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Matilda und die verschwundenen Frauen

Dieser Text ist als Beitrag zur Blogparade der Münchner Stadtbibliothek entstanden, in der es um Frauen und Erinnerungskultur geht. Während die Frage eigentlich in die Richtung der Literatur- und Kunst-Blogger:innen ging, trieb mich in diesem Jahr eben besonders dieser Begriff um, der wie die Hand in die Stulpe passt. Nur wenige Tage zuvor hat auch Melanie Jahreis über die scheinbar fehlenden Forscherinnen und Erfinderinnen geschrieben!

Wenn im Weiteren von Frauen und Wissenschaftlerinnen gesprochen wird, möchte ich voranstellen, dass Gage und Rossiter ihren Blick auf Frauen allgemein richten, wir aber natürlich alle wissen, dass der Effekt zwar für weiße Frauen ein Problem ist, Womxn of Colour aber in der Intersektion von Sexismus und Rassismus wesentlich härter getroffen werden. Sie tauchten sozusagen noch gar nicht am Platz auf, als weiße Frauen immerhin schon auf der Ersatzbank sitzen durften.

„Keine Aussage über die Frau ist gebräuchlicher, als dass sie keinen erfinderischen oder mechanischen Schöpfergeist habe“, schreibt Matilda Joslyn Gage 1870 in ihrem Essay Woman as Inventor. Die amerikanische Suffragette, die sich auch für die Abschaffung der Sklaverei und die Rechte amerikanischer Ureinwohner einsetzte, schlägt in ihrem Text den Bogen von den schöpferischen Gottheiten Ägyptens – Isis – und Griechenlands – Pallas Athene und Ceres – zu Leizu, die in China als die Erfinderin der Serikultur verehrt wird, und weiter zu zahlreichen Patenten der Neuzeit, die auf Ideen von Frauen zurückgehen. Sie nennt klarsichtig die Gründe, warum Namen von Frauen seltener auf Patenten erscheinen und warum Erfinderinnen der Allgemeinheit meist weniger bekannt sind: „Während, wie aufgezeigt wurde, viele der wichtigsten Erfindungen der Welt der Frau zu verdanken sind, ist der Anteil der weiblichen Erfinderinnen viel kleiner als der männlichen, welches aus der Tatsache entsteht, dass die Frau nicht die gleiche Fülle an Freiheit besitzt wie der Mann. Eingeschränkt in Bildung, gewerblichen Chancen und politischer Macht, ist dies eines der vielen Beispiele, bei denen sich ihre Herabwürdigung schädlich auf die ganze menschliche Rasse auswirkt. […] Der politischen Macht entzogen, wie die Frau ist, sieht sie sich der Verachtung für ihr Geschlecht, offener und verborgener Verachtung der Weiblichkeit, herablassender Anspielungen über ihre intellektuellen Fähigkeiten gegenüber – alles dient dazu, den Ausdruck ihres erfinderischen Schöpfergeistes zu verhindern.“ So sind die Patente für Erfindungen von Frauen oftmals im Namen ihres Ehemannes als ‚Eigentümer‘ oder Vormunde der Frauen eingetragen – denn als Eigentümer der Frauen sind sie auch Eigentümer derer geistigen Produkte.

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Egreniermaschine, gebaut von Eli Whitney, vermutlich nach einer Idee von Catharine Greene Miller
By Tom Murphy VII – Taken by uploader, user:brighterorange., Public Domain

Neben der männlichen Ablehnung einer grundsätzlichen weiblichen Befähigung nennt sie auch die strukturelle Gewalt der partriarchalischen Gesellschaft, die unter anderem durch soziale Ächtung geschäftstüchtiger Frauen ausgeübt wurde; dies insbesondere anhand der Erfinderin der Egreniermaschine, die der Ingenieur Eli Whitney nur nach der Idee von Catharine Greene Miller (Link Englisch) habe bauen können. Greene Miller habe ihren Namen nicht auf das Patent gesetzt, da derlei Unternehmergeist an einer Dame ungebührlich gewesen wäre. (Diese Anekdote ist allerdings umstritten.)

