Schlagwort: chemie

9/2020: Marjorie Courtenay-Latimer, 24. Februar 1907

Marjorie Courtenay-Latimer kam als Tochter eines Eisenbahnbeamten im südafrikanischen East London zur Welt, zwei Monate zu früh, was sich während ihrer Kindheit nachhaltig auf ihre Gesundheit auswirkte. Dennoch überlebte sie einen Diphtherie-Infekt und war gerne und viel in der Natur unterwegs. Ihre Eltern förderten ihr Interesse an naturwissenschaftlichen Themen, ursprünglich wollte sie mit 11 Jahren Expertin für Vögel werden.

Nachdem sie ihre Schulbildung abgeschlossen hatte, begann sie mit einer Ausbildung zur Krankenschwester, doch kurz bevor sie diese beendete, hörte sie von einer offenen Stelle als Direktorin für das East London Museum. Sie bewarb sich und beeindruckte ihre Gegenüber im Museum so sehr mit ihrem naturkundlichen Wissen, dass diese sie trotz Mangel einer formellen Qualifikation einstellten. Courtenay-Latimer war zu diesem Zeitpunkt 24 Jahre alt, sie sollte den Rest ihres Arbeitslebens in dem Museum bleiben. Sie sammelte beständig alle möglichen Dinge, die für das Museum von Beduetung sein könnten, und war auch bei den Fischern am Hafen bekannt dafür, dass sie ungewöhnliche Exemplare in ihren Fangnetzen begutachten wollte.

Am 22. Dezember 1938 erhielt sie einen Anruf, dass ein merkwürdiger Fisch einem befreundeten Kapitän ins Netz gegangen war, und sie ging auf sein Boot, um sich ein Bild zu machen. Sie befreite das Tier, das bereits tot war, von mehreren Schichten Schlamm und Schleim und fand etwas vor, mit dem sie nicht gerechnet hatte. Sie beschrieb das 150cm lange Tier als den schönsten Fisch, den sie je gesehen hatte, „von blassem, ins malve gehende Blau mit matten Tupfern weißer Flecken; es hatte einen irisierenden silber-blau-grünen Schimmer darüber. Es war mit harten Schuppen bedeckt, und es hatte vier gliederförmige Flossen und einen merkwürdigen Welpenschwanz“. (Übersetzung eines Zitats im englischen Wikipedia-Beitrag)

Sie schleppte den Fisch mit einem Taxi in ihr Museum und versuchte, eine Entsprechung in den Büchern zu finden. Sie wollte das Exemplar gerne konservieren, doch der örtliche Leichenbestatter weigerte sich, ihr zu helfen. Der befreundete Ichthyologe J. L. B. Smith, der an der Rhodes-Universität Chemie unterrichtete, war nicht zu erreichen, und so musste sie den Fisch widerwillig zu einem Tierpräparator bringen, der ihren Fund häutete und ausnahm.

Als Smith acht Wochen später bei ihr eintraf und das ausgestopfte Tier sah, war ihm sofort klar, dass es sich dabei um einen Quastenflosser handelte, eine Knochenfischart, von der angenommen wurde, dass sie während der Kreidezeit vollkommen ausgestorben war. Bei seiner wissenschaftlichen Beschreibung gab er der gefundenen Art den Namen Latimeria chalumnae – nach der Finderin Latimer und dem Fluss Chalumna, in dessen Mündung das Exemplar gefangen wurde. Der Fund war eine Sensation und es sollte 14 Jahre dauern, bis an anderer Stelle eine weitere Quastenflosserart entdeckt werden sollte. Courtenay-Latimer hatte ein lebendes Fossil entdeckt und verhinderte geistesgegenwärtig auch den Verkauf ihres Fisches aus dem Museumsbestand nach Großbritannien.

