Als Kleinkind wurde Laura Hershey, erstes von zwei Kindern einer Familie in Littleton, Colorado, mit Spinaler Muskelatrophie diagnostiziert, einem durch Gendefekte ausgelösten fortschreitenden Muskelschwund. Sie nutzte daher schon bald Rollstühle, ihre Eltern, insbesondere ihre Mutter förderte jedoch ihre schulische Bildung, trotz des erschwerten Zugangs zu Schulen für Menschen mit Behinderung. An der Highschool zeigten sich bereits ihre Talete, so war sie Mitglied des Debattierclubs und Redakteurin der Schülerzeitung.(1)
Als Hershey 11 Jahre alt war, wurde sie als das ‚Posterkind‘ von Colorado für die Muscular Dystrophy Association (Link Englisch), ausgewählt und so von Jerry Lewis‚ für seine (von 1966 bis 2014) alljährlichen MDA Labor Day Telethon (Link Englisch) bekannt gemacht. Mit den Bildern der Kinder mit SMA sollte bei den Zuschauern Mitleid erweckt und die Spendenwilligkeit gesteigert werden; Jerry Lewis bezeichnete die Kinder als ‚Jerry’s Kids‘. Zu dieser Zeit empfand sie die Herangehensweise und den Umgang mit ihr als Betroffene wohl schon als verstörend, konnte dies als Kind jedoch nicht klar erkennen und formulieren.(siehe YouTube It’s Our Story)
Nach dem Studium der Geschichte am Colorado College, das sie 1983 mit einem Bachelor-Grad abschloss, erhielt sie ein Stipendium der Watson Foundation (Link Englisch). Dieses ermöglichte ihr, für einige Zeit in Großbritannien zu leben. Hier begegneten ihr erstmals andere Menschen mit Behinderung, die sich künstlerisch und politisch für die Wahrnehmung und die Rechte von behinderten Menschen einsetzten und Hershey in den Menschenrechtsaktvismus einführten. Zwar hatte sich schon 1978 in der Haupststadt ihres Heimatstaates, Denver, Colorado, die Organisation ADAPT (Link Englisch) gegründet, hershey schloss sich dort jedoch erst nach ihrer Rückkehr aus Großbritannien 1985 an.
Als 1990 die Kritik an Jerry Lewis, seinen Telethons und seinem Umgang mit Kindern und Erwachsenen mit SMA laut wurde, zählte Laura Hershey zu den Stimmen. Nicht nur, wie das Leben mit Kindern mit SMA als bemitleidenswert und schrecklich dargestellt wurde, sondern auch die dröhnende Missachtung von Erwachsenen mit SMA waren Kritikpunkte vor allem ehemaliger ‚Jerry’s Kids‚. Lewis hatte einen Artikel darüber geschrieben, wie er sich selbst in einen Rollstuhl gesetzt habe und feststellen musste, dass ’sein Leben so nur halb zu leben wäre‘; als Protestreaktion darauf gründeten sich ‚Jerry’s Orphans‚ Die inhärente Vorstellung, dass ein Leben mit SMA oder anderer Behinderung nicht lebenswert wäre, stieß bei Hershey und ihren Mitstreiterys auf Widerspruch; sie verlangten, nicht als Objekt für Mitleid oder als abschreckendes Beispiel dargestellt zu werden, sondern als Menschen mit erfülltem Leben und vor allem mit allen Bürgerrechten. Die Kinder seien nur für ihren Schauwert eingesetzt worden, die Spendensammlung richtete sich jedoch viel mehr darauf aus, eine ‚Heilung‘ für den Gendefekt zu finden und habe zu wenig in Hilfe für die bereits mit SMA lebenden Erwachsenen – damalige und inzwischen herangewachsene – resultiert. (Der Abschnitt über Criticism am MDA Telethon (Link Englisch) ist ausgesprochen lesenswert, wenn auch lange nicht erschöpfend. Jerry Lewis‘ Reaktion auf die berechtigte Kritik von Betroffenen war suboptimal. Clip unten nur empfohlen für Menschen mit großer Gelassenheit.) Bei ihren Protesten gegen die Veranstaltung wurde Hershey mehrfach verhaftet.
Ihren politischen Aktivismus setzte Laura Hershey auch als Autorin und Lyrikerin um; sie verfolgte ein weiteres Studium in Kreativem Schreiben, schrieb Bücher und Gedichte sowie eine regelmäßige Kolumne für die Webseite der Christopher and Dana Reeves Foundation (Link Englisch); auch auf ihrer eigenen Seite ‚Crip Commentary‚ (inaktiv) veröffentlichte sie ihre Texte. Zur Anthologie ‚Sisterhood Is Forever‚ trug sie das Kapitel ‚Rights, Realities, and Issues of Women with Disabilities‚ bei. Als lesbische Frau setzte sie sich auch insbesondere für die Rechte homosexueller Menschen mit Behinderung ein; mit ihrer Partnerin adoptierte sie ein Kind. Sie besuchte die UN Konferenzen für Frauenrechte in Nairobi 1985 und in Peking 1995. Noch 2008 machte sie ihren Master of Fine Arts an der Antioch University (Link Englisch) und leitete 2009 einen Workshop zu queer disabled bodies bei der Creating Change Conference.(2) Im November 2010 starb sie unerwartet nach einer kurzen Erkrankung.
Bereits kurz nach ihrer Geburt in Chorley, Lancashire – ein Ort, der von den nahegelegenen Kohleminen und Textilindustrie geprägt war –, verließen die Eltern von Esther Roper England als Missionare(1). Ihr Vater war ehemaliger Fabrikarbeiter, ihre Mutter stammte aus einer Familie irischer Einwanderer, bei denen Esther aufwuchs. Sie besuchte eine Schule der Church Mission Society, bis sie 16 Jahre alt war, danach wurde sie am Owens College (heute University of Manchester) zugelassen – im Rahmen eines sozialen Versuchs, bei dem geprüft werden sollte, ob Frauen studieren könnten, ohne Schaden an ihrer physischen und psychischen Gesundheit zu nehmen. Fünf Jahre später schloss sie ihr Studium in Latein, englischer Literatur und Wirtschaftwissenschaft mit Auszeichnung ab. Durch ihre Teilnahme an der allein von Frauen betriebenen Social Debating Society blieb sie der Universität auch anschließend verbunden. 1893 wurde sie als Geschäftsführerin der Manchester National Society for Women’s Suffrage – der Manchester Abteilung der Gesellschaft für das Frauenwahlrecht – eingestellt, diese Position behielt sie bis 1905 und begleitete dabei den Übergang der Gesellschaft zur North of England Society for Women’s Suffrage als Teil der National Union of Societies for Women’s Suffrage. Nebenher unterstützte sie vier Jahre nach ihrem Abschluss die Einrichtung des Manchester University Settlements in Ancoats, einem Stadtteil Manchesters, in dem viele Arbeiter lebten – die soziale Einrichtung brachte ein Angebot an Bildung und kulturellen Möglichkeiten zu den ‚working poor‚. Zwei Jahre später rief sie mit einer ehemaligen Kommilitonin die Zeitschrift Iris ins Leben, eine halbjährliche Publikation zu Themen, die die Bildung von Frauen betrafen, und die gleichzeitig ein Netzwerk für derzeitige und ehemalige Studentinnen des Owens College schaffen sollte.
