Kategorie: Medizin

33/2020: Gerty Cori, 15. August 1896

frauenfiguren gerty cori
By National Library of Medicine, Images from the History of Medicine, B05353, Public Domain

Gerty Cori kam in Prag als Gerty Radnitz zur Welt; ihr Vater, Otto Radnitz, war ein Chemiker, der eine Methode zur Raffination von Zucker erfunden hatte und nun eine eigene Zuckerfabrik leitete, ihre Mutter, Martha geborene Neustadt, war eine kulturell interessierte Frau, die mit Franz Kafka befreundet war. Gerty und ihre beiden jüngeren Schwestern erhielten zunächst Privatunterricht, bevor sie mit zehn Jahren auf das Lyzeum gingen.

Mit 16 Jahren wusste Gerty, dass sie Medizin studieren wollte, ihr fehlten bis dahin jedoch noch einige schulische Kenntnisse. Um diese einzuholen, lernte sie innerhalb eines Jahres die Inhalte von acht Schuljahren Latein und fünf Schuljahren Physik, Chemie und Mathematik. So bestand sie mit 18 Jahren die Aufnahmeprüfung für das Medizinstudium an der Deutschen Karl-Ferdinands-Universität Prag.

Im Studium lernte sie Carl Cori kennen. Die beiden verliebten sich und schlossen 1920 gemeinsam – nachdem Carl zwischenzeitlich im Ersten Weltkrieg eingezogen worden war – ihr Medizinstudium ab. Im gleichen Jahr heirateten sie, wofür Gerty vom Judentum zum Katholizismus konvertierte, und zogen nach Wien. Dort arbeitete Gerty als Assistenzärztin im Karolinen-Kinderspital und erforschte die Funktion der Schilddrüse bei der Regulation der Körpertemperatur. Außerdem schrieb sie mehrere Aufsätze zu Blutkrankheiten. Die Lebensumstände nach dem Krieg waren schwierig, oftmals fehlte es an Lebensmitteln, sodass Gerty sogar Augenprobleme entwickelte, die auf einen Vitamin-A-Mangel zurückzuführen waren. Zur gleichen Zeit wurde der Antisemitismus im Land immer offensichtlicher, sodass das Ehepaar Cori 1922 in die USA auswanderte.

Carl fand eine Anstellung beim State Institute for the Study of Malignant Diseases (heute Roswell Park Cancer Institute, Link Englisch), während Gerty zunächst weitere sechs Monate in Wien blieb, weil sie keine Anstellung fand. Sie zog jedoch schließlich nach und arbeitete mit ihrem Mann im Labor, obwohl der Leiter des Insituts sogar drohte, Carl Cori zu entlassen, wenn Gerty nicht aufhörte. Die beiden ließen sich nicht beirren und erforschten gemeinsam, wie Glucose mit Hilfe von Hormonen im menschlichen Körper verstoffwechselt wird. Das Ehepaar veröffentlichte in der Zeit in Roswell insgesamt 50 Aufsätze gemeinsam – wobei die- oder derjenige zuerst als Autor:in genannt wurde, der oder die die meiste Arbeit geleistet hatte – und Gerty Cori veröffentlichte noch elf weitere Schriften als alleinige Autorin.

1928 nahmen die Coris die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Im Folgejahr stellten sie ihre Theorie vor, die ihnen schließlich den Nobelpreis einbringen sollte: den Cori-Zyklus. Dieser beschreibt den biochemischen Kreislauf im menschlichen Körper, mit dem Glucose in den Muskeln zu Lactat umgewandelt wird – Glykolyse genannt – , während gleichzeitig Lactat kurzzeitig in der Leber zu Glucose zurückgebildet wird – Gluconeogenese genannt. Diese Erkenntnis, wie die Verwertung von Zucker in den Muskeln funktioniert, sowie der Rolle der Leber dabei war eine wichtige Grundlage für das Verständnis und somit der Behandlung von Diabetes mellitus.

Diese junge Frau erklärt auf dem Kanal FitfürBiochemie den Cori-Zyklus für halbwegs in die Chemie Eingeweihte

Zwei Jahre, nachdem sie diese Theorie veröffentlicht hatten, verließen sie das Insitut in Roswell. Carl wurden mehrere Stellen ohne Gerty angeboten, eine Position in Buffalo lehnte er ab, weil sie ihm durchaus nicht erlauben wollten, mit seiner Frau zu arbeiten. Gerty wurde sogar ausdrücklich vorgeworfen, sie schade der Karriere ihres Mannes, wenn sie weiter mit ihm arbeite. Schließlich ging das Ehepaar Cori gemeinsam an die Washington University in St. Louis, Missouri, wo ihnen beiden Stellungen angeboten worden waren, allerdings in Gertys Fall in einer niedrigeren Position, mit folgerichtig schlechterer Bezahlung: Sie verdiente als Forschungsassistentin nur ein Zehntel von Carls Gehalt. Arthur Compton, zu dieser Zeit Rektor der Universität, machte für die Coris eine Ausnahme von der Nepotismus-Regel, mit der auch Maria Goeppert-Mayer Schwierigkeiten hatte. Bei ihrer gemeinsamen Arbeit an der Washington University entdeckten Gerty und Carl Cori das Glucose-1-phosphat, eine Form von Glucose, das in vielen Stoffwechselvorgängen eine Rolle spielt und auch nach ihnen Cori-Ester heißt. Sie beschrieben seine Struktur, identifizierten das Enzym, das den Cori-Ester katalysiert und bewiesen, dass Glucose-1-phosphat der erste Schritt in der Umwandlung des Kohlehydrats Glykogen zu Glucose ist, welche im Körper als Energie verwertet werden kann.

