49/2020: Christine Ladd-Franklin, 1. Dezember 1847

Christine Ladd-Franklin wuchs in einem Haushalt auf, in dem auf Bildung und Frauenrechte Wert gelegt wurde. Ihr Vater war Akademiker, die Mutter nahm die fünfjährige Christine bereits zu einer Lesung von Elizabeth Oakes Smith (Link Englisch) mit, einer Schriftstellerin, die sich schon Mitte des 19. Jahrhunderts für Frauenrechte einsetzte. Christine wuchs in Connecticut auf, bis ihre Mutter 1860 an Lungenentzündung starb und die 13-jährige zu ihrer Tante nach New Hampshire zog. Dort besuchte sie die Schule und entwickelte großen Ehrgeiz, ihre Bildung über die weiterführende Schule hinaus zu verfolgen. Der Vater unterstützte sie darin und schrieb sie bei einem zweijährigen Programm an einer Schule in Massachusetts ein, in dem ansonsten Jungen auf ein Collegestudium vorbereitet wurden. Christine Ladd schloss dieses Programm mit 18 Jahren als Klassenbeste ab.

Im nächsten Jahr, 1866, konnte sie mit der finanziellen Unterstützung ihrer Tante ein Studium am Vassar College beginnen. Leider ging nach einem Jahr das Geld zunächst aus, sodass Ladd erst einmal als Lehrerin arbeitete. Sobald ihre Tante das Geld wieder aufbringen konnte, kehrte sie ans College zurück und machte schließlich 1869 ihren Abschluss. Während ihrer Zeit am Vassar College begegnete sie auch Maria Mitchell, einer Physikerin und Astronomin, die sich ebenfalls für Frauenrechte einsetzte. Unter ihrer Ägide entfaltete sich Ladd zu einer kämpferischen Natur.

Nach ihrem Abschluss hätte Christine Ladd am liebsten Physik studiert, doch Frauen waren in den Universitätslaboren nicht zugelassen, in denen ein großer Teil des Studiums absolviert wurde. So unterrichtete sie für die nächsten neun Jahre Mathematik und Naturwissenschaftenan einer weiterführenden Schule in Washington, Pennsylvania. In dieser Zeit reichte sie insgesamt 77 mathematische Probleme und ihre Lösungen bei der Educational Times in London ein, außerdem sechs Beiträge bei The Analyst: A Journal of Pure and Applied Mathematics sowie drei beim American Journal of Mathematics.

Schließlich gelang es Christine Ladd, sich an der Johns Hopkins University einzuschreiben, zugegebenermaßen mit einer Art unterlassener Information. Als die Universität 1876 ihr Stipendiatsprogramm eröffnete, bewarb sich Ladd mit ihren Unterlagen unter `C. Ladd´– und ihre Unterlagen waren so überzeugend, dass der Universitätsvorstand ohne weitere Überprüfung `C. Ladd´ein Stipendium gewährleistete. Als den Herren im Vorstand klar wurde, dass es sich bei `C.´um eine Christine handelte, wollten sie ihr das Stipendium zunächst wieder entziehen: Sie habe es sich mit einem Trickbetrug erschlichen. Ladd hatte jedoch in James J. Sylvester einen mächtigen Fürsprecher. Der Professor war vor kurzem von der Encyclopædia Britannica als größter lebender Mathematiker bezeichnet worden und ein wichtiger Imagefaktor für die um finanzielle Mittel kämpfende Schule. Sylvester beharrte darauf, die vielversprechende Studentin Ladd unterrichten zu dürfen, und setzte sich durch; ein Mitglied des Vorstands trat über den Konflikt sogar zurück. Da Johns Hopkins an sich keine `gemischte´Universität war, durfte Ladd zunächst nur seine Kurse besuchen; als sie darin jedoch überdurchschnittliche Leistungen erbrachte, durfte sie schließlich auch die Vorlesungen und Kurse anderer Professoren besuchen. Ihr Stipendium sollte von 1878 an für drei Jahre laufen, doch sie wurde in keinem Rundschreiben der Universität in dieser Zeit erwähnt, um nur ja keinen Präzendenzfall zu schaffen.