Aufgrund von ‚Erschöpfung‘ verbrachte sie 1896 einige Zeit im italienischen Sommerhaus des schottischen Dichters George MacDonald. Dort traf sie die zwei Jahre jüngere Eva Gore-Booth, Tochter eines wohlhabenden, aber sozial fortschrittlichen Gutsherren und selbst Lyrikerin und Theologin. Deren Schwester Constance, die im gleichen Alter wie Roper war, sollte später als irische Nationalheldin Gräfin Markievicz berühmt werden. Die beiden Frauen verbrachten in Italien viel Zeit miteinander und verliebten sich ineinander. So sehr, dass Gore-Booth ihr privilegiertes Leben auf dem Grundbesitz ihrer Familie in Irland aufgab und zu Roper nach Manchester zog. Um die Jahrhundertwende trugen die beiden dort zum organisierten Widerstand der Blumenmädchen, Zirkusartistinnen, Bardamen und pit-brow women (Link Englisch) bei, deren berufliche Tätigkeit durch politische Entscheidungen und Moralkampagnen gegen arbeitende Frauen in Gefahr war; sie waren außerdem 1903 an der Gründung des Komitees zur politischen Repräsentation von Arbeiterinnen der Textilbranche und anderer Bereiche beteiligt.
Roper und Gore-Booth waren auch eng mit der Pankhurst-Familie vertraut, die Töchter Christabel und Sylvia waren persönliche Freundinnen und politische Genossinnen. Da das Ziel der Women’s Social and Political Union ursprünglich auch war, die Rechte von Arbeiterinnen auszuweiten und sie bei den Wahlrechten miteinzubeziehen, unterstützten Roper und Gore-Booth Pankhurst zunächst. Doch dieser Teil der Frauenrechte verlor im Laufe der Zeit an Bedeutung, außerdem hießen die beiden Pazifistinnen die militanten und gewalttätigen Methoden der WSPU nicht gut und distanzierten sich von der Vereinigung.
1913, Roper war 55 Jahre alt, Gore-Booth 53, zog das Paar aus gesundheitlichen Gründen nach London. Hier halfen sie nach Beginn des Ersten Weltkrieges mit der No-Conscription Fellowship (Link Englisch) den Familien von Kriegsdienstverweigerern, die dafür inhaftiert worden waren. Drei Jahre nach ihrem Umzug nach London gründeten sie mit Irene Clyde (Link Englisch unter ihrem eingetragenen Namen Thomas Baty) die Zeitschrift Urania (Link Englisch) – ein Magazin, dass sich mit Fragen nach Sexualität und Geschlechtsidentität befasste. Sechsmal im Jahr erschien eine Ausgabe mit gesammelten Artikeln aus Zeitschriften aller Welt sowie eigenen Beiträgen der Redakteurys. ‚There are no ‚men‘ or ‚women‘ in Urania‚ stadn über jeder Ausgab und ‚Sex is an accident‚ waren ein häufig verwendeter Slogan. Im Laufe seiner 24-jährigen Existenz wurden die Ausgaben auf vier Mal im Jahr reduziert, gedruckt wurde das Magazin privat von einer Druckerei in Bombay und niemals öffentlich herausgegeben, sondern nur im Privaten zirkuliert.
Mit 56 Jahren starb Eva Gore-Booth an Krebs. Esther Roper veröffentlichte anschließend ihre Gedichte und auch die Briefe aus dem Gefängnis ihrer Schwester Constance Mankievicz. Sie blieb für die Frauenrechte aktiv und schrieb regelmäßig Briefe an The Times. 1938 starb sie mit 70 Jahren und wurde neben ihre Lebensgefährtin beerdigt.
Der Weg in die Filmindustrie war für Alexis Arquette beinahe vorgezeichnet: Schon ihr Großvater, Cliff Arquette, war unter dem Namen Charley Weaver in den 1950er Jahren ein erfolgreicher TV-Komiker in den USA; ihre Eltern waren ebenfalls Schauspieler repsektive Schauspielerin und Schauspiellehrerin. Ihre zwei älteren Schwestern Rosanna und Patricia Arquette sowie der ältere Bruder Richmond und der jüngere Bruder David waren und sind alle Schauspieler*innen.
Mit 12 Jahren spielte Alexis zum ersten Mal vor der Kamera in dem Musikvideo zu ‚She’s a beauty‚ der Band The Tubes, mit 16 spielte sie bereits (uncredited) in der erfolgreichen Komödie Down and Out in Beverly Hills (Zoff in Beverly Hills) mit. Etwa in dieser Zeit, in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre, trat sie zunächst als ‚female impersonator‚ unter dem Namen Eva Destruction auf; als diese spielte sie auch Statistenrollen in Pornos. Mit der Rolle der Georgette in der deutsch-US-amerikanischen Koproduktion Last Exit to Brooklyn) Letzte Ausfahrt Brooklyn hatte sie ihre erste große Rolle, es folgten kontinuierlich kleinere und größere Rollen in Hollywood- und TV-Produktionen, darunter etwa Adam Sandlers The Wedding Singer (Eine Hochzeit zum Verlieben) als George, ein Boy-George-Lookalike.