Gerty Cori erforschte zur gleichen Zeit auch Glykogenspeicherkrankheiten und identifzierte mindestens vier davon, die jeweils mit individuellen Enyzymdefekten zusammenhängen; die verhältnismäßig harmlose Typ III-Glykogen-Speicherkrankheit heißt nach ihr auch Cori-Krankheit. Sie war die erste Person, die nachwies, dass eine vererbte Krankheit mit einem Enzymdefekt zusammenhängen kann.

Nach 13 Jahren an der Washington University wurde Gerty Cori endlich außerordentliche Professorin und vier Jahre später, 1947, auch volle Professorin. Im gleichen Jahr erfuhr sie, dass sie an Myelosklerose litt, und wenige Monate später wurde ihr gemeinsam mit ihrem Mann und dem argentinischen Physiologen Bernardo Alberto Houssay der Nobelpreis für für Physiologie oder Medizin verliehen. Sie war insgesamt erst die dritte Frau mit einem Nobelpreis – Marie Curie und deren Tochter Irène Joliot-Curie waren die ersten beiden, die diesen Preis für Physik respektive Chemie erhalten hatten. Gerty Cori hingegen war nun die erste Frau, die in der Kategorie Physiologie und Medizin ausgezeichnet wurde.

Im Anschluss an diesen Erfolg wurde sie Fellow der American Academy of Arts and Sciences, als viertes weibliches Mitglied in die National Academy of Sciences gewählt sowie von mehreren anderen Societies aufgenommen, von Harry S. Truman wurde sie zum Ratsmitglied der National Science Foundation ernannt. Nachdem sie jahrzentelang gegen den Widerstand von Entscheidern unbeirrt mit ihrem Mann zusammengearbeitet hatte, wurde ihr nun zwischen 1948 und 1955 die Ehrendoktorwürde an fünf Universitäten verliehen – an der Boston University, am Smith College, an der Yale University, an der Columbia University und an der University of Rochester. Insgesamt gewann sie, zum Teil gemeinsam mit ihrem Mann, sechs hochdotierte wissenschaftliche Preise. Sie arbeitete noch weitere zehn mit immer schlechterer Gesundheit, bis sie am 26. Oktober 1957 an der Myelosklerose verstarb.

1998 wurde Gerty Cori in die National Women’s Hall of Fame aufgenommen. Das Labor an der Washington University, in dem sie gearbeitet hatte, wurde 2004 von der American Chemical Society (deren Mitglied sie war) zur Historic Landmark erklärt. Vier Jahre später brachte der US Postal Service eine 41-cent-Briefmarke ihr zu Ehren heraus. Krater auf dem Mond und der Venus sind nach ihr benannt und noch 2015 taufte das US Department of Energy den Hochleistungrechner im Berkeley Lab nach ihr, der als fünfter in der Liste der 500 leistungsfähigsten Computer rangiert.

Die Website des Nobelpreises führt selbstverständlich ihre Biografie (Link Englisch).

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Ebenfalls diese Woche

12. August 1898: Maria Klenova (Link Englisch)
Als Begründerin der russischen Meeresgeologie erforschte sie beinahe dreißig Jahre lang die Polarregionen und war die erste Frau, die vor Ort in der Antarktis arbeitete.

12. August 1919: Margaret Burbidge
Diese amerikanische Astronomin tauchte bereits im Beitrag über Vera Rubin auf; die erste weibliche Direktorin des Royal Greenwich Observatory forschte zu Quasaren und wie Rubin zur Rotation von Galaxien.

15. August 1892: Kathleen Curtis (Link Englisch)
Die neuseeländische Mykologin begründete die Pflanzenpathologie in ihrer Heimat; ihre Doktorarbeit schrieb sie über Kartoffelkrebs und sie beschrieb 1926 erstmalig einen Bovisten, der endemisch in Tasmanien und Neuseeland auftritt und heute vom Aussterben bedroht ist, den Claustula fischeri (Link Englisch).

Catherine Jérémie

* 1664 • † 1744

Catherine Jérémie (Link Englisch) kam als ältestes von 11 Geschwistern in einem kleinen Ort in Québec, Kanada (damals Neufrankreich), zur Welt. Mit 17 heiratete sie zum ersten Mal, mit diesem Mann hatte sie eine Tochter; mit 24 heiratete sie zum zweiten Mal und bekam in dieser Ehe noch weitere zehn (oder elf) Kinder.

1702 ließ sich Jérémie mit ihrer Familie in Montreal nieder, wo sie als Hebamme und Naturheilkundlerin arbeitete. Als eine der ersten Botaniker:innen in Kanada beschäftigte sie sich besonders mit der Medizin der kanadischen First Nations und deren Kenntnisse über naturheilkundliche Praktiken. Sie versorgte nicht nur französische Forscher mit den Informationen zu gesammelten Exemplaren und trug damit einen wichtigen Teil zur Naturgeschichte in Kanada bei. Sie wandte ihre Kenntnisse auch erfolgreich in der eigenen Hebammenpraxis an; eine Frau, die sie betreut hatte, nannte sie „die Magierin meines Lebens“.

Louise Bourgeois Boursier

* 1563 • † 1636

Louise (oder Louyse) Bourgeois kam als Kind wohlhabender Eltern in der Nähe von Paris zur Welt und erhielt eine standesgemäße Bildung. Mit 21 Jahren heiratete sie Martin Boursier, einen Barbier, der bei Ambroise Paré zum Militärchirurg ausgebildet wurde.