In den Jahren 1879/1880 besuchte Ladd auch Kurse bei Charles Sanders Peirce, einem Mathematiker, Logiker und Semiotiker. In diesen Bereichen stößt die Mathematik über die Logik an die Philosophie ebenso wie an die Psychologie, was in Christine Ladds Fall zu einer späteren Beschäftigung mit der Farbsichtigkeit des Menschen führen sollte. Bei Peirce schrieb Ladd ihre Dissertation `Über die Algebra der Logik´. Sie befasste sich darin mit der Reduktion von Syllogismen in der Aristotelischen Logik – im Prinzip mit mathematischer `Auflösung nach x´ von logischen Schlussfolgerungen. Sie entwickelte darin eine Methode, die Gültigkeit dieser Schlussfolgerungen festzustellen, die sie Inconcistent Triad oder `Antilogismus´nannte. Ihre Arbeit wurde 1883 in Studies in Logic veröffentlicht – inzwischen hatte Christine Ladd ihren Kommilitonen Fabian Franklin (Link Englisch) geheiratet und hieß nun Ladd-Franklin. Obwohl sie alle Bedingungen für eine Promotion erfüllt hatte, verlieh ihr die Universität nicht den Doktortitel, weil Frauen dafür nicht zugelassen waren. Mit ihrem abgeschlossenen Studium war Ladd-Franklin die erste Frau mit einer Universitätsausbildung in gleichzeitig Mathematik und symbolischer Logik.

Ladd-Franklin bemühte sich immer wieder darum, an der Johns Hopkins University unterrichten zu dürfen, wurde aber ebenso oft abgeschmettert. In der Zwischenzeit besuchte sie 1884 Kelvins Master Class (Link Englisch) und begann sich 1886 mit der Farbwahrnehmung des menschlichen Auges zu beschäftigen. Während eines Sabbaticals ihres Mannes konnte sie dazu in Deutschland mit zwei Wissenschaftlern arbeiten: In Göttingen holte sie sich das Einverständnis von Georg Elias Müller ein, in seinem Labor zu forschen (auch an der Georg-August-Universität waren Frauen zu diesem Zeitpunkt eigentlich nicht zugelassen), anschließend suchte sie in Berlin das Labor von Hermann von Helmholtz auf und hörte Vorlesungen von Arthur König. Aus ihren Ergebnissen und den Theorien von Müller, der die Gegenfarbtheorie von Ewald Hering weiterentwickelt hatte, sowie der Dreifarbentheorie von Helmholtz und König entwickelte sie ihre eigene Theorie über die Entwicklung der Farbwahrnehmung. Sie postulierte, dass sich zuerst das Schwarz-Weiß-Sehen entwickelt habe (was auch das tiefsitzende Bedürfnis der Menschen erklären könnte, die Dinge in binäre Kategorien einzuteilen), dann das Sehen der komplimentären Blau und Gelb und erst zuletzt das Sehen von Rot und Grün, weshalb auch die Rot-Grün-Sehschwäche die häufigste Farbfehlsichtigkeit sei. Diese Theorie präsentierte Ladd-Franklin 1892 bereits auf dem International Congress of Psychology in London.

Christine Ladd-Franklin durfte noch immer nicht an ihrer Alma Mater unterrichten, wurde jedoch 1893 zum Mitglied der American Psychological Association gewählt und präsentierte als solches bis 1925 insgesamt 10 wissenschaftliche Arbeiten bei der Vereinigung. 1895 gab ihr Mann Fabian seine Professur und Universitätskarriere auf und wurde Journalist; Christine Ladd-Franklin gab von 1901 bis 1905 das Dictionary of Philosophy and Psychology mit heraus. 1904 durfte sie schließlich endlich – für fünf Jahre – an der Johns Hopkins University lehren. Nachdem ihr Vertrag dort 1909 auslief, zogen die Ladd-Franklins 1910 nach New York, wo Fabian Mitherausgeber der New York Evening Post wurde. Christine arbeitete weiter im Bereich der Farbwahrnehmung und lehrte in mehreren Jahren an ebenso vielen Universitäten, so 1912 bis 1913 an der Columbia University, 1913 in Harvard und 1914 an der University of Chicago.

44 Jahre, nachdem sie die Voraussetzungen dafür erfüllt hatte und ihre Dissertation eingereicht hatte, verlieh ihr die Johns Hopkins University 1927 schließlich ihren Doktortitel. Zwei Jahre später veröffentlichte Ladd-Franklin ihr Werk zur Farbwahrnehmung, Color and Color Theory. Am 5. März 1930 starb sie mit 83 an einer Lungenentzündung. Der Psychologe Robert S. Woodworth schrieb einen Nachruf für Science, in dem er ihre wissenschaftlichen Errungenschaften hervorhob.

Meine Lieblingsanekdote, die ich leider nicht zeitlich einordnen kann, ist die, wie Christine Ladd-Franklin vom Experimentalpsychologen Edward Bradford Titchener forderte, dass sie (und andere Frauen) in seinem Seminar dozieren können sollten; Titchener lehnte dies ab – obwohl er selbst mit Margaret Floy Washburn (Link Englisch) eine Studentin unterrichtete (oder unterrichtet hatte), die als erste Frau einen Doktortitel in Psychologie ablegte. Titcheners Begründung war unter anderem, dass in den Seminaren stark geraucht würde, worauf Ladd-Franklin erwiderte, das störe sie nicht, sie würde in Gesellschaft sogar selbst rauchen (was sich natürlich eigentlich für Frauen nicht ziemte).

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