42/2023: Gertrude Sandmann, 16. Oktober 1893

Über Gertrude Sandmanns Kindheit ist nicht viel zu finden; geboren in Berlin, muss ihr Vater zumindest recht wohlhabend gewesen sein, da sie später von seinem Erbe leben konnte. Als sie alt genug für ein Kunststudium war, ließ die Akademie der Künste in Berlin noch keine Frauen zu, also machte Sandmann einen Zeichen- und Malkurs beim Verein der Berliner Künstlerinnen, bei dem schon Käthe Kollwitz und Paula Modersohn-Becker gelernt hatten und zu diesem Zeitpunkt auch unterrichteten. 1917 ging sie für eine weitere Kunstausbildung nach München, zwei Jahre später jedoch konnte sie an die Akademie der Künste in Berlin wechseln – diese hatte inzwischen Käthe Kollwitz als Professorin eingestellt, womit auch das Studium für Frauen möglich wurde. Mit Kollwitz und ihrer Familie sollte Sandmann eine langjährige Freundschaft verbinden.(1)

1923 erhielt Gertrude Sandmann ihre erste Einzelausstellung in Berlin. Sie arbeitete während der 1920er Jahre wie viele Künstlerinnen als Illustratorin für Modezeitschriften, außerdem nahm sie an verschiedenen Gruppenausstellungen teil, wurde Mitglied im Reichsverband bildender Künstler und der GEDOK (Gemeinschaft deutscher und oesterreichischer Künstlerinnen und Kunstfreundinnen). Das Erbe ihres Vaters ermöglichte ihr ein eigenes Atelier in Berlin und verschiedene Reisen und Studienaufenthalte im Ausland. Die finanzielle Freiheit bedeutete auch, dass sie offen homosexuell leben konnte. Dass die jüdische Gemeinschaft diese Orientierung als verwerflich und ‚widernatürlich‘ ablehnt, führte zu ihrer Lossagung von der Religion.(1)

Wie viele säkulare Juden wurde sie mit der Machterlangung der Nationalsozialisten dennoch für ihre jüdische Herkunft verfolgt. In den frühen 1930er Jahren wurde sie deswegen vom Reichsverband ausgeschlossenn, von 1934 (oder 1935) an unterlag sie dem Berufsverbot. Ein Auslandsvisum ließ Sandmann verfallen, weil sie zum Einen nicht im Ausland leben und zum Anderen ihre Mutter nicht alleine lassen wollte. Als diese kurz darauf verstarb, war ihr Visum ungültig. Mit Hilfe ihrer Lebensgefährtin Hedwig Koslowski, genannt Johnny, konnte sie untertauchen und längere Zeit unbemerkt bleiben. Am 21. November 1942 jedoch musste sie noch weiter gehen: Sie schrieb einen Abschiedsbrief, um die Gestapo zu täuschen, ließ all ihr Habe zurück und täuschte den Selbstmord vor. Sie überlebte die folgenden zwei Jahre in einem Unterschlupf bei der Familie Großmann, wo sie weiterhin zeichnete und malte. Koslowski und die Familie Großmann wurden später von Yad Vashem als Gerechte unter den Völkern anerkannt.

Nach dem Krieg nahm Gertrude Sandmann noch an wenigen Ausstellungen teil, im Jahr 1949 an der Grafischen Ausstellung im Schöneberger Rathaus und der Weihnachtsausstellung im Schloss Charlottenburg. Später jedoch ist nur noch ihre Teilnahme an der Großen Berliner Kunstausstellung 1958 bekannt sowie eine Einzelausstellung in Düsseldorf im Jahr 1974. In diesem Jahr war Sandmann auch an der Gründung der Gruppe L 74 – für Lesbos 1974 – beteiligt, der ersten lesbischen Künstlerinnengruppe der Nachkriegszeit.(2) Eine ihrer Zeichnungen war jahrelang das Titelbild der Vereinszeitung UKZ (‚Unsere Kleine Zeitung‘). Sie unterstützte auch andere lesbische Organisationen und die erste reine Frauengalerie ‚Andere Zeichen‘.

Gertrude Sandmann lebte bis zu ihrem Lebensende am 6. Januar 1981 in Berlin, viele Jahre davon mit ihrer Lebensgefährting Tamara Streck.


Quelle Biografie: Wiki deutsch | englisch
außerdem:
(1) Fembio
(2) Berlinische Galerie

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