Jahren. So sehr ich ein Fan der Ludwigsburger Schule bin, ist es doch nicht zu übersehen, dass der deutsche Trickfilm ebenso wie sein großer Bruder Spielfilm – bis auf wenige, liebens- und lobenswerte Ausnahmen – das ist, was ich in einem Seminar der Marburger Medienwissenschaft als „Zweites Kino“  kennenlernte: Kino, das in allem außer der Finanzierungs- und Produktionsstandorte den gleichmacherischen Hollywood-Prinzipien für Inhalt und Form folgt, quasi kolonialisiertes Kino. Dies steht im Gegensatz zu Hollywoods Produktionsmonopol als „Erstem Kino“ sowie zum „Dritten Kino“, das von Grund auf den ursprünglichen Aspekten – Erzählweise, Thema, Stil – der heimischen Kultur verpflichtet ist, wie z.B. ein Film wie „Rocker„. Dass dies in Deutschland der Fall ist, liegt natürlich an dem starken kulturellen Einfluss der amerikanischen Besatzungsmacht. In vielerlei Hinsicht kann man diesen Einfluss als gewinnbringend sehen, doch meines Erachtens funktionieren manche Aspekte einfach nicht oder nur mit dem Gefühl, einer aufgesetzten amerikanischen Leitkultur zu folgen… Selbstverständlich wären manche Details unserer deutschen Kultur auch dann gruselig und furchtbar, wenn es Hitler nicht gegeben hätte, so wie auch nicht alles übel ist, was wir dem kulturellen Einfluss der Besatzungsmächte zu verdanken haben. Aber ich schweife ab.

Ich hätte diese Woche auch über Marilyn Monroe schreiben können, aber Lotte Reiniger war meinem Herzen einfach näher. Schon bevor ich arbeitsbedingt mal das ITFS besuchen durfte, war Animationsfilm ein besonderes Steckenpferd von mir, und so konnte ich natürlich am Geburtstag der Mutter des deutschen Animationsfilmes nicht vorübergehen.

Es gibt eine eigene Lotte Reiniger Website mit unter anderem einer Biographie in Selbstzeugnissen sowie ausführlichen Informationen zu Reinigers Filmen (Entstehungsgeschichten und Aktuelleres wie DVDs und Verleihrechte) sowie Literatur über sie. Das Animation World Network widmet ihr einen Artikel und natürlich gibt es bei youtube einiges zu sehen (dies nur als Anregung zum Weitersuchen).

Bild: By NA – Italian Wikipedia, Public Domain

EXERGIE – butter dance von Melati Suryodarmo

an experimentalkunst scheiden sich ja die geister. das erörtert tairthea in diesem beitrag sehr schön. ich selbst entscheide da ganz aus dem bauch, was mir gefällt – ob etwas kunst sei oder nicht, würde ich mir nicht anmaßen wollen zu entscheiden. zu dieser performance jedoch kann ich nur sagen, dass sie mich schlicht gefesselt hat – der ausdruck des erschreckens in ihrem gesicht, wenn sie aus dem gleichgewicht gerät, und der der absoluten entschlossenheit gegen ende, wenn sie immer noch mal wieder aufsteht… mich trifft das einfach weniger im kopf als im bauch. irgendwie erkenne ich mich darin wieder – oder vielleicht auch nur ein wunschbild von mir selbst.

home is a place to start…

dikaya okhota korolya stakha

valerie rubinchik, weißrussland 1979

ein insgesamt wohltemperierter film, der die wilde zärtlichkeit der russischen seele, ihre zerrissenheit zwischen tradition und neuanfang, liebevoll und gemütlich einfängt.

leider sind die frauenfiguren dünn gesät und wenig aktiv. die russinnen – es sind ihrer ganze zwei – sind anämisch, ängstlich, wenn nicht sogar geistig verwirrt. zur handlung tragen sie eigentlich nicht – die figur der nadeshda janowska dient zwar der motivation des protagonisten andrej, trägt aber sonst nur zur atmosphäre des gespensterschlosses bei; dies gilt umso mehr für die andere weibliche person, die die bedrohung durch die wilde jagd des könig stach konkretisieren soll, indem ihre umnachtung auf ihn zurückzuführen ist.

das ist eigentlich schade, hat russland doch auch starke weiblichkeit in seiner geschichte… der man andererseits natürlich sodomie mit ihrem pferd andichten musste, um sie als person zu diskreditieren und damit sowohl ihre regierungsfähigkeit wie die normalität ihres sexuellen appetits in frage zu stellen.

die einsicht, dass der film übrigens in seiner gänze auch als metapher für den übergang russlands vom traditionellen zarismus zur revolution und dem folgenden sozialismus zu sehen ist, hatte so oder so ähnlich auch mein mann.

da wir uns nun in die filmisch unbekannteren regionen begeben, bin ich sehr gespannt, ob in der folge noch interessante frauenfiguren auf mich warten oder ob die eher noch weniger werden! sollte das der fall sien, habe ich die wahl zwischen kurzen texten oder freien assoziationen… reisen soll ja schließlich auch bilden.