Während des Achten Hugenottenkrieges arbeitete ihr Mann als Feldchirurg, Bourgeois Boursier blieb mit ihren drei Kindern allein. Als nun Heinrich IV. 1589 Paris angriff, zog sie aus dem Vorort in die durch Mauern gesichterte Stadt. Sie hatte sich einige Zeit mit dem Nähen von Spitze über Wasser gehalten, doch davon konnte sie ihren Lebensunterhalt nicht mehr sichern. Bei der Geburt ihres dritten Kindes hatte ihre Hebamme ihr vorgeschlagen, ebenfalls in diesem Beruf zu arbeiten, und das tat sie. Ihre medizinischen Kenntnisse bezog sie von ihrem Mann und dessen Mentor Paré, außerdem hatte sie als dreifache Mutter eigene Erfahrungen mit Schwangerschaft und Geburt; das Hôtel-Dieu in Paris bot allerdings auch Kurse für werdende Hebammen an und es ist möglich, das Bourgeois Boursier diese besuchte. In jedem Fall bestand sie 1598 die Diplom-Prüfungen, die sie für eine Lizenz als Hebamme benötigte. Die Prüfungskommission bestand zu dieser Zeit aus zwei praktischen Ärzten, zwei Chirurgen und zwei erfahrenen Hebammen.

Nachdem sie drei Jahre erfolgreich als Hebamme für Pariser Bürgerinnen gearbeitet hatte, verlangte die von der französischen Königin Maria de’Medici nach ihrem Dienst: Die Hofhebamme, Madame Dupois, hatte auch die Mätresse des Königs bei der Geburt begleitet, was die Königin ihr nicht verzieh. Bourgeois Boursier hatte bereits anderen Frauen am Hof als Hebamme zur Seite gestanden, von 1601 an war sie nun die offizielle Hebamme der Königin und half dem späteren König Ludwig XIII. auf die Welt. Bis 1610 folgten fünf weitere Kinder der Königin, deren Geburten Bourgeois Boursier begleitete, wobei sie für jeden Sohn 500 Livres und für jede Tochter 300 Livres Prämie erhielt – das durchschnittliche Einkommen einer Hebamme zu dieser Zeit waren 50 Livres pro Geburt. Nach dem Kronprinzen Ludwig 1601 gebar Marie de‘ Medici zwei Töchter, Elisabeth 1603 und Christina 1606, anschließend zwei Söhne in zwei aufeinanderfolgenden Jahren, Nicolas Henri 1607 und Gaston 1608, und schließlich 1609 eine weitere Tochter, Henrietta Maria. Bereits 1608, nach dem dritten Sohn, erhielt Bourgeois Boursier eine Prämie von 6.000 Livres für ihre Dienste, nach dem letzten Kind bat sie um eine Pension von jährlich 600 Livres, der König gestand ihr 300 Livres jährlich zu, was ihr bereits einen ruhigen Lebensabend ermöglichte.

Louise Bourgeois Boursier setzte sich zumindest von der Arbeit mit der Königin zur Ruhe, sie betreute jedoch weiterhin gelegentlich Geburten, vor allem aber schrieb sie ein Buch über die Geburtsheilkunde. Sie nannte sich die erste Frau ihrer Profession, die „die Feder aufnahm“, was natürlich nicht vollständig der Wahrheit entspricht. Dennoch löste ihr Buch schließlich die Trotula aus dem 12. Jahrhundert als maßgebliches Werk über Hebammenwissen ab und blieb über hundert Jahre die Standardreferenz in diesem Gebiet. Doch es machte auch Wissen, zuvor von Hebamme zu Hebamme weitergegeben, nicht nur interessierten Laien, sondern auch den Ärzten zugänglich, die vor allem für Bourgeois Boursier selbst zur Konkurrenz wurden. 1627 begleitete sie die Geburt der Ehefrau von Gaston de Bourbon, den sie bereits selbst in die Welt geholt hatte, doch diese verstarb kurz darauf am Kindbettfieber. Die Hofärzte hielten in ihrem Obduktionsbericht fest, dass ein Teil der Plazenta (CW Bilder) in der Gebärmutter verblieben sei, was der Hebamme die Schuld am Tod der jungen Mutter zuwies. Bourgeois Boursiers Ruf litt selbstverständlich darunter, auch wenn sie eine öffentliche „Entschuldigung“ verfasste; in dieser bezichtigte sie jedoch wiederum die Ärzte der Unkenntnis, was genau eine Nachgeburt (CW Bilder) ausmache und was nicht, und verwies auf ihre jahrelangen Erfahrungen und ihre Veröffentlichungen. In der Folge musste sie sich dennoch mehr auf das Schreiben verlegen, so verfasste sie später Bücher mit Erinnerungen an ihre Zeit als Hebamme des Königspaares. Ihr Buch und die Rufschädigung nach dem Tod der Herzogin de Bourbon führten dazu, dass Hebammen am Hof und somit auch in der Gesellschaft an Ansehen verloren und – männliche – Ärzte diesen traditionell weiblichen Bereich der Gesundheitsfürsorge übernahmen, nicht unbedingt zum Vorteil für die Mütter.

Louise Bourgeois Boursier starb schließlich 1636 im Alter von 73 Jahren. Ihre Nachfahrin Angélique du Coudray wurde 1743 zur leitenden Hebamme des Hôtel-Dieu in Paris, nachdem sie mit einer Petition dafür gesorgt hatte, dass weiterhin Hebammen – und nicht Chirurgen – für die Hebammenausbildung verantwortlich sein sollten.