Die Museumsdirektorin und Biologin aus Leidenschaft verstarb erst 2004. So konnte sie nicht nur auch den nächsten Fund – zwischen den Komoren und Madagaskar – miterleben, sie konnte 1987 auch die Bilder von den Tauchgängen der Geo sehen, auf denen erstmals Quastenflosser in ihrem natürlichen Lebensraum zu sehen waren. An dieses Ereignis erinnere auch ich mich noch, da unser begeisterungsfähiger Biologielehrer uns lebhaft davon berichtete. Auch die weitere Erforschung der Quastenflosser durch das Nachfolge-Tauchboot Jago fiel noch in die Lebenszeit der ersten Entdeckerin und Namenspatin dieser Tierart, die inzwischen vom Aussterben bedroht ist.

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Ebenfalls diese Woche

25. Februar 1670: Maria Margaretha Kirch
Sie war die erste Frau, die einen Kometen entdeckte. Als ihr Mann starb, setzte sie die gemeinsame astronomische Arbeit fort. Sie war außerdem die Mutter der beiden Kirch-Schwestern.

26. Februar 1785: Anna Sundström (Link Englisch)
Die Assistentin des schwedischen Mediziners und Chemikers Jöns Jakob Berzelius, der als Vater der modernen Chemie gilt, wird als erste Chemikerin Schwedens verstanden, da er sie als umfassend versiert in allen Handhabungen beschrieb.

28. Februar 1920: Marjorie Sweeting (Link Englisch)
Als erste westliche Wissenschaftlerin untersuchte und beschrieb die britische Geomorphologin die Karst-Landschaft Chinas.

28. Februar 1956: Penny Sackett (Link Englisch)
Die australische Astronomin war 2008 bis 2011 die Direktorin der Forschungsschule für Astronomie und Astrophysik an der Australian National University.

Fang

1. Jhdt. v. Chr.

Die Timeline of women in science listet unter diesem Namen eine „Frau, die unter dem Namen Fang bekannt ist“ und der die Entdeckung zugeschrieben wurde „wie Quecksilber in Silber verwandelt werden kann“, möglicherweise Beschreibung des chemischen Prozesses, Quecksilber bei der Gewinnung von Silber aus Erz einzusetzen.

Über einige Umwege – über den Beitrag über Alchemie, zum Hauptartiekl über Chinesische Alchemie und dessen englisches Gegenstück Chinese alchemy (Link Englisch) – findet sich schließlich ein Kapitel über Chinese women alchemists (Link Englisch), in dem Fang ebenfalls prominent erwähnt wird. Über ihr Leben schrieb mehr als 400 Jahre später der Autor und Alchemist Ge Hong. Er erzählt ebenfalls, dass es ihr gelungen sei, durch das Erhitzen von Quecksilber Silber aus Erz zu gewinnen, und dass ihr Mann Cheng Wei ihr Geheimnis so unbedingt erfahren wollte, dass er sie misshandelt habe; schließlich sei sie darüber wahnsinnig geworden und habe Selbstmord begangen.

Die Seite Women Alchemists widmet ihr auch einen Platz in der Liste der Chinese Women Alchemists.

4/2020: Gertrude B. Elion, 23. Januar 1918

Die Eltern von Gertrude B. Elion waren als Kinder in die USA eingewandert, ihre Mutter aus Polen, ihr Vater stammte aus einer jüdischen Familie in Litauen. Er war Zahnarzt in New York, verlor jedoch sein gesamtes Vermögen am Schwarzen Donnerstag, den 24. Oktober 1929 (dazu gehört in der Folge auch der Schwarze Dienstag, der 29.Oktober; dass dieses Ereignis in Deutschland als Schwarzer Freitag bekannt ist, liegt daran, dass durch die Zeitverschiebung der Absturz des Börsenkurses in unseren Breiten in den frühen Morgenstunden des Freitag stattfand). Doch da Getrude hervorragende Noten hatte, konnte sie ohne Studiengebühren am Hunter College Chemie studieren. Sie hatte bereits mit 15 beschlossen, in der Krebsforschung zu arbeiten, nachdem ihr Großvater an Krebs gestorben war. 1937, mit 19 Jahren, machte sie als einzige Frau vor 1939 ihren Bachelor an der New Yorker Universität. Da sie keine Anstellung als Chemikerin fand, schloss sie ein Studium zum Master of Sciences an, während sie tagsüber als High-School-Lehrerin arbeitete. Später äußerte sie die Vermutung, dass sie als junges Mädchen überhaupt nur eine Hochschulbildung genießen konnte, weil sie dank guter Noten umsonst studieren konnte – sie bewarb sich fünfzehn Male um finanzielle Unterstützung, doch alle wurden aufgrund ihres Geschlechtes abgelehnt. Sie hatte sich bereits in einer Schule für Sekretärinen eingeschrieben und diese sechs Wochen besucht, bevor sie eine bezahlte Stelle fand. (Quelle: Wikipedia) 1941 machte sie ihren Abschluss als M.Sc., im gleichen Jahr verlor sie ihren Verlobten durch eine bakterielle Endokarditis, eine Herzentzündung. Nach eigener Aussage verstärkte dies ihren Wunsch, Pharmakologin zu werden.