Im Jahr 2004 machte Alexis öffentlich, dass sie transgender war und sich in Transition befand; eine Dokumentation mit dem Titel Alexis Arquette: She’s my brother lief 2007 auf dem Tribeca Film Festival. In der Reality-Show The Surreal Life, in der Arquette 2006 mit anderen Prominenten in einer Show-WG zusammenlebte, äußerte sie sich jedoch dazu, dass sie weder als Mann noch als Frau, sondern als ‚a transgendered‚ bezeichnet werden wollte. Ihr Bruder David nannte sie ‚gender suspicious‚, nachdem sie 2013 wieder als Mann lebte, beziehungsweise zwischen binären Geschlechtern wechselte.
Mit 47 Jahren starb Alexis Arquette 2016 an Herzversagen, eine Folge einer AIDS-Erkrankung, nachdem sie sich bereits 1987, mit 17 Jahren, mit HIV infiziert hatte. Ihre letzte Rolle in einem Film(1) war die Wiederaufnahme der Figur George – aus The Wedding Singer – in Adam Sandlers Komödie Blended (Urlaubsreif) 2014.
Wie so viele, und doch mehr als andere, ist Annie Sprinkles Biografie zwar interessant, doch viel spannender, auch komplexer und wichtiger ist mir das, was sie (in meinem Jahr der intersektionalen Aktivistys) repräsentiert. Sie ist die einzige Vertreterin in meinem Jahresplan – soweit ich das bis jetzt absehen kann – des Aktivismus für sexworkers, also meine einzige ‚Chance‘, in diesem Rahmen darüber zu sprechen und meine Position dazu festzuhalten (in Kürze: Betroffenen zuhören und im Diskurs Priorität einräumen, sexwork is work).
Wie kann ich mir aber dem Ausmaß und der Komplexität des Themas anders annähern als häppchenweise, vor dem Hintergrund meiner persönlichen beruflichen und familiären Lage (die Sommerferien stehen zum Zeitpunkt, zu dem ich dies schreibe, ins Haus und was an Lohnarbeit da ist, muss um den Urlaub herum erledigt werden). Kleiner Hinweis noch mal darauf, dass ich dieses Blog seit nunmehr elf Jahren alleine zum ‚Privatvergnügen‘ betreibe und doch vor dem Tribunal der Öffentlichkeit bestehen können möchte.
CN: Pornografie, Sexarbeit
Geboren wurde Annie Sprinkle in Philadelphia, Pennsylvania, als Ellen F. Steinberg, als Tochter eines russisch-polnisch-jüdischen Elternpaares. Als sie fünf Jahre alt war, zog die Familie nach Los Angeles, Kalifornien, und zwischen ihrem 13. und 17. Lebensjahr lebten sie in Panama. Als Ellen/Annie 18 war, arbeitete sie in Tucson, Arizona, als Kartenverkäuferin in einem Kino. Es war 1972 und der Film Deep Throat lief über die US-amerikanischen Leinwände. Der Film selbst wäre einen ausführlichen Text wert – auf der einen Seite gilt er als der Startschuss für den porno chic der 1970er Jahre, als erstes Beispiel für narrative Pornografie – und nebenbei als profitabelster Film aller Zeiten. Auf der anderen Seite steht er in der Kritik, dass Hauptdarstellerin Linda Lovelace die gezeigten sexuellen Handlungen nicht aus freien Stücken vollzog, sondern von ihrem Ehemann mit Gewalt bedroht und gezwungen wurde – und nebenbei die Produktion von der Mafia finanziert wurde, sein Erfolg auf dem mafioösen Netzwerk in den USA aufbaute und ein Großteil seiner Einnahmen auch zurück in die Taschen der Mafia floss.
Wie dem auch sei, ‚Deep Throat‚ lief in dem Kino, in dem Steinberg/Sprinkle als Kartenverkäuferin arbeitete, und wurde dort von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Sie wurde als Zeugin beim Prozess gegen den Regisseur Gerard Damiano geladen und verliebte sich während des Prozesses in ihn. Nach dem Prozess ging sie als seine Geliebte mit ihm nach New York und begann kurz darauf selbst als Pornodarstellerin zu arbeiten. Annie Sprinkle war zunächst ein Pseudonym – eine ‚Eingebung der Göttin‘, wie sie es nennt – heute ist es ihr eingetragener Name. Bis zur Mitte der 1970er Jahre spielte sie in über hundert Pornofilmen mit und war auch als Prostituierte tätig. Ihre Arbeit als Sexarbeiterin veränderte sich 1978 grundlegend, als sie den Fluxus-Künstler Willem de Ridder (Link Englisch) kennenlernte(1); er forderte sie auf, alles, was sie tat, als Kunst aufzufassen. Diesen Wandel der eigenen Auffassung vom Objekt (der Begierde und der Blicke des Zuschauers) zum Subjekt (der sexuellen und künstlerischen Handlungen) wird der Beginn des ‚post-porn movements‚ betrachtet.*
Sie lebte einige Zeit mit de Ridder in Italien. Als sie in die USA zurückkehrte, begann sie, als Burlesque-Künstlerin zu arbeiten(2), dabei nahmen ihre Auftritte bald Züge der Performancekunst an, indem sie Anekdoten erzählte und mit dem (meist männlichen, oft masturbierenden) Publikum interagierte.(2) Sie begann auch, die Rollen hinter der Kamera von Porno-Produktionen einzunehmen, dabei entwickelte sie einen satirischen, selbstreflexiven Stil, mit dem ihre Werke großen Erfolg hatte. Der selbst-betitelte ‚Deep Inside Annie Sprinkle‚ etwa, den sie gemeinsam mit Joseph W. Sarno drehte, spielte das zweitbeste Ergebnis des Porno-Genres im Jahr 1981 ein. Aus der Idee zu diesem Film – und einer Gruppierung namens ‚Club 90‚, in der sich Pornodarstellerinnen regelmäßig zum Austausch trafen – entstand 1984 das Bühnenstück ‚Deep Inside Porn Stars‚. Darin kommen Sprinkle und andere Pornodarstellerinnen in einem Nachbau von Sprinkles Wohnzimmer zusammen und unterhalten sich; dabei werden Bilder aus ihrem Leben erzählt. Jede auftretende Frau wechselte zuerst aus ihrem ‚Darstellerinnen‘-Outfit in ihre ’normale‘ Kleidung, Sprinkle bietet jeder Tee und Kekse an, und das Baby einer der Darstellerinnen ist auf der Bühne anwesend. Die Grenzen zwischen der Porno-Persona und der realen Person dahinter verschwimmen, wodurch sich notgedrungen auch die Dichotomie vom ‚guten‘, ‚anständigen‘ Mädchen und dem ’schlechten‘, ‚gefallenen‘ Mädchen auflöst. Sprinkles eigenes Stück ‚Post Porn Modernist‚ war eine Weiterentwicklung dieser Performance, vor allem aber brachte es ihr eine Einladung des Theaterregisseurs Richard Schechner zu seinem ‚Prometheus Project‚ ein und damit die Anerkennung als Theater- und Performancekünstlerin außerhalb des Porno-Genres.(2, hier auch Einzelheiten zu Sprinkles Beitrag zum Projekt)
Von da an vereinte Sprinkle ihre pornografische Arbeit mit künstlerischem, aufklärerischem und ausdrücklich feministischem Ausdruck; dazu gehörte auch ihr Auftritt in Monika Treuts Film ‚My Father Is Coming‚ 1991. Im gleichen Jahr rief sie den ‚Sluts and Goddesses Workshop‚ ins Leben, auf dem aufbauend sie im Folgejahr das Video ‚The Sluts and Goddesses Video Workshop – Or How To Be A Sex Goddess in 101 Easy Steps‚ produzierte, das Frauen neue Möglichkeiten zur Erschließung der eigenen Sexualität und Erregung aufzeigen sollte. Sie erlangte (irgendwann im Laufe der Zeit) einen Doktorgrad in Sexualwissenschaft am Institute for Advances Study of Human Sexuality (Link Englisch), und brachte mehrere Performance-Stücke auf die Bühne, etwa ihr ‚Public Cervix Announcement‚ von 1997, bei dem sie die Zuschauer ihren Muttermund durch ein Spekulum betrachten ließ.
