Monat: September 2012

sprachgebiete erobern

ich persönlich habe kein problem mit den weiblichen-geschlechtsteil-vulgärausdrücken der engländer und holländer. ich finde sogar, im sinne einer reappropriation könnte ich mir das als eine form der emanzipation vorstellen – wenn, wie herr gauger dies im interview sagt, das fluchen eine männerdomäne ist, will ich als frau mit „weiblichen“ wörtern fluchen.
klar: die konnotation des weiblichen geschlechtsteils mit negativem kann auch wieder interpretiert werden als männliches pejorativ. aber eine herabsetzung funktioniert ja auch nur zu zweit.
also: cunts und kuts away.

KW 38/2012: Elisabeth Selbert, 22. September 1896

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Elisabeth Selberts Sternstunde war es ohne Zweifel und Konkurrenz, 1949 den Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ als Artikel 3 des Grundgesetz für die BRD durchzusetzen. Aus der Verfassung der Weimarer Republik sollte ursprünglich der Satz „Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“ übernommen werden. Elisabeth Selbert gelang es in gemeinschaftlicher Arbeit mit den anderen Müttern des Grundgesetzes (Friederike Nadig, Helene Weber und Helene Wessel) und – wie ich gerüchteweise einem anderen Blog entnommen habe – mittels eines Radioaufrufes an die Frauen Deutschlands – den entscheidenden Wortlaut gegen die Väter des Grundgesetzes zu verteidigen.

Der Gleichberechtigung, die dieser Satz gesetzlich festschrieb, stand noch bis 1957 der Gehorsamsparagraph entgegen, der dadurch, dass dem Mann in der Ehe das alleinige Entscheidungsrecht zugebilligt wurde, auch verhinderte, dass Ehefauen ohne die schriftliche Einverständniserklärung ihres Gatten eine Stelle antreten oder ein eigenes Konto eröffnen konnten. Der Widerspruch zwischen Artikel 3 und dem Gehorsamsparagraphen blieb in den Jahren zwischen 1949 und 1957 unaufgelöst, sodass in dieser Zeit eigentlich ein gesetzloser Zustand herrschte. (Ich nehme an, dies bedeutet, wenn sich Frauen gegen diese Abhängigkeit in der Ehe juristisch wehrten, war es absolut von der Haltung und dem Wohlwollen des Richters abhängig, welche Spielräume ihr gewährt wurden.) 1957 trat dann ein Gesetzesentwurf von 1952 (!) in Kraft.

Neben dem langen Weg der Entwicklung, den die gesetzliche Grundlage zum Mutterschutz, zur Empfängnisverhütung und zum eingeschränkt legalen Schwangerschaftsabbruch (§218) hinter sich bringen musste, gibt es zwei Stationen in der gesetzlichen Gleichberechtigung von Männern und Frauen, bei denen mir immer wieder die Kinnlade und der Glaube an die Menschheit herunterfällt:

1977 – in meinem Geburtsjahr – trat das Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts in Kraft. Dieses regelte neuerdings (!), dass die Frau nicht mehr nur dann arbeiten durfte, wenn sie dafür ihre „hausfraulichen Pflichten“ nicht vernachlässigte, sondern dass die Vereinbarung den Eheleuten überlassen bleibt und die Haushaltsführung dem finanziellen Unterhalt gleichgestellt ist.

1997, das lasse man sich auf der Zunge zergehen: vor 15 Jahren erst, wurde die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt. Bis dahin galt: den ehelichen Beischlaf darf sich der Mann mit Gewalt erzwingen und seine Ehefrau hat keine strafrechtlichen Mittel, ihn davon abzuhalten bzw. dafür zur Verantwortung zu ziehen. Kein Wunder, dass manche Frauen lieber nicht heiraten wollten!