Da sie keine Arbeit in der akademischen Forschung fand, arbeitete sie zunächst in der Lebensmittelforschung, namentlich bei der Supermarktkette A&P; dort prüfte sie als Qualitätsmanager den Säuregehalt der Gurken und Eidotter, die in Mayonaise verarbeitet wurden. Erst drei Jahre später, 1944, konnte sie bei Burroughs Wellcome & Company (heute GlaxoSmithKline) als Laborassistentin tätig werden. Sie arbeitete hier mit dem Biochemiker George Herbert Hitchings zusammen an „rationaler Wirkstoffplanung“: Statt sich auf trial & error zu verlassen, also zu experimentieren und aus den gescheiterten Experimenten zu lernen, untersuchte das Team aus Hitchings, Elion und James W. Black die Unterschiede zwischen menschlichen Zellen und Krankheitserregern, um von vorneherein Wirkstoffe herzustellen, die nur die Erreger zerstörten und nicht gesundes menschliches Gewebe angriffen.

In ihrer Zeit bei Burroughs Wellcome & Company, zwischen 1944 und 1983, war sie an der Entwicklung diverser Medikamente beteiltigt, etwa Zytostatika zur Behandlung von Leukämie, einem Mittel zur Behandlung von Malaria, und dem ersten Immunsuppressivum, das nach Organtransplantationen zum Einsatz kommt. Besonders hervorzuheben unter Elions Forschungsergebnissen ist jedoch Aciclovir, das bei Infektionen mit Viren der Art Herpes Simplex gegeben wird. Nachdem sie sich bereits als Mitarbeiterin von inzwischen GlaxoSmithKline zur Ruhe gesetzt hatte, war sie auch an der Weiterentwicklung von AZT (Zidovudin) beteiligt, das erste Medikament, das zur Behandlung von AIDS eingesetzt wurde und noch heute zur antiretroviralen Therapie bei HIV1-infizierten Patienten gehört.

1967 wurde sie zur Leiterin der Abteilung für Experimentelle Therapie bei GlaxoSmithKline. Sie machte auch erste Schritte hin zu einem Doktortitel, doch war ihr die praktische Forschung im Unternehmen wichtiger als der akademische Grad, und so promivierte sie nie. Nachdem sie jedoch 1988 gemeinsam mit Hitchings den Nobelpreis für Physiologie und Medizin (für die „Entdeckung zu wichtigen biochemischen Prinzipien der Arzneimitteltherapie“) erhalten hatte, verlieh ihr die Polytechnic University of New York 1989 die Ehrendoktorwürde, neun Jahre später folgte auch die Harvard University.

Die Liste ihrer Auszeichnungen ist lang. Im direkten Anschluss an ihre Pensionierung war sie Präsidentin der American Association for Cancer Research, und im beruflichen Ruhestand forschte sie weiter nach Mitteln gegen HIV und AIDS. Sie war die fünfte weibliche Nobelpreisträgerin für Medizin und die neunte weibliche überhaupt. Sie wurde in den Jahren 1990 und 1991 zum Mitglied der National Academy of Sciences, der National Academy of Medicine und der American Academy of Arts and Sciences, erhielt (unter anderem) die US-amerikanische National Medal of Science und wurde in die National Inventors Hall of Fame und die National Women’s Hall of Fame aufgenommen.