zirneklis

vasili mass, lettland 1991
ich habe mal das gerücht gehört, dass nach freud arachnophobie bei frauen so weit verbreitet und ausgeprägt ist, weil spinnen ihnen in die vagina krabbeln könnten.
erstens bin ich sicher, dass freud sich gegen dieses gerücht ziemlich zur wehr setzen würde, wenn er könnte.
zweitens ist diese sorge bei zirneklis völlig unbegründet, weil die spinne hier so groß ist, dass es nur ihr – in diesem falle: sein penis ist, der der protagonistin in die vagina eher schlängelt als krabbelt.
ja, wir kommen in den zweifelhaften genuss einer sexszene zwischen einer frau und einer übermannsgroßen spinne. wer geglaubt hat, er hätte alles gesehen…
leider ist mir die genaue handlung aufgrund russischer tonfassung ohne untertitel großenteils unerschlossen geblieben und ich bin aufgrund kind wacht um 5:45 morgens auf zum ende hin eingeschlafen. von dem, was ich sah, muss ich auf eine diabolische manifestation als einem schmeerlappen von maler (mit zopf und lederblouson), der sich wiederum in eine spinne verwandeln kann, schließen, der eine zugegebenermaßen ausgesprochen hübsche lettische jungfrau zum opfer fällt. außer der tendenz zu durchsichtigen weißen klamotten und der anfälligkeit für visionen kann ich jedoch über diese lettin nichts wirklich sagen. aber der wein in lettland, der muss es in sich haben.
mein mann hat eine ausführlicher formulierte, allgemeinere ansicht zu dem film geäußert.

il portiere di notte

liliana cavani, italien 1974
was für ein unglaublich guter, spannungsreicher film. wie schon von meinem mann aufschlussreich erörtert, wirft er einen unverhohlenen blick auf den zusammenhang zwischen dem dritten reich und repressiver sexualität; dass die darstellung einer sado-masochistischen beziehung eines ausführenden nazis zu einer internierten von manchem als geschmacklos empfunden werden mag, ist durchaus nachvollziehbar.
wenn man sich jedoch sachlich von der empörung distanzieren kann und als gesetzt annimmt, dass die opfer der naziverfolgung mit sicherheit keinen genuss an ihrer situation empfanden, andererseits aber unmenschliche verhältnisse ihre auswirkungen auf opfer und täter haben, kann man vor allem in der figur der lucia – zumindest im rahmen des einverständlichen machtgefälles einer dominant-submissiven beziehung – einiges über die macht des opfers und das ausgeliefert-sein des täters erkennen.
lucia erscheint uns in den ersten szenen – ganz natürlich – als verschrockenes reh, das ihrem ehemaligen peiniger wieder gegenübersteht, und wir lassen uns von ihrer zerbrechlichkeit und unwilligkeit, wien zu verlassen, dazu verführen zu glauben, sie wolle sich an max rächen. diese erwartung an die missbrauchte frau wird jedoch jäh enttäuscht in der szene, in der max sie auf ihrem zimmer aufsucht und sich die vorherigen begegnungen als verführerisches katz-und-maus-spiel entpuppen.
lucias erwachende sexualität wurde von max auf die wechselbäder der anbetung und degradierung geprägt, auf die verquere und doch schlüssige abfolge der fürsorglichen überhöhung und umso lustvollerer erniedrigung. sie gibt sich nun ohne zwang wieder in diese beziehung und im laufe des films, besonders in ihrer hocherotischen gesangseinlage, wird klar, dass dies nicht nur daran liegt, dass sie es so gelernt hat. sie begibt sich in die rolle des opfers zurück, weil sie sich ebenso wie max an ihrer macht berauscht: an der macht des opfers. ohne sie ist max nur der seine scham im dunkeln versteckende nachportier. mit ihr und nur mit ihr kann er die seiten seiner selbst ausleben, für die er sich schämt, von denen er jedoch auch weiß, dass er sie weder leugnen noch weg-rationalisieren kann.
im weiteren verlauf des films sehen wir lucia als raubkatze, die sich nicht festketten lässt, jedoch bleibt, wenn sie jederzeit gehen kann. als willensstarke liebhaberin, als launische gespielin. vor allem aber als verführerische fetischfigur in männerhosen mit hosenträgern über den nackten brüsten, lederhandschuhen und nazi-insignien, die in bester marlene-manier singt: „wenn ich gar zu glücklich wär‘, hätt‘ ich heimweh nach dem traurigsein“. man spürt, dass die männer im raum wohl ihre phallussymbole beherrschen mögen, lucia jedoch beherrscht die phalli.
es ist das bittersüße der genussvollen hingebung, die die absolute kontrolle über den anderen beinhaltet, die diese frau echt und eine identifikation möglich macht. von der voyeuristischen schalheit der sexploitation weit entfernt, ist es liliana cavani gelungen, opfer und täter in ihren rollen zu beleuchten, zu spiegeln und ihnen dabei ihre würde zu lassen.
unbedingt unvoreingenommen anschauen! die zärtlich-tragischen letzten minuten allein sind es wert.

WEG MIT
§218!