Sprinkle bezeichnet sich selbst als ‚die Prostituierte und Pornodarstellerin, die zur Sexualpädagogin und Künstlerin wurde‘. Ihre Stücke werden akademisch bearbeitet; sie hat diverse Medien produziert und Workshops geschaffen, die Frauen helfen sollen, ihre Sexualität zu entdecken und frei zu erleben. Gemeinsam mit dem Sexualtherapeuten Joseph Kramer hat sie eine tantrische Massagetechnik für die Yoni (die Vulva, Vagina und der Uterus) entwickelt. Als Pornoproduzentin hat sie viele heutige Porno-Genres entwickelt oder ins Leben gerufen, als Künstlerin war sie 2014 auf der documenta 14 vertreten. Seit 2007 ist sie mit ihrer künstlerischen Kollaborateurin, Elizabeth Stephens, verheiratet; die beiden bezeichnen sich als ‚ökosexuell‘ und haben als künstlerische Performance verschiedene Naturerscheinungen geheiratet. Ihre sexualpädagogische Arbeit greift dabei ineinander mit einem umweltpädagogischen Ansatz; die sexuelle Aufklärung ist mit klimapolitischer Aufklärung vereint.
Das ‚post-porn movement‚ betrachtet die großangelegte Porno-Filmindustrie kritisch und bevorzugt individuelle, alternative Pornoschaffende. Diversität und die Darstellung queerer Lebens-(und Sexualitäts-)realitäten werden wertgeschätzt.
Annie Sprinkle – das benötigt eigentlich keinen Hinweis – ist sex-positive Feministin. Der sex-positive Feminismus betrachtet die freie weibliche Sexualität als Bestandteil der Befreiung der Frau – im Gegensatz zu einer Betrachtungsweise, die Sexualität als Frau grundsätzlich als eine Form der männlichen Unterdrückung postuliert. Dazu gehört notwendigerweise und unter allen Umständen jede Form von Pornografie. Annie Sprinkle unter anderem vertritt die Position, dass feministische Pornografie nicht nur möglich, sondern nötig ist und dass das Entdecken und Ausleben der weiblichen Sexualtität ein Akt des feministischen Widerstands gegen die prohibitive Körperpolitik des Patriarchats ist.
Im Essay Feminism, Moralism and Pornography, eines der frühesten Dokumente gegen eine US-amerikanische Anti-Porn-Bewegung, erläutert Ellen Willis die Haltung des sex-positiven Feminismus. Ich zitiere hier nur die für mich besonders markanten Stellen:
• ‚If feminists define pornography, per se, as the enemy, the result will be to make a lot of women ashamed of their sexual feelings and afraid to be honest about them. And the last thing women need is more sexual shame, guilt, and hypocrisy – this time served up as feminism.‚ – Wenn Feminist*innen Pornografie per se als den Feind definieren, wird das Ergebnis sein, dass sie viele Frauen dazu bringen, sich für ihre sexuellen Gefühle zu schämen und Angst zu haben, ehrlich damit umzugehen. Und das Letzte, was Frauen brauchen, ist noch mehr sexuelle Scham, Schuld oder Scheinheiligkeit – dieses Mal als Feminismus serviert.
• ‚In practice, attempts to sort out good erotica from bad porn inevitably come down to „What turns me on is erotic; what turns you on is pornographic.“‚ – In der Praxis werden Versuche, gute Erotica von schlechter Pornografie zu unterscheiden, unausweichlich damit enden: ‚Was mich anmacht, ist erotisch, was dich anmacht, ist pornografisch.‘
•‘It is precisely sex as an aggressive, unladylike activity, an expression of violent and unpretty emotion, an exercise of erotic power, and a specifically genital experience that has been taboo for women. Nor are we supposed to admit that we, too, have sadistic impulses, that our sexual fantasies may reflect forbidden urges to turn the tables and get revenge on men.‚ – Es ist genau Sex als eine aggressive, undamenhafte Aktivität, ein Ausdruck von gewaltvoller und unschöner Gefühle, eine Ausübung erotischer Macht und eine ausdrücklich genitale Erfahrung, die für Frauen tabu war. Noch sollen wir zugeben, dass auch wir sadistische Impulse haben, dass unsere sexuellen Fantasien möglicherweise verbotene Bedürfnisse spiegeln, den Spieß umzudrehen und Rache an den Männern zu nehmen.
• ‚In any case, sanitized feminine sexuality, whether straight or gay, is as limited as the predatory masculine kind and as central to women’s oppression; a major function of misogynist pornography is to scare us into embracing it.‚ – In jedem Fall ist die bereinigte weibliche Sexualität, ob hetero- oder homosexuell, ebenso eingeschränkt wie die ausbeuterische männliche, und ebenso zentral in der Unterdrückung der Frauen; eine Hauptfunktion von misgyner Pornografie ist es, uns durch Angst dazu zu bringen, sie anzunehmen.