1999 starb sie im Alter von 91 Jahren.

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Ebenfalls diese Woche

21. Januar 1714: Anna Morandi Manzolini
Ihre ersten zwanzig Wachsmodelle von menschlichen Organen waren die unterschiedlichen Ausbildungen des Uterus während einer Schwangerschaft. Manzolini wurde weltbekannt für ihre exakten Wachsnachbildungen menschlicher Anatomie, später lehrte sie auch als Honorarprofessorin an der Universität Bologna.

22. Januar 1909: Tikvah Alper (Link Englisch)
Die südafrikanische Physikerin studierte 1930-1932 bei Lise Meitner. Sie entdeckte, dass der Scrapie-Erreger, bei uns auch Traberkrankheit, keine Nukleinsäuren enthält und sich nicht durch Strahlung vernichten lässt. Die Schlussfolgerung, dass es sich nicht um einen Virus handeln konnte, führte zur Entwicklung der Prionentheorie.

24. Januar 1904: Berta Karlik
Die österreichische Physikerin wies in den 1940er Jahren die drei Isotope 215, 216 und 218 des Elementes Astat nach.

26. Januar 1839: Rachel Lloyd (Link Englisch)
1886 war sie die erste Amerikanerin, die einen Doktortitel in Chemie erhielt – an der Universität Zürich – und die zweite Frau in diesem Gebiet überhaupt nach Julia Lermontowa.

19/2019: Hilde Levi, 9. Mai 1909

Religion spielte in ihrem Leben nur als Hindernis zum Glück eine Rolle: Schon Hilde Levis Eltern lebten als assimilierte Juden in Frankfurt am Main, sie selbst lehnte nach erzwungenem Religionsunterricht in der weiterführenden Schule früh die Religion für sich ab. Zu dieser Haltung trug sicherlich auch ihre wissenschaftliche Weltansschauung bei; ihr Abitur machte sie 1928 als einziges Mädchen ihres Jahrgangs in Physik. Nach ihrem Abschluss verbrachte sie zunächst ein halbes Jahr in England und begann dann an der Münchener Universität Physik und Chemie zu studieren. Bereits zwei Jahre später wechselte sie für ihre Promotionsarbeit an das Kaiser-Wilhelm-Institut für Physikalische Chemie und Elektrochemie in Berlin-Dahlem. Dort bestand sie 1934 noch ihre Doktorprüfung, doch da die Nationalsozialisten im Jahr zuvor an die Macht gewählt worden waren, überschattete ihre jüdische Familiengeschichte ihr ganzes Leben. Aufgrund des Arierparagraphen hatte sie keinerlei berufliche Aussichten, sämtliche ihrer Lehrer und Mentoren waren bereits emigriert. Schließlich löste ihr Verlobter, der Physiker Hans Bethe, zwei Tage vor der Hochzeit die Verbindung, auf Anraten seiner Mutter, die selbst jüdischer Abstammung war. Diese Entscheidung schockierte die Kollegen des Paares, insbesondere die ebenfalls jüdischen Niels Bohr und James Franck, die lebenslang persönliche Vorbehalte gegen den späteren Nobelpreisträger hegten. (In Bethes Wikipedia-Eintrag ist im übrigen weder von seiner privaten Verbindung zu Hilde Levi noch von dieser Entscheidung gegen ihre Ehe die Rede, die immerhin dazu führte, dass Bethe bis nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nie an das Niels-Bohr-Institut eingeladen wurde, obwohl er ein führender Physiker der Zeit war.)

Die International Federation of University Women und Niels Bohr selbst vermittelten Levi eine Assistenzstelle bei James Franck, der selbst erst vor kurzem nach Kopenhagen emigriert war; er kannte zwar Levi bis dahin nicht persönlich, aber ihre Doktorarbeit über Spektren der Alkalihalogen-Dämpfe, deren wissenschaftlichen Wert er hoch einschätzt. Ihre Promotionsurkunde musste ihr Bruder ihr Monate nach ihrer Ausreise für sie in Empfang nehmen. Levi arbeitete für Franck, bis dieser 1935 Kopenhagen verließ, danach arbeitete sie als Assistentin des ebenfalls aus Deutschland emigrierten ungarischen Chemikers George de Hevesy. Die Entdeckung der Aktivierung, also induzierter Radioaktivität, durch das Ehepaar Joliot-Curie 1935 inspirierte de Hevesy und Levi zur Bestrahlung seltener Erden. Ihre Entdeckungen bei dieser Arbeit führten zur Entwicklung der Neutronenaktivierungsanalyse, mit der zum Beispiel 1961 ermittlet wurde, dass Napoléon zumindest an Arsenvergiftung litt, wenn nicht sogar daran starb.