Einen Rückblick zum 60. Geburtstag des Grundgesetzes mit Fokus auf Elisabeth Selbert kann man bei youtube sehen (3sat-Beitrag von 2009).

the fast and the furious

rob cohen, USA 2001
bevor ich anfange: es muss klar sein, dass ich von dem film keine tiefenanalytischen erkenntnisse über die rolle der frau in der autobranche erwartet habe.
dennoch finde ich einige dinge an diesem filmgewordenen werkstatt-kalender bemerkenswert.
zum einen: trotz massenweise angehäufter klischees gelingt es dem film, sympathien für seine protagonisten zu wecken und in der autojagd zum höhepunkt echte spannung zu erzeugen. ich habe sogar zeitweise mein strickzeug ruhen lassen…
zum anderen fällt aus dem rahmen, dass michelle rodriguez, die sonst gerne in der rolle der verkappten oder auch offenen butch-lesbe besetzt wird, hier nicht nur wie immer die smurfette, sondern sogar den love interest von vin diesel spielen darf.
überhaupt ist das smurfette-prinzip in diesem (und auch den nachfolge-filmen) extrem ausgeprägt. es ist (fast… i’m looking at you, part 4!) immer eine frau dabei, die sich ebenso für autos interessiert, ebenso eine technikerin ist und ebenso gut autofahren kann wie die männlichen protagonisten. diese frauen unterscheiden sich sowohl im gehabe wie auch in ihrer kleidung auffällig vom stöckelwild, das die asphaltweiden des films sonst begrast. die frage, die mich dabei bewegt: gibt es diese frauenfiguren, um die weiblichen begleitpersonen der im publikum angesprochenen männer zu besänftigen? oder tatsächlich, um die randzielgruppe der schraubenden frauen anzusprechen? beides wäre in irgendeiner form wohl begrüßenswert…
(dass dem smurfette-prinzip auch eine gewisse realitätsnähe zuzusprechen ist, sage ich jetzt mal in klammern, weil ich mich damit nicht so lang auseinandersetzen will.)
worüber ich mir nicht im klaren bin: ob ich michelle rodriguez dafür applaudieren soll, die übliche tough broad auch in einem solchen male-gaze-vehikel* darzustellen (für die leidenschaftliche szene mit vin diesel applaudiere ich ihr, definitiv, ungefragt, unangefochten)? oder ob ich es nicht traurig und doof finde, dass sie sich diese rolle nicht für weniger sexistische, techno-erotische sci-fi- und ähnliche actioner aufhebt und sich diesem wirklich zum teil ekligen männer-frauen-bild zum werkzeug macht. andererseits: sie darf halt auch vin diesel küssen…
*male gaze: es fällt schon stark ins auge, dass die kamera ihre liebkosenden, intimen aufnahmen immer auf stromlinien-ebene der autos entlangfährt, wo sich zufälliger- und praktischerweise auch die brüste (oben) und hintern (unten) der frauen befinden, während ihre köpfe im limbo des bildschirmrandes verschwinden. die werden damit nicht nur zu gesichtsloser fleischmasse, sondern auch unverhohlen reduziert zu gebrauchsgegenständen und statussymbolen, wie autos eben. das ist mit sicherheit keine neue und bestechende erkenntnis, ich will es aber nicht unerwähnt lassen.
mein mann streift in seiner rezension auch immer wieder das unausweichliche, in diesem film wirklich aufdringliche thema der  geschlechterklischees, natürlich ohne sich darauf zu beschränken. er hat auch die weiteren teile 2 fast, 2 furious und the fast and the furious: tokyo drift besprochen. zu der anmerkung seinerseits, dass letzterer eine von den frauen über die ressource sex kontrollierte welt darstellt, möchte ich anmerken, dass diese welt aber auch die frauen nicht glücklicher machen kann – es handelt sich um eine absolute lose-lose-situation. denn ich sehe keine einzige frau, die weniger als kleidergröße 0 trägt oder im alter mehr als die zahl 2 vorne stehen hat – ganz abgesehen davon, dass die schwanzkontrolle auch nur funktioniert, wenn sich die frauen an die erwartungen der männer anpassen, wovon sie sich kontrollieren lassen. im overall, mit fettigen haaren und unrasierten beinen wird keine frau die kerle in dem film zu irgendwelchen tollkühnen rennen verführen können. wir können also als fazit festhalten: in der welt von tokyo drift ist eigentlich nur der/diejenige glücklich, der gerade im mondschein über japanische serpentinen driftet. und wer kann das schon die ganze zeit tun?