• ‚The basic purpose of obscenity laws is and always has been to reinforce cultural taboos on sexuality and suppress feminism, homosexuality, and other forms of sexual dissidence. No pornographer has ever been punished for being a woman-hater, but not too long ago information about female sexuality, contraception, and abortion was assumed to be obscene. In a male supremacist society the only obscenity law that will not be used against women is no law at all.‚ – Das schlichte Ziel von Gesetzen gegen ‚Unzucht‘ ist und war es schon immer, kulturelle Tabus zur Sexualität zu bekräftigen und Feminismus, Homosexualität und andere Formen der sexuellen Gegenbewegung zu unterdrücken. Kein Pornograf ist jemals dafür bestraft worden, ein Frauenhasser zu sein, aber vor noch nicht allzu langer Zeit wurden Informationen zu weiblicher Sexualität, Verhütung und ABtreibung als ‚unzüchtig‘ angesehen. In einer männlich beherrschten Gesellschaft ist das einzige Unzuchts-Gesetz, das nicht gegen Frauen angewendet wird, *kein Gesetz*.
• ‚In contrast to the abortion-rights movement, which is struggling against a tidal wave of energy from the other direction, the anti-porn campaign is respectable. It gets approving press and cooperation from the New York City government, which has its own stake (promoting tourism, making certain neighborhoods safe for gentrification) in cleaning up Times Square. It has begun to attract women whose perspective on other matters is in no way feminist („‚I’m anti-abortion,'“ a participant in WAP’s march on Times Square told a reporter, „‚but this is something I can get into'“). Despite the insistence of WAP organizers that they support sexual freedom, their line appeals to the anti-sexual emotions that feed the backlash.‚ – Im Kontrast zur Bewegung für das Recht auf Abtreibung, die gegen eine Flutwelle der Energie aus der Gegenrichtung zu kämpfen hat, ist die Anti-Porn-Kampagne wohlanständig. Sie erhält zustimmende Presse und Mitarbeit der Regierung der Stadt New York, die ihre eigenen Interessen (vermehrter Tourismus, gewisse Bezirke für die Gentrifizierung sicher zu machen) daran hat, den Time Square zu säubern. Sie hat angefangen, Frauen anzuziehen, deren Perspektive in anderen Belangen in keiner Weise feministisch ist (‚Ich bin gegen Abtreibung‘, erzählte eine Teilnehmerin des WAP-Marsches auf dem Time Square einem Journalisten, ‚aber diese Bewegung ist eine, bei der ich mich wiederfinde.‘). Entgegen dem Beharren der WAP (Women Against Pornography) Organisatorinnen, dass sie sexuelle Freiheit unterstützen, klingt ihre politische Linie an bei den anti-sexuellen Gefühlen, die die Gegenreaktion verstärken.
Ich erinnere mich an den Nachhall der deutsche PorNO-Kampagne, die wohl in einer Linie steht mit dem heutigen Dogmatismus, den Alice Schwarzer für Feminismus hält; meines eigenen geringen Interesses am Porno-Konsum ungeachtet halte ich die freie, selbstbestimmte Ausübung von (selbstverständlich konsensueller) Sexualität auch als Arbeit für einen notwendigen Bestandteil der Geschlechtergerechtigkeit.
Der Vater von Gunilla Gerland war gewalttätig; nachdem er die Familie verließ, blieb sie mit der alkoholkranken Mutter zurück. Mit 16 zog sie aus ihrem Zuhause in Stockholm aus und ging nach Spanien.
Mit 29 Jahren erhielt Gerland eine Autismus-Diagnose; ihre Form des Autismus läuft im ICD-10 noch immer unter Asperger-Syndrom*. Der Arzt, der sie diagnostizierte, ermutigte sie zum Schreiben, und so brachte sie 1996 ihre Autobiografie heraus über das Aufwachsen als neurodivergentes Kind in einem gewalttätigen, vernachlässigenden Elternhaus. Unter dem Titel ‚Ein richtiger Mensch sein: Autismus – das Leben von der anderen Seite‘ ist es auch in Deutschland erhältlich.
Sie ist heute eine Fürsprecherin für autistische Menschen, schriebt Beiträge, hält Vorträge und nimmt an Podiumsdiskussionen teil, um über Autismus aufzuklären und mehr Akzeptanz für neurodivergente Menschen zu erreichen. Außerdem beteiligt sie sich an der Autismusforschung und trägt die Perspektive der Betroffenen zu wissenschaftlichen Erkenntnissen bei.
*Um den Begriff Asperger-Syndrom gibt es seit einiger Zeit eine Diskussion, da der Namensgeber, Hans Asperger, nicht nur mindestens ein Mitläufer der Nazis war, sondern explizit seine Unterscheidung zwischen hochfunktionalen und anderen Formen des Autismus dazu diente, Betroffene in die Jugendfürsorgeanstalt Am Spiegelgrund einzuweisen, wo sie im Namen der ‚Rassenhygiene‚ ermordet wurden. Asperger muss sich dessen bewusst gewesen sein. Die Diagnose des ‚Asperger-Syndroms‘ bedeutete, dass die Betroffenen noch in irgendeiner Weise nützlich sein könnten für den nationalsozialistischen Staat. Tiefgehend mit Hans Asperger und seiner Rolle in der ‚Euthanasie‘ befasst sich zum Beispiel Linus Mueller bei Autismus-Kultur. Auch die Einteilung des Autismus-Spektrums in ‚hochfunktional‘ und ’niedrigfunktional‘ steht zur Debatte; dem Maßstab einer Funktionalität in einer neurotypischen Welt wird die Bemessung gegenübergestellt, wie stark oder ‚erfolgreich‘ autistische Menschen ‚maskieren‚, also den Eindruck einer neurotypischen ‚Normalität‘ vermitteln können – oft auf Kosten ihrer mentalten und physischen Gesundheit. Eine prägnante Erläuterung liefert etwa Melanie Theissler im Beitrag ‚Warum der Begriff ‚hochfunktional‘ problematisch ist‘ auf Autistic Psychologist. Seit Ende der 1990er Jahre ist auch der Begriff der Neurodiversität für die Varianten des Autismus, aber auch andere Arten der kognitiven, neurologischen und informationsverarbeitenden Diversität im Gespräch. Der Verein Neurodivers e.V. bietet hierzu einige weiterführende Informationen aus Wissenschaft und Gesellschaft. Etwa diese Gesprächsrunde auf dem Kanal 100percentme:
Vibeke Vasbo kam als zweites von vier Kindern zweier Ärztys auf der dänischen Insel Als zur Welt. Sie wuchs in Tandslet auf, verbrachte aber auch viel Zeit in Aabenraa auf dem dänischen Festland, bei ihrer Großmutter mütterlicherseits, der Politikerin Ingeborg Reflsund Thomsen. Diese prägte wohl auch ihr späteres politisches Bewusstsein.