1938 wurde Levi in Deutschland der Doktortitel aberkannt, ohne Angabe von Gründen, im gleichen Jahr musste sie ihren deutschen Pass in der Botschaft in Kopenhagen abgeben. Sie konnte mit de Hevesy bis 1940 weiter am Niels-Bohr-Institut arbeiten; nach der Besetzung Dänemarks durch die deutsche Wehrmacht wechselte sie zunächst innerhalb Kopenhagens an das Carlsberg-Institut. 1943 begannen die deutschen Besatzer jedoch auch in Dänemark, Juden zu deportieren, und Levi floh mit vielen anderen nach Schweden. Dort konnte sie bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges an einem Institut für experimentelle Biologie arbeiten.

Nach Kriegsende kehrte Levi nach Kopenhagen zurück und begann, unter August Krogh am Zoophysiologischen Institut der Universität Kopenhagen an radiobiochemischen Forschungen zu arbeiten. Bei einem Aufenthalt in den USA lernte sie die Radiokarbonmethode zur Altersbestimmung von Stoffen kennen, die Willard Libby 1946 entwickelt hatte. Sie entwickelte darauf aufbauend am Dänischen Nationalmuseum die erste Messeinrichtung für C14-Datierung, mit der kurz darauf das Alter des Grauballe-Mann ermittelt werden konnte. (Auch in diesem Wikipedia-Beitrag ist nicht die Rede von Levi, sondern Libby selbst wird als derjenige genannt, der die Untersuchung durchgeführt habe. Siehe Matilda-Effekt.)

Levi beriet die dänische Gesundheitbehörde zum Thema Strahlenschutz und lehrte 19 Jahre lang an der Universität Kopenhagen. Nach ihrer Pensionierung 1979 war sie am Aufbau des Niels-Bohr-Archivs beteiligt und arbeitete den wissenschaftlichen und persönlichen Nachlass de Hevesys auf. 2001 nahm sie an einem Treffen an der Humboldt-Universität teil, zu dem die Wissenschaftler geladen worden waren, die nach 1933 entlassen worden waren und Deutschland nachfolgend verlassen mussten. Sie starb 2003 im Alter von 94 Jahren in Kopenhagen.

Das Jewish Women’s Archive führt eine Biografie von ihr, das Niels-Bohr-Archiv ebenfalls. Auf der Seite des American Institute of Physics findet sich das Transkript eines Interviews mit ihr von 1971.

5/2019: Edith M. Flanigen, 28. Januar 1929

Edith M. Flanigen entdeckte ihre Begeisterung für die Chemie – gemeinsam mit ihren beiden Schwestern – durch eine Lehrerin in der High School. Alle drei studierten Chemie an der Syracuse University; Edith schloss ihr Studium schließlich mit 23 Jahren als Master of Science ab. Sie begann bei Union Carbide, einem Unternehmen der Chemie-Industrie, zu arbeiten, zunächst mit der Aufgabe, Silikonpolymere (Molekülketten aus Siliziumverbindungen) zu identifizieren, zu reinigen und zu gewinnen, vier Jahre später wurden Molekularsiebe ihr Themenschwerpunkt: Chemische Stoffe, in denen die Moleküle derart in einer Gitterform angeordnet sind, dass die Atome anderer Elemente darin hängenbleiben und somit aus einer Verbindung herausgesiebt werden.