Loredana Marcello

16. Jhdt.

Dogaressa Loredana Marcello (Link Englisch) war die Ehefrau des Doge von Venedig Alvise Mocenigo I., eine literarisch versierte Frau, die auch Botanik studierte. Mit ihrer Bildung und ihren vielen Talenten galt sie als Vorbild für Frauen der Renaissance.

Es sind keinerlei Schriften von ihr überliefert, doch scheinbar hatte sie eine Sammlung von naturheilkundlichen Rezepten und Formeln für Mitteln gegen die Pest zusammengestellt. Diese werden mehr für die palliative Linderung der Beschwerden denn als Heilmittel gewirkt haben, doch es ist bekannt, dass sie in einem Ausbruch der Pest in Venedig 1575, drei Jahre nach ihrem eigenen Tod, zur Anwendung kamen.

Isabella Cortese

16. Jhdt.

Von Isabella Cortese ist wieder einmal so gut wie nichts bekannt außer einem Schriftstück: I secreta de la Signora Isabella Cortese (Die Geheimnisse der Signora Isabella Cortese) erschien 1561 und enthält (al-)chemistische, heilkundliche und kosmetische Rezepte. Bis ins Jahr 1677 wurde es elf Mal wiederaufgelegt und in mehrere Sprachen übersetzt, zwei Ausgaben existieren auf Deutsch.

Von der Goldherstellung über die ‘Entgiftung‘ der Gesichtshaut, Zahncremes, Seife, Kleber und einem Mittel gegen erektile Dysfunktion trug Isabelle Cortese zahlreiche ‘Geheimnisse‘ zusammen; sie erwähnt, die Werke anderer Alchemisten, namentlich Geber, de Villanova und Llull, gelesen zu haben, doch hätte sie davon nichts gewonnen als die Wahrscheinlichkeit, früher zu sterben. Stattdessen habe sie ihre Erkenntnisse alle aus eigener Forschung gewonnen, ihren Leser:innen riet sie zum eigenen Vorteil, die aus der Lektüre gewonnenen Erkenntnisse nicht weiterzuerzählen.

Der englische Wikipedia-Beitrag zu Isabella Cortese ist hier zwar nicht biografisch ergiebiger, enthält jedoch eine interessante Abhandlung über die ‘Geheimnis-Kultur‘ der Wissenschaft im 16. Jahrhundert: Wie ‘geheim‘ und ‘Experiment‘ zu dieser Zeit im Prinzip synonym waren, ‘geheim‘ aber nicht hieß, dass niemand davon wusste, sondern, dass das Experiment funktionierte. Derartige wissenschaftlichen ‘Geheim-Experimente‘ konnten wie eine Art Währung verwendet werden, um Schulden zu begleichen, sich Vorteile zu verschaffen oder gar in höhere soziale Kreise aufzusteigen.

In einer Umkehrung der üblichen Geschlechtermimikri besteht bei Isabella Cortese die Möglichkeit, dass es sich beim Autor des Buches um einen Mann handelte. Während Männer Zugang zu Bildung und Wissenschaft hatten, blieb die Kenntnis über weibliche Anatomie und Gesundheit ein Privileg der Frauen; dies versetzte die gesamte weibliche Gesundheitsfürsorge in eine ‘unwissenschaftliche‘ Nische, doch von Interesse für die weniger gebildete (weibliche) Bevölkerung. Ein weibliches Pseudonym für die Geheimnisse der Isabella Cortese könnte also dem doppelten Zweck gedient haben, die enthaltenen Kenntnisse wissenschaftlich zu diskreditieren und gleichzeitig für die weiblichen Leser glaubwürdig zu machen.

Hildegard von Bingen

zwischen 1. Mai und 17. September 1098

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Hildegard von Bingen empfängt eine göttliche Inspiration und gibt sie an ihren Schreiber weiter. By Unknown author – Miniatur aus dem Rupertsberger Codex des Liber Scivias., Public Domain

Hildegard von Bingen kam als zehntes Kind zweier Edelfreien wahrscheinlich in der Gegend von Bermersheim vor der Höhe zur Welt, die für sie als ‚Zehnten an Gott‘ von Kindheit an ein Leben im Kloster vorsahen. Bereits mit drei Jahren, schrieb sie später, hatte sie ihre erste göttliche Vision.

1106, Hildegard war acht Jahre alt, kam sie gemeinsam der 16-jährigen Jutta von Sponheim in die Obhut der geweihten Witwe Uda von Göllheim, die die beiden Oblatinnen im Sinne eines späteren Klosterlebens erziehen sollte. Sechs Jahre später wurde Jutta ihre Lehrmeisterin, gemeinsam mit einer dritten jungen Frau ließen sich die beiden in einer Klause am Kloster Disibodenberg einschließen. Vor dem Bischof Otto von Bamberg legte sie im gleichen Jahr ihr Ordensgelübde ab. Über die folgenden 24 Jahre wuchs die Klause mit den drei Frauen zu einem regelrechten Nonnenkloster an. 1136 starb Jutta von Sponheim mit 38 Jahren, Hildegard wurde daraufhin zur Magistra gewählt. Mit dem leitenden Abt der Mönche, Kuno von Disibodenberg, war das Verhältnis schwierig, denn einerseits kritisierte er, dass sie die strengen Regeln des Benediktinerordens nicht konsequent genug bei ihren Nonnen durchsetzte, andererseits wollte er auch nicht, dass sie sich mit ihrem Konvent von seinem Kloster löste, da Hildegards Anwesenheit für dessen große Beliebtheit und Bekanntheit entscheidend war.