Als Jugendliche wollte Vasbo Journalistin werden, sie schrieb Kurzgeschichten und Gedichte; nach dem Abschluss der weiterführenden Schule ging sie für ein halbes Jahr als Au Pair nach Cambridge, anschließend studierte sie Deutsch und Englisch an der Universität Kopenhagen. Im Studium lernte sie Karen Syberg kennen; die beiden Frauen gründeten bald nach dem Vorbild der US-amerikanischen Redstockings (Link Englisch) die dänische Frauenrechtsbewegung Rødstrumperne. Die ‚Rotstrümpfe‘ demonstrierten und setzten sich für Frauenrechte – eine Demonstration 1970 endete (laut Wikipedia) mit dem Verbrennen von Büstenhaltern, einer angeblich beliebten Geste unter Feministinnen der Zeit, die möglicherweise ins Reich der Legenden verbannt gehört (außer, wenn die Däninnen es nun doch tatsächlich gemacht haben). Die ‚Rotstrümpfe‘ gründeten auch ein Frauencamp auf der Insel Femø und setzten sich für das Recht auf Abtreibung ein. Vasbo brach ihr Studium 1973 mit 29 Jahren ab und begann, im Kopenhagener Bispebjerg Hospital zu arbeiten.
Nach einer kurzen Ehe mit einem Seemanns-Pastor in Hull(2) lebte Vasbo inzwischen in einer Beziehung mit der norwegischen Schriftstellerin Gerd Brantenberg (deren ‚Die Töchter Egalias‘ mir damals in den 1990ern doch eine Epiphanie verschafft – heute sicher nicht mehr 100% zeitgemäß, da vollkommen binär, wies es doch schon auf die Absurdität der Geschlechterrollen hin, indem es die Vorzeichen umgekehrt setzte; lange, bevor es Social Media und seitenverkehrt gab). Wie auch in anderen Ländern entwickelte sich in der Frauenbewegung eine bedauerliche Ablehnung der lesbischen Mitstreiterinnen, sodass Vibeke mit 200 anderen Mitgliedern die eigene lesbische Bewegung (‚lesbisk bevægelse‚) gründete. Vasbo und Brantenberg zogen nach Oslo, wo Vasbo als Kranführerin arbeite. Aus ihren Tagebüchern entstand ihre erste Veröffentlichung im Jahr 1976 – auf deutsch ‚Tagebuch‘, trägt das Buch im Original den wunderbaren Titel ‚Al den løgn on kvinders svaghed‚ – ‚All die Lügen über die Schwäche der Frauen‘. Es stellt die erste Erzählung aus Sicht einer offen lesbischen Frau in der dänischen Literatur dar.
1981 traf sie den Priester Leo Thomsen. Sie beendete den Kontakt zur Lesbenbewegung, doch die Beziehung zu Thomsen war schwierig – Vasbos Roman ‚Miraklet i Amalfi‚ (‚Das Wunder von Amalfi‘) erzählt davon – und endete einen Monat vor seinem Tod 1998.
Vasbo schrieb seitdem noch weitere Bücher, etwa ‚The Song of Hild‚ über die Klostergründerin Hilda von Whitby.(3)
Als sich Jessamyn Stanley in der Mittelschule (Altersgruppe etwa 9-14 Jahre) für Gymnastik und Cheerleading interessierte, wurde sie von den anderen Sportler*innen abgelehnt und gab daraufhin jede sportliche Aktivität auf. Erst in der Highschool (Alter etwa 12-16 Jahre) nahm sie Flag Football auf, eine weniger körperliche aggressive Variante des American Football. Mit 16 Jahren hatte sie ihr queeres Coming Out.
Bei ihrem ersten Versuch mit Yoga als Teenager gefiel es ihr gar nicht; doch als sie sich in ihren 20ern aus einer Depression herausholen wollte, entdeckte sie das Yoga für sich. Sie begann 2012 damit, sich bei ihren Yogasitzungen zu filmen und dies auf Instagram zu teilen, um Rückmeldungen zu ihrer Haltung zu bekommen, und immer kam der Kommentar: ‚Ich wusste nicht, dass fette Menschen Yoga machen können!‘(2) Um diese Wahrnehmung und Fehlannahme zu verändern, setzte Stanley ihren Instagramkanal fort, machte eine Ausbildung zur Yogalehrerin an der Durham Yoga Company und bietet seither online und vor Ort in Durham, North Carolina, inklusive Yoga-Kurse an. Sie setzt in ihrer Praxis vor allem den Fokus darauf, wie sich die Asanas für die Ausübenden anfühlen, weniger, wie gut diese gemessen an einem Standard ausgeführt werden. Im Jahr 2016 hatte sie auf Instagram 200.000 Followys, 2018 bereits 350.000, nach heutigem Stand folgen ihrem Account @mynameisjessamyn 567.000 Menschen; sie wird für ihre körperpositive, inklusive und offene Art geschätzt. Ihr Ziel war es, die Wahrnehmung zu verändern, wer Yoga ausübern oder auch unterrichten kann; das Internet schätzt sie dafür, dass sie Menschen einer Nischengemeinschaft – ‚queer, fat, black‚ – erreichen kann, die geografisch weit verteilt sind.(2)
2017 veröffentlichte sie ihr Buch ‚Every Body Yoga‚ heraus, in dem sie sowohl ihre eigene Biografie, von ihrem schwierigen Verhältnis zu ihrem Körper und zum Essen erzählt, wie auch über die Geschichte des Yoga und dessen Philosophie. Seit diesem Jahr ist das Buch unter dem Titel ‚Every Body Yoga – Yoga für alle‘ auch in Deutschland erhältlich.(3) Vor einiger Zeit brachte sie auch noch die App ‚The Underbelly‚ (hier geht’s zur Website) heraus.