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Mehr als 100 Jahre später machte die Wissenschaftshistorikerin Margaret W. Rossiter (Link Englisch) eine ähnliche, immer noch aktuelle Beobachtung. Rossiter hatte während ihres Studiums in Yale bei einem formlosen Treffen von Lehrenden und Studierenden gefragt, ob es jemals weibliche Wissenschaftlerinnen gegeben habe. Die Antwort: „Nein, gab es nicht, jede Frau, die als solche in Frage käme, arbeitete nur einem männlichen Wissenschaftler zu.“ Dies Mitte der 1970er Jahre, wohlgemerkt. Mit dieser Antwort verständlicherweise mehr als unzufrieden, konzentrierte sich Rossiter auf die Rolle der Frauen in der amerikanischen Wissenschaftsgeschichte – und fand in ihrer Arbeit als Postdoktorandin die Biografien hunderter Wissenschaftlerinnen unter anderem im Nachschlagewerk American Men of Science (sic!, inzwischen heißt das Werk American Men and Women of Science, nächster Schritt hoffentlich: American Persons of Science). Sie schrieb darüber in einem Artikel, der von den Magazinen Science und Scientific American abgelehnt wurde, aber schließlich von American Scientist veröffentlicht wurde.

Obwohl ihr nur lauwarmes Interesse aus Wissenschaftler- wie Historiker-Kreisen entgegenschlug und sogar einige Wissenschaftlerinnen meinten, es gäbe in dieser Hinsicht nichts zu entdecken, betrieb Rossiter ihre Forschung weiter. Die Suche nach „verschwundenen“ weiblichen Wissenschaftlerinnen erbrachte immer weitere Funde, sodass Rossiter schließlich nicht nur ein Buch, sondern ganze drei Bände zum Thema Frauen in der Wissenschaft schreiben sollte. 1981 erhielt sie ein Guggenheim-Stipendium, das ihre Arbeit zum Teil finanzierte. Die drei Bände ihrer Arbeit heißen Women Scientists in America, Struggles and Strategies to 1940 (1982), Women Scientists in America: Before Affirmative Action, 1940-1972 (1995) und Women Scientists in American Volume 3: Forging a New World Since 1972 – letzteres wurde 2012 veröffentlicht.

Rossiters eigene akademische Karriere selbst blieb auch nicht unberührt von misogynen Hindernissen, sodass sie sich zeitweise so fühlte wie die Frauen, über die sie schrieb: „Ich nehme an, ich bin eine 78rpm-Schallplatte in einer 33rpm-Welt.“ (Quelle: Wiki) Sie hatte Schwierigkeiten, eine feste Stelle an einer Universität zu erlangen, weil sie als Wissenschaftshistorikerin angeblich keinem Fachbereich richtig angehöre. Eine ursprünglich einjährige Anstellung an der Cornell University wurde zwar auf drei Jahre ausgedehnt, jedoch nur unter finanziellen Einschränkungen. Erst als eine andere Universität ihr eine volle Professur anbot, riss sich ihr Arbeitgeber zusammen und schuf einen Fachbereich für Wissenschaftsgeschichte, in dem sie fest angestellt wurde. Danach konnte sie auch den zweiten Band ihrer Buchreihe herausbringen.

1993 veröffentlichte Rossiter den Artikel, in dem sie den Begriff Matilda-Effekt (hier lohnt sich, wie des Öfteren, auch der Blick auf den englischen Beitrag) prägte: The Matthew Matilda Effect in Science. Sie greift darin auf einen anderen Effekt zurück, der 1968 vom amerikanischen Soziologen Robert K. Merton als Matthäus-Effekt beschrieben wurde. Bezugnehmend auf die Bibelstelle Matthäus 13:12 – „Denn wer da hat, dem wird gegeben, dass er eine Fülle habe; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat.“ – bezeichnet er die Tatsache, dass sich bei Personen, die bereits einen Erfolg zu verzeichnen haben, weitere Erfolge anschließen. In der wissenschaftlichen Welt bedeutet dies, dass, wenn ein Wissenschaftler durch ein aufsehenerregendes Forschungsergebnis Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit erlangt, er mehr zitiert wird und sich dadurch mehr Chancen für weitere prestigeträchtige Arbeiten auftun. Gleichzeitig verschwinden andere Wissenschaftler mit ihren Ergebnissen hinter dem Glanz dieses „Genies“, ja zum Teil werden deren Erfolge fälschlicherweise auch einem bereits bekannten, erfolgreichen Wissenschaftler zugeordnet. Ironischerweise wird die Beschreibung und Untersuchung dieses Effekts zwar Robert K. Merton zugeschrieben, er stützte seine Arbeit jedoch in hohem Maß auf die Dissertation seiner zweiten Frau, Harriet Zuckerman.