Nach 17 Jahren Arbeit in diesem Bereich wurde sie 1973 die erste weibliche wissenschaftliche Mitarbeiterin, zehn Jahre später die erste weibliche Leitung einer Arbeitsgruppe bei Union Carbide. In den insgesamt 42 Jahren, die sie bei Union Carbide tätig war, entwickelte sie über 200 synthetische Stoffe, darunter Zeolith Y, der synthetischen Form des Faujasit, und einen synthetischen Smaragd, der als Schmuckstein und bei Lasern im Mikrowellenbereich zum Einsatz kommt. Sie ist Inhaberin von über 100 Patenten (USA), war die erste Frau, die die Perkin Medal erhielt, und bekam 2012 die National Medal of Technology and Innovation von Barack Obama verliehen.

Trotz dieser anerkannten Leistungen: Wer ihren Namen nicht kennt, wird auch über das von ihr entwickelte Zeolith Y nicht auf sie stoßen. Laut des englischen Wikipedia-Eintrages ist sie „best known as the inventor of Zeolith Y„, doch der Link zu Zeolith Y wird weitergeleitet zu seiner in der Natur auftretenden Form Faujasit; laut des deutschen Wikipedia-Eintrages war sie „maßgeblich beteiligt an der Entwicklung“ von Zeolith Y, zu dem es auch tatsächlich einen Eintrag gibt – in dem sie namentlich überhaupt nicht vorkommt, sondern stattdessen ein Donald Breck als derjenige genannt wird, dem es gelang, den Stoff zu synthetisieren. Zu Donald Breck gibt es jedoch weder einen englischen noch einen deutschen Wikipedia-Eintrag. Auch wenn man das von ihr erfundene Molekularsieb googelt, stößt man so gut wie nie auf ihren Namen (unter dem Link: die eine englischsprachige Seite, auf der „EM Flanigen“ in den references genannt wird; unter anderen).

Ich weiß, dass Wikipedia nicht den Wissenskanon ganzer wissenschaftlicher Forschungs- und Fachbereiche abdecken kann. Dennoch vermute ich hier den Matilda-Effekt, der dafür sorgt, dass die Beteiligung oder Errungschaften weiblicher Wissenschaftlerinnen zugunsten ihrer männlichen Kollegen, Vorgesetzten und/oder Arbeitgeber verschwiegen oder verleugnet wird. Ich bin selbst keine geübte und schon gar nicht registrierte Wikipedia-Lektorin, aber das wäre mal eine kleine, aber sinnvolle Aufgabe, Edith M. Flanigen in den entsprechenden Artikeln zu ihrer Erfindung zu verlinken.

01/2018

1. Januar: Chertek Amyrbitowna Antschimaa-Toka
1912 geboren, war die Tuwinerin 1940 das erste weibliche Staatsoberhaupt einer Republik –  in einem südsibirischen Land, nicht einmal halb so groß wie Deutschland.
Leider war sie als solche, auch durch die Schattenregierung ihres Mannes, nur eine Marionette der Regierung der Sowjetunion, unter der die von Stalin angeordnete Säuberung des Landes von Buddhismus und Schamanismus sowie die Ausrottung der traditionellen nomadischen Lebensweise weiterbetrieben wurde. Das Land trat drei Tage nach der Sowjetunion in den Zweiten Weltkrieg ein und im Oktober 1944 als ‚autonomes Gebiet‘ in die Sowjetunion eingegliedert. Antschimaa-Toka bekleidete bis 1972 nur noch regionale Ämter. Sie verstarb 2008 in der tuwinischen Hauptstadt Kyzyl.