Seit ihrer Kindheit hatte Hildegard von Bingen religiöse Visionen – der Neurologe Oliver Sacks vermutete nach ihren Beschriebungen insbesondere optischer Erscheinungen, dass sie an einer schweren Migräne mit Skotomen litt. 1141 verstärkten sich diese Visionen und eine, sehr eindringliche, verstand sie als Aufforderung Gottes, ihre Einsichten aus diesen Absencen niederzuschreiben. Da sie selbst die lateinische Grammatik nicht beherrschte, hatte sie dafür einen Schreiber, außerdem unterstützten sie der Propst des Klosters und ihre Vertraute Richardis von Stade. In sechs Jahren entstand ihr erstes Werk, Scivias (Wisse den Weg); nach seiner Fertigstellung 1147 gestattete ihr der Papst Eugen III. die Veröffentlichung ihrer Schriften und sie schrieb zwei weitere Werke über die christliche Mystik, die sie aus ihren Visionen gewann. In der Folge konnte sie sich schließlich vom Benediktinerkloster auf dem Didibodenberg lösen, 1150 gründete sie mit ihren Nonnen ein eigenes Kloster auf dem Rupertsberg bei Bingen. Bereits ein Jahr später musste sie sich allerdings von ihrer engen Vertrauten Richardis von Stade trennen, denn deren Bruder Hartwig von Stade und der Mainzer Erzbischof Heinrich wollten, dass diese Äbtissin des Stift Bassum würde. Zum Ausgleich für diesen persönlichen Verlust bestätigte Heinrich jedoch die Überschreibung der Klostergüter in den Besitz des Nonnenklosters. Durch den Reichtum, den die Nonnen damit für ihr Konvent gewannen, gerieten sie allerdings in die Kritik anderer Geistlicher, ebenso für die Tatsache, dass im Kloster am Rupertsberg nur Nonnen aus adligen Häusern angenommen wurden. So gründete Hildegard von Bingen 1165 ein weiteres Kloster bei Eibingen, in dem die Oblatinnen und Nonnen nicht-adliger Herkunft aufgenommen wurden.

Hildegard von Bingen starb 82-jährig, am 17. September 1179. Noch zu ihren Lebzeiten wurde der Rupertsberger Riesenkodex angelegt, der fast alle ihrer schriftlichen Arbeiten enthielt, vornehmlich die Scivias, das Liber vitae meritorum (Buch der Lebensverdienste) und das Liber divinorum operum (Buch der göttlichen Werke), die sich mit der Ethik und der Schöpfungsordnung ihrer visionären Religiösität befassten.

Außerdem hatte sie Lieder komponiert, die Lebensgeschichten des Heiligen Rupert und des Heiligen Disibod geschrieben und Briefwechsel mit einflussreichen Persönlichkeiten in Kirche und Politik geführt. Zudem war sie Urheberin der Lingua Ignota, vornehmlich ein alternatives Alphabet mit einer Reihe selbsterdachter Worte, die wie ein Code funktionierten (hier lohnt sich wieder einmal der englische Wikipedia-Beitrag). Möglicherweise diente diese Lingua schlicht dem stärkeren Zusammenhalt der Nonnen als ein Zeichen für ihre Abgetrenntheit von der restlichen Welt. Von manchen wird Hildegard von Bingen für diesen Code als erste Person betrachtet, die eine konstruierte Sprache erschuf.

Als Wissenschaftlerin gilt sie im weitesten Sinne jedoch für ihr Werk Liber subtilitatum diversarum naturarum creaturarum (Das Buch von den Geheimnissen der verschiedenen Naturen der Geschöpfe). Die aus zwei Teilen bestehende Schrift war zwar nicht Teil der Gesamtausgabe ihrer Texte, die noch zu ihren Lebzeiten erschien, wurde jedoch in ihrer posthumen Vita erwähnt. Bereits im 13. Jahrundert wurden die beiden Teile getrennt voneinander kopiert und verbreitet, der erste Teil wurde ab dem 16. Jahrhundert unter dem Namen Physica gedruckt, der zweite Teil Causae et curae (Ursachen und Behandlungen) ist nur als eine einzige Handschrift erhalten. In der Physica hielt in der Hildegard von Bingen im Grunde das natur- und heilkundliche Wissen ihrer Zeit schriftlich fest. Das Werk besteht aus neun Büchern, jeweils eines über die Pflanzen, die Elemente, die Bäume, die Steine, die Fische, die Vögel, die Tiere (tatsächlich sind nur Säugetiere darin erfasst), die Reptilien und die Metalle. Zu einem großen Teil der Einträge hielt Hildegard von Bingen auch eine medizinische oder naturheilkundliche Wirkung fest. Bemerkenswert daran war nicht nur die schiere Menge an Wissen, das sie erfasste, sondern auch, dass sie für die Pflanzen deutsche Namen statt der lateinischen verwendete. Dies war bis dahin nur im Innsbrucker Kräuterbuch der Fall gewesen. In Causae et curae verschriftlichte sie medizinische Ratschläge, nach Symptomen geordnet. Hildegard von Bingens Herangehensweise an Gesundheit war einerseits von der Viersäftelehre geprägt, die davon ausging, dass im Menschen vier unterschiedliche, einander ergänzende und ausgleichende Säfte herrschen, deren Unausgeglichenheit oder Überschuss zu Krankheiten führe. Andererseits beeinflusste natürlich auch von Bingens christliche Mystik ihre Ansichten zur Gesundheit, dass nur durch Hinwendung zu Gott, gute Werke und einen maßvollen Lebenswandel der Mensch gesund leben könne.