Rossiter führt vor dem Hintergrund ihrer beträchtlichen Recherche für die `Women Scientists in America´-Trilogie einige Beispiele an und erläutert die unterschiedlichen Wege, wie diese Verdrängung in besonderem Maße Frauen in der Wissenschaft betrifft. So verweist sie auf die Nepotismus-Regelung an amerikanischen Universitäten (der auch ich mit ungläubigem Staunen begegnet bin), die es untersagte, dass bei einem Ehepaar beide fest bzw. mit voller Professur an einer Universität arbeiten durften; damit sollte ‚Vetternwirtschaft‘ verhindert werden, was es jedoch tatsächlich vereitelte, war die angemessene Anstellung und Bezahlung wissenschaftlich arbeitender Ehefrauen. Wissenschaftlerinnen waren auch in Gefahr, ‚für ihre Forschung‘ geheiratet zu werden, da ihre Arbeitsergebnisse dann häufig als gemeinschaftlicher Erfolg unter dem Namen des Mannes veröffentlicht werden konnten.

Unter den Beispielen für den Matilda-Effekt, die Rossiter anführt, sind mehrere, die ich auch hier auf frauenfiguren besprochen habe:

Maria Goeppert-Mayer sei ja wie Marie Curie noch recht gut weggekommen, da sie ebenbürtig mit ihren männlichen Kollegen den Nobelpreis für Physik gewonnen habe (vorher war sie jedoch von der fragwürdigen Nepotismus-Regel betroffen gewesen und hatte einen Großteil ihrer Arbeit schlecht oder unbezahlt geleistet). Andere Beispiele sind
• die Pathologin Frieda Robscheit-Robbins (Link Englisch), der 1934 Anteile des Nobelpreises für Physiologie oder Medizin zugestanden hätten
Candace Pert (Link Englisch), die an der Entdeckung der Opioidrezeptoren beteiligt war
Ruth Hubbard, deren sämtliche Forschungsarbeiten zur Biochemie des Sehens nach ihrer Eheschließung mit George Wald unter seinem Namen erfasst wurden
Isabella Karle, die noch 1985 feststellen musste, dass ihre fünfzigjährige Zusammenarbeit mit ihrem Mann an Kristallstrukturanalysen sie weniger für den Nobelpreis für Chemie qualifizierten als einen männlichen Kollegen

Nach diesen zahlreichen namentlichen, jedoch keinesfalls alleinstehenden Beispielen dafür, wie die wissenschaftliche Arbeit von Frauen von Männern angeeignet oder ihnen zugeschrieben wurde, schließt Rossiter den Artikel mit der Darlegung, warum sie sich für Matilda Joslyn Gage als Namenspatin für den Effekt entschieden hat, statt für eine der zwei biblischen Alternativen, Priszilla und Martha (die als Äquivalent zum Evangelist Matthäus nahe lägen). Sie fühlt sich der amerikanischen Menschenrechtsaktivistin am meisten verbunden, aufgrund der eingangs beschriebenen Beobachtung, und wünscht, dass diese ebenfalls in den Schatten der patriarchalen Geschichtsschreibung getauchte Aktivistin durch eine Anerkennung des Matilda-Effektes mehr Aufmerksamkeit erfahren soll.