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2. Januar: Julia Wsewolodowna Lermontowa
Die 1846 in St. Petersburg geborene Russin wollte ursprünglich Medizin studieren, musste jedoch feststellen, dass sie weder den Anblick von Skeletten noch der Armut ihrer Patienten ertrug. Ihr wissenschaftliches Interesse richtete sich daraufhin auf die Chemie. Als sie trotz beständiger Ermutigung durch ihre Lehrer nicht an der Universität akzeptiert wurde, die als die Beste für Chemie in Russland galt, bemühte sie sich um ein Studium im Ausland. Ihrer Cousine Anna Michailowna Jewreinowa war von der erfolgreichen Mathematikerin Sofja Wassiljewna Kowalewskaja Unterstützung bei einem Studium in Deutschland angeboten worden und mit der älteren, angesehenen Anstandsdame war es beiden jungen Frauen möglich, Russland zu verlassen.
Als 22jährige studierte Lermontowa in Heidelberg Chemie und untersuchte in Robert Bunsens Labor die Eigenschaften von Platinverbindungen. Von dort ging sie nach Berlin und studierte organische Chemie unter August von Hofmann. 1874, mit 25 Jahren, schrieb Lermontowa ihre Dissertation und wurde an der Universität Göttingen die erste Frau mit einem Doktorgrad der Chemie.
Im Anschluss daran kehrte sie nach Russland zurück, arbeitete an der Synthetisierung von Kohlenwasserstoffen und stellte nach ihrem Rückzug aus der Chemie auf ihren geerbten Landsitz einen Käse her, der in ganz Russland verkauft wurde. Als Sofja Kowalewskaja 1891 starb, übernahm Lermontowa (teilweise) die Fürsorge für deren nun verwaiste Tochter Fufa, die zu Lermontowas Tod 1919 auch deren gesamten Besitz erbte.

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4. Januar: Hamida Barmaki
Die afghanische Menschenrechtsaktivisttin wäre am 4. Januar 48 Jahre alt geworden. Die Juraprofessorin war Expertin für das afghanische Rechtssystem, das durch säkuläre und religiöse Aspekte kompliziert gestaltet ist. Sie setzte sich in ihrem Land für die Frauen- und allgemeinen Menschenrechte, vor allem der Kinder, ein, hatte mehrere öffentliche Ämter inne und arbeitete als Vertreterin des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. 2009 wurde sie Kommissarin für Kinderrechte bei der AIHRC, der unabhängigen afghanischen Menschenrechtskommission.
Am 28. Januar 2011 wurde sie, mit ihrer gesamten Familie aus Mann und vier Kindern im Alter von 16, 14, 11 und 4 Jahren, Opfer eines Selbstmordanschlages auf einen Supermarkt in Kabul, dessen ursprüngliches Ziel bis heute ungeklärt ist.

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6. Januar: Melchora Aquino
„Tadang Sora“, Alte Sora, wie Melchora Aquino im Tagalog liebevoll genannt wird, war bereits 84 Jahre alt, als 1896 der philippinische Kampf um die Unabhängigkeit von der spanischen Kolonialmacht begann. Sie war 1812 als Tochter von Landarbeiter auf die Welt gekommen, hatte keine Bildung erfahren und war nach dem Tod ihres Mannes alleinerziehende Mutter ihrer sechs Kinder gewesen; sie trat manchmal als Sängerin auf oder sang in der Kirche zur Messe.
Ihr Sohn war aktiv im philippinischen Freiheitskampf und sie unterstützte ihn, indem sie in ihrem Haus verwundete Kameraden aufnahm und ihr Haus für die Versammlung der revolutionären Organisation zur Verfügung stellte. So wurde sie die ‚Mutter der Katipunan‚. Sie wurde auch mit 84 Jahren von den Spaniern inhaftiert und auf die Marianen-Inseln deportiert. Zwei Jahre später, als die Vereinigten Staaten die Kontrolle über die Philippinen übernahmen, wurde sie entlassen und kehrte zurück in ihren Heimatort, wo sie erst 11 Jahre später, im hohen Alter von 107 Jahren, starb. Ihre Grabstelle im Hinterhof ihres Hauses ist heute ein öffentlicher Friedhof.

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17. Januar: Eri Yoshida
Die 26jährige Japanerin ist die erste Frau, die in ein japanisches Profi-Baseballteam aufgenommen wurde, und nachdem sie von den Chico Outlaws gedraftet wurde, auch die erste, die in zwei Nationen professionell Baseball spielte.
Die Pitcherin spezialisierte sich mit 16 Jahren auf einen speziellen Wurf, den Knuckleball, der wegen des Mangels an Effet besonders instabil fliegt und daher für den Batter unberechenbar ist. Leider konnte sie in ihrer Spielzeit bei den Outlaws keine Erfolge erzielen und wurde daher bereits nach einem Jahr aus dem Kader gestrichen.