Ihre visionären Mystik, das medizinischen Wissen der Antike und die mittelalterlichen Volksmedizin, die sie in den beiden Büchern zusammenbrachte, liegen der alternativen Heilkunde zugrunde, die seit den 1970er Jahren als Hildegard-Medizin vermarktet wird.

Adelle von den Sarazenen

12. Jhdt.

Von Adelle von den Sarazenen (Link Englisch) ist nichts bekannt außer, dass auch sie zu den Mulieres Salernitanae (Link Englisch) gehörte – sie war Dozentin an der Medizinschule von Salerno. Wohl, weil weder biografische Fakten darüber hinaus noch Texte von ihr vorhanden sind, taucht sie auch nicht bei den Aufzählungen der Frauen von Salerno auf, die ich zuletzt bei Trota von Salerno aufgeführt habe.

Zu ihrem Namen: Nach dem englischen Wikipedia-Beitrag gehörte Adelle zur Familie der Saracinensa. Der Name weist auf eine Herkunft der Familie aus dem arabischen Raum hin oder auf deren muslimischen Glauben. Der Begriff Sarazenen wurde zu Adelles Lebenszeit im 12. Jahrhundert sowohl als ethnische wie religiöse Zuschreibung verwendet. Ursprünglich bezeichnete Sarakenoi im Griechischen und Saraceni im Latein einen oder mehrere Stämme der Nomaden auf der Sinai-Halbinsel – möglicherweise eine Fremdbezeichnung der Nabatäer? Zur Herkunft des Wortes gibt es verschiedene Theorien: Claudius Ptolemäus, unter anderem auch Geograf, nahm einen Zusammenhang mit dem Wort Sáraka oder Sarakene an, wobei ersteres eine Stadt, letzteres eine Wüste bezeichnete. Im 6. Jahrhunderte wurde der Begriff Sarakenoi in Byzanz für alle arabisch sprechenden Völker verwendet. Andere mögliche etymologische Herleitungen setzen das arabische Scharqiyun voran, was ‚Morgenländer‘ bedeutet, oder eine biblische Geschichte, nämlich das die Sarazenen die „Bekämpfer Saras“ seien (-kenós käme hier von griechsisch konein, be-/kämpfen), also die Nachkommen der Hagar, der verstoßenen Sklavin Abrahams. Sie wären die natürlichen Gegner der Erzmutter Sara, die eifersüchtig auf Hagar wurde und sie demütigte. Diese Deutung geht allerdings mit einer rassistischen, abwertenden Haltung gegenüber Menschen der Sarazenen-Völker einher.

Erst nach Adelles Lebenszeit entwickelte sich die Bedeutung des Wortes Sarazene in diese anti-islamische Richtung, wobei auch die Zuweisung ‚heidnisch‘ hinzukam. Aufgrund dess wurden dann im 15. Jahrhundert in romanisch-sprachigen Ländern und in Deutschland auch die über den Balkan einwanderenden Roma als Sarazenen bezeichnet. Die Gleichbedeutung mit ‚heidnisch‘ oder ‚fremd‘ hat sich im Englischen auch im Namen ‚sarsen stones‚ (Link Englisch) niedergeschlagen, zu Deutsch Sarsensteine. Es handelt sich dabei um eine sehr spezifische Art Sandstein, die unter anderem beim Bau von Stonehenge verwendet wurden.

Trota von Salerno

12. Jhdt.

frauenfiguren zeitstrahl der frauen in der wissenschaft trota von salerno
„Pen and wash drawing showing a standing female healer, perhaps of Trotula, clothed in red and green with a white headdress, holding up a urine flask to which she points with her right hand.“ From: Miscellanea medica XVIII, Published: Early 14th century, Folio 65 recto (=33 recto), Collection: Archives & Manuscripts, Library reference no.: and Archives and Manuscripts MS.544

Trota von Salerno (Link Englisch) war eine der „Frauen von Salerno“; medizinische Heilkundige, die an der Medizinschule von Salerno studierten. Trota war nach heutigem Kenntnisstand Mitglied der Fakultät, also Lehrende, doch mehr ist über sie nicht bekannt.

Sie schrieb jedoch mehrere medizinische Abhandlungen und Traktate, deren Rezeptionsgeschichte, Zuordnung und Neu-Zuordnung ich versuchen will, hier übersichtlich wiederzugeben.

Das am längsten mit ihrem Namen in Verbindung stehende Werk ist ein Ensemble medizinischer Texte über Frauenheilkunde, das unter dem Namen Trotula veröffentlicht und weitergegeben wurde. Obwohl der Name des Werkes übersetzt „kleines Buch der Trota“ heißt, ist sie wohl nicht Autorin eines der drei Texte. Sie wird jedoch im mittleren Teil namens De curis mulierum (Über die Versorgung der Frauen) namentlich genannt als magistra operis, also als Meisterin, von gleichem Ansehen wie ein männlicher Mediziner. Sie wird hinzugerufen in einem Fall, in dem eine Frau „Wind im Uterus“ hat, was für Außenstehende wie eine Ruptur oder wie Darmbeschwerden aussehen könne. Dieser Teil der Trotula befasst sich außerdem mit den Hemmungen, die Frauen haben, sich über ihre weiblichen Beschwerden und intime Körperteile mit männlichen Ärzten zu unterhalten, mit verschiedenen Heilmethoden für Menstruationsbeschwerden und Unfruchtbarkeit (die sie nicht allein den Frauen zuschreibt), mit der Verhütung, der Geburtshilfe und der Säuglingsversorgung. Ein Absatz befasst sich wohl auch mit der Möglichkeit, die Vulva zu verengen, um wieder „für eine Jungfrau gehalten“ werden zu können. Nunja.