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In diesem Jahr der Wissenschaftlerinnen auf frauenfiguren ist mir der Matilda-Effekt in verschiedenen Formen und Abstufungen beinahe jede Woche mindestens einmal begegnet, und jedesmal hat es die Flamme feministischer Wut neu in mir angefacht. Zwei Dinge werden immer wieder deutlich. Erstens: In der männlich dominierten Welt – der Wissenschaft und allgemein – stehen Frauen unter dem Druck, sich als `die Beste´zu positionieren, um überhaupt gesehen zu werden und Raum zu erhalten; dabei müssen sie Heerscharen von guten, mittelmäßigen und auch vernachlässigbaren Männern im gleichen Arbeitsbereich überstrahlen. Frauen können sich nicht erlauben, mittelmäßig zu sein. Und zweitens: Sie sind von Anfang bis Ende (und auch heute noch) von der Unterstützung und dem Wohlwollen der Männer in ihrem Leben abhängig. Die Väter mussten die Ausbildung unterstützen und fördern, die Lehrer und Schulvorstände mussten sie als Schülerinnen und Studentinnen zulassen, die Kollegen mussten sie als gleichwertig betrachten und ihre Arbeit als solche wertschätzen, die Ehemänner mussten ihnen erlauben, weiter zu arbeiten und ihre Erkenntnisse unter dem eigenen Namen zu veröffentlichen. Andere Frauen wiesen vielleicht den Weg, aber die Männer mussten ihn ebnen – und sie vorangehen lassen.

Gegen die patriarchale Dominanz der Männer in der Wissenschaft und der Gesellschaft insgesamt müssen Wissenschaftlerinnen und Frauen allgemein immer noch ankämpfen. Rossiters Erkenntnis und Benennung des Matilda-Effektes sollte dazu beitragen, die misogyne Mechanik zu erkennen und ihr entgegenwirken zu können. Dennoch ist er an vielen Stellen noch immer nicht behoben, denn das System schreibt sich fort, der Effekt selbst wird in Zweifel gezogen und die Bücher, aus denen wir über die Geschichte und die Wissenschaft lernen, sind noch nicht alle umgeschrieben. Als ich dieses Blog ins Leben rief, ging es mir genau darum: Die Vielzahl an unterschiedlichen Frauen aufzuzeigen, die es immer gab und immer geben wird, die in allen Bereichen des Lebens ebenso nennenswert sind wie Männer. Der Matilda-Effekt ist für mich inzwischen ein gängiger Begriff und ich schaue immer öfter einmal mehr danach, ob und wie weit Frauen an wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Errungenschaften beteiligt oder sogar federführend waren. Damit Matilda nicht mehr vergessen wird.

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Übrigens ist es selbstverständlich ganz eigennützig, wenn ich auch hier noch einmal darauf hinweisen möchte, wie wichtig und von mir sehr geschätzt die Arbeit der Wikipedianer:innen ist, die sich besonders um das Vorhandensein und die Ausführlichkeit von Wiki-Beiträgen zu Frauen bemühen; oft gegen starke misogyne Gegenwehr. Hätte ich nicht dieses Blog und zugegebenermaßen mehr mentale Ressourcen und die innere Stärke, wäre das das nächstbeste zu frauenfiguren, womit ich meine Zeit verbringen könnte. So aber möchte ich nur `Danke´sagen und noch mehr Expert:innen und Koryphäen bitten, auf Wikipedia gegen den Matilda-Effekt tätig zu werden.

42/2020: Katharine Foot, 14. Oktober 1852

frauenfiguren katharine foot
Group photo of researchers of the Marine Biology laboratory. First row, seated on ground (left to right): Howard S. Erode, Arnold Graf, John P. Munson, Robert P. Bigelow, Gary N. Calkins. Second row, seated (left to right): W. H. Dudley, Walter M. Rankin, A. D. Mead, Edmund B. Wilson, C. O. Whitman, E. G. Conklin, Hermon C. Bumpus, F. S. Lee. Third row, standing (left to right): – —(?), Pierre A. Fish, Cornelia M. Clapp, Sho Wakase, Katharine Foot, A. D. Morrill, Joseph C. Thompson (?), Esther F. Byrnes. Back row, standing (left to right): M. A. Brannon, Bradley M. Davis, Clara Langenbeck, S. Emma Keith, Margaret Lewis, Louise B. Wallace, J. L.“ Kellogg, George W. Field, Frank R. Lillie, O. S. Strong, Mary M. Sturges, John McCrae.
Autor unbekannt – Popular Science Monthly Volume 79, Gemeinfrei