Nach ihrer Geburt setzte bei Rosie Jones für fünfzehn Minuten die Atmung aus, was zu einer (in ihrem Fall) ataxischen Zerebralparese führte. Sie wuchs in Bridlington in Yorkshire auf und besuchte nach der Schule die University of Huddersfield. Nachdem sie dort 2011 einen Abschluss gemacht hatte, stieg sie über ein Diversity-Traineeprogramm als Recherchekraft bei Channel 4 ins TV-Geschäft ein; allerdings war sie nach dem Ablauf ihrer Traineezeit zunächst arbeitslos.
2015 besuchte sie einen Drehbuch-Kurs an der National Film and Television School und kam 2016 unter die Finalistinnen der Funny Women Awards (Link Englisch). Sie begann, als Witzeschreiberin bei verschiedenen Formaten im englischen Fernsehen zu arbeiten, etwa bei The Last Leg und 8 Out Of 10 Cats – dabei war sie begeistert, wenn Jimmy Carr ihre Witze verwendete, spürte aber auch, dass sie sie noch lieber selbst vortragen würde.(2) So begann sie auch als panelist an verschiedenen Formaten teilzunehmen und etwa als Korrespondetin bei The Last Leg zu erscheinen. Außerdem trat sie 2017 und 2018 beim Edinburgh Festival Fringe auf und war ein Publikumserfolg. Seither ist sie regelmäßig Gast in verschiedenen Formaten.
Sie schrieb 2020 eine Folge der Netflix-Serie ‚Sex Education‚ und wurde im gleichen Jahr mit dem Comedy-Preis des Magazins Attitude ausgezeichnet. Im Folgejahr veröffentlichte sie das Jugendbuch ‚The Amazing Edie Eckhart‚ über ein elfjähriges Mädchen mit Zerebralparese. Ihre erste eigene Reihe im Fernsehen, Trip Hazard: My Great British Adventure erschien mit vier einstündigen Episoden, denen 2022 fünf weitere folgten.
Rosie Jones‘ Humor nutzt ihre langsame Sprechweise, indem sie die Erwartung des Publikums für eine bestimmte Pointe unterwandert und statt ihrer Behinderung ihre Herkunft oder Sexualität thematisiert.
Ich habe Rosie Jones bereits im Beitrag über Mona Winberg gefeatured, aber ich bin einfach ein großer Fan und konnte diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen.
Bereits seit den 1990er Jahren – kurz, nachdem Taiwan von einem Einparteiensystem in eine Demokratie überging, siehe unten – trat Ho als Frauenrechtsaktivistin in Erscheinung. Nachdem 1989 der erste taiwanische Gerichtsprozess wegen sexueller Belästigung geführt wurde, organisierte sie im Mai 1994 die erste Demonstration gegen sexuelle Belästigung in Taiwan, die unter dem selbstbewussten Slogan lief: „Wir wollen keine Belästigung, wir wollen Orgasmen. Wenn ihr uns weiter sexuell belästigt, schneiden wir ihn mit der Schere ab!“ Sie begründete 1995 das Center for the Studies of Sexualities an der Nationalen Zentraluniversität in Taipeh, in dem zu den Themen Gender, sexuelle Aufklärung und sexuelle Selbstbestimmung, Sexarbeit und Transgeschlechtlichkeit geforscht wird; sie selbst schrieb 15 Bücher zur taiwansischen Gender- und Sexualtitätsforschung. Seit 2006 ist sie an der Universität Professorin, seit 2010 leitet sie das Forschungszentrum.
Ho gilt – neben ihrem Aktivismus auch für die Friedensbewegung, die Anti-Globalisierungsbewegung, gegen Atomkraft und für Menschenrechte – als Begründerin der taiwanischen Queer-Bewegung. Auf der Webseite ihres Forschungszentrums informiert sie über die diversen Themen der Sexualrechtsbewegung – dafür wird sie insbesondere über diese Webseite von Gegnern angegriffen. 2003 klagte eine konservativ-christliche Organisation gegen sie, weil sie angeblich über Zoophilie nicht nur informiere, sondern diese ausdrücklich befürworte. Tatsächlich enthielt die Webseite Artikel zu diesem Thema als Teil der Sexualforschung, die Seite wurde gesperrt. Ein Netzwerk aus Studierenden, Wissenschaftlerys und Aktivistys bildete sich und konnte mit Unterstützung einer internationalen Petition einen Gewinn für die Informationsfreiheit erlangen und die Aufhebung der Sperre erreichen.
Für ihren Einsatz für die Frauenrechte, aber auch die Rechte der LGBTQIA+-Bewegung war Josephine Ho eine von 1.000 Frauen, die 2005 für den Friedensnobelpreis nominiert wurden.
Um Josephine Hos Aktivismus einzuordnen, finde ich es hilfreich, auch die Geschichte Taiwans kurz darzustellen, für alle, die wie ich noch nicht so viel darüber wissen. (In der März-Ausgabe der GEO wurde die Geschichte und aktuelle Lage der Insel vor dem chinesischen Festland wie immer spannend erzählt, ich kann den Artikel sehr empfehlen. Ich habe ein Print-Abo, zugegebenermaßen.)