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24. Januar: Rokia Traoré
Zum Schluss: etwas Musik. Die malische Musikerin singt in ihrer Muttersprache Bambara oder auf Französisch, ihre Musikrichtung bezeichnet sie als „zeitgenössische Musik aus Mali“. Die Klänge bringen etwas äquatoriale Wärme in den Januar.

KW 25/2013: Clara Immerwahr, 21. Juni 1870

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Eine junge Frau macht entgegen dem Zeitgeist und den universitären Traditionen im Jahr 1900 ihren Doktor magna cum laude im Fach Chemie. Dann heiratet sie einen anderen Chemie-Doktoranden, weil sie hofft, in der Ehe mit einem Wissenschaftler den Raum und die Unterstützung zu finden, ihre Forschungen fortzusetzen. Doch stattdessen wird sie in die Rolle der Hausfrau und Mutter gedrängt, darf nur noch für die Karriere ihres Mannes tätig sein, beginnt, an Depressionen zu leiden. Gleichzeitig macht ihr Mann Karriere, weil er im kriegslüsternen Deutschen Reich als Chemiker am Einsatz von Giftgasen forscht. Die junge Frau sieht nicht nur ihr eigenes Leben verschwendet, sie erkennt auch das Erodieren der Moral in der bedingungslosen Forschung an Vernichtungsmethoden. Sie muss feststellen, dass sie als Ehefrau eines zynischen Wissenschaftlers keine eigene Stimme hat, die ernsthaft gehört würde, und gleichzeitig gegen ihren Willen Unterstützung liefert an der massenhaften Tötung von Menschen. Nachdem dank der Forschung ihres Mannes erstmals 5.000 Menschen den Tod gefunden haben und ihr Mann dafür befördert wird, nimmt sie nach einer Feier zu diesem Anlass seine Dienstwaffe, geht in den Garten hinaus, feuert einen Probeschuss in die Luft und setzt schließlich ihrem eigenen Leben mit einem Herzschuss ein Ende. Ihr politischer Protest bleibt ungehört, ihr Selbstmord wird einer depressiven Hysterie zugeschrieben, ihr Name wird fast völlig vergessen. Ihr Ehemann ist mit seinen Forschungen an Tötung und Verletzung mehrerer Tausend Menschen im ersten Weltkrieg beteiligt. Er erhält 1919 trotz Haftbefehls wegen Kriegsverbrechen und Verstoß gegen die Haager Konvention den Nobelpreis, für seine Erkenntnisse über die Gewinnung von Ammoniak aus der Luft, nutzbar als Düngemittel. Er legt, als jüdischer Forscher, auch den Grundstein für die Entwicklung – und steht zeitweise der Gesellschaft als Leiter vor, die daraus in späteren Jahren ein Geschäft macht – von Zyklon B. Mit welchem bald darauf in KZs Millionen von Juden wie Ungeziefer vergast werden.

Clara Immerwahrs Freitod ist ein starkes Symbol für die intellektuelle Unterdrückung der Frau und die Notwendigkeit moralischer Integrität in der Wissenschaft. Ob sie denselben Tod zum gleichen Zeitpunkt gewählt hätte, wenn einer der beiden Aspekte ihrer Motivation nicht gegeben wäre, wer weiß. So jedenfalls wurde sie Jahrzehnte später als Wissenschaftlerin und Humanistin wiederentdeckt.

Im Archiv von Zeit Online findet man eine Rezension zu Gerit von Leitners Buch „Der Fall Clara Immerwahr – Leben für eine humane Wissenschaft“, in der Immerwahrs leben in blumigen Worten beschrieben wird (während die Formulierung „ohne den Furor feministischer Entrüstung“  dem Text leider ein Geschmäckle gibt). Die IPPNW verleiht (jährlich?) die Clara-Immerwahr-Auszeichnung, mit der Menschen gewürdigt werden, die sich entgegen daraus erwachsener persönlicher Nachteile für den Frieden einsetzen.

Bild: By Unknown – S. 127, Public Domain

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