Katharine Foot (CN politisch inkorrekte Bezeichnung für Amerikanische Ureinwohner) kam in Geneva, New York, zur Welt und besuchte in ihrer Kindheit und Jugend Privatschulen. Sie war Mitglied des New Yorker Clubs zur Förderung von Frauen ‚Sorosis‘, wo sie Alice Fletcher kennenlernte, mit der sie ein Interesse für die Belange der nordamerikanischen Ureinwohner teilte. Sie begleitete die Ethnologin sogar (vermutlich 1886) nach Alaska, um das Gespräch mit den dortigen Ureinwohnern zu suchen.

In den 1890er Jahren lebte Foot beim Gründer der Northwestern University in Evanston, Illinois. Im Jahr 1892 ließ sie sich für die Mitarbeit am Marine Biological Laboratory ausbilden, wo sie zeit ihres Lebens Mitglied bleiben sollte. Nach einem sechswöchigen Kurs über Wirbellose erhielt sie von Zoologe Charles Ottis Whitman den Auftrag, die Reifung und Befruchtung von Regenwurmeiern der Gattung Allolobophora foetida zu untersuchen. Über die Ergebnisse dieser Untersuchung schrieb sie 1894 einen Artikel, zwei Jahre später durfte sie als erste Frau des Labor dorts einen Vortrag halten, ihr Thema: „Die Zentrosomen des befruchteten Eis von Allolobophora foetida„.

Im Folgejahr, 1897, wurde Ella Church Strobell ihre Assistentin, nach zweijähriger Zusammenarbeit veröffentlichten die beiden Frauen gleichberechtigt als Ko-Autorinnen. Foot und Strobell gehörten in dieser Zeit zu den ersten Wissenschaftler:innen, die die Bilder ihrer Untersuchungsobjekte nicht mehr zeichneten, sondern fotografierten. Sie erarbeiteten auch eine neue, bahnbrechende Technik, wie in niedrigeren Temperaturen dünnere und damit einsichtigere Materialproben hergestellt werden konnten.

1906 wurde Katharine Foot in der ersten Ausgabe der Sammlung American Men of Science (Link Englisch) (sic! Erst 1971 wurde daraus American Men and Women of Science) als eine der 1.000 wichtigsten Wissenschaftler:innen des Jahres genannt – die deutschen Wikipedia-Einträge zu Katharine Foot, Grace Andrews und Charlotte Angas Scott lassen keinen genauen Schluss zu, ob Foot bereits in der Erstausgabe als eine von zwei oder drei Frauen erwähnt wurde oder ob sie erst später aufgenommen wurde. Andrews und Scott gelten nach ihren Wiki-Einträgen als die ersten beiden Frauen in der biografischen Nachschlagewerke.

Foot und Strobell arbeiteten von 1906 bis 1913, möglicherweise in einem eigenen Labor, an der Erforschung der unterschiedlichen Entwicklungsstadien der Kürbiswanzen. Sie untersuchten wie Nettie Stevens die Rolle von Chromosomen bei erblichen, geschlechtsgebundenen Merkmalen und verteidigten ihre Thesen darüber auch gegenüber Thomas Hunt Morgan, der als Entdecker der Chromosomen als Geschlechtsphänoytp bestimmender Faktoren gilt – obwohl er erst nach Foot, Strobell und Stevens zu dieser Meinung kam.

1914 gingen Foot und Strobell nach England, um ihre Forschungen am New College in Oxford fortzusetzen. Dort erkrankte Strobell jedoch drei Jahre später, womit ihre gemeinsame Arbeit endete. Katharine Foot meldete sich zum Ende des Ersten Weltkrieges als Freiwillige beim Amerikanischen Roten Kreuz und untersuchte für diese Organisation den Lebenszyklus der Kleiderlaus. Ella Church Strobell starb 1920, Foot lebte noch in den 1930er in London, doch zog im Laufe des Zweiten Weltkrieges zurück in die USA. Dort starb sie 1944 in Camden, South Carolina, mit 92 Jahren.