Die Urbevölkerung Taiwans gehört zu den austronesischen Völkern und betrieb wirtschaftlichen Austausch mit den Völkern auf den Philippinen und dem chinesischen Festland. In der europäischen Geschichte taucht Taiwan zuerst 1583 auf, als die Portugiesen die Insel entdecken, die sie (Ilha) Formosa, die Schöne (Insel), nennen. 1624 besetzen niederländische Seeleute und Händler den Süden, zwei Jahre später lassen sich spanische Händler im Norden nieder. Die niederländischen Kolonisatoren werben verstärkt Siedler vom chinesischen Festland an, was zu mehreren Immigrationswellen führt – die Nachfahren der eingewanderten Han-Chinesen bilden heute die Mehrheit der taiwanischen Bevölkerung. Die austronesische Urbevölkerung geht zu großen Teilen in dieser Bevölkerung auf, nur in einigen unzugänglichen Bergregionen bleiben indigene Völker bis ins 20. Jahrhundert davon unberührt. Die Niederländer führen in der von ihnen regierten Region die christliche Religion und das europäische Schulsystem ein. 1661 verdrängt der chinesische Kaufmann/Pirat Zhen Chenggong die Niederländer von Formosa und gründet dabei das (chinesische) Königreich Tungning – auch er holt in mehreren Wellen Festlandchinesen auf die Insel. Dieses wird 1683 vom Festland-Königreich der Qing-Dynastie besiegt und Taiwan dem Königreich als Teil einer Festland-Provinz einverleibt. Die Insel ist daraufhin 200 Jahre lang chinesisch. Nachdem China den ersten japanisch-chinesischen Krieg 1895 verloren hatte, musste es die Penghu-Inseln zwischen Tawian und dem Festland an Japan abtreten. Daraufhin rief die Provinzregierung auf Taiwan die Republik Formosa aus; Japan musste die Insel in einem mehrmonatigen Kampf erobern. Bis 1945 blieb Taiwan japanische Kolonie, in dieser Zeit versuchte die Besatzungsmacht, den Shintoismus als Staatsideologie (und -religion) einzuführen und ‚zivilisierte‘ die restliche indigene Bevölkerung, etwa indem die noch übliche Kopfjagd abgeschafft wurde. In einer Erhebung 1919 bestand die Bevölkerung dieser Zeit aus (ungefähr) 3 Millionen Han-Taiwanys (Nachfahren der eingewanderten Han-Chinesen), 100.000 Japanern und 120.000 indigenen Taiwanys. Mit der Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg wurde die Insel wiederum in die inzwischen eingerichtete Republik China eingegliedert; die republikanischen Truppen wurden auf Taiwan zunächst freudig begrüßt, doch stürzten die Taiwanys die Regierung der Kuomintang 1947 nach dem starkem wirtschaftlichem Niedergang (die schwelende Unzufriedenheit im Volk aufgrund der Korruption und gewaltbereiten Regierung brach sich nach einem Massaker Bahn, dessen genaues Ausmaß noch heute nicht vollständig bekannt ist). Als die Republik 1949 im Bürgerkrieg zwischen den Kuomintang (KMT) und den Kommunisten zerbrach, floh die KMT-Regierung um Chian Kai-shek nach Taiwan und richtete Taipeh als Hauptstadt der Republik China (Taiwan) ein. Mit ihnen flohen etwa 1,5 Millionen Chinesen vom Festland auf die Insel, die heute ungefähr 14% der Bevölkerung Taiwans ausmachen. In den folgenden vierzig Jahren blieb Taiwan von der KMT als einzige Partei regiert. Erst 1987 wurde das Kriegsrecht aufgehoben, eine Oppositionspartei – die Demokratische Fortschrittspartei – wurde zu Wahlen zugelassen und regierte seitdem Jahr 2000 abwechselnd mit der KMT. Seit dem Aufbrechen des Einparteiensystems erhält auch die indigene taiwanische Sprache wieder Raum und das Bestreben, die ursprüngliche Kultur des Inselvolkes wiederzuentdecken und zu bewahren.
Dies ist selbstverständlich nur ein sehr kurz gefasster, Details sparender Überblick, die Verlinkungen können zur Vertiefung dienen.
Schon früh – mit 9 Jahren – wusste Yasmin Benoit, dass sie kein Interesse an Sex hatte; kein ungewöhnliches Alter für die Auseinandersetzung mit der zukünftigen Sexualität. Später entschied die Britin aus Reading, Bershire, auf eine reine Mädchenschule zu gehen, im Glauben, im gleichgeschlechtlichen Umfeld würden Beziehungen und Sexualität eher selten Thema werden. Eine Fehleinschätzung, wie sie einsehen musste.(1) Benoit erkannte, während die Jugendlichen um sie herum sich immer mehr für Sex interessierten, dass sie sich darin von Gleichaltrigen unterschied: Mit 15 Jahren fand sie sich, noch mit Zweifeln, im Label ‚asexuell‘ wieder – im Laufe der Jahre schwanden ihre Zweifel, da sie immer mehr anderen aspec Personen begegnete und ihre von der allonormativen Gesellschaft auferlegten Vorurteile über Asexuelle nicht der Wahrheit entsprachen.
Sie begann mit 16 Jahren ihre Modellkarriere, in der sie noch heute erfolgreich ist. Insbesondere für alternative Mode (Link Englisch) des Gothic, Emo, Metal und Punk steht Benoit Modell, womit sie sich zugleich für mehr Diversität in diesen vornehmlich weißen Subkulturen einsetzt; Mode und Aktivismus verband sie etwa in ihrer Kollaboration mit Gothic Lamb, einem afroamerikanischen Modelabel, im Jahr 2018.
Sie lebte bereits offen asexuell, als sie 2017 mit dem folgenden Clip auf ihrem YouTube-Kanal in einer breiteren Öffentlichkeit ihr Coming Out hatte:
Während der UK Asexuality Conference 2018 ließ sie sich für einen Dokumentarfilm von BBC Three begleiten; sie bedauerte dies nach der Ausstrahlung, da darin schlicht Stereotype reproduziert wurden und die Beteiligten respektlos und einseitig dargestellt wurden.(2) Wesentlich besser machte es 2019 Sky News mit dem folgenden Clip:
Mit AVEN rief Benoit 2021 am 6. April zum ersten Mal den International Asexual Day aus, der seither neben der Ace Week (seit 2010, letzte volle Woche im Oktober) und der Aromantic Spectrum Awareness Week (seit 2014, Sonntag bis Samstag nach dem 14. Februar – Valentinstag) jährlich vor allem in den Sozialen Medien zelebriert wird. Seit 2022 arbeitet sie mit der Organisation Stonewall an einem Forschungsprojekt zu den Erfahrungen junger aspec Personen, das zu einer gesellschaftliche Beachtung der Rechte Asexueller/Aromantiker führen soll.
Yasmin Benoit tritt in ihrem Beruf, auf ihrem Instagram-Kanal und in den Medien für die Sichtbarkeit von asexuellen und aromantischen Menschen ein; dabei legt sie auch den Fokus auf die Intersektion von Allonormativität und Rassismus, da sie als Schwarze Frau noch stärker mit der Ignoranz und Ablehnung der Aspec-Orientierung konfrontiert ist.(1) (Zur Hypersexualisierung Schwarzer weiblicher Körper empfehle ich die Lektüre von EXIT RACISM, in Kürze befasst sich dieses Interview mit Denise Bergold-Caldwell in der ZEIT.) Gleichzeitig ist die Aspec-Gemeinschaft wie viele queere communisties sehr weiß, das gesellschaftliche Bild von Asexualität und Aromantik ist eines von schüchternen, jungen weißen Menschen; Yasmin Benoit zeigt die Diversität dieses Teils von LGBTQIA+ sowohl als Schwarze, wie als eine selbstbewusste Frau.