frauenfiguren zeitstrahl der frauen in der wissenschaft trota von salerno normannen
Karte des normannischen Herrschaftsgebietes im 12. Jahrhundert
Von Captain Blood – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0

Über die Motivation für die Entstehung der Trotula sowie die Gründe, warum darin von Trota in der dritten Person und mehrfach von einem unkonkreten „Wir“ die Rede ist, hat die Trota-Forscherin Monica Green (Link Englisch) eine schlüssige Theorie formuliert. Denn tatsächlich konnten die meisten Frauen, an die sich das Werk in Trotas Umkreis hätte richten können, nicht lesen. Stattdessen machte eine solche Niederschrift der medizinischen Kenntnisse nur Sinn zur Weitergabe an Fachpersonal, das sich nicht im Umkreis befand. Im Text finden sich jedoch einige Worte englischer Herkunft, und zu Lebzeiten Trotas waren sowohl Teile Englands wie auch Süditalien unter normannischer Herrschaft, was einen regen kulturellen Austausch zur Folge hatte. Es kursierte im 13. Jahrhundert auch bereits ein anglonormannischer Kosmetikratgeber namens Ornatus mulierum (Über die Ausstattung der Frau), der „Dame Trota“ als Quelle für seinen Wissensfundus angibt. Green vermutet daher, dass Trota bereits einen Ruf als Fachfrau für weibliche Gesundheitsthemen über die Grenzen Salernos hinaus hatte und eine englischsprachige Person aufgrund ihres Ruhmes einen Besuch in Salerno zum Anlass nahm, die Erkenntnisse der Medizinerin niederzuschreiben.

Bereits kurz nach seiner Erstellung gab es Kopien der Trotula, die unter dem Namen eines Johannes Platearius veröffentlicht wurden; ein Jahrhundert später nahm eine andere salernische Medizinierin Kürzungen und Änderungen am Text vor. Trotz seiner vielseitigen Erscheinungsformen galt das Ensemble bis ins 16. Jahrhundert hinein als medizinisches Standardwerk.

1544 bearbeitete der Verleger Georg Kraut die Trotula derartig, dass es erschien, als seien alle drei Texte von einer einzelnen Person, dabei entfernte er auch alle Namensnennungen von Personen vor dem 3. Jahrhundert, sodass der Text wesentliche älter erschien. Diese Fassung wurde später von einem Casper Wolf noch dazu unter dem Autorennamen Eros Julia verlegt – dem Hausarzt der Tochter Kaiser Augustus‘ aus der Zeit um Christi Geburt. Andere Verleger veränderten den Namen noch weiter zu Erotian.

Es bestand zwar stets die Theorie, dass der Text von einer Frau geschrieben sein könnte, doch genauso hartnäckig hielten sich die diversen Theorien, warum das auf keinen Fall so sein könnte. Zum Beispiel erklärte der Medizinhistoriker Karl Sudhoff 1921, dass die lehrenden Frauen von Salerno keine Ärztinnen, sondern („nur“) Hebammen und Krankenschwestern gewesen sein konnten und – logischerweise – deshalb auch keine medizinischen Abhandlung hätten schreiben können. Sein Kollege Charles Singer ging 1928 gar so weit, den Text weniger für ein wissenschaftliches Traktat als vielmehr für Pornografie zu halten – der erotische Reiz sei durch den Autor, einen Arzt namens Trottus, mit der behaupteten weiblichen Quelle gesteigert worden. Ein entscheidender Aspekt, der von Gegnern der Autorin-Theorie hervorgebracht wurde, war die direkte und klare Sprache in Bezug auf weibliche Anatomie, wie etwa der oben genannte Ratschlag zur Verengung der Vulva. Die Herren der Wissenschaft kannten das weibliche Sprechen über den weiblichen Körper vermutlich nur verschämt und verklausuliert; dass Frauen untereinander wesentlich deutlicher und weniger schamhaft sein könnten, ging über ihre Vorstellungskraft hinaus. Wie so oft machten die beschränkte Sichtweise, moralische Empörung und systematische Misogynie männlicher Wissenschaftler eine Wissenschaftlerin zum Opfer des Matilda-Effektes (dessen frühestes Opfer Pandrosion habe ich vor fast genau vier Wochen hier vorgestellt).

Die beiden genannten Medizinhistoriker bezogen sich inzwischen allerdings auch nicht mehr nur auf den mitteleren Text der Trotula. 1837 wurde die Existenz einer Sammlung medizinischer Abhandlung bekannt, des Codex Salernitanus (der Salernische Kodex). Einer der sieben darin enthaltenen Texte, De egritudinum curatione (Zur Behandung von Krankheiten), sowie mehrere Anmerkungen in anderen stammten von einer mit ‚Trot.‘ verkürzt benannten Person. Die Beschreibung praktischer Eingriffe im Codex sowie die Tatsache, dass Geburtsthilfe nur am Rande vorkam, belegten nach Karl Sudhoff, dass keine Frau als Autorin in Frage kam. Er ließ einige der Texte von Studenten überarbeiten, einer davon, Conrad Hiersemann, überarbeitete den Text 1921 erneut und setzte für ‚Trot.‘ den männlichen Namen Trottus ein. Er nahm – nach heutigem Kenntnisstand – richtig an, dass ‚Trot.‘ ein Werk über Medizin und Pathologie geschrieben hat und der Text im Codex eine verkürzte Fassung der wichtigsten Abschnitte darstellte. Auch er schloss aus der Tatsache, dass die Geburtshilfe nicht das vorwiegende Thema war, eine weibliche Autorin aus. (Quelle: Virus – Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin 4)