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Ebenfalls diese Woche

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Zur Veranschaulichung der Großen Struktur des Kosmos werden die Wachstumsstrukturen von Schleimpilzen herangezogen
By ESA/Hubble, CC BY 4.0

12. Oktober 1861: Kristine Meyer (Link Englisch)
Als erste dänische Frau ihres Landes erlangte die Physikerin einen Doktorgrad in Naturwissenschaften.

14. Oktober 1971: Licia Verde (Link Englisch)
Die italienische Kosmologin und Theoretische Physikerin ist bekannt für ihre Forschung zur Großen Struktur des Kosmos (wie Galaxien und Materie im Kosmos verteilt sind) und Dunkler Materie.

17. Oktober 1720: Geneviève Thiroux d’Arconville
Ihre Erforschung von Fäulnisprozessen der französischen Naturforscherin stellt den Grundstein für diesen Bereich der Chemie dar. Auch sie wurde Opfer des Matilda-Effektes und schrieb über ihre eigene Beobachtung dazu: „Im Privatleben [im Sinne von: außerhalb gesellschaftlicher Normen] spielen Frauen nicht ungestraft eine Rolle. Sind sie galant? Sie werden verachtet. Sind sie intrigant? Sie werden gefürchtet. Sollten sie Wissen oder Witz zeigen? Wenn ihre Werke schlecht sind, werden sie ausgepfiffen; sind sie hingegen gut, werden sie ihnen gestohlen und sie werden lächerlich gemacht, wenn sie die Arbeit als ihre eigene beanspruchen.“ (Quelle: Wiki) Viele ihrer Manuskripte waren bis 2007 verschollen.

28/2020: Nettie Stevens, 7. Juli 1861

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Nettie Stevens at work at the Naples Zoological Station in 1909.
By Bryn Mawr College Special Collections – source, Public Domain

Der Vater von Nettie Stevens war Zimmermann, der nach dem frühen Tod seiner Ehefrau – sie starb, als Nettie drei Jahre alt war, kurz nach der Geburt der jüngeren Schwester – sein zwei überlebenden Kinder alleine versorgen musste. Nach einem Umzug von Vermont nach Massachusetts wurde er allerdings mit seinem Handwerksunternehmen so erfolgreich, dass er beiden Töchtern zumindest die High School finanzieren konnte. 1880 machte Nettie dort ihren Abschluss, dann arbeitete sie in New Hampshire als Lehrerin für Zoologie, Physiologie, Mathematik, Englisch und Latein. Nach drei Jahren in diesem Beruf hatte sie geng Geld gespart, um an die Universität zurückzukehren. An der Westfield Normal School (heute Westfield State University) absolvierte sie ein Studienprogramm, das eigentlich auf vier Jahre ausgelegt war, innerhalb von zwei Jahren; im Anschluss daran arbeitete sie wieder als Lehrerin.

Erst ein gutes Jahrzehnt später konnte Nette Stevens sich von gespartem Geld ein tiefergehendes Studium leisten. 1896 schrieb sie sich an der Stanford University ein und erreichte 1899 einen Bachelor-, ein Jahr später einen Master-Abschluss in Biologie. Im Laufe ihrer Studien hatte sie begonnen, sich mit Histologie zu befassen, für ihr Doktorandenstudium in diesem Fach wechselte sie 1900 an das Bryn Mawr College, denn dort war Edmund Beecher Wilson Leiter der biologischen Fakultät gewesen, den Stevens bewunderte, und auch zu seinem Nachfolger Thomas Hunt Morgan schaute sie auf. Sie konnte dank eines Stipendiums im Rahmen ihres Studiums in Neapel und Würzburg Forschung betreiben, bevor sie mit Morgan als Doktorvater ihre Dissertation einreichte. Das Thema ihrer Arbeit war die Zellregeneration in einfachen Mehrzellern, die Entwicklung von Spermien und Eiern, Urkeimzellen von Insekten und die Zellteilung in Seeigeln und Würmern, sie erlangte damit 1903 ihren Doktortitel. Bryn Mawr bleib für ihr weiteres restliches Leben ihre Wirkungsstätte – ihr Ziel war es, an ihre Alma Mater als Professorin fest angestellt zu werden. Zunächst blieb sie als Lehrkraft für experimentelle Morphologie, 1904 begann sie einjähriges ihr Postdoc am Carnegie Institute of Science in Washington, Edmund B. Wilson und Thomas H. Morgan schrieben ihr für diese Position die benötigten Empfehlungen. Stevens erhielt ein Stipendium für ihre Erforschung der Vererbung, insbesondere wollte sie die Mendelschen Regeln (damals noch ‚Gesetze‘) überprüfen hinsichtlich ihrer Gültigkeit für die Geschlechtsdetermination.

Das erste Tier, das sich Stevens für ihre Untersuchungen vornahm, war der Mehlkäfer (von dem die Mehlwürmer gelegt werden) Tenebrio molitor. In den Zellen dieser Insekt entdeckte Stevens zum ersten Mal das Chromosom, das sich nach ihren Beobachtungen auf die unterschiedlichen Geschlechter der erwachsenen Tiere auswirkte (sie nannte es jedoch damals noch nicht das Y-Chromosom). Sie weitete ihre Forschung auf andere Insekten aus, unter anderem auf die Taufliege Drosphila melanogaster, die sie fortan in ihren Labors züchtete. Nettie Stevens war es, die erkannte, wie gut diese Art aufgrund der kurzen Lebenszyklen, einem kleinen Chromosomensatz und einer großen Anzahl Nachkommen pro Befruchtung für genetische Untersuchungen geeignet war, und tatsächlich war sie es auch, die Thomas H. Morgan ebenfalls davon überzeugte. Noch heute gilt Drosophila als ideales Forschungsobjekt und Morgan wird zumeist als Begründer dieser Praxis geführt.

Zur Zeit von Stevens‘ Forschungen herrschte noch die Ansicht, dass das Geschlecht eines Kindes im Mutterleib von der Umwelt oder dem Verhalten der Mutter beeinflusst wurde – in jedem Fall lag es in der „Verantwortung“ der Mutter, mit welchem Geschlecht ein Kind auf die Welt käme. Clarence Erwin McClung hatte kurze Zeit vor Nettie Stevens die Vermutung geäußert, dass das Geschlecht eines Lebewesens durch das X-Chromosom in den Keimzellen bestimmte würde, doch Thomas H. Morgan und auch Edmund B. Wilson bestritten dies zunächst. Während Stevens bei ihrer Erforschung der Entstehung des chromosomalen Geschlechtes die Keimzellen beider Geschlechter untersuchte, erforschte Wilson allein an Spermien die Spermatogenese; er sollte das damit begründen, dass Eizellen zu fetthaltig für den Färbeprozess seien und deswegen nicht untersucht werden könnten. Nettie Stevens fand hingegen in den Zellen ihrer Taufliegen Paare mit einem großen und einem kleinen Chromosom, Paare mit zwei großen Chromosomen und einzelne große Chromosomen (XO), dass jedoch nur die Individuen mit einem Groß-Klein-Paar den männlichen Phänotyp aufwiesen. Sie schloss daraus, dass es das heute so genannte Y-Chromosom war, dass den geschlechtlichen Phänotyp bestimmte (was Stevens noch nicht wissen konnte: dass dieser Phänotyp dann auch noch anderen genetischen Einflüssen unterliegt, siehe Intergeschlechtlichkeit). Der Artikel, den sie darüber schrieb, brachte ihr einen Preis von $1.000,- ein für den „besten wissenschaftlichen Artikel von einer Frau geschrieben“, und das Carnegie Institute veröffentlichte ihre Arbeit in den „Studien zur Spermatogenese“. Doch weder von ihren männlichen Vorbilden noch von der wissenschaftlichen Gemeinschaft wurde sie als Forscherin und Entdeckerin anerkannt, noch weniger gewürdigt. Edmund B. Wilson überarbeitete, nachdem er Stevens Forschungsergebnisse gelesen hatte, seine eigene Arbeit dahingehend, dass sie zu Stevens Ergebnissen passen, und kam ihr dann mit der Veröffentlichung seiner Ergebnisse zuvor – er dankte ihr für ihre Entdeckung in einer Fußnote. 1906 wurden Wilson und Thomas H. Morgan eine Einladung, auf einer Konferenz über ihre Entdeckungen der Geschlechtsdetermination zu sprechen, doch Nettie Stevens wurde übersehen.