KW 37/2012: Sandy Skoglund, 11. September 1946

Sandy Skoglund

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Wie sehr ich mich gefreut habe, bei meiner Recherche auf diese Künstlerin gestoßen zu sein! Nicht nur, weil mir ihre Kunst gefällt – und zwar fast alles von den frühen bis zu den neueren Werken – sondern auch, weil es ein Bild gibt von einer ihrer Installationen, mit dem meine eigene private kleine Kreativität ihren Anfang nahm: Revenge of the Goldfish.

Sandy Skoglund "Revenge of the Goldfish"

Dieses Bild von ihr/ihrer Installation muss einmal in einem ZeitMagazin veröffentlicht worden sein und es hat mich damals mit der Komposition und seinen Farben so sehr angesprochen, dass ich es ausschneiden und aufheben musste. Und damit kam die Frage: Was tun mit diesem kleinen Bildausschnitt? Klar, an die Wand hängen, aber das war mir irgendwie nicht genug – dieses Bild schrie nach Verwendung. Und wenn dieses Bild so aufgehoben werden musste, warum dann nicht auch die vielen anderen schönen Bilder aus dem ZeitMagazin ausschneiden? Gleichzeitig fielen meine Agendas (aka Schülerkalender) gegen Ende des Schuljahres immer auseinander ob der eingeklebten Erinnerungen. So war meine Sucht geboren, jedes Jahr mein neues Agenda in selbstgestaltete Umschläge zu verpacken (Facebook-Link).

Sandy Skoglund ist (immer) noch aktiv und hat eine umfassende Website.

Bild Sandy Skoglund: Von BurnAway – Artist Sandy Skoglund (left) in conversation with a gallery visitor, CC BY 2.0

Bild Revenge of the Goldfish: By Source (WP:NFCC#4), Sandy Skoglund „Revenge of the Goldfish“ Fair use

KW 36/2012: Gala Éluard Dalí, 7. September 1894

Gala Élouard Dalí

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Über Gala ist sicherlich schon ausreichend geschrieben worden. Ich möchte nur dazu einladen, das Geschriebene zu lesen: Mich hat der Artikel auf Wikipedia schon gefesselt und daher konnte ich auch nicht widerstehen, sie zur Frau dieser Woche zu küren.

Man sehe sich nur dieses Portrait von ihr an. Das ist die Muse, die mehrere Künstler – Dichter und Maler – verwirrt, betört, erhoben und gebannt hat. Man würde eine überirdische Schönheit oder zumindest eine verführerisch zurechtgemachte  Diva erwarten – ich zumindest. Doch stattdessen blickt uns eine durchschnittlich attraktive, schlichte Person entgegen; mit entschlossener Klarheit und entblößter Brust zwar, aber doch nicht mehr als eine einfache Frau.

Um mich angesichts des langen verlinkten Wiki-Textes kurz zu fassen: Gala Dalí fasziniert mich als Frau, die für ihre Zeit modern und ungewöhnlich bissig gewesen zu sein scheint. Ein Gegenbeispiel für den „angeborenen“ und „unausweichlichen“ Mutterinstinkt. Keine Muse, die durch bloße Anwesenheit und ätherische Schönheit, sondern durch fordernde Schubkraft und Selbstinszenierung ihrer selbst den jeweiligen männlichen Künstler an ihrer Seite zum Erfolg trieb. Eine Frau, die keine Hemmungen hatte, Beziehungen einzugehen und parallel zu unterhalten zu den Männern, von denen sie sich auch Erfüllung ihrer eigenen Bedürfnisse – nach Ruhm, nach Anerkennung – versprach. Und schließlich eine Frau, die in der Lage war, ihre Position realistisch zu betrachten und die Funktion der Muse zumindest an eine Jüngere abzutreten – ohne dabei auf Eitelkeit zu verzichten und die Liebe ihres Lebensgefährten zu verlieren.
Manchmal muss man schlicht seinen Impulsen folgen. Auch wenn dann die Worte fehlen, den Impuls zu begründen.

Bild: „Galarina“; 1944 portrait of Gala Dalí by Salvador Dalí. The original painting is in the Teatre Museu Gala Salvador Dalí in Figueres, Catalonia, Spain.

WEG MIT
§218!