Diese falsche Annahme von einem männlichen Arzt als Autor dieser beiden Texte hielt sich bis 1985. In diesem Jahr entdeckte der Historiker John F. Benton einen Text namens Practicam secundum Trotam (Medizinische Praxis nach Trota) in einem Manuskript in Madrid, das mit mit großer Wahrscheinlichkeit zu Beginn des 13. Jahrhunderts geschrieben wurde. Ein zweite Teilkopie dieser Abhandlung fand seine Kollegin Monica Green (s.o.) später in einem Manuskript in Oxford. Anhand der Überschneidungen dieses Textes mit De egritudinum curatione konnte Benton die Existenz der weiblichen Medizinerin Trota als Autorin beider Texte eindeutig belegen; er war dennoch weiterhin der Meinung, dass die drei Texte der Trotula alle nicht von ihr, sondern, wie er nachwies, von drei unterschiedlichen männlichen Autoren stammten. Green, die nach Bentons Tod 1988 seine Forschungen fortsetzte, stellte jedoch neben der großen Übereinstimmung des Practicam secundum Trotam mit De curis mulierum in der Trotula auch Deckungsgleichheit fest mit De egritudinum curatione und den Kosmetikratgebern, in denen die ‚Dame Trota‘ erwähnt wird. Sie konnte damit beweisen, dass sich die medizinische Kenntnis der Trota von Salerno über fast alle medizinischen Gebiete erstreckte, von der praktischen Chirurgie abgesehen. Practicam secundum Trotam befasst sich zu drei Viertel seines Inhaltes mit allen möglichen anderen medizinischen Themen als der Frauenheilkunde.

Monika Green glaubt jedoch nicht, dass damit auch bewiesen ist, dass Trota von Salerno und ihre Kolleginnen wenigstens zu ihrer Zeit ein entsprechendes Ansehen an der Fakultät und in der Wissenschaft hatten. So erwähnt Trota in ihren Texten mehrfach männliche Kollegen und Referenzen, in deren Texten ist jedoch durchgängig verallgemeinernd von den „Frauen von Salerno“ die Rede. Sie mag als praktische Medizinerin einen hohen Status gehabt haben, als Fachfrau, Lehrende und Wissenschaftlerin war und wurde sie jedoch kaum anerkannt. Green führt das darauf zurück, dass sich Trota an der Schwelle zur Ausbildung der akademischen Medizin befand – und die akademische Arbeit wurde bereits damals von Männern dominiert, die die praktische Erfahrung der Frauen im theoretischen und lehrenden Kontext nicht wertschätzten.

Trota von Salerno reiht sich somit ein in die Mulieres Salernitanae (Link Englisch), die es nachweislich gab, die jedoch kaum Texte schrieben oder, wie im Fall von Abella (die eigentlich auch auf den Zeitstrahl der Frauen in der Wissenschaft gehören würde), deren Texte einfach verloren gingen. Abella schrieb mindestens zwei Texte in Versform, einen über die Schwarze Galle und einen über den menschlichen Samen. Salvatore de Renzi (Link Englisch), ein italienischer Arzt, nannte in einer Arbeit über die Medizinschule von Salerno neben Abella noch Rebecca de Guarna (Link Englisch), Mercuriade (Link Englisch) und Constance Calenda (Link Englisch).

Judy Chicago widmete Abella als Repräsentantin der Salernischen Frauen eine Bodenfliese im Heritage Floor ihrer Installation The Dinner Party, wo auch Aglaonike einen Platz hat.

Eupraxia Dobrodeia von Kiew

12. Jhdt.

Eupraxia Dobrodeia (Link Englisch) war die Tochter von Mstislaw I. von Kiew und seiner Frau Christina Ingesdotter von Sweden (Link Englisch).

Ungefähr 1122 heiratete sie Alexios Komnenos Porphyrogennetos, den derzeitigen byzantinischen Mitregenten, und wurde mit dieser Heirat Basilissa Irene (diesen Namen übernahm sie von ihrer Schwiegermutter Piroska von Ungarn, diese hatte mit ihrer Eheschließung diesen Namen mit dem orthodoxen Glauben angenommen). Sie kam auch in den Kreis intellektueller Frauen in Byzanz um Anna Komnena, der Tante ihres Mannes. Von diesen wurde sie ermutigt, ihr eigenes Fachgebiet zu finden und sich zu erarbeiten. Sie eignete sich das medizinische Wissen der Antike an und schrieb eine Abhandlung über Balsame und Salben, deren Zusammensetzung und Wirkungsweisen. Dieses Werk wird als erstes Traktat über Medizin von einer Frau angesehen, Fragmente davon befinden sich in der Biblioteca Medicea Laurenziana in Florenz. Sie befasste sich vor allem mit den Werken von Galenos und übersetzte einige seiner Texte ins Russische.

Sie starb am 16. November 1131 an unbekannter Ursache.

Dieses Blog dieses Unternehmens listet Eupraxia Dobrodeia als zweites nach Merit-Ptah unter den 10 Frauen, die die Welt gesünder gemacht haben sollen.

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§218!