1908 erhielt Stevens noch ein Stipendium von der American Association of University Women und 1912 wurde ihr von Bryn Mawr nach einer Dekade als außerordentliche Professorin endlich eine Stelle als festangestellte Professorin ohne Lehrverpflichtung angeboten. In ihrer kurzen Zeit als Wissenschaftlerin hatte sie bis dahin 38 Publikationen veröffentlicht, doch sie konnte die lang ersehnte Stelle nicht mehr antreten: Am 4. Mai 1912 starb sie mit nur 51 Jahren an Brustkrebs.

Noch in seinem Nachruf rückte Thomas H. Morgan die eigentliche Vorreiterin seiner wissenschaftlichen Erfolge auf die Seitenlinie. In seinem Nachruf schrieb er, sie habe „Anteil an einer Entdeckung von Bedeutung“ gehabt, behauptete allerdings, sie habe McClungs Fehlannahme bestätigt, dass X-Chromosom sei für den geschlechtlichen Phänotyp verantwortlich – wohingegen sie gerade festgestellt hatte, dass es das kleinere Y-Chromosom sein musste. Edmund B. Wilson unvollständige Forschungsergebnisse seien „eine gemeinsame Entdeckung“ mit Stevens gewesen, eine Aussage, die Wilson später, wiederum in einer Fußnote, korrigierte. Auch habe es ihr „zeitweise an Inspiration gefehlt, die die reine Tatsache einer Entdeckung für eine breitere Sichtweise nutzt“ – es war ihm womöglich tatsächlich nicht bewusst, dass dieser Mangel an Inspiration darin begründet lag, dass sie vom anregenden Austausch mit Kollegen, etwa auf Konferenzen, ausgeschlossen war.

Thomas H. Morgan gewann 1933 den Nobelpreis für Medizin für Erkenntnisse zur Vererbung, die zu großen Teilen auf den intensiven Forschungen von Nettie Stevens basierte.

1994 wurde sie in die National Women’s Hall of Fame aufgenommen. 2017 benannte die Westfield State University einen Gebäudekomplex nach ihr, in dem einige MINT-Fachbereiche untergebracht sind.

FemBio und Vox sind auch verärgert über den Matilda-Effekt.

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Ebenfalls diese Woche

7. Juli 1860: Alice Johnson (Link Englisch)
1884 wurde eine Arbeit dieser britischen Zoologin als erstes Schriftstück einer Frau im Protokoll der Royal Society erwähnt. Sie beschäftigte sich auch mit Telepathie.

10. Juli 1724: Eva Ekeblad
Weil sie sich mit den Möglichkeiten des Kartoffelanbaus in Europa beschäftigte, gilt die schwedische Adlige als Agrarwissenschaftlerin. Sie entwickelte Methoden zur Gewinnung von Stärke und Alkohol aus Kartoffeln, unabhängig davon auch ein Verfahren zum Bleichen von Textilien. Sie war 1748 die erste Frau, die in der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften aufgenommen wurde, und blieb die einzige bis 1910, als Marie Curie ebenfalls aufgenommen wurde.

12. Juli 1913: Mildred Cohn
Diese amerikanische Biochemikerin und Biophysikerin entwickelte Methoden und Anwendungen in der Kernspinresonanzspektroskopie, die es ermöglichten, metabolische Prozesse auf molekulaler Ebene sichtbar zu